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Mit feinem Witz und konsequent misanthropischer Gesinnung schildert Enrique Vila-Matas seine Zeit als Schriftstellerlehrling in Paris. Nicht mal die Liebe ist hier leicht zu lernen, so lautet die Erkenntnis am Ende von Rotwein und Zigarettenqualm à bout de souffle. Trotzdem möchte der Leser nach diesem Parcours durch das literarische Lasterleben nur noch eins: auf nach Paris!

Produktbeschreibung
Mit feinem Witz und konsequent misanthropischer Gesinnung schildert Enrique Vila-Matas seine Zeit als Schriftstellerlehrling in Paris. Nicht mal die Liebe ist hier leicht zu lernen, so lautet die Erkenntnis am Ende von Rotwein und Zigarettenqualm à bout de souffle. Trotzdem möchte der Leser nach diesem Parcours durch das literarische Lasterleben nur noch eins: auf nach Paris!
Autorenporträt
Enrique Vila-Matas, 1948 in Barcelona geboren, ist in Spanien und Lateinamerika einer der bekanntesten und erfolgreichsten Gegenwartsautoren. Bei Nagel & Kimche erschienen die Romane Bartleby & Co. (2001), Die merkwürdigen Zufälle des Lebens (2002) und Risiken & Nebenwirkungen (2003), ausgezeichnet mit dem renommierten Prix Médicis für den besten ausländischen Roman.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.05.2005

