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Produktdetails
  • Verlag: Ammann
  • 2000.
  • Seitenzahl: 1055
  • Deutsch
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 1586g
  • ISBN-13: 9783250500049
  • ISBN-10: 3250500046
  • Artikelnr.: 09337538
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Mit großem Respekt, aber auch Kritik im Detail bespricht Schamma Schahadat die beiden letzten Bände von Karl Dedecius` fünfbändigem "Panorama der polnischen Literatur".
1) "Panorama"
Kritik meldet Schahadat besonders bei diesem Band an, dessen Titel schlicht "Panorama" lautet: Er erscheint ihm als eine "merkwürdige Mischform von persönlichen Erinnerungen und einer Literaturgeschichte" - so als hätte sich Dedecius nicht entscheiden können, ob er nun ein Werk für Spezialisten oder anekdotenreiche Erinnerungen für Laien vorlegen wollte. Für letztere, so Schahadat, ist der Band aber zu umfangreich und schwerwiegend. Und wenn es denn eine Literaturgeschichte sein sollte, so fehlen Schahadat die Anmerkungen zu den Zitaten, während ihm die Anekdoten fehl am Platze scheinen. Immerhin aber scheint der Band Auskunft zu geben über alle polnischen Literaturströmungen von der Décadence, über die Wilnaer Katastrophisten (denen auch Milosz angehörte) bis hin zur Generation der 68er.
2) "Porträts"
Was Schahadat in "Panorama" fehlt, findet er allerdings in den "Porträts" - eine gründliche Präsentation der Autoren, die auch wissenschaftlichen Standards Genüge tut. Dies sei ein "ausgezeichnetes Nachschlagewerk", das eine gründliche Einführung in diese "Literatur von höchstem Rang" biete. Abschließend bemerkt Schahadat, dass die allerneueste Generation polnischer Schriftsteller, die seit der Buchmesse 2000 auch in Deutschland weithin das Bild der aktuellen polnischen Literatur dominieren, in Dedecius` großem Werk noch nicht vorkommen.

