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Warum stürzt der Tod einer Prostituierten den Sohn einer reichen Mailänder Familie in tiefste Verzweiflung? Der Vater bittet den Privatdetektiv Duca Lamberti, diskrete Ermittlungen anzustellen. Lamberti taucht ein in die Mailänder Halbwelt und wird bald selber vom Jäger zum Gejagten ...
Auf dem Höhepunkt seines literarischen Schaffens schrieb der Mailänder Journalist Giorgio Scerbanenco in den 60er Jahren Kriminalgeschichten um Duca Lamberti, die heute zu den modernen Klassikern des Genres gehören. Wie sein berühmter Kollege Maigret nimmt sich Lamberti der kleinen Leute an. Unsentimental…mehr

Produktbeschreibung
Warum stürzt der Tod einer Prostituierten den Sohn einer reichen Mailänder Familie in tiefste Verzweiflung? Der Vater bittet den Privatdetektiv Duca Lamberti, diskrete Ermittlungen anzustellen. Lamberti taucht ein in die Mailänder Halbwelt und wird bald selber vom Jäger zum Gejagten ...


Auf dem Höhepunkt seines literarischen Schaffens schrieb der Mailänder Journalist Giorgio Scerbanenco in den 60er Jahren Kriminalgeschichten um Duca Lamberti, die heute zu den modernen Klassikern des Genres gehören. Wie sein berühmter Kollege Maigret nimmt sich Lamberti der kleinen Leute an. Unsentimental und illusionslos ermittelt er in den Quartieren Mailands, wo die Stadt ihr Herz zu verlieren beginnt. Das Mailand der Ladenmädchen, der unterbezahlten Krankenschwestern, der kleinen Industriellen zur Zeit des Wirtschaftswunders ist seine Welt. Und er beobachtet unbarmherzig, wie der kleine Gauner zum Drogendealer, das Mädchen von nebenan zur Gelegenheitsprostituierten und rebellische Jugendliche zu Bandenmitgliedern werden.
Duca Lamberti ist wieder frei. Drei Jahre hat der Arzt im Gefängnis gesessen, weil er einer alten krebskranken Frau zu einem würdigen Sterben verholfen hat. Der Ärztebund hat ihn aus seinen Reihen ausgeschlossen. Lamberti ist daher gezwungen, sich nach einer anderen Arbeit umzusehen. Durch Zufall erfährt Kommissar Carrua, der ehemalige Chef seines verstorbenen Vaters, von Lambertis schwieriger Lage und verweist ihn an den reichen Ingenieur Auseri. Dessen 20jähriger Sohn Davide hat vor einem Jahr plötzlich scheinbar grundlos zu trinken begonnen. Auseri will um jeden Preis seinen Sohn vom Alkohol wegbringen. Lamberti nimmt den Aufpasser-Job an. Voller Mitgefühl versucht er dem verzweifelten Davide zu helfen. Bald gesteht ihm der junge Mann, warum er das Leben nur noch betrunken ertragen kann. Er fühlt sich schuldig am Tod eines jungen Mädchens, das vor etwa einem Jahr auf einer Wiese am Stadtrand von Mailand mit aufgeschnittenen Pulsadern gefunden wurde. Davide hatte den Abend vorher gegen Bezahlung mit Alberta verbracht, und sie hatte ihn inständig gebeten, mit ihr für einige Zeit zu verreisen - sonst müsse sie sich umbringen. Davide fühlte sich von dem heftigen Ansinnen des Mädchens bedroht und setzte sie aus dem Auto. Am nächsten Mon war sie tot. Den einzigen Anhaltspunkt für die Hintergründe ihres Todes bietet eine kleine Kamera, die Alberta in Davides Auto vergaß. Lamberti lässt den Film entwickeln. Die Fotos zeigen Alberta und eine andere Frau in pornographischen Posen. Lamberti ist sich nun sicher, dass Albertas Selbstmord ein Mord war. Um Davides Willen, aber auch weil er die Handschrift des organisierten Verbrechens zu erkennen glaubt - der Mafia, die seinen Vater zum