Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 1,14 €
  • Gebundenes Buch

Der letzte Tango Eine junge Journalistin zwischen München und Bukarest: Ein Roman, in dem Geschichte auf schmerzliche Weise zur Familiengeschichte wird. Analytisch und sinnlich schreibend, erweist sich Wagner als ein europäischer Schriftsteller von Format. "Ein Roman ist die Erforschung dessen, was das menschliche Leben bedeutet in der Falle, zu der die Welt geworden ist", schrieb Kundera. Mit seinem neuen Roman folgt Richard Wagner dieser Maxime, indem er die Kräfte von Verrat und Eros, Vergangenheit und Gegenwart, Familie und Politik auf seine Heldin einwirken lässt: Sandra Horn ist…mehr

Produktbeschreibung
Der letzte Tango
Eine junge Journalistin zwischen München und Bukarest: Ein Roman, in dem Geschichte auf schmerzliche Weise zur Familiengeschichte wird. Analytisch und sinnlich schreibend, erweist sich Wagner als ein europäischer Schriftsteller von Format.
"Ein Roman ist die Erforschung dessen, was das menschliche Leben bedeutet in der Falle, zu der die Welt geworden ist", schrieb Kundera. Mit seinem neuen Roman folgt Richard Wagner dieser Maxime, indem er die Kräfte von Verrat und Eros, Vergangenheit und Gegenwart, Familie und Politik auf seine Heldin einwirken lässt: Sandra Horn ist Journalistin. In Bukarest soll sie den Ableger einer Frauenzeitschrift gründen. Dort fängt sie mit dem Anwalt Marcel eine Affäre an, obwohl dessen Frau ihre beste Freundin war. Sandra taucht in die geheime Vergangenheit ihrer und Marcels Familie ein, in das Bukarest der 30er Jahre, in die Tangomusik und die Literatur jener Zeit. Und sie erfährt, dass die alten Konflikte andauern und ihr Leben verändern.
Autorenporträt
Richard Wagner, geboren 1952 im rumänischen Banat, arbeitete dort als Journalist und veröffentlichte Lyrik und Prosa in deutscher Sprache. Nach Arbeits- und Publikationsverbot verließ er Rumänien 1987 und lebt seitdem als freier Schriftsteller in Berlin. Seine Romane und Essays wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2011

Schufte und Schlitzohren, Opfer und Täter

Ein Blick ins Rumänien des zwanzigsten Jahrhunderts und die Frage nach historischer Schuld: Richard Wagners neuer, subtiler Roman "Belüge mich".

Es ist ein bisschen ungerecht, vermutlich aber trotzdem wahr: Auch Richard Wagner profitiert von dem Literaturnobelpreis, den seine frühere Frau Herta Müller 2009 verliehen bekam. Denn ob die deutsche Öffentlichkeit ein ähnliches Interesse an den Enthüllungen um Spitzeltätigkeiten rumänischer Schriftsteller entwickelt hätte, wäre Herta Müller die Ehrung nicht verliehen worden, ist zumindest fraglich. Nun aber, da wir mit Schaudern zum Beispiel erfahren haben, dass Richard Wagner die Akten, welche die Securitate über ihn und Herta Müller verfasst hat, in seiner Berliner Wohnung aufbewahrt (Herta Müller möchte sie nicht bei sich wissen), fällt in gewisser Weise auch sein neuer Roman auf diesen fruchtbaren Resonanzboden. Genugtuung für ihn, Glück für den Leser.

In seinem heute erscheinenden Roman "Belüge mich" blickt Richard Wagner ins Rumänien des zwanzigsten Jahrhunderts, und zwar aus der Perspektive derer, die den Großteil dieser Zeit nicht bewusst erlebt haben. Als die Erzählung einsetzt, ist die Protagonistin Sandra Horn Mitte dreißig und arbeitet als Journalistin bei der in München ansässigen Frauenzeitschrift "Simone". Von ihrer Chefredakteurin erhält sie den Auftrag, in Bukarest einen rumänischen Ableger des Blatts zu gründen. Sandra scheint prädestiniert für diese Aufgabe, weil sie aus Rumänien stammt. Sie hat das Land vor zwanzig Jahren mit ihren Eltern verlassen, damals war sie vierzehn.

In Bukarest angekommen, beginnt Sandra eine Affäre mit ihrem alten Freund Marcel. Er arbeitet mittlerweile als Wirtschaftsanwalt und hilft ihr beim Kauf einer geeigneten Zeitschrift, der Sandra nur noch ein neues redaktionelles Konzept verpassen muss. Ihre Suche nach zielgruppengerechten Geschichten für die "moderne, urbane Frau" aber führt sie auf die Spur einer gewissen Lauretta Luca, einer jener legendären Damen, der die Männer von Bukarest in den dreißiger Jahren gleich reihenweise zu Füßen lagen. Lauretta - so übrigens auch der Name der neuen Zeitschrift - starb im Jahr 1938 durch Zyankali. Wie das Gift in ihren Körper gelangte, wurde nie geklärt.