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.12.2000

Ein Ort mitten im Weltall
Rundblick, Tendenzen, Porträts: Karl Dedecius hat sein großes „Panorama der polnischen Literatur” abgeschlossen
Stanislaw Przybyszewski, zunächst als „der geniale Pole” gepriesen, später als graphoman abgestempelt, war die zentrale Symbolfigur der anbrechenden Moderne in Polen. 1892 schrieb er seine ersten Essays unter dem Titel „Zur Psychologie des Individuums”. Darin entwickelte er eine physiologische Begründung des Dekadenten als Genie und verknüpfte diese mit einer Geschlechtermetaphysik. Androgynie-Konzepte, hysterische Sprach- und Körperbilder verbanden sich mit männlichen Allmachtsfantasien, wie sie dann zehn Jahre später Otto Weininger in Geschlecht und Charakter” formulierte. Theorien dieser Art fielen in einer von dekadentem Lebensgefühl, Nervosität und Erotik angefüllten Atmosphäre auf fruchtbaren Boden. Kazimierz Przerwa-Tetmajers Liebes- und Künstlergedichte drückten ähnliche Stimmungen aus – Evviva l’arte! lautete seine Losung. Mit Przybyszewski und Tetmajer war das Fin de siècle nach Polen gekommen.
Hundert Jahre danach hat die polnische Literatur ganz andere Probleme – wie in den meisten vormals sozialistischen Ländern befindet sich die Literatur nach der Wende auf der Suche nach ihrem Platz und ihrer Funktion in einer Gesellschaft, die zunächst einmal die Orientierung verloren hat. Einerseits fühlten die jungen Autoren zu Beginn der 90er Jahre den „Druck der Wende”, wie Dedecius schreibt, andererseits waren sie gezwungen, eine eigene Stimme zu finden, die sich von ihren politisch engagierten Vorgängern unterschied. Viele wählten den Rückzug ins Private.
Der persönliche Blick
Was zwischen Tetmajer und Przybyszewski um 1900 und der Epoche des „Transit” am Ende des 20. Jahrhunderts liegt, versucht der letzte Band des groß angelegten „Panoramas der polnischen Literatur”, selbst „Panorama” benannt, zu beschreiben. Die sowohl Dekadenz wie auch Expressionismus umfassende Epochenbewegung „Junges Polen”, die die Literatur bis zum Ende des Ersten Weltkriegs bestimmte, die neoklassizistische Gruppe „Skamander” und die Avantgarde-Bewegungen in der Zwischenkriegszeit (die Krakauer Avantgarde, die Wilnaer Katastrophisten, zu denen auch Czeslaw Milosz zählte, sowie die Futuristen und die Formisten), Krieg, Tauwetter, die Generation 68 – dies sind einige der Stationen der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Auf 860 Seiten erzählt Dedecius ihre Geschichte, wobei er sich selbst als Leser dieser Literatur positioniert, sie in seine Lektüreerfahrungen einbettet: „Ende 1959, von meiner ersten Polen-Reise nach dem Kriege heimgekehrt, hatte ich im Gepäck die Früchte meiner 10tägigen Recherchen, neugeknüpfter Bekanntschaften. Bücher von besonderem Gewicht. Gedichte von Rósewicz, Herbert, Szymborska und die Freundschaft mit Lec, den ich bereits schriftlich kannte. ”
Ist dieser persönliche Blick auf die Bücher zum einen das Verführerische, das dem „Panorama” die wissenschaftliche Schwere nimmt, so ist er zugleich auch das Problem, das man damit hat. Das Ergebnis ist eine merkwürdige Mischform von persönlichen Erinnerungen und einer Literaturgeschichte, so dass das Panorama sich nicht richtig für seinen Leser entscheidet – ist es ein Buch für Laien oder eins für Spezialisten? Denn eine Literaturgeschichte ist keine Bettlektüre, nichts, was man sich zur Unterhaltung mit in die Ferien nimmt, sondern ein Nachschlagewerk, das Spezialisten benutzen. Und zur Benutzung ist diese persönlich gefärbte Literaturgeschichte nicht so richtig geeignet – Zitate werden nicht nachgewiesen (zumindest nicht so, dass man sie finden könnte), der Ton ist zu plaudernd, die Information zu persönlich. In seinem Vorwort erläutert Dedecius das „Panorama”-Konzept: „So fügen sich die Texte im ,Panorama der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts‘ zu einem Gemälde, aus dem die Geschichte, ihre Abläufe, ihre Volksnähe, ihre Konflikte zwischen dem konservativen Bauerntum und der exzentrischen Intelligenz der Städte, zwischen Armut und Adel, Krieg und Frieden, Stadt und Land einsehbar werden. ” Die Gefahr bei einem fast 900 Seiten langen Panorama liegt jedoch darin, aufgrund des Rundblicks die Details aus dem Blick und sich in Oberflächlichkeiten zu verlieren.
Porträts”, ein weiterer Band der Panorama”-Reihe, hat genau die Qualitäten, die man beim Panorama” vermisst. Hier handelt es sich um ein ausgezeichnetes Nachschlagewerk zu den wichtigsten polnischen Autoren und Autorinnen dieses Jahrhunderts, diesmal mit ausführlichen Bibliografien zu jedem Beitrag – es ist also durchaus zum Benutzen geeignet. Von dem 1949 geborenen Janusz Anderman, der seit Beginn der 90er Jahre vor allem Filmdrehbücher schreibt, bis zu Jerzy Zulawski (1847 – 1915), der als erster polnischer Science-fiction-Autor gilt, reicht der dicke Band. Alle 229 Autoren und Autorinnen, deren Texte in den anderen Bänden der Reihe abgedruckt sind (in „Poesie”, „Prosa” oder „Pointen”), sind hier erfasst.
Mit dem „Panorama” und den „Porträts” ist Dedecius’ gewagtes Projekt, ein ganzes Jahrhundert polnischer Literaturgeschichte in seinen verschiedensten Facetten darzustellen, abgeschlossen. Sein Leben lang hat Dedecius sich mit der Vermittlung der polnischen Literatur befasst – als Leiter des Polen-Instituts in Darmstadt, als Herausgeber der Reihe „Polnische Bibliothek” bei Suhrkamp und nun eben im „Panorama der polnischen Literatur”, die sich leicht als Summe seines Lebens deuten lässt. Auch wenn der letzte Band, Panorama”, die Bedürfnisse seiner Leser aus dem Blick verliert – das Großunternehmen ist auf jeden Fall beeindruckend und ermöglicht die Bekanntschaft mit einer Kultur, die den meisten aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse eher fremd sein dürfte.
Mit sieben Thesen zum spezifisch Polnischen der polnischen Literatur beschließt Dedecius sein „Panorama” – der nationale Charakter der polnischen Literatur, die Wechselwirkung zwischen Westlichem und Östlichem mögen tatsächlich spezifisch polnisch sein. Doch wenn Dedecius die polnische Literatur als „eine Literatur von auffallend starken Individualitäten” bezeichnet, ihr eine besondere „Vitalität und Effektivität” zuschreibt, dann kommen einem doch Zweifel, was die Nützlichkeit solcher Beschreibungen betrifft. Die polnische Literatur ist ganz einfach eine Literatur von höchstem Rang.
Schritt über die Schwelle
Davon zeugen übrigens auch die jungen polnischen Autorinnen, die in Dedecius’ Panorama noch nicht enthalten sind. Dedecius’ Überblick endet historisch mit Artur Szlosarek (Jahrgang 1968), einem Grenzgänger zwischen Polen und Deutschland: „schon das zweite dritte jahr lebe ich / außerhalb der grenze des landes, in dem ich das sprechen / zu lernen hatte, die sprache meines landes reizt / die gehörnerven der neuen nachbarn. ” Ist Szlosarek noch mit dem Übergang befasst (vom postsozialistischen Polen nach Europa, vom 20. ins 21. Jahrhundert), so scheinen die jungen polnischen Autorinnen, die im Augenblick zumindest in Deutschland den Markt polnischer Literatur beherrschen, bereits Bestandteil des neuen Jahrtausends zu sein, eines Jahrtausends, das die Grenzen von Raum und Zeit schon überschritten hat. (Marta Kijowska hat die wichtigsten von ihnen in der Literatur-Beilage der SZ zur Frankfurter Buchmesse 2000 vorgestellt) Olga Tokarczuks preisgekrönter Roman Ur und andere Zeiten” steht exemplarisch für diese Haltung. Denn Ur, so lautet der erste Satz, „ist ein Ort mitten im Weltall”. Und mit dem polnischen Ur, das überall und zu jeder Zeit ist, ist auch Polen für diese jungen Autorinnen überall und immer. Und Dedecius’ Verdienst liegt darin, dass er dieses Polen auch zu uns gebracht hat.
SCHAMMA SCHAHADAT
PORTRÄTS. Hrsg. von Karl Dedecius unter Mitwirkung von Manfred Mack. 4. Abteilung des Panoramas der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts. 1056 Seiten.
PANORAMA. Ein Rundblick von Karl Dedecius. 5. Abteilung des Panoramas der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts. 860 Seiten.
Ammann Verlag, Zürich 2000. Subskriptionspreis bis 31. 12. 2000 pro Band 84 Mark, danach 98 Mark.
Karl Dedecius als Dolmetsch und Dichterfreund: Hier bei einer Lesung der Lyrikerin und Nobelpreisträgerin von 1996 Wyslawa Szymborska.
Foto: Jürgen Bauer
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.2001

