Eines jener Bücher, die die Welt verändern: Thoreaus Essay 'Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat', den er 1849 aus Protest gegen die amerikanische Eroberungs- und Sklavenpolitik veröffentlichte und der nun erstmals in einer zweisprachigen Leinenausgabe erscheint. Nicht so sehr ein Pamphlet als schlicht große Poesie.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.10.2010Die Pflicht zum
Ungehorsam
Mahatma Gandhi trug den epochalen Vortrag Henry David Thoreaus von 1848 zeitweise im Gepäck mit sich: Die Schrift über den gewaltlosen Widerstand gegen die Staatsmacht war ihm eine Art Lehrbuch. Bis in Herbert Marcuses Thesen gegen die „repressive Arbeitsmoral“ wirkt Thoreaus radikal freier Geist wie eine Sprengkraft hinein.
„Könnte es nicht eine Regierung geben, in der nicht die Mehrheit über Falsch und Richtig befindet, sondern das Gewissen?“, fragt Thoreau, der Einsiedler vom Waldensee, Jahrgang 1817. Legitime Regierungsgewalt muss, um gerecht zu sein, „Vollmacht und Zustimmung der Regierten“ haben, sagt er. Aus dieser Prämisse, der „wahren Achtung vor dem Individuum“, leitet er die mögliche Pflicht zum Ungehorsam ab. Das Diogenes-Bändchen enthält noch einen weniger bekannten Thoreau: „Leben ohne Prinzipien“. Gefährliche Texte! Wolfgang Schreiber
H. D. Thoreau:
Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat.
Diogenes Verlag, Zürich 2010. 87 Seiten, 7,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Ungehorsam
Mahatma Gandhi trug den epochalen Vortrag Henry David Thoreaus von 1848 zeitweise im Gepäck mit sich: Die Schrift über den gewaltlosen Widerstand gegen die Staatsmacht war ihm eine Art Lehrbuch. Bis in Herbert Marcuses Thesen gegen die „repressive Arbeitsmoral“ wirkt Thoreaus radikal freier Geist wie eine Sprengkraft hinein.
„Könnte es nicht eine Regierung geben, in der nicht die Mehrheit über Falsch und Richtig befindet, sondern das Gewissen?“, fragt Thoreau, der Einsiedler vom Waldensee, Jahrgang 1817. Legitime Regierungsgewalt muss, um gerecht zu sein, „Vollmacht und Zustimmung der Regierten“ haben, sagt er. Aus dieser Prämisse, der „wahren Achtung vor dem Individuum“, leitet er die mögliche Pflicht zum Ungehorsam ab. Das Diogenes-Bändchen enthält noch einen weniger bekannten Thoreau: „Leben ohne Prinzipien“. Gefährliche Texte! Wolfgang Schreiber
H. D. Thoreau:
Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat.
Diogenes Verlag, Zürich 2010. 87 Seiten, 7,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Eine Bibel des Widerstands sieht Andreas Dorschel in Henry David Thoreaus Essay "Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat", der Lektüre von Mahatma Gandhi wie Martin Luther King war, und jetzt in einer Neuausgabe vorliegt. Dorschel betrachtet Thoreaus Klassiker nichtsdestoweniger eher skeptisch. Sein Inhalt, lässt er wissen, sei abhängig von Prämissen des frühen 19. Jahrhunderts. Thoreau rede einer in die Jahre gekommenen Romantik und den Glauben an den Volksgeist nach. Er befasse sich freilich weniger mit den Zielsetzungen amerikanischer Politik, sondern bemängle, die amerikanische Regierung, weil eine Institution, sei kein wirkungsvolles Instrument der Politik. Alles, was das Land erreicht habe, sei dem Charakter des amerikanischen Volkes zu verdanken. Dorschel hebt hervor, dass bei dieser Ausgabe erstmals der englischen Text mitabgedruckt ist, wenngleich nicht parallel, sondern nach dem deutschen. Bei einem Vergleich von Original und Übersetzung stellt er fest, dass der Übersetzer Walter E. Richartz die Akzente doch etwas anders gesetzt hat als Thoreau, wobei er hinzufügt, dass es sich eher um eine Interpretation als eine Fehlübersetzung handelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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