Krüppel gemacht hat - beschließt Lamberti zu ermitteln. Doch angesichts seiner schwierigen Vergangenheit kann er unmöglich als Ermittler auf eigene Faust im Rotlichtmilieu tätig werden, und daher stellt ihm Kommissar Carrua den Sizilianer Mascaranti, einen erfahrenen Polizisten, zur Seite. Über Albertas Schwester lernen sie deren schöne Freundin Livia Ussaro kennen. Auch Livia hat sich manchmal prostituiert, und Alberta hatte ihr von einem älteren Herrn erzählt, der ihr das Angebot für die pornographische Fotoserie gemacht hatte ...
Autorenporträt
Giorgio Scerbanenco wurde 1911 in Kiew als Sohn eines ukrainischen Offiziers und einer Italienerin geboren. Bei Ausbruch der russischen Revolution, die den Vater das Leben kostete, floh er mit seiner Mutter nach Italien. Als Erwachsener versuchte er sich in allen möglichen Jobs, bis er schließlich seine journalistischen Fähigkeiten und seine schriftstellerische Begabung entdeckte. Die Kriminalromane um Duca Lamberti machten ihn berühmt. In einem ganz eigenen unsentimentalen Ton schuf Scerbanenco eine Figur, die in ihren Widersprüchen das Mailand der kleinen Leute in der Zeit gesellschaftlicher Umbrüche spiegelt. Giorgio Scerbanenco starb 1969.
Rezensionen
Mediziner als Hobby-Sherlock
Hier ermittelt kein Kommissar, sondern ein Arzt, der seinen Beruf nicht mehr ausüben darf.
Gerade aus dem Gefängnis entlassen, wird dieser in den Romanen von Giorgio Scerbanenco bevorzugt von zwielichtigen Leuten aufgesucht.
Hier erscheint zunächst alles seriös, ein reicher Industrieller fordert Doktor Duca Lamberti auf, seinen Sohn von der Alkoholsucht zu befreien. Schade, dass im Klappentext schon zuviel verraten wird, denn der Leser folgt der Therapie mit Spannung und Seite für Seite ergründet Lamberti die Ursache der Trunksucht des jungen Mannes.
Es geht um ein schlechtes Gewissen, weibliche Freiheit und Mädchenhandel.
Spannend und erfrischend neu für ein Buch von 1966
Am Ende setzt Lamberti einen "Lockvogel" ein, um die Hintermänner verhaften lassen zu können. Erst da versteht er, warum sein Vater, ein Polizeikommissar, bei der Arbeit gewalttätig war.
"Man muss sie mit ihren eigenen Waffen schlagen."
Für den "Lockvogel", das Mädchen bedeutet es nicht den Tod, aber wie wird sie mit den Folgen weiterleben können, in die Hände eines Sadisten, der bei der Mafia gelernt hat, geraten zu sein?
Hier endet das Buch.
Poetisch, spannend, kurzweilig, amüsant und erfrischend neu für ein 1966 geschriebenes Werk.
(K. Ara, www.krimi-forum.de)

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Robert Brack stellt zunächst den aus Russland stammenden Schriftsteller Giorgio Scerbanenco vor, der vor allem mit seiner Krimireihe um den Polizisten und ehemaligen Arzt Duca Lamberti zum "Kultautoren" avanciert sei. Die beiden Arten von Büchern, die Scerbanenco geschrieben habe, weltflüchtende Romanzen sowie Desillusionierungsromane um Protagonisten voller Selbstzweifel, rührten aus den Erfahrungen von Armut und Elend, die der Autor früh als Flüchtling gemacht habe. Besonders in der Figur des Lamberti sind solche Ohnmachtserfahrungen gestaltet, meint Brack. Der Rezensent rühmt dabei Kargheit und Knappheit der Sprache, die Scerbanenco für Lambertis Ermittlungen zur Verfügung steht: eine Prosa "voller unterkühlter Emotionen und poetischer Beschreibungen tief empfundener Verzweiflung".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.07.2018