Kenntnisreicher Konkretismus
Karl Dedecius malt ein Panorama der polnischen Literatur

Polnische Literatur ist "wahrheitsintensiv". Das ist nach Karl Dedecius ihre entscheidende Qualität. Mit dem unter seiner Leitung entstandenen siebenbändigen "Panorama der Polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts", liegt nun, das suggeriert ja schon der Titel, eine systematisch komponierte Rundschau vor, die Wahrheitsintensität in ihren unzähligen Facetten einsehbar machen soll. Die bereits erschienenen ersten fünf Bände "Poesie", "Prosa" und "Pointen" umfassen eine Auswahl einschlägiger Texte von mehreren hundert polnischen Schriftstellern. Der nunmehr edierte sechste Band "Porträts" ist ein Autorenlexikon. Als siebter und letzter Band ist nun auch ein "Panorama" der polnischen Literatur im zwanzigsten Jahrhundert erschienen.

Am Beginn steht die Literatur der Jahrhundertwende, das "Junge Polen". Im damals noch geteilten Land herrschte der Geist der Romantik, und eine negative Einstellung gegenüber Deutschland war, so Dedecius, der Prüfstein des polnischen Patriotismus. Der Romancier Boleslaw Prus zählte zu den wenigen, die eine differenziertere Meinung vertraten und vorschlugen, doch auch das Gute an den Deutschen zu sehen. Ihn stellt Dedecius nicht zufällig an den Anfang. So nämlich versteht es sich von selbst, daß diese schließlich nur von jemandem wie Dedecius geschrieben werden kann. Er, der Herausgeber, Übersetzer und große Vermittler polnischer Literatur in Deutschland, kann deren Geschichte damit zugleich als Autobiographie verfassen.

