Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 35,00 €
  • Buch

Das Werk von Nâzim Hikmet ist ein Meilenstein der modernen türkischen Literatur. Zu seinen Lebzeiten galt er als poetischer Popstar, dessen Texte zu Liedern, Parolen und geflügelten Worten wurden. Seine Gedichte sind zugleich Erlebnis und Dokumentation des 20. Jahrhunderts. Die Neuübersetzung von Gisela Kraft erschließt endlich auch die existentielle Dimension dieses außergewöhnlichen Lyrikers. Ihre Auswahl ist eine Reise zu den Lebensstationen Hikmets: vom zarten Debüt des Elfjährigen aus Istanbul bis hin zur ironischen Skepsis im Moskauer Exil. Sie vollzieht seinen künstlerischen Werdegang…mehr

Produktbeschreibung
Das Werk von Nâzim Hikmet ist ein Meilenstein der modernen türkischen Literatur. Zu seinen Lebzeiten galt er als poetischer Popstar, dessen Texte zu Liedern, Parolen und geflügelten Worten wurden. Seine Gedichte sind zugleich Erlebnis und Dokumentation des 20. Jahrhunderts. Die Neuübersetzung von Gisela Kraft erschließt endlich auch die existentielle Dimension dieses außergewöhnlichen Lyrikers. Ihre Auswahl ist eine Reise zu den Lebensstationen Hikmets: vom zarten Debüt des Elfjährigen aus Istanbul bis hin zur ironischen Skepsis im Moskauer Exil. Sie vollzieht seinen künstlerischen Werdegang nach und zeigt den Dichter in allen seinen Wandlungen: als Liebenden und Freund, als Kämpfer und Agitator, als Romantiker und avantgardistischen Sprachspieler. Hikmets Ton ist mal zweifelnd, verzweifelnd, mal maßlos mutig, mal lakonisch komisch - aber immer voll poetischer Intensität.
Autorenporträt
Nâzim Hikmet wurde 1902 in Thessaloniki geboren und wuchs in der kosmopolitischen Atmosphäre Istanbuls auf. Zeitlebens blieb der politisch engagierte Dichter in seiner Heimat verfolgt. Sechzehn Jahre verbrachte er im Gefängnis, zwanzig Jahre lebte er im Ausland, zumeist als Exilant. Er starb 1963 in Moskau. Sein Publikationsverbot bestand in der Türkei bis 1965.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008

Frei wie ein Baum
Brüderlich wie ein Wald: Nâzim Hikmets Dichtung / Von Wolfgang Günter Lerch

Bis heute ist Nâzim Hikmet der einzige türkische Lyriker, der außerhalb seiner Heimat einem breiteren Kreis von Literaturliebhabern auf allen Erdteilen bekannt (geblieben) ist. Zu seinen Lebzeiten war er so berühmt wie sein Dichterfreund Pablo Neruda, nicht zuletzt wegen seiner politischen Leidensgeschichte. In der Türkei selbst hat seine Popularität niemals nachgelassen, auch nicht nach dem Scheitern der kommunistischen Ideologie. Die Türken nennen ihn meistens nur liebevoll "Nâzim". Und man kann beobachten, dass das Werk dieses Welt-Dichters, das geradezu eifersüchtig von der Linken monopolisiert worden ist, auch bei politisch ganz anders denkenden Türken längst geschätzt wird. Dass Hikmet Kommunist war, spielt heute eine weitaus geringere Rolle als die Qualität seiner Dichtung. Seine Themen sind allmenschlich, kreisen um das Streben nach Gerechtigkeit und Harmonie; er scheut jedoch auch vor dem Streit nicht zurück. Hikmet selbst betrachtete seine Gedichte auch als Teil des Klassenkampfs. Heute kann man ihn stärker als Poeten rezipieren, der neben sozialer Sensibilität auch den Wunsch nach einer befriedeten Menschheit zum Ausdruck bringt: "Leben, einzeln und frei wie ein Baum / und brüderlich wie ein Wald / ist unser Traum", wie einer seiner berühmtesten, zum volkstümlichen Zitat (atasözü) gewordenen Verse lautet. In seinen späten Gedichten besingt Hikmet, der seit 1921 keine Moschee mehr betreten hatte, den Kosmos als die Heimat des Menschengeschlechts. Ein orthodox Gläubiger konnte der Marxist Hikmet, der auch Spinoza gelesen hatte, nicht sein.

