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Das Buch erörtert die Grundfrage des historischen Denkens nach dem Sinn der Geschichte. Die Wissenschaft kann diesen Sinn nicht hinreichend verbürgen, sondern setzt ihn voraus. Die Sinnfrage betrifft die Geschichtskultur im Ganzen. Ihre Voraussetzungen, Leistungen, Möglichkeiten und Grenzen werden daher kritisch in den Blick genommen. Es geht um elementare und fundamentale Aspekte des Geschichtsbewusstseins, um historisches Erzählen und um Grundfragen einer Ästhetik des Historischen. Vor allem aber - und damit betritt das Buch das Niemandsland der Geschichtstheorie - geht es um die…mehr

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Produktbeschreibung
Das Buch erörtert die Grundfrage des historischen Denkens nach dem Sinn der Geschichte. Die Wissenschaft kann diesen Sinn nicht hinreichend verbürgen, sondern setzt ihn voraus. Die Sinnfrage betrifft die Geschichtskultur im Ganzen. Ihre Voraussetzungen, Leistungen, Möglichkeiten und Grenzen werden daher kritisch in den Blick genommen. Es geht um elementare und fundamentale Aspekte des Geschichtsbewusstseins, um historisches Erzählen und um Grundfragen einer Ästhetik des Historischen. Vor allem aber - und damit betritt das Buch das Niemandsland der Geschichtstheorie - geht es um die historischen Sinnlosigkeitserfahrungen des 20. Jahrhunderts und ihre geistige Verarbeitung in geschichtlichen Deutungen. Die Erfahrung des Holocaust steht im Zentrum von Überlegungen zu den Grenzen der historischen Erkenntnis, zum Verhältnis von Geschichte, Identität und Trauma. Ein eigenes Kapitel ist der deutschen Identität im Blick auf den Nationalsozialismus gewidmet. So kann ein neuer Zugang zum Sinn der Geschichte erschlossen werden.
Autorenporträt
Prof. Dr. Jörn Rüsen ist Präsident des kulturwissenschaftlichen Instituts im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen, Essen und Professor für allgemeine Geschichte und Geschichtskultur an der Universität Witten-Herdecke.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.08.2001

