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Im Januar 2008 titelte die BILD-Zeitung Bei minus 55 Grad Holz hacken Hessen schickt Schläger(16) nach Sibirien! Dieser Erziehungsratschlag war trauriger Höhepunkt einer Medienkampagne, die den Wahlkampf des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch sekundierte und die bald zum Hauptthema der Republik erkoren wurde, zum Teil mit einem ausländerfeindlichen Unterton und mit dem populistischen Ruf nach mehr Härte durch das Gesetz.. Für die Wahlkämpfer offensichtlich erledigt, bleibt die Frage bestehen, wie gefährlich unsere Jugend wirklich ist.
In diesem Buch geben bekannte Autoren und
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Produktbeschreibung
Im Januar 2008 titelte die BILD-Zeitung Bei minus 55 Grad Holz hacken Hessen schickt Schläger(16) nach Sibirien! Dieser Erziehungsratschlag war trauriger Höhepunkt einer Medienkampagne, die den Wahlkampf des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch sekundierte und die bald zum Hauptthema der Republik erkoren wurde, zum Teil mit einem ausländerfeindlichen Unterton und mit dem populistischen Ruf nach mehr Härte durch das Gesetz.. Für die Wahlkämpfer offensichtlich erledigt, bleibt die Frage bestehen, wie gefährlich unsere Jugend wirklich ist.
In diesem Buch geben bekannte Autoren und ausgewiesene Experten ihre Antwort, was es mit der Bedrohung durch gewalttätige Jugendliche auf sich hat. Sie beschäftigen sich mit der für unsere Gesellschaft und ihr friedliches Zusammenleben soentscheidenden Frage, wie man der zweifellos vorhandenen Jugendkriminalität am besten vorbeugen und sie nachhaltig bekämpfen kann. Ohne die damit vorhandenen Probleme zu bagatellisieren, warnen sie zugleich vor Panikmache und voreiligen Schlussfolgerungen.
Autorenporträt
Micha Brumlik, geb. 1947, lehrte nach Assistenzjahren in Göttingen, Hamburg und Mainz Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Seit dem Jahr 2000 lehrt er Allgemeine Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt »Theorien der Bildung und Erziehung« an der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt, wo er von 2000 bis 2005 zugleich Direktor des »Fritz Bauer Instituts, Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust« war. Zwischen 1989 und 2001 war er in Frankfurt zudem Stadtverordneter der GRÜNEN. Seit 2013 ist er Senior Professor am Zentrum Jüdische Studien Berlin/Brandenburg in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.10.2008