Auch das ominöse Roman-Manuskript, das den Tod von Lauretta Luca zum Thema hat und bald auf Sandras Schreibtisch landet, trägt nicht wirklich zur Aufklärung bei, jedenfalls nicht in dem Sinn, in dem Sandra sich das wünschen würde. Denn in dem Buch, das an der rumänischen Zensur nie vorbeikam, spielt auch ihr Großvater Ypsilon Horn eine Rolle, und Sandra erfährt, was sie bisher noch nicht wusste: Ihr Großvater machte in den dreißiger Jahren Jagd auf die Kommunisten und galt als "Vernehmungsspezialist". Später aber, als die Kommunisten an die Macht kamen, stellte er ihnen sein Wissen zur Verfügung und brachte ihnen bei, wie man einen effektiven Geheimdienst aufbaut. So wird das, was als Geschäftsreise geplant war, für Sandra zu einer Spurensuche in der Vergangenheit ihrer Familie. Sie erfährt mehr und mehr über ihren Großvater und ihren Vater, über Marcels Vater und seinen Großvater, über Remo Savin, den berühmtesten Tangosänger der dreißiger Jahre, über Albu, den zwielichtigen Kellner aus der "Tangobar", in der damals das Herz der Bohème von Bukarest schlug. Und schnell wird klar, dass jeder irgendwie mit jedem irgendeine Art von Beziehung unterhielt. Nur wer wann genau welche Position in diesem Geflecht einnahm und in wessen Diensten stand, das bleibt im Ungefähren. Und genau diese Ungewissheit, das Rätselhafte, das sich aus dem vergangenen Jahrhundert hinein in die Gegenwart zieht, ist das große Thema von Richard Wagners siebtem Roman.

Immer wieder kippt die erzählte Zeit vom Heute ins Gestern, und die Worte der Toten mischen sich mit denen der Lebenden. Sandra bewegt sich in diesem Stimmengewirr still, aber aufmerksam. Lange bezieht sie keine wirkliche Position. So wechselt auch der Duktus des Erzählers zuweilen in den eines Beobachters, der seine Figuren mehr observiert als begleitet: "Die Person betritt das Hotel. Sie wartet an der Rezeption. Sie geht zum Fahrstuhl, den Zimmerschlüssel in der Hand."

Im Haus ihrer Familie, das sie bald nach ihrer Ankunft in Bukarest bezieht, entdeckt Sandra schließlich ein geheimes Archiv ihres Großvaters Ypsilon. Später findet sie im Keller ein geheimes Gefängnis aus den fünfziger Jahren, in das man Menschen brachte, deren Spuren sich später verloren. Aber Sandras Freund Marcel rät ihr dringend, über diese Entdeckungen zu schweigen - wie über alle Geheimnisse, die allmählich ans Tageslicht kommen. "Wir sind die Enkel all dieser Schurken und Schufte, Feiglinge und Schlitzohren, Schlaumeier und Marx-Kenner, all dieser Opfer und Semi-Opfer, Täter und Semi-Täter. Wir sind die Enkel und wissen nichts. Unsere Aufgabe ist es, hier und jetzt die Demokratie aufzubauen. Das ist Strafe genug!" So spricht Marcel und übernimmt damit die Rolle des Opportunisten, der zur rechten Zeit ein Jurastudium begonnen hat und sich nun, noch vertraut mit alten Methoden, die Taschen füllt.

Das würde Richard Wagner so deutlich natürlich nie schreiben, die laute Anklage, der Wutschrei ist nicht seine Tonhöhe. Aber er imitiert virtuos das Geraune und Geflüster und auch jenes Schweigen, das lange Zeit und vielleicht bis heute die Melodie des Rumäniens war, das er 1987 verlassen konnte. "Belüge mich" ist ein leises, aber unauflösbares Gewirr von Menschen und Motiven, eine Collage von vergangenen und gegenwärtigen Interessen, von Lüge und Verrat. Ein nicht immer leicht zugängliches und noch schwerer verdauliches Werk.

LENA BOPP

Richard Wagner: "Belüge mich". Roman.

Aufbau Verlag, Berlin 2011. 315 S., geb., 22,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2011