Es war höchste Zeit, dass im deutschsprachigen Raum (nach Übertragungen durch Yüksel Pazarkaya und Yildirim Dagyeli) in einer Anthologie wieder auf diesen Dichter, der in der türkischen Literatur formal wie inhaltlich als Revolutionär gelten muss, aufmerksam gemacht wird. Der Band "Hasretlerin Adi - Die Namen der Sehnsucht" versammelt in der Auswahl und Übertragung von Gisela Kraft eine große Anzahl der bekannten und weniger bekannten Gedichte Hikmets im türkischen Original und in deutscher Übersetzung, bisweilen auch eher in Form einer Nachdichtung. Das hat mit der Komplexität von Hikmets Sprache zu tun, die zwar Einfachheit anstrebt, aber gerade deswegen so schwer zu übertragen ist. Dabei reicht der Reigen dieser Blütenlese von den frühen lyrischen Versuchen des Elfjährigen (Feryad-i vatan - Heimatklage) bis zu Gedichten aus den letzten Lebensjahren (VeraŽya - Für Vera, seine letzte Ehefrau), die der Dichter, nach Jahren der Haft in der Türkei, schwer herzkrank in Moskau verbrachte.

Wie die meisten türkischen Lyriker des vorigen Jahrhunderts begann auch Nâzim Hikmet, 1902 im damals noch osmanischen Saloniki (Selânik) in einer gebildeten Familie geboren, nach den klassischen Vorbildern zu dichten. Die höfische Divan-Poesie und ihre Formen, bisweilen auch die volkstümliche Lyrik der anatolischen Barden gehörten zu diesen Vorbildern, doch überwogen persisch-arabische Muster, die jahrhundertelang den Wortschatz und die Metaphern der türkischen Poesie, die Inhalte wie die Formen des Dichtens vorgegeben hatten. Seine Jugend verlebte Hikmet in Aleppo und Istanbul. In den frühen zwanziger Jahren begeisterte ihn zunächst der nationale Befreiungskampf unter Mustafa Kemal (dem er auch eine Dichtung widmete). Zusammen mit seinem Freund, dem Lyriker Vâlâ Nurettin, durchstreifte er Anatolien, um "das Volk" kennenzulernen.

Er trifft kurz mit dem späteren Atatürk zusammen und bekommt Kontakt mit Kommunisten. Das bringt ihn auf die Idee, über Trabzon und Batumi nach Moskau zu reisen. Er bleibt dort zwei Jahre an der "Universität der Werktätigen des Orients". Nach einem kurzen Aufenthalt in der Türkei geht er - die Behörden verfolgen ihn wegen seiner linken Gesinnung - abermals nach Moskau, für drei Jahre. Vor allem sein Kontakt mit Majakowski und Jessenin wird zu einem Erlebnis, das sein Dichten befreit aus den erstarrten Formen. Hikmet wird zum Revolutionär und Pionier des Freien Verses in der türkischen Dichtung.

Als Hikmet 1928 in die Heimat zurückkehrt, wird er kurz inhaftiert, 1933 folgt eine weitere, zwei Jahre währende Strafe. Fundamentalistischen Muslimen und Kommunisten geht es nicht gut im Staate Atatürks, der die nationale Gesinnung fördert. 1935 kommt er im Rahmen einer Amnestie frei und wird 1938 neuerlich verurteilt. In einem Gedicht hatte er Sympathie für die republikanische Seite im Spanischen Bürgerkrieg gezeigt. Und man hatte es zudem in den Spinden von Militärkadetten gefunden. Das galt als Hochverrat. Ein Gericht verurteilte ihn zu 28 Jahren und vier Monaten Haft. Erst 1950, nachdem sich führende Intellektuelle in ganz Europa für ihn eingesetzt hatten, hat der Staat ein Einsehen und begnadigt ihn. Hikmet geht über Rumänien nach Moskau, wo er 1963 stirbt. Er reist viel in diesen letzten Jahren, vor allem in der kommunistischen Welt.