Porträt des Künstlers als Stümper
Manchmal sieht man die Literatur vor lauter Büchern nicht: Enrique Vila-Matas spaziert durch sich selbst und durch Paris
Wenn Künstlerschicksale, etwa bei Richard Wagner, auf der Bühne ersungen werden können, müssen sie in einem Roman auch narrativ zu ergehen sein. Dafür braucht man ein Terrain, am besten eine Stadt, zum Beispiel Paris. Da kommt ein junger Spanier in den siebziger Jahren nach Paris, um auf den Spuren Hemingways Schriftsteller zu werden. Er mietet sich bei Marguerite Duras in einer Dachkammer ein, lebt wie Hemingway „sehr arm” und anders als dieser „sehr unglücklich” in der Stadt, lernt aber in den zwei Jahren seines Aufenthalts so ziemlich alles kennen, was Paris damals an Berühmtheiten und Geistesgrößen aufwies. Er kauft sich eine Sartre-Pfeife, setzt sich in die entsprechenden Cafés, parfümiert sich mit Ironie und hat am Ende tatsächlich so etwas wie ein Romanmanuskript beisammen. „Roman”, verkündet auch der Einband des Buchs. Sprechen wir eher von einem „Porträt des Künstlers als junger Stümper”.
Der Spanier Enrique Vila-Matas hat uns in seinen früheren Werken zu sehr ans Genre einer Meta-Literatur gewöhnt, als dass hier einfach die Geschichte eines angehenden Künstlerlebens zu erwarten wäre. Der im Dachzimmer der Duras hausende junge Mann ist so wenig Handlungssubjekt wie das um ihn pulsierende Paris. Wie in einem doppelten Hohlspiegelmosaik aus depressivem Antihelden und überbordendem Stadtleben flimmern vielmehr die Anekdoten, Zitate, Phantasien. Hemingway, dem der junge Mann bis hin zur physischen Erscheinung nacheifert, bekommt als Idol bald Konkurrenz von Georges Perec, Marcel Duchamp, Guy Debord oder den Tel-Quel-Leuten Pilippe Sollers, Julia Kristeva und Roland Barthes. Und aus olympischen Höhen winken Rimbaud, Marcel Proust, Borges. Gäbe es einen Preis für Romane mit den meisten prominenten Namensnennungen, wäre dieser gut platziert.
Vila-Matas bietet einen selbstironischen Rückblick auf den intellektuellen Werdegang seiner Generation im Brennspiegel Paris - ein Hemingwaysches „Fest fürs Leben” für die Nachgeborenen, ohne die starken Getränke und leichten Frauen vom Montparnasse-Viertel der Zwischenkriegszeit, dafür aber mit dem durch Heißwasser gestreckten Espresso und mit den emanzipierten Mädchen von Saint-Germain-des-Prés. „Bin ich nun ein Vortrag oder ein Roman?” - fällt der Autor schon kurz nach Beginn mit der gattungskritischen Frage sich selbst ins Wort und entschuldigt sich auch gleich wieder. „Mein Gott, was für eine Frage. Verzeihen Sie.” Fast scheine es, als kehrte er in die Zeit zurück, wo er jung war, in Paris lebte und sich mit Fragen herumquälte. Denn auch erzählperspektivisch ist dieses Buch ironisch gebrochen: Der Erzähler kehrt als erfolgreicher Schriftsteller auf Vortragsreise nach Paris zurück und lässt die Erinnerung an seine Anfangsjahre aufsteigen. Dabei ist er inzwischen natürlich erfahren genug und kennt die „Gefahren der Ironie”. Er verspricht auch, bei seinem Rückblick „Geschwätzigkeit tunlichst zu vermeiden” - was er allerdings nur sehr lückenhaft einhält.
Am besten ist das Buch dort, wo es mit surrealer Komik die Erinnerung aushöhlt. Wenn der inspirationslose Jungschriftsteller auf den Spuren Hemingways im Café „La Closerie des Lilas” sitzt und plötzlich wie ein Kafkasches Odradek die raschelnde Stimme des Hausgeists mit dem bekannten Lachen „wie jemand ohne Lungen” vernimmt, wirbelt phantastische Wirklichkeit auf. „Früher war ich Vauvert, heute bin ich Scott”, kichert das Ding zwischen Tür und Theke: Aus dem von der Erzählung Gérard de Nervals bekannten Monster Vauvert, das einst auf dem Grundstück des berühmten Literatencafés gewohnt haben soll, ist Fitzgerald Scott geworden, der Odradek-Scott, der sich an der Theke dieses Cafés oft mit Hemingway getroffen und manchmal gestritten hat.
Unheimlicher noch als Odradek ist für den Jungschriftsteller indessen seine Vermieterin. „Du bist doch sicher nach Paris gekommen, um deinen eigenen Stil zu entwickeln”, fragt Marguerite Duras ihn eines Abends, während sie sich in den Wagen des jungen Mannes setzt. Sie will in den Bois de Boulogne gefahren werden, um herauszufinden, ob dort die Prostituierten tatsächlich in Kommunionskleidchen herumstehen. Im einseitigen Scheinwerferlicht - der andere Scheinwerfer ist defekt - bekommen die beiden Fahrgäste zwar keine solche Prostituierte zu sehen, doch platzt die Schriftstellerin los: „Man könnte sagen, du hast wie so viele junge Leute einen Stil mit nur einem Scheinwerfer”, sagt sie, lacht, hustet, lacht wieder.
Was diesem Buch fehlt, ist ein Grundklang, auf den das Disparate anspricht. Er hätte beispielsweise in der kuriosen Figur der kalten, ihrem Sohn gegenüber gleichgültigen Mutter liegen können, die Paris ebenfalls kannte, nicht liebte und die der Sohn mit dem Bild vom „gestrichelten Paris” aus Kafkas Reisetagebüchern in Zusammenhang bringt. Vom „gestrichelten Paris” führt im Roman aber keine Verbindung zur „gestrichelten Mutter”. Die Anekdoten flattern durch das Strichmuster dieses Romans, mag die Übersetzerin Petra Strien die deutsche Textfassung noch so engmaschig gestrickt haben.
Enrique Vila-Matas
Paris hat kein Ende
Roman. Aus dem Spanischen von Petra Strien. Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2005. 286 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Milo Rau gesteht eine gewisse Skepsis, mit der er Enrique Vila-Matas' neuestes Buch in die Hände genommen hat. Er verrät auch warum. Der spanische Schriftsteller sei schließlich "der große Verweigerer", der in seinem letzten Buch die Unmöglichkeit des Schreibens thematisiert habe. Warum der nun ausgerechnet in die "erstaunlichste Stadt der Welt" und Realität pur eintauchen wollte, hat Rau nicht sofort eingeleuchtet. Das sei, als bitte man Marcel Duchamp, Balzac zu illustrieren, spottet er. Aber manche Fehlbesetzungen zeitigen doch interessante Ergebnisse, musste Rau bei der Lektüre feststellen. Vila-Matas bleibe zwar seinem Thema treu, lautet sein Resümee, dass es nämlich eigentlich nichts zu erzählen gibt, erzähle dies aber höchst geistreich und mit der nötigen Selbstironie. Als Vortrag getarnt berichte der Autor in 113 Episoden von seinen Lehrjahren in Paris, wo er sich - nicht etwa von einem inneren Auftrag getrieben - in die Rolle des Schriftstellers zu kleiden versucht. Am aufregendsten findet Rau die Passagen, in denen Vila-Matas von Marguerite Duras berichtet, bei der er zur Untermiete wohnt und die ihm einen Zehnpunkte-Katalog für postmodernes Schreiben in die Hände drückt. Den hat er offensichtlich erfolgreich abgearbeitet.

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