Dedecius schließt mit dem Übergangszustand zwischen 1980 und der Gegenwart, einer Phase, die er "Transit" nennt. Nicht alle Kapitel können vollkommen überzeugen. Enttäuschend fällt beispielsweise die knappe Passage über den "Sozrealismus" aus. Wo man vom Kenner mehr Genauigkeit und Einführung in das Klima der damaligen Zeit erwartet hätte, wird die Systemtreue mancher Dichter lapidar mit "Verführung" erklärt und ihre Werke, etwa die Lobgedichte eines Adolf Rudnicki auf Stalin, als "pathetische Plattheiten" abgetan. Doch solche Schwachstellen muß man bei Dedecius suchen, sie bilden die Ausnahme.

Sein Kompendium könnte man mit einem Werk vergleichen, auf das er selber oft und gern Bezug nimmt, die "Geschichte der Polnischen Literatur" von Czeslaw Milosz aus dem Jahr 1969. Während Milosz sich dort in erster Linie an ein amerikanisches Publikum wandte, ist Dedecius' "Panorama" auf den deutschen Leser zugeschnitten. Für sein literaturgeschichtliches Vorgehen macht er Anleihen bei Witold Gombrowicz: "Die Methode, sich allein mit dem Werk zu befassen, losgelöst von der Person des Autors, ist katastrophal . . . Ich will aus dem Werk den Autor begreifen, ich muß, abgesehen vom Märchen, das mir Poe erzählt, den finden, der es erzählt, als - begreif doch - einzige Wirklichkeit, als das einzige Konkretum", hatte dieser in seinem Tagebuch geschrieben, und Dedecius folgt ihm aufs Wort.

Mit Vorliebe paßt er nämlich solche Momente ab, in denen es gelingt, die Biographie eines Schriftstellers mit seiner eigenen zu verknüpfen. Dadurch wird eine für Literaturgeschichten sonst ungewöhnliche, unmittelbare und lebendige Erzählung erzeugt, die jedoch nicht ganz frei von den Eitelkeiten ihres Verfassers bleibt und dessen profunde Kennerschaft autorisiert. "Drei Abende mit Przybos" heißt es an einer Stelle intim, und auf dem darunter abgebildeten Foto sitzen der Dichter und sein Übersetzer einträchtig nebeneinander. Auch zitiert er gern lange Passagen aus seiner Korrespondenz mit Zbigniew Herbert oder Tadeusz Rózewicz und berichtet, wann er wieder einmal von Stanislaw Lec Post bekam. Sogar bei Autoren, die er nicht mehr persönlich gekannt hat, gelingt es ihm, solche Vertrautheit herzustellen, findet er Punkte, an denen sich deren Lebensgeschichte mit seiner eigenen quert. So schreibt er über den Futuristen und Mitbegründer der "Skamandriten" Julian Tuwim, der wie Dedecius ein gebürtiger Lódzer ist: "Ich frage mich, warum ich Tuwim, obwohl mir andere polnische Dichter mehr behagen und zu sagen haben, immer wieder zu übersetzen versuche. Es ist nicht der Umstand allein, daß wir dieselbe Geburtsstadt haben, über die gleichen Pflastersteine geschlendert waren, die gleiche schwere Luft zum Atmen hatten. Es ist die Aufgabe, seine erfindungsreiche, mitreißende Einfachheit zu finden."

Neben den zahlreichen Dichterleben finden im "Panorama" auch eine Reihe von Dichtertoden Platz. Gelegentlich werden sie, wie bei Lec, mit vielen Details aus der Sicht des Freundes geschildert. Ein andermal faßt Dedecius sie in seinen poetischen und zugleich lakonischen Stil. Über den Tod einer absoluten Randfigur der polnischen Lyrik, Ryszard Milczewski-Bruno (Pseudonym "RMB"), den er zur "Generation 68" rechnet, heißt es: "RMB starb mit neununddreißig Jahren auf masurische Weise. Er ertrank in einem See vor den Toren Thorns."

