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Als Charles Darwin im Jahr 1859 seine Theorie einer Evolution der Arten durch natürliche Auslese veröffentlichte, sah er bereits eine große Debatte voraus, jedoch nicht deren Ausstrahlungskraft und Langlebigkeit. Zu Beginn standen die Folgen für die Wissenschaften, den Glauben an Gott und die Moralvorstellungen im Vordergrund. Bald kamen Überlegungen über Gesellschaft, Politik, internationale Beziehungen und über Eingriffe bis hinunter auf die Ebene des Individuums und seines Erbmaterials, seiner Gene hinzu. Sozialdarwinismus, Eugenik, Rassismus galten zeitweise als wissenschaftlich legitime…mehr

Produktbeschreibung
Als Charles Darwin im Jahr 1859 seine Theorie einer Evolution der Arten durch natürliche Auslese veröffentlichte, sah er bereits eine große Debatte voraus, jedoch nicht deren Ausstrahlungskraft und Langlebigkeit. Zu Beginn standen die Folgen für die Wissenschaften, den Glauben an Gott und die Moralvorstellungen im Vordergrund. Bald kamen Überlegungen über Gesellschaft, Politik, internationale Beziehungen und über Eingriffe bis hinunter auf die Ebene des Individuums und seines Erbmaterials, seiner Gene hinzu. Sozialdarwinismus, Eugenik, Rassismus galten zeitweise als wissenschaftlich legitime Diskussions- und Politikfelder. Befürchtungen vor einem vermeintlichen Niedergang lassen sich bis heute angesichts der Biologisierung des Denkens scheinbar wissenschaftlich-objektiv untermauern. Gegenwärtig sind die Kontroversen noch vielfältiger, beziehen weit mehr Menschen ein als im späten 19. Jahrhundert, haben weit gravierendere Auswirkungen. Die aus elf Ländern stammenden Autorinnen und Autoren zeichnen aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven die Facetten einer spannenden und bis in die Gegenwart hochaktuellen Debatte nach und fragen nach der Zukunft des "Streitfalls Evolution".
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Autorenporträt
Alexander Pinwinkler, Privatdozent am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien und Lehrbeauftragter am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg. 2010 wurde er mit dem Theodor-Körner-Preis zur Förderung von Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet und 2014 mit dem Jubiläumspreis des Böhlau Verlages.1988-1993: Studium der Biologie, Wissenschaftsgeschichte, Sportwissenschaft, Erziehungswissenschaft und Indonesistik

Prof. Dr. Matthias Glaubrecht lehrt Biologie an der Universität Hamburg und ist Direktor des Centrums für Naturkunde in Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2017

Der Aufstieg eines Superstars

Von Darwins ersten Vermutungen bis zur Biotechnologie: Ein Sammelband widmet sich der Evolution unter kulturgeschichtlichem Vorzeichen.

Von Helmut Mayer

Erinnern Sie sich noch an das Mem? Es hatte seinen ersten Auftritt 1976 in "Das egoistische Gen", dem schnell berühmt und berüchtigt gewordenen Buch des Evolutionsbiologen Richard Dawkins. Aber ihre größte Wirkung entfalteten die Meme - konzipiert als kulturelle Entsprechungen der Gene und wie sie nichts anders als Replikatoren, mit menschlichen Gehirnen als ihren Vermehrungsvehikeln - erst in den neunziger Jahren. 1997 wurde sogar ein "Journal of Memetics" mit prominentem Beirat ins Leben gerufen, dessen Beiträge die Vorteile "memetischer" Erklärungen kultureller Entwicklungen gegenüber herkömmlichen Ansätzen in Sozial- und Geisteswissenschaften demonstrieren sollten.

"Universaler Darwinismus" war das Programmwort, das der Philosoph Daniel C. Dennett in seinem Buch "Darwins gefährliches Erbe" dazu beigesteuert hatte: Aus evolutionsbiologisch beschriebenen Mechanismen der Variation, Selektion und Adaptation war da ein universeller Algorithmus geworden, der sich unabhängig vom Substrat auf schlichtweg alles sollte anwenden lassen, "einschließlich alle Errungenschaften der menschlichen Kultur - Sprache, Kunst, Religion, Ethik, Wissenschaft selbst".

In der soeben erschienenen stattlichen "Kulturgeschichte" der Evolution, die mit mehr als vierzig Beiträgen auf fast achthundert großformatigen, zudem reich illustrierten Seiten den Bogen von Darwins ersten Vermutungen über die Variabilität der Arten bis zur Gegenwart schlägt, findet man auch eine Erinnerung an die Konjunktur der Meme. Lange währte sie nicht, 2005 war es mit dem eigenen Journal schon wieder vorbei. Dafür lassen sich zwar genügend sachliche Gründe anführen, aber das Verblassen der Meme hatte wohl auch ein wenig damit zu tun, dass die Netz-Euphoriker und Hacker, die das Mem in den achtziger Jahren enthusiastisch aufgenommen hatten, sich mit Blick auf das Internethabitat schließlich doch eher an einen anderen Replikator - nämlich das Virus - hielten.

Ein Übergang, den Dawkins selbst vorgespurt hatte, als er 1993 in dem Essay "Viruses of the Mind" Religion mit einem Geistesvirus verglich. Der Rückgriff auf das Mem wäre neutral gewesen, aber um die Spitze gegen Religion ging es Dawkins, der Einsichten der Evolutionsbiologie als zentrales Element eines wissenschaftlichen Weltbilds immer entschiedener gegen religiöse Überzeugungen in Stellung brachte - mit großer öffentlicher Resonanz.

