Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 9,50 €
  • Broschiertes Buch

Nachdem die Grenze offen war, schrieben sich viele in Ost wie in West das Verdienst zu, daran ursächlich mitgewirkt zu haben. Prof. Jürgen Nitz weiß genauer als die meisten, wer in der DDR-Führung für und wer gegen die Befestigung des Status quo im geteilten Land stand: als Unterhändler war er für die eine Seite aktiv. Zu Beginn der 80er Jahre hatten sich - auch wegen Moskaus Schwäche - Chancen für die DDR-Führung eröffnet, einen Prozeß zur Überwindung des anormalen Zustandes in Deutschland einzuleiten. Einer der Protagonisten war Herbert Häber. Honecker holte ihn 1984 ins Politbüro. Wenig…mehr

Produktbeschreibung
Nachdem die Grenze offen war, schrieben sich viele in Ost wie in West das Verdienst zu, daran ursächlich mitgewirkt zu haben. Prof. Jürgen Nitz weiß genauer als die meisten, wer in der DDR-Führung für und wer gegen die Befestigung des Status quo im geteilten Land stand: als Unterhändler war er für die eine Seite aktiv. Zu Beginn der 80er Jahre hatten sich - auch wegen Moskaus Schwäche - Chancen für die DDR-Führung eröffnet, einen Prozeß zur Überwindung des anormalen Zustandes in Deutschland einzuleiten. Einer der Protagonisten war Herbert Häber. Honecker holte ihn 1984 ins Politbüro. Wenig später reagierte man in Moskau unwillig. Häber wurde, um Honeckers Kopf zu retten, nicht nur aus der Schußlinie genommen, sondern regelrecht geopfert, die Deutschlandpolitik korrigiert. Fortan nahm eine verhängnisvolle Entwicklung ihren Lauf, die mit dem Kollaps der DDR und einer Sturzgeburt endete.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2001

Schreiben und reden lassen
DDR-Unterhändler stilisiert sich zum Vorkämpfer des Mauerfalls

Jürgen Nitz: Unterhändler zwischen Berlin und Bonn. edition ost im Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2001. 320 Seiten, 29,90 Mark.

Theodor Heuss hat kurz nach Kriegsende Hitlers Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht treffend beurteilt. Weil sich Schacht in zahlreichen Veröffentlichungen trotz seiner Verstrickungen im "Dritten Reich" als Unschuldslamm präsentierte, gab Heuss einen Ratschlag, der für den skeptischen Optimismus des Demokraten typisch war: Die politische Rolle von Schacht sei wohl ausgespielt, doch werde dieser "bei allem maßlosen Subjektivismus eine außerordentlich wichtige Geschichtsquelle bleiben. Also schreiben und reden lassen."

Das Buch von Jürgen Nitz gehört in eine ähnliche Kategorie. Der Autor war in den fünfziger Jahren Redakteur beim "Neuen Deutschland" und später stellvertretender Leiter des DDR-Presseamts. Für eine Zeit fiel er in Ungnade, bevor er in den späten siebziger Jahren Mitglied des Internationalen Rates für Ost-West-Kooperation wurde. In den achtziger Jahren rückte er schließlich in die Nähe des 1. Stellvertretenden Ministers für Außenhandel, Gerhard Beil.

Aus dieser Zeit stammt die hier erzählte Geschichte. Nachdem 1982 die Regierung Kohl die Amtsgeschäfte übernommen hatte, waren die Kontakte zwischen Bonn und Ostberlin keineswegs abgebrochen. Über verschiedene Sonderkanäle entstanden Verbindungen, die schließlich über den bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß und den Leiter des Bereichs Kommerzielle Koordinierung im Ministerium für Außenhandel, Alexander Schalck-Golodkowski, 1983 zu greifbaren Ergebnissen führten: ein Milliardenkredit für die wirtschaftlich notleidende DDR, für den im Gegenzug der Abbau der automatischen Selbstschußanlagen, Ausreiseerleichterungen und Verbesserungen beim "Häftlingsfreikauf" erreicht wurden.

Mit diesen Erfolgen wurde allerdings eine konkurrierende Gruppierung von Vermittlern zwischen Ost und West aufs Abstellgleis geschoben. Aus diesem Zusammenhang berichtet Nitz mit wissenschaftlichem Anspruch über eine alternative Finanzkooperation zwischen der Bundesrepublik und der DDR, die allerdings niemals in die Realität umgesetzt wurde. Folgt man dem Autor, dann ging es bei diesen Ideen, die den Namen "Züricher Modell" und "Länderspiel" trugen, nicht nur um eine deutsch-deutsche Annäherung, sondern um einen Beitrag zur Überwindung der deutschen Teilung.