Daß er dies "Strandgut der Geschichte", wie er die marginaleren Autorenpersönlichkeiten nennt, in seinem Rundblick streift, macht die Lektüre um so reizvoller. Bedacht wird zum Beispiel die außergewöhnliche, auch in Polen nahezu in Vergessenheit geratene Dichterin des "Jungen Polen" und leidenschaftliche Vorkämpferin Nietzsches, Maria Komornicka (1876 bis 1949). Auch dem hierzulande ganz und gar unbekannten Essayisten und ostgalizischen Kulturforscher Stanislaw Vincenz widmet sich Dedecius. In seinem Hauptwerk "Na Wysokiej Poloninie" (Auf der Hohen Alm) von 1936, beschrieb Vincenz die Welt der Bewohner des Karpatenlands, der Ruthenen, Polen, Huzulen und Juden als eine verlorene Heimat und schilderte diese überlieferte Tradition in ihrem Zusammenprall mit der österreichischen, städtischen Zivilisation in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Sein eigenwilliges folkloristisches Werk, an der Grenze zwischen Literatur und Wissenschaft angesiedelt, beeinflußt bis heute polnische Theaterwissenschaftler und Ethnologen.

Den meisten Raum im "Panorama" beanspruchen dennoch jene Schriftsteller, die Dedecius persönlich kannte und noch kennt: Lec, Herbert, Milosz, Wislawa Szymborska und natürlich sein Freund Tadeusz Rózewicz. Sie und ihre Werke werden vom Kenner lebendig und in schillernden Farben gezeichnet. Beinahe papieren wirkt demgegenüber, was er über Gombrowicz oder Slawomir Mrozek schreibt, die "Großen", die er offenbar nicht mehr erlebt hat oder persönlich weniger gut kennt. An diesen Stellen müssen die polnische und die deutsche Literaturkritik einspringen, deren Stimmen er über die Jahrzehnte akribisch gesammelt hat. Zusammen mit den eingefügten Zeichnungen, Buchumschlägen und Fotografien ergeben sie eine Aufschreibetechnik der bricolage. Das "Panorama" von Karl Dedecius ist ein Produkt jahrzehntelanger Lese- und Übersetzererfahrung, ein gutes Stück hervorragend geschriebener Autobiographie und schließlich eine einzigartige Begegnung mit Polen.

Mit dem sechsten Band der Reihe, den "Porträts", liegt nun erstmals ein umfangreiches Lexikon polnischer Autoren und Autorinnen des vergangenen Jahrhunderts in deutscher Sprache vor. Die Kurzbiographien der 229 darin aufgeführten Personen beginnen bei Janusz Anderman und enden mit Jerzy Zulawski. Sie werden jeweils durch ein Werkverzeichnis und einschlägige Titel polnischer wie deutscher Sekundärliteratur ergänzt. Neben Schriftstellern enthält das Lexikon auch Persönlichkeiten wie den Philosophen Leszek Kolakowski, dessen Einfluß auf Polens Literatur prägend gewesen ist.

Die Logik hinter der Auswahl jüngerer Autoren bleibt indes rätselhaft, ihre Konsequenz gar bedauerlich: Andrzej Stasiuk wollten die Herausgeber bei Redaktionsschluß tatsächlich noch nicht gekannt haben. Und das, obwohl der Autor in Polen bereits 1992 mit seiner Gefängnisprosa "Die Mauern von Hebron" höchst erfolgreich debütierte, also einige Jahre bevor er hierzulande von der Kritik gefeiert wurde. Nein, auch Dedecius widmet ihm in seinem Panorama keinen Gedanken, nicht einmal eine Randbemerkung. Und es fehlen noch weitere bekannte Talente, darunter Natasza Goerke, Stefan Chwin und Olga Tokarczuk. Woher rührt es dann wiederum, daß Jerzy Pilch im Lexikon vertreten ist und sogar Marcin Swietlicki aufgenommen wurde? Von dem vierzigjährigen, in Krakau lebenden Underground-Poeten, Mitbegründer des aufmüpfigen Magazins "BruLion", Punkrocker und Sänger der Gruppe "Swietliki" (Glühwürmchen) ist leider immer noch keine Zeile ins Deutsche übersetzt. Doch vielleicht sind dies die Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts, die zu weit ins einundzwanzigste hineinragen und, wie Dedecius selbst schreibt, von der kommenden Generation bearbeitet werden müssen. Wenn es um Daten ging, blieb die Redaktion allerdings sorgfältig bis zum Schluß: Daß die drei "Großen", Andrzej Szczypiorski, Kazimierz Brandys und Gustaw Herling-Grudzinski alle im vergangenen Jahr gestorben sind, hat sie in deren Lebensläufen nicht vergessen.

STEFANIE PETER.

Karl Dedecius (Hrsg.): "Panorama der Polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts". 4. Abteilung: "Porträts". 1055 S., geb., 98,- DM; 5. Abteilung: "Panorama. Ein Rundblick zu Texten und Tendenzen". 860 S., geb., 98,- DM. Ammann Verlag, Zürich 2000.

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