Kern der Anthologie und ihr Glanzstück ist die vollständige Übertragung des "Epos vom Scheich Bedreddin, Sohn des Richters von Simavne". Diese umfangreiche Dichtung entstand 1933 im Gefängnis, was das Albdruckhafte, das ihr innewohnt, noch verstärkt. Thema ist der große Aufstand islamisch-heterodoxer Kreise gegen den Sultan Mehmet I. im fünfzehnten Jahrhundert im Namen der sozialen Gerechtigkeit. Hikmet deutet die Bewegung im Sinne eines Bauernsozialismus, denn die Führer des Aufstandes, Scheich Bedreddin, Börklükce Mustafa und Torlak Kemal, wandten sich im Namen der Landbevölkerung gegen den Lehensbesitz und das Herrschaftsmonopol des Hauses Osman. Gisela Kraft hat dieses Meisterwerk, in dem Hikmet alle Register seiner Kunst zieht, kongenial übertragen. Hikmet mischt Formen chronikartiger Prosa mit theologischen Aussagen, lyrischen Passagen und Gedichten, die den Gang der Handlung unterbrechen oder illustrieren. Zu einer Zeit, da die Sprachkommission darangeht, in einem Eingriff sondergleichen aus dem osmanischen Türkisch ein nationales Türkisch zu machen, handhabt der Dichter auch den Wortschatz virtuos und souverän. Er schuf sich eine Sprache, verwendete Wörter, deren Ebene der jeweiligen Situation im Epos entspricht, doch auch den Zeitgenossen verständlich bleibt. Ein umfangreiches Nachwort der Übersetzerin führt, zusammen mit Fotos, kundig und gerafft in Leben und Werk dieses größten türkischen Lyrikers des zwanzigsten Jahrhunderts ein.

Nâzim Hikmet: "Hasretlerin Adi. Die Namen der Sehnsucht". Gedichte. Türkisch und Deutsch. Ausgewählt, nachgedichtet und mit einem Nachwort von Gisela Kraft, Ammann Verlag, Zürich 2008, 354 Seiten, 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.05.2009