Der Sinnsucher
Jörn Rüsen legt heilende Hand
an die Geschichte
„Wer nicht begreift, wie brutal und sinnlos die Geschichte ist, der wird auch den Antrieb gar nicht verstehen, die Geschichte sinnvoll zu machen”. Der das vor über hundert Jahren sagte, war Friedrich Nietzsche. Wer sich fragt, was denn der Punkt von Jörn Rüsens jüngster Aufsatzsammlung sei: Nietzsche hat ihn in einem Satze dargelegt.
Rüsen versteht sich als der Mann fürs Grundsätzliche. Aber nichts von dem, was er ausbreitet, ist neu, nicht einmal aus seinem eigenen Munde. Von anderen, selten beim Namen genannt, hat man es schon systematischer und prägnanter vernommen. Dennoch scheut sich Rüsen nicht, den zweiten Teil seiner Sammlung pathetisch „Schritte ins Niemandsland” zu überschreiben. Worum geht es im einzelnen? Jeder Mensch braucht Sinn, sagt Rüsen, und findet ihn in der Geschichte. Sinn wird nicht einfach erfunden, sondern immer auch in der Außenwelt gefunden und in einem Prozeß des Austauschs, der „geistigen Aneignung von Welt und Selbst”, erzeugt. Klar wird das am Holocaust als hermeneutischem Extremfall: Er sperrt sich gegen Deutungsversuche, weil er bereits Bedeutung in sich trägt.
Historischer Sinn wurde im zwanzigsten Jahrhundert fundamental erschüttert: durch Einbrüche katastrophaler Kontingenz, gipfelnd im Holocaust, und durch die Entlarvung des Herrschaftsanspruchs einer universalen Rationalität durch die postmodernen Kulturwissenschaften. Rüsen beabsichtigt, die Sinnkategorie im historischen Denken zu rehabilitieren, indem er für einen neuen Sinnbegriff plädiert, der Negativität, Differenz und Kontingenz einbezieht, ohne sie zu überspielen. Der Geschichtswissenschaft soll dabei die Schlüsselrolle zukommen: Für das Leben in Zeiten historischer Sinnlosigkeit soll sie neue Formen der Identitätsbildung bereitstellen.
Man muß Rüsen dafür dankbar sein, daß er, etwas umständlich zwar, demonstriert, daß jede Art von Geschichtsschreibung, das historische Denken überhaupt narrativ strukturiert ist. Den Hempel-Popperschen Popanz vom Rekurs auf Gesetzmäßigkeiten widerlegt er lässig. Selbst scheinbar nicht-narrative Strukturanalysen sind erst durch das Narrativ eines historischen Zusammenhangs lesbar, ihr Plot ist ihre Theorie. Erzählen ist ein Erklärungstyp. Geschichtsschreibung funktioniert, in einer glücklichen, an Kleist erinnernden Formulierung, „als allmähliches Verfertigen einer Geschichte aus dem kritisch erhobenen Sachgehalt der Quellen”.
Mikrophysik der Macht
Diese narrative Einheit kann nach Auschwitz nicht mehr beibehalten werden. Und so macht sich Rüsen auf die Suche danach, wie das Nicht-Erzählbare erzählt werden kann. Ein reflexiver, gebrochener Erzählmodus muß gefunden werden. Ein Erzählen, auf das der Benjaminsche Engel der Geschichte seinen Schatten geworfen hat. Als Vorbild könnte die moderne Literatur dienen, etwa Kafka. Oder die Kunst, von Giotto und Goya bis Kiefer und Eisenman/Serra. Oder Lanzmanns Film „Shoah”. Historiographie versucht dabei, zwischen Verdrängung und Verstörung hindurchsteuernd, die Traumatisierung zu lindern. Rüsen gelingt es, die Dichotomie von Relevanzverlust oder Erkenntnisobjektivierung, von der die Diskussion um die Historisierung des Nationalsozialismus zwischen Martin Broszat und Saul Friedländer geprägt war, aufzuheben. Im Gegenteil ermöglicht erst die historische Einfühlung, die Spuren des verbrecherischen Charakters des Nationalsozialismus bis in die Mikrophysik der Macht zu entziffern. Man erinnert sich an Detlev Peukert.
„Täterforschung” und „Täterperspektive” heißen somit die Methoden, um die Monstrosität konkret werden zu lassen, ohne ihre systemischen Kontinuitäten auszublenden. In diese Lücke stieß auch Goldhagen, doch scheiterte er an seinem unhistorischen Denken in Erzählkategorien des neunzehnten Jahrhunderts. Kontingenz existierte nicht bei ihm.
Mit der Operation der Historisierung kommt Rüsen der Lösung seines eigentlichen Problems näher: deutsche Identitätsbildung nach Auschwitz. Sie muß in Trauer gründen. Aus der Anerkennung des Verlorenen kann schließlich, psychoanalytisch betrachtet, die Rückgewinnung des Selbst resultieren. Und das ist für Rüsen die alte und edle Idee einer Menschheit, die Utopie des Anderen.
Hätte man das Buch um die Hälfte gekürzt, systematisch aufgebaut und alle Redundanzen getilgt: Man hielte eine bedeutende kleine Schrift über die Dialektik von Geschichtsschreibung und Lebenspraxis im Schatten von Auschwitz und im Zeitalter des cultural turn in Händen. Stattdessen wird die Lektüre zusätzlich von einer professoralen Syntax und einer unnötig aufgeblähten Terminologie beeinträchtigt.
Am meisten ist zu bedauern, daß Rüsens Projekt – Einbindung des Nicht- Sinns in den historischen Sinn als dessen permanente Fragmentierung und Subversion – bei Gemeinplätzen stehenbleibt. So landet, der sich anschickte, ein Zarathustra des deutschen Geschichtsdiskurses zu werden, doch wieder bei den Hinterweltlern. Das erste nachgewiesene Zitat des Buches, so wunderbar außerhalb des Sinns, stammt von Deleuze. An Rüsen rauscht es vorüber: „Der Sinn ist eine nicht-existierende Entität und unterhält sogar besondere Beziehungen zum Unsinn.”
TIM B. MÜLLER
JÖRN RÜSEN: Zerbrechende Zeit. Über den Sinn der Geschichte. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien2001. 357Seiten, 54,80Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der mit "uha" zeichnende Rezensent wirkt nicht gerade restlos begeistert von dieser Aufsatzsammlung Jörn Rüsens. Die Forderung nach einer Geschichtswissenschaft, die auch die Bedeutung der "Trauerarbeit" in den Umgang mit den Katastrophen des 20. Jahrhunderts mit einbeziehen soll, scheint ihm zwar verständlich, doch bemängelt er, dass diese Gedanken teilweise "mehr um sich selbst als um den Gegenstand zu kreisen" scheinen.

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"Er gewinnt (...) dem Streit um die 'Historisierung des Nationalsozialismus' eine neue Perspektive ab, in der die Objektivierung der Erkenntnisse nicht notwendig die Relevanz der Geschichte für die Gegenwart einfriert. Wen das Gefühl umtreibt, in einer 'Wende-Zeit' zu leben, wen die Zukunft beunruhigt, der wird hier eine Lektüre finden, die ihm geduldig ausholend Anleitungen zum Nachdenken gibt." (Karl-Ernst Jeismann, Das Historisch-Politische Buch 49 Jg., Nr. 5, 2001, 09.04.2002)