Das allgemeine
Mundtotsein
Richard Wagner erzählt von
Verstrickungen und Verzweiflung
„Unsere Eltern, unsere Großeltern konnten Kommunisten sein, Faschisten, Kollaborateure und Opportunisten, Oppositionelle und Dissidenten“, lässt der Erzähler seine Heldin Sandra Horn die Varianten schuldhafter wie schuldloser Verstrickungen resümieren. „Und was ist mit uns?“ fragt sie weiter: „Wir sind Telenovela-Personal.“ Für die Gegenwart in Ost wie West hat der aus dem Banat stammende Richard Wagner, der Rumänien zusammen mit seiner damaligen Frau Herta Müller Mitte der achtziger Jahre verlassen hatte, nur Sarkasmus übrig. Und so bewegt sich sein neuer, etwas überkonstruierter Roman „Belüge mich“, wo immer er in die Gegenwart hineinreicht, an der Grenze zur Kolportage.
Sandra Horn, Journalistin, Mitte dreißig, ist von ihrer Redaktion in ihre Heimatstadt Bukarest entsandt worden, um dort einen Ableger der Frauenzeitschrift Jasmin aufzubauen. Aus Rumänien war sie als 14-Jährige zusammen mit den Eltern nach Deutschland ausgewandert. Bukarest hatte sie seit einem letzten Besuch im Jahr 1988 nicht mehr gesehen. Damals hatte sie bei einem Tangoabend Marcel Toma, den jetzigen Ehepartner ihrer Schulfreundin Vicky kennengelernt, mit dem sie nunmehr, sechzehn Jahre später, eine Affäre beginnt. Wie damals führte auch diesmal der Tanz die beiden zusammen, insbesondere die Erinnerung an die Lieder eines legendären Tangosängers namens Remo Savin, der seine Glanzzeit in den dreißiger Jahren hatte.
Sandra recherchiert über das Leben und den rätselhaften Tod einer weiteren Ikone aus der goldenen Zeit der Stadt, der Tänzerin und Femme fatale Lauretta Luca, Tochter des damaligen Kommunistenchefs, die eines Tages durch Zyankali vergiftet tot aufgefunden wurde. Zu den Favoriten im großen Kreis derer, die um ihre Zuneigung buhlten, zählte just der Tangosänger Remo Savin. Und dann ist durch sein plötzliches Auftauchen in den Straßen von Bukarest noch jemand mit im komplizierten Aufklärungs- und erneutem Verdunkelungsspiel, zu dem auch noch Historiker und ehemalige Geheimdienstoffiziere beitragen: Sandras Jugendfreund und Ex-Partner, Remus Schumann, in Deutschland geborener Sohn jenes Tangosängers, der seine Heimat in den sechziger Jahren verlassen hatte. Seit geraumer Zeit forschte Remus den dunklen Abschnitten in der Geschichte seines verstorbenen Vaters nach.
Labyrinthisch miteinander verbunden sind die Romanprotagonisten also nicht nur durch ihre Amouren und Mesalliancen, sondern auch durch schuldhafte Verstrickungen ihrer Väter und Vorväter. Schockierende Entdeckungen warten auf Sandra, die in Bukarest die alte Villa ihres verehrten Großvaters Ypsilon Horn bewohnt, der nicht nur in den Tod von Lauretta Luca verwickelt war, sondern mehreren Regimen als besonders grausamer „Verhörspezialist“ diente. Und Sandras Vater war nach seiner Ausreise noch als Informant des Geheimdienstes Securitate tätig, der den nur knapp dem Tode entronnenen alten Tangosänger Remo Savin in seinem Exil aushorchte.
Die Geschichte, die dieser Roman erzählt, ist bitterernst: Sie handelt von der Stummheit, mit der die Menschen, die unter totalitären Diktaturen lebten, auch weiterhin geschlagen sind. Im Lärm der Medien, der an die Stelle des langen Schweigens getreten ist, sieht Wagner bloß eine Variante eines allgemeinen „Mundtotseins“, das die gut gehüteten Familiengeheimnisse weiterhin umgibt, deren Melodie die titelgebenden Verse des Tangosängers unterlegt sind: „Sag mir die Wahrheit / Belüge mich“.
Dramaturgisch führt der Tango ein Paar auf der Suche nach einer „Vorgeschichte für den unerklärlichen Anfang von heute“ über mehrere Tangoschritte zurück in die achtziger, in die sechziger und schließlich in die dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, worüber sich der fatale Zusammenhang von Rumäniens Geschichte offenbart. Nach einer geläufigen Definition ist der Tango, ein trauriger Gedanke, den man tanzt. Richard Wagner geht noch einen Schritt weiter, und lässt den Sohn des Tangosängers am Ende sagen: „Der Tango erlaubt uns etwas, was der Aufklärung verschlossen bleibt, er erlaubt uns, die Verzweiflung in einen Schritt zu verwandeln, in eine Tanzfigur. Der Tango gibt der Verzweiflung die Form.“ Schade ist allerdings, dass der Autor, dem stellenweise großartige und beinahe lyrische Passagen, dichte bildhafte Beschreibungen und wunderbare Sätze in aphoristischer Verknappung gelingen, den Verfasser politischer Streitschriften, der er ebenfalls ist, nicht im Griff hat. VOLKER BREIDECKER
RICHARD WAGNER: Belüge mich. Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2011. 313 Seiten, 22,95 Euro.
Richard Wagner hat Rumänien 1987 verlassen. Foto: Brigitte Friedrich
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dass dieser Roman von Richard Wagner über die schuldhaften Verstrickungen der Väter und Vorväter in die Geschichte Rumäniens nicht von der politischen Kolportage lassen kann, findet Volker Breidecker ärgerlich. Den Sarkasmus des Autors angesichts einer weiterhin schuldbeladenen Gegenwart, würde er dem Buch lieber ersparen. Denn die Handlung ist zu kompliziert und zu ernst, die sprachliche Umsetzung durch Wagner zu kunstvoll, als dass sich Breidecker durch Polemik davon ablenken lassen wollte.

© Perlentaucher Medien GmbH