Schlechte Noten, Frust und Gewalttätigkeit
Es sind nicht die schlechtesten Bücher, die entstehen, weil sich der Autor provoziert gefühlt hat. Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik sah sich offenbar von Roland Kochs Wahlkampfkampagne gegen straffällige Jugendliche herausgefordert, von dieser „Strategie kaltblütig geschürter Erregung”, wie er sie nennt. Dem populistischen Bedürfnis nach Warnschussarrest, schnellerer Abschiebung und härteren Strafen will er nüchterne Wissenschaft entgegensetzen. Deshalb lässt er Kriminologen, Juristen und Psychologen schreiben.
Es analysiert also der Politikwissenschaftler Hajo Funke, weshalb Koch mit seinen Forderungen bis zur Sicherheitsverwahrung für Heranwachsende viele Stimmen verloren hat. Seine radikalen Vorschläge hätten die Wechselwähler verschreckt, seine magere Bilanz bei der Bekämpfung der Jugendgewalt im eigenen Land habe viel Glaubwürdigkeit gekostet. So blieb ihm am Ende ein Verbündeter: die Bild-Zeitung. Kochs Sprachrohr habe geholfen, „Angst und Aggression” zu mobilisieren. Lesenswert ist auch der Beitrag des Kriminologen Joachim Kersten, der das „Regelwerk der Straße” beschreibt, basierend auf Studien aus den USA. Respekt ist dort die Währung der ausgegrenzten Jugendlichen, die erkämpft und gehütet werden muss. Jede Andeutung von Missachtung werde „als physisches Angriffsverhalten” aufgefasst. Viele „Kinder der Wut und des Zorns” gebe es auch bei uns. Ihnen mit härteren Strafen Herr werden zu wollen, sei „eine völlig haltlose Annahme”.
Wo die wahren Probleme liegen, zeigt der Beitrag von Dirk Baier und Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. In Schülerbefragungen fanden sie heraus, dass türkische Jugendliche im Vergleich zu anderen Nationalitäten mehr Belastungsfaktoren ertragen müssen: Viel seltener haben sie ein eigenes Kinderzimmer, was die Konzentration in der Schule erschwert. Sie leiden unter der höchsten Misshandlungsquote durch die Eltern. Sie haben wenig Kontakt zu deutschen Freunden, dagegen viel mit straffälligen. Wie schlechte Noten, Frust und Gewalttätigkeit zusammenhängen, erklären die Autoren anschaulich – und zeigen auch einen Lösungsweg auf. In Hannover kümmern sich Mentoren, Nachhilfelehrer und Konfliktlotsen gezielt um türkische Jugendliche. Diese schaffen es seither deutlich öfter aufs Gymnasium und schlagen seltener zu.
Nicht alle Beiträge sind so aufschlussreich. Die Texte über amerikanische Bootcamps oder die „Unerziehbarkeit” von Jugendlichen verlieren sich in Fachsimpeleien. Und nicht immer sind die Artikel wissenschaftlich-neutral. Dennoch möchte man sie jemandem ans Herz legen: Roland Koch. MARC WIDMANN
MICHA BRUMLIK (Hrsg.): Ab nach Sibirien? Wie gefährlich ist unsere Jugend? Beltz-Verlag, Weinheim und Basel 2008. 235 Seiten, 14,90 Euro.
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"Der Band ist weit mehr als eine Aufarbeitung einer rassistischen Kampagne. Er stellt empirische Erkenntnisse über die Entwicklung der Jugendkriminalität und ihre Entstehensgründe neben die grundsätzliche Frage: Woher der Ruf nach immer mehr Härte? Woher die neue Lust am Strafen?" taz

"Das Buch versteht sich ausdrücklich als wissenschaftliche Streitschrift und vertritt dabei immer wieder provozierende Thesen. Die lohnen allemal die Diskussion - schließlich sind die Autoren alles gestandene Fachwissenschaftler." WDR5

"Wer dieses Buch liest und sich von der wissenschaftlichen Sprache nicht abschrecken lässt, der kann sicher besser mitreden." HR

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Die Beiträge in diesem von Micha Brumlik herausgegebenen Band "Ab nach Sibirien" sprechen Wolf Schmidt sichtlich aus dem Herzen. Brumlik und die Verfasser der Einzelbeiträge beschäftigen sich aus Anlass von Roland Kochs wahlkampfbedingten Ausfällen gegen ausländische Jugendliche mit der Entwicklung der Jugendkriminalität und deren öffentlicher Wahrnehmung. Der Ruf nach härterer Bestrafung verdanke sich nicht der wirklichen Gefährdungslage, sondern sei "Ausdruck einer autoritären Sehnsucht", referiert Schmidt aus Brumliks Beitrag. In weiteren Beiträgen geht es etwa um die Tatsache, dass die verstärkte Repression gegenüber Kriminellen eine Parallele in der Beschränkung staatlicher Hilfe für sozial Schwache finde. Zwar zweifelt Schmidt, ob daran tatsächlich "der böse Neoliberalismus" Schuld sei, die Feststellung beeindruckt ihn jedoch. Im Fazit sieht der Rezensent diesen Band als "umfassende" Diskussion der Debatte über Jugendkriminalität. Doch warnt er, dass der Optimismus der Autoren voreilig sein könnte: Auch wenn Koch die Wahl verloren habe, die Politik der Repression setze sich fort.

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