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Die Bilder im alten Haus am Nil sind Muhra seit ihrer Kindheit vertraut. Da ist zum Beispiel das Foto der drei Schwestern mit den bunten Schleifen im Haar. Oder ein Gemälde, von einem durchreisenden Franzosen gemalt: Beduinen sitzen um ein Feuer und sehen einer verschleierten Frau beim Tanz zu. Und von ihrem Vater gibt es Fotos mit seinem Lieblingsfalken und mit edlen Araberpferden. Jedes der Bilder birgt ein Geheimnis. Welche der drei Schwestern ist Muhras Mutter? Wer ist die tanzende Frau am Feuer? Weshalb nahm der Vater für reiche Ölscheiche an Falkenjagden teil, die nichts als eine Farce…mehr

Produktbeschreibung
Die Bilder im alten Haus am Nil sind Muhra seit ihrer Kindheit vertraut. Da ist zum Beispiel das Foto der drei Schwestern mit den bunten Schleifen im Haar. Oder ein Gemälde, von einem durchreisenden Franzosen gemalt: Beduinen sitzen um ein Feuer und sehen einer verschleierten Frau beim Tanz zu. Und von ihrem Vater gibt es Fotos mit seinem Lieblingsfalken und mit edlen Araberpferden.
Jedes der Bilder birgt ein Geheimnis. Welche der drei Schwestern ist Muhras Mutter? Wer ist die tanzende Frau am Feuer? Weshalb nahm der Vater für reiche Ölscheiche an Falkenjagden teil, die nichts als eine Farce waren? Muhra will die Wahrheit wissen und sucht ihre Spuren in Erinnerungsfetzen, in den Geschichten der Alten, in versteckten Aufzeichnungen und Skizzen.
Autorenporträt
Miral al Tahawi wurde 1968 in Sharqiya geboren. Sie absolvierte ein Studium der Literaturwissenschaften und war Lehrbeauftrage an der Kairoer Universität. Sie veröffentlichte zwei Romane. 2000 erhielt sie den staatlichen Förderpreis für Literatur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.06.2006

Wo Oma das Sagen hat
Im Wüstenkirschgarten: Miral al-Tahawi sucht nach einer Familie

Es ist ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht, erzählt von einer Frau, die um ihr Leben schreibt wie einst Scheherezade. Doch anders als die Prinzessin, die ihre Zuhörer Nacht für Nacht auf eine Reise durch die Phantasielandschaft des Orients mitnimmt, um dem Tod zu entgehen, begibt sich ihre entfernte, moderne Verwandte auf eine Reise durch die geschundene Seelenlandschaft ihrer Kindheit, um eine frevelhafte Tat ans Licht zu bringen und sich selbst aus der Gruft, in der sie wie eine einbalsamierte Mumie vegetiert, zu befreien und ins Leben zurückzukehren.

Prinzessin Muhra, eine junge Frau im heutigen Ägypten, sucht in ihrem Elternhaus Fetzen und Bruchstücke aus ihren Erinnerungen zu einem Ganzen zusammenzufügen. Seit Generationen lebt ihre Familie, eine einst mächtige Beduinendynastie, in den Wüsten am Rande des Nil-Tals. Im Haus, das traditionell die Großmutter dominierte, ist Muhra heute fast allein.

Geblieben sind nur der Vater und eine Tante. Seit langem quält sie die Frage, wer von den drei Schwestern auf dem Foto wirklich ihre Mutter ist. War es Hind, die als Emanzipierteste von allen nach ihrer Heirat mit Muhras Vater in geistige Umnachtung fiel und danach von der Familie in eine Lehmhütte weggesperrt wurde, wo sie, nur notdürftig von einer Dienerin versorgt, schließlich elend zugrunde ging? Muhra glaubt, Hind habe sich danach in eine Katze, das heilige Tier der alten Ägypter, verwandelt, die bis heute auf dem Anwesen herumstreicht. Oder hat Sakawa sie geboren, an die Muhra keine Erinnerungen hat, weil diese Schwester, stets depressiv, noch vor Hind starb? Oder war es Sahla, die nach Hinds Vertreibung aus dem Paradies deren Platz einnahm und Muhra aufzog?