Alte Frontstellungen erhielten hier eine neue Fassung, und es zeigte sich, dass die Evolutionsbiologie einen bevorzugten Kampfplatz für Auseinandersetzungen um ein je nach polemischer Option "wissenschaftliches", "naturalistisches" oder als fatal erachtetes "materialistisches" Weltbild abgab. Obwohl man den Verweis auf alte Fronten gleich wieder einklammern muss. Eine ganze Reihe von lesenswerten Beiträgen des Bandes zeigt, dass man es bei diesen Auseinandersetzungen durchaus nicht mit einer einfachen, sich durchhaltenden Geschichte zu tun hat. Zwar kam es nach dem Erscheinen von Darwins "Origins" immer wieder einmal zu Attacken von klerikaler oder religiös bewegter Seite, aber insgesamt blieb es im langen neunzehnten Jahrhundert ziemlich ruhig.

Heftiger wurden die einschlägigen Debatten erst nach dem Ersten Weltkrieg in den Vereinigten Staaten, als dort fundamentalistische evangelikale Bewegungen ihren Aufschwung nahmen. Der Reimport nach Europa machte sich dann erst von den siebziger Jahren an deutlich bemerkbar, als Spielarten des mehr oder minder bibeltreuen Kreationismus und der Intelligent-Design-Doktrin, die Gott hinter einer konstruierenden Intelligenz versteckte, in England Fuß fassten - zum verständlichen Entsetzen eines Autors wie Dawkins.

Folgt man in dem Band diesen Entwicklungen, lässt sich dabei auch die Erwartung korrigieren, dass Verbesserungen im Bildungswesen unmittelbar zu höherer Akzeptanz der grundlegenden Einsichten der schließlich durch die aufstrebende Genetik und die Populationsgenetik fundierten Theorie führten. Denn das Vordringen der Evolutionstheorie in die Lehrpläne gab in den zwanziger wie von den sechziger Jahren an den fundamentalistischen Kritikern den Anlass, ihre Attacken und vermeintlichen Alternativen mit Nachdruck vorzutragen. Als höchstrichterliche Entscheidungen dem eindeutig religiös motivierten Kreationismus den Weg in die Schulen versperrt hatten, war die Zeit von Intelligent Design gekommen.

Die Auseinandersetzungen mit fundamentalistischen Gegnern blieben nicht ohne Auswirkungen auf die Debatten innerhalb der Evolutionsbiologie, auch darauf wird hingewiesen. Die Verteidigung Darwins, der im Fokus der kreationistischen Attacken stand, führte dazu, die in kleinsten Schritten ablaufende Mikroevolution als Ursache der Artenentstehung gegen durchaus sinnvolle Bedenken innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu immunisieren, so dass es erst die in Fahrt kommende evolutionäre Entwicklungsbiologie war, die einige Korrekturen in eine allzu glatt und fugenlos dargestellte Theorie einarbeiten konnte.

Die Geschichte der Debatten über Evolution und Religion lässt sich in dem Band detailreich nachlesen. Womit die Abschnitte zu den Verästelungen des Sozialdarwinismus und der Eugenik noch gar nicht berührt sind, die allein in einem Dutzend Beiträge verhandelt werden. Das Spektrum ist weit, schließt auch allgemein gehaltene Untersuchungen zum Bild des Naturwissenschaftlers in der Öffentlichkeit und den Medien ein, die man nicht unbedingt erwartet.

Selbst wenn sie einen guten Hintergrund für jene Texte abgeben, die den späten und erstaunlichen Aufstieg Darwins zum wissenschaftlichen Superstar nachzeichnen, neben dem mittlerweile einzig noch Albert Einstein sich behaupten kann; wobei die Theorie vorkommen kann, aber nicht muss. Auch Aspekte der neueren Biotechnologie und Gentechnik werden behandelt, etwa die Werbung für weit zurückreichende Rekonstruktionen von Abstammungsverhältnissen, wie sie kommerzielle Anbieter auf den Markt gebracht haben.

Insgesamt hat man damit einen Band zur Hand, der es gestattet, sich die Wirkungen des von Darwin eröffneten Feldes der Evolutionsbiologie unter verschiedenen Perspektiven vor Augen zu führen. Eingeschlossen jene Wirkungen, die wie viele Spielarten der Eugenik und auch des Sozialdarwinismus mit Darwins Grundgedanken zwar nur wenig zu tun hatten, aber oft mit "dem" Darwinismus verknüpft wurden. Ein wenig verwunderlich ist, dass die jüngsten Debatten rund um Edward O. Wilsons Variante eines auf das Feld der Geschichte ausgreifenden Darwinismus und der heftige Streit um die dafür in Anspruch genommene Gruppenselektion gar nicht auftauchen.

Mag sein, dass das (noch) nicht zu einer Kulturgeschichte der Evolution gehört. Über deren Konturen, so wie sie der Band erschließen lässt, kann man bestimmt streiten. Aber eine Reihe von konzisen Beiträgen und die Fülle des ausgebreiteten Materials sprechen für das Unternehmen.

Angela Schwarz (Hrsg.): "Streitfall Evolution". Eine Kulturgeschichte.

Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar 2017. 788 S., Abb., geb., 50,- [Euro].

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