Der Hafis des Kapitals
Nâzim Hikmets Gedichte: „Die Namen der Sehnsucht”
Taugte der dialektische Materialismus zum Gedicht? Sein Begründer hielt viel auf gute Lyrik. Aber zur Versifikation des Kommunistischen Manifests hat Karl Marx nicht geraten. In der DDR versuchte sich mancher schon in dieser Richtung; doch davon blieb nicht viel. Wenige haben sich im zwanzigsten Jahrhundert so inständig um das wahre kommunistische Gedicht bemüht wie der türkische Schriftsteller Nâzim Hikmet (1902 – 1963), der seit 1951 im Exil in Sofia, Moskau und Warschau (er wurde 1959 polnischer Staatsbürger) lebte. In der vom Ammann Verlag vorgelegten Übersetzung Gisela Krafts lautet ein Ergebnis dieses Bemühens so: „Willkommen Baby / du bist an der Reihe mit Leben / auf dich warten Stickhusten Diphtherie Schwarze Pocken Malaria Schwindsucht Herzinfarkt Krebs usw. / Elend Erwerbslosigkeit und dergl. / Zugunglück Busunglück Flugzeugabsturz Arbeitsunfall Erdbeben Sturmflut Dürre und dergl. / Schwermut Trunksucht usw. / Gummiknüppel Knast usf. / auf dich wartet die Atombombe und dergl. / willkommen Baby / du bist an der Reihe mit Leben / auf dich warten Sozialismus Kommunismus und dergl.”.
Das zweimalige „hos geldin bebek”, „Willkommen Baby” gliedert das Gedicht in eine übersichtliche Alternative. Sozialismus und Kommunismus sind die Welt ohne alle schlechten Eigenschaften, wie sie Hikmets Original mit noch größerer Monotonie einprägt als Krafts Nachdichtung: „tiren kazasi otobüs kazasi uçak kazasi is kazasi”. Deren Liste ist zielsicher auf die Atombombe hin geführt, als die ultimative amerikanisch-kapitalistische Teufelei. Verfasst hat Hikmet das Gedicht am 10. September 1961 in Leipzig, also einen Monat nach der Errichtung der Berliner Mauer, mit der die Regierung der ihm gastlichen DDR darauf reagierte, dass beträchtliche Teile ihrer Bevölkerung kapitalistisches „Elend Erwerbslosigkeit und dergl.” dem Sozialismus vorzogen.
Sein „liebstes Gasel”, schrieb Hikmet 1923 in dem programmatischen Gedicht „Sair”, „Dichter”, sei „der ‚Anti-Dühring‘ von Engels”. Er studierte damals an der „Kommunistischen Universität für die Werktätigen des Orients” (KUTV) in Moskau. Gewiss ist das Kokettieren der Lyrik mit ihrem Gegenteil, dem höchst Prosaischen der Streitschrift gegen einen preußischen Privatgelehrten, ein bewusst gesetztes Paradox. Doch etwas mit Absicht tun gewährleistet nicht, dass es einem gut bekommt. Jedenfalls zerfällt Hikmet zur selben Zeit der Vers, das Lebenselement des „Gasel”. Das einzelne Wort spreizt sich – es fuchtelt: „büyük! / büyük! / büyük!” – „groß! / groß! / groß!”: in immer größerem Schriftgrad zu drucken. Lyrik, die sich so der Propaganda angleicht, macht sich klein – und desto kleiner, je Größeres sie prätendiert. In der Befreiung des Einzelwortes vom Vers geht verloren, dass der Vers das Wort im geglückten Gedicht nicht einzwängt, sondern zur Geltung bringt.
He, Schicksal, gemeine Hure!
Das Gedicht „Sair” enthält auch die berühmte Formel vom „Hafis des ‚Kapitals‘” („Hafizi Kapital”) – als Ambition Hikmets, nicht als Kennzeichnung des bereits von ihm Erreichten. Zuweilen beschlichen den Dichter indes Zweifel am Wert dieses Programms. Im Epos vom Scheich Bedreddin („Simavne Kadisi Oglu Seyh Bedreddin Destani”), einem 1933 verfassten Hauptwerk, heißt es: „Sag nicht: / Solches war / nach den sozialen, historischen und ökonomischen Umständen / nicht zu vermeiden. / Ich weiß. / Aber mein Herz / will diese Sprache nicht leiden. / Es schreit: He, niederträchtige Welt! / He Schicksal, gemeine Hure!”
Das heißt: Theorie ist nicht lyrikfähig – das Gefühl und mit ihm das Gedicht will die Sprache der moralischen Empörung reden. Auch sie war in der Sowjetunion Stalins, in die Hikmet emigrierte, und in deren Satellitenstaaten willkommen: „Wallstreet greift nach deiner Kehle / (verflucht sei diese Hand!)”, übersetzte Stephan Hermlin in den 1950er Jahren einen lyrischen Beitrag Hikmets zum Kalten Krieg. Schließlich verließ sich auch Stalin nicht allein auf die von Marx entdeckten ökonomischen Gesetzmäßigkeiten, sondern mindestens ebensosehr auf Tscheka, GPU, NKWD, KGB und andere Agenturen der sozialistischen Moral.
Im Ostblock vor 1989 war Hikmet eine Kultfigur. Zwanzig Jahre später stellt sich die Frage: Was ist geblieben? Es wäre an der Zeit, die Brüche zwischen dem Politischen und dem Poetischen im zwanzigsten Jahrhundert zu sondieren, von denen Hikmet zuzeiten mehr ahnte als seine Fans. Gisela Krafts Auswahl würde die Sonde in die Texte einlassen, da sie jene Brüche nicht zuschmiert. Sie wären von Hikmet in aufschlussreicher Weise weiterzuverfolgen ins Werk Majakowskijs, Picassos, Nerudas, Pasolinis oder Éluards.
Bücher Nazim Hikmets sind in deutscher Sprache seit Jahrzehnten immer wieder erschienen, so bei Luchterhand und bei dtv. Ein großes Verdienst der (weit schöner gestalteten) Ausgabe bei Ammann – wie schon zuvor derjenigen des Frankfurter Dagyeli Verlages – ist die parallele Präsentation von türkischem Text und deutscher Nachdichtung. Denn Lyrik ist die Fähigkeit, in Worten zu musizieren. Wer von Gedichten nur die Übersetzung ohne das Original vor sich hat, empfängt bloß eine Musik ohne ihren Klang. ANDREAS DORSCHEL
NÂZIM HIKMET: Hasretlerin Adi. Die Namen der Sehnsucht. Gedichte. Türkisch und deutsch. Ausgewählt, nachgedichtet und mit einem Nachwort von Gisela Kraft. Ammann Verlag, Zürich 2008. 357 Seiten, 29,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensent Stefan Weidner hat die "Wucht einer Offenbarung" erlebt, mit der diese Lyrik beim Wiederlesen in einer neuen zweisprachigen Edition über ihn gekommen ist. Er vergleicht Nazim Hikmet mit Bert Brecht, was die poetische Ausdruckskraft bei gleichzeitigem politisch-kämpferischen Ethos betrifft, hält Hikmet aber für die heißblütigere und poetischere Seele von beiden. Auch die "melodische, mit häufigen Wiederholungen arbeitende" literarische Technik, die aus Sicht des Rezensenten mit Hikmets sharfer Beobachtungsgabe eine "hochemotionale Verbindung" eingeht, begeistert ihn sehr. Auch Gisela Krafts Nachdichtung bekommt Bestnoten.

© Perlentaucher Medien GmbH