Bei dieser Annäherung sei Herbert Häber, der von Honecker 1984 ins Politbüro geholt worden war, eine der Schlüsselfiguren gewesen. Als jedoch aus Moskau Gegenwind kam, weil man einen deutsch-deutschen Sonderkurs befürchtete, sei Häber regelrecht geopfert worden, um Honeckers Kopf zu retten.

Tatsächlich weiß man heute, daß Honecker während eines Geheimtreffens in Moskau im August 1984 von KPdSU-Generalsekretär Konstantin Tschernenko ernste Konsequenzen angedroht wurden, falls es zu einer Intensivierung der Beziehungen zu Bonn komme. Honecker sagte daraufhin im September 1984 einen geplanten und bereits einmal verschobenen Besuch in der Bundesrepublik ab. Herbert Häber war der Sündenbock, der bald darauf gehen mußte. Ihn jedoch als einen "Überwinder der Teilung" zu bezeichnen widerspricht der Realität: Häber wehrte sich selbst kurz vor seinem Fall noch gegen angeblich "revanchistische" Tendenzen in der Bundesrepublik, die von einer Offenheit der "deutschen Frage" sprachen.

Die Intrigen, die hinter den Kulissen der öffentlichen Bühne gesponnen wurden, sind für ein autoritäres Regime nicht ungewöhnlich. Daß sich in diesem kafkaesken System Grabenkämpfe abspielten, in denen Spielfiguren wie Häber als Bauernopfer fielen, ist ebensowenig verwunderlich. Aber sich vor dem Hintergrund dieses chaotischen Machtgerangels, in dem Günter Mittag und Egon Krenz um eine mögliche Nachfolge Honeckers konkurrierten und Erich Mielke und Herbert Häber gegeneinander ihren Einfluß geltend zu machen versuchten, als Vorkämpfer des Falls der Mauer zu stilisieren ist nicht glaubhaft.

Nitz besitzt das Talent, sein im Grunde doch recht randständiges Wirken so darzustellen, als ob es sich um Staatsaktionen gehandelt habe. Als "Unterhändler zwischen Berlin und Bonn", so möchte Nitz zeigen, "tanzte man gleichsam auf der Rasierklinge". Der Bürokrat als Widerstandskämpfer - das könnte möglicherweise sogar amüsante Lektüre ergeben, wenn diese Wichtigtuerei nicht mit einem Pathos verbunden wäre, das befremdlich wirkt.

Natürlich könnte man sich auch über die Larmoyanz aufregen, die bereits aus anderen Büchern des gleichen Genres sattsam bekannt ist. Auf der anderen Seite wird man sich auch hier mit einer gewissen Gelassenheit an den Ratschlag von Theodor Heuss erinnern und vermuten dürfen, daß die Geschichte darüber hinweggehen wird wie über vergleichbare Rechtfertigungsschriften des 20. Jahrhunderts.

JOACHIM SCHOLTYSECK

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Joachim Scholtysek vermutet, dass die "Geschichte (über diesen Band) hinweggehen wird wie über vergleichbare Rechtfertigungsschriften des 20. Jahrhunderts". Denn Nitz war, wie der Leser erfährt, beim DDR-Presseamt und später in der Nähe von Gerhard Beil, Minister für Außenhandel, tätig. Wie der Rezensent erläutert, befasst sich Nitz hier nicht mit den aufsehenerregenden Kontakten zwischen Franz-Josef Strauß und Alexander Schalk-Golodkowski, sondern mit "konkurrierenden Gruppierungen von Vermittlern zwischen Ost und West", die jedoch scheiterten bzw. ausgebremst wurden. Dass Nitz in diesen Kontakten gar "einen Beitrag zur Überwindung der deutschen Teilung" sieht, lässt der Rezensent unkommentiert, jedoch lässt sich zwischen den Zeilen doch Unverständnis über solche Diagnosen herauslesen. Als "nicht glaubhaft" bezeichnet er darüber hinaus den Versuch des Autors, Politiker wie Günter Mittag, Egon Krenz oder Erich Mielke als "Vorkämpfer des Falls der Mauer zu stilisieren". Hier tut sich jemand mit seinem "im Grunde doch recht randständigen Wirken" wichtig, lautet das Fazit Scholtyseks.

© Perlentaucher Medien GmbH