Auf jeder Frage lastet ein Tabu, jede mögliche Antwort klingt nach einem Skandal. Was geschah mit jenem jungen Franzosen, der als Maler und Abenteurer kurz vor Muhras Geburt im Haus des Großvaters lebte, diesen auf Karawanenzügen begleitete und auf Expeditionsreisen ging? Wer ist die verschleierte junge Tänzerin auf einem seiner Bilder? Und warum in aller Welt schickte der gebildete Vater Muhra auf eine schäbige Dorfschule und beschimpfte am Ende den Lehrer, weil dieser seine Tochter nicht standesgemäß behandelte? Ist sie vielleicht am Ende eine ganz andere - weder das Kind des Vaters noch das der vermeintlichen Mutter?

Wie in ihren ersten beiden Romanen, "Das Zelt" und "Die blaue Aubergine", bewegt sich die 1968 selbst in einem Beduinendorf geborene al-Tahawi auch in ihrem neuen Roman jenseits gängiger Narrationsmuster. Der Leser tastet sich wie die Erzählerin mit verbundenen Augen durch das unübersichtliche Terrain, stolpert über Geschichten und Namen, die erst Seiten später und zuweilen auch gar nicht zugeordnet werden können. Alles schwebt in einer ephemeren Rätselhaftigkeit. Miral al-Tahawi ist eine virtuose Erzählerin, Traumsequenzen und Erinnerungsfetzen werden in ihrem nouveau roman oriental zu einem poetischen Irrgarten von melancholischer Schönheit arrangiert, in dem jede Figur ein Gedicht in Prosa ist. Die übermächtige Großmutter, der herrisch-brutale Großvater, der meistens abwesende, intellektuelle Vater, der zwischen der Beduinenwelt und der Moderne schwankt. Schließlich die unglücklichen drei Schwestern, die von der Wüste und den Konventionen wie von einem Gefängnis eingeschlossen werden und daran zugrunde gehen.

Ähnlich der Algerierin Assja Djebar sucht auch Miral al-Tahawi nach neuen Formen eines weiblichen autobiographischen Schreibens, indem sie die überkommenen Herrschaftsstrukturen - in der Familie, im politisch linken und im islamistischen Studentenmilieu - entzaubert. In "Gazellenspuren" ist es die Suche nach der Mutter, die zum Symptom des Bruchs mit einer patriarchalischen Welt wird, die längst dem Untergang geweiht ist.

Der Boden, der einst und traditionell den Töchtern gehörte, ist längst verkauft, die Pferde sind verschwunden, die Zelte allenfalls Dekoration. Der Onkel lebt in Amerika, vom Erlös seines Beduinenerbes eröffnete er dort eine eigene Tankstelle; die Falkenjagd, auf die der Vater so stolz war, verkommt zum profanen Hobby für reiche Ölscheichs aus Saudi-Arabien, die in den Tieren Luxusgüter und in dem stolzen Beduinenoberhaupt nichts als einen Dienstleister sehen. Das Anwesen verfällt, die Wüstenoase wird zum tschechowschen Kirschgarten, den die Erzählerin verlassen muß, will sie dem Kreis der Bedrückung entfliehen.

SABINE BERKING

Miral al-Tahawi: "Gazellenspuren". Roman. Aus dem Arabischen von Doris Kilias. Unionsverlag, Zürich 2006. 136 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einmal mehr zeige sich Mira al-Tahawi als großartige Erzählerin, jubelt Rezensentin Sabine Berking. Parallel zur Suche der weiblichen Hauptfigur nach ihrer Herkunft und leiblichen Mutter versuche auch die Autorin eine Form des Romans und Erzählens zu finden, die zu ihrem Projekt des autobiografischen Schreibens in der arabischen Welt passt. Das Ergebnis vergleicht die Rezensentin einerseits mit Tausendundeiner Nacht, wo das Erzählen ja auch um Kopf und Kragen geht, andererseits mit den für den Leser irritierenden und rätselhaften Erzählkonstruktionen des "nouveau roman". Träume und Erinnerungen, so die Rezensentin, seien als eine Art "poetischer Irrgarten" komponiert von "melancholischer Schönheit". Noch jede Figurenbeschreibung gerate bei Mira al-Tahawi zum Gedicht.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Miral al-Tahawi ist derzeit die bemerkenswerteste literarische Stimme ihres Landes." (Daniel Bax, Die Tageszeitung)

"Die ganze Geschichte lag vor mir, und ich bin ihren Spuren gefolgt - wie eine unruhige Gazellenmutter, von deren Kindern sich am Boden nur noch schwache Spuren finden und die am Himmel als Sterne funkeln." (Miral al-Tahawi)