Im Triumph
keimt das Böse
Giorgio Scerbanenco verdient
endlich einen Platz im Kanon
„Man schreibt, weil man schreiben will“, hat Giorgio Scerbanenco einmal in einer autobiografischen Skizze notiert. „Und eine Eingebung gibt es wahrscheinlich gar nicht. Man tut es, wie man einen Berg Wäsche wäscht oder einen Pullover strickt. Man macht es eben.“ 1911 als Sohn eines ukrainischen Offiziers und einer Italienerin in Kiew geboren und 1969 in Mailand gestorben, gehörte Scerbanenco nicht zu den Autoren, die sich und ihre Profession über die Maßen ernst nehmen. Künstlerallüren waren ihm so fremd wie die Vorstellung, als erfolgreicher Schriftsteller ein glücklicherer Mensch werden zu können.
Jahrelang irrlichterte der Vielschreiber als Outcast durch den italienischen Literaturbetrieb. Er hatte sich als Buchhalter, Dreher in einer Weckerfabrik und Klatschreporter durchgeschlagen, ehe er ganz aufs Schreiben setzte. Ruhelos wechselte er die Genres und brachte mehr als fünfhundert Erzählungen sowie eine nicht genau bestimmbare Anzahl an Schundromanen hervor. Von der Kritik wurde er gemieden, dafür aber viel gelesen von jenen, die sich an den Drehständern der Bahnhofskioske versorgen. Erst kurz vor seinem Tod ereilte ihn doch noch der Erfolg
– so wenig Scerbanenco dieser flüchtigen Chimäre auch traute. Er schuf die Figur des ehemaligen Mailänder Arztes Duca Lamberti und gilt seither als Begründer der modernen italienischen Kriminalliteratur.
Die vier Romane der Duca Lamberti-Reihe spielen in einer dämmrigen Welt der Außenseiter und Durchgedrehten. Da schwelen schon die Konflikte, die bis heute die Stadt Mailand bestimmen. Kultur, Strebsamkeit und Weltoffenheit treffen auf Gier und unverstellte Brutalität. In diesem Zwielicht sucht ein großer Einsamer unbeugsam nach der Wahrheit. Scerbanenco pfeift in seinen erstklassigen Noir-Romanen auf wunderbare Weise auf die Trennung zwischen gehobener Literatur und sogenannter Unterhaltung.
Keine Erklärungen und keine Kompromisse hält er für die trosthungrige Seele bereit, keine Helden geben den Glauben an das Gute zurück. Vielmehr verdichtet Scerbanenco das Aroma der fünfziger und sechziger Jahre in Italien und illustriert es mit den Schicksalen von Menschen, deren Fantasien an den Wänden grauer Mietskasernen in den Vororten zerschellen oder dort aufkeimen, wo die Lichter der Großstadt dunkle Abenteuer versprechen.
Besonders Duca Lamberti vereint sämtliche Widersprüche jener Jahre in sich. Über ihn heißt es: „Ein Arzt wie er, der drei Jahre wegen Euthanasie gesessen hatte, übt auf bestimmte Leute eine große Faszination aus. Zunächst hatten sich alle Mädchen der Gegend an ihn gewandt, die glaubten, schwanger zu sein. Als Nächstes waren die Drogensüchtigen gekommen, ein weites potenzielles Arbeitsfeld. Und im Schlepptau der Drogensüchtigen kamen die Prostituierten mit ihren Infektionen.“
Es kommt häufig vor, dass Autoren, die in Italien längst zum Kanon gehören, hierzulande neu aufgelegt werden, um sie endlich zu etablieren, nachdem der Zeitgeist über sie hinweg gegangen ist. So geschehen etwa mit Büchern von Ennio Flaiano oder Beppe Fenoglio, und eben auch den Romanen Scerbanencos. Nachdem in den Siebzigerjahren die Verlage Heyne und Kaiser und Anfang der Nullerjahre der Wiener Verlag Kremyer & Scheriau versucht hatten, die Duca Lamberti-Serie neu zu lancieren, unternimmt jetzt der ebenfalls in Österreich ansässige Folio Verlag den nächsten Anlauf. Und man wünschte sich, der Versuch möge gelingen.
Denn Scerbanenco lesen heißt, in der Seele Italiens lesen. Schon in den Sechzigerjahren bildete der Italo-Ukrainer das aus, was man in Amerika zwanzig Jahre später „dirty realism“ nannte, die ungefilterte Beschreibung der prekären Lebensumstände seiner Protagonisten. Über die mitleidlose Beschreibung hinaus bedürfen sie keiner Kommentare. Wir sehen das Mailand der kleinen Leute in einer Zeit, in der die Stadt ihre Unschuld verliert. Ein sympathischer Kleinganove schlüpft in die Rolle des kompromisslosen Drogendealers, das kokette Mädchen von nebenan in die Pose der Prostituierten.
Die beiden ersten, nun wieder greifbaren Bände der Duca Lamberti-Tetralogie, „Die Verratenen“ und „Das Mädchen aus Mailand“ stehen exemplarisch für diesen Realismus. Im einen bekommt Lamberti, eben aus dem Gefängnis entlassen, den Auftrag, den Sohn eines wohlhabenden Intellektuellen vom Saufen abzubringen – und deckt dabei einen Mädchenhändlerring auf; im anderen hebelt er eine international tätige Schmugglerbande aus. Trotzdem verliert der Mann nie aus den Augen, dass im Triumph über das Böse von heute bereits die Niederlage von morgen keimt. Denn wie erklärt der ehemalige Arzt einmal mit Blick auf das von Terror, Mord und Korruption unterwanderte Mailand: „Symptom-Bekämpfung? Ja, das geht wohl! Aber dauerhafte Heilung? Nein! Unmöglich!“
PETER HENNING
Giorgio Scerbanenco: Die Verratenen. Aus dem Italienischen von Christiane Rhein. Mit einem Nachwort von Tobias Gohlis. Folio Verlag, Wien 2018. 256 Seiten, 18 Euro.
Giorgio Scerbanenco: Das Mädchen aus Mailand. Aus dem Italienischen von Christine Rhein. Folio Verlag, Wien 2018. 256 Seiten, 18 Euro.
Wir sehen das Mailand der
kleinen Leute in einer Zeit, in der
die Stadt ihre Unschuld verliert
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2018

Die Wunden von Mailand
Der Erfinder des italienischen Kriminalromans: Giorgio Scerbanencos Bücher erscheinen jetzt wieder auf Deutsch

Das Morden gehörte in der englischsprachigen Welt schon seit Jahrzehnten zum Alltag, als in Italien noch alles friedlich war. Polizisten und Privatdetektive waren arbeitslos. Ein Staat ohne Verbrechen braucht keine Krimis, dachte sich Mussolini, als er das Genre erst zensierte und schließlich ganz verbot. Und so gab es für lange Zeit, noch Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, keinen einzigen berühmten italienischen Detektiv. Vereinzelte Kriminalromane verkauften sich zwar ganz gut, doch charismatische Serienfiguren gab es keine. Das Misstrauen gegenüber italienischen Kommissaren ging sogar so weit, dass man den Ermittler der amerikanischen Krimiserie "87th Precinct", Steve Carella, kurzerhand seiner ethnischen Wurzeln beraubte und in der italienischen Übersetzung in Steve Carell umbenannte. Mit italienischen Krimis war kein Geld zu machen. Bis Duca Lamberti kam.

In den sechziger Jahren erfand Giorgio Scerbanenco die erste erfolgreiche italienische Detektivfigur: Duca Lamberti, einen ehemaligen Arzt, der wider Willen zum draufgängerischen Ermittler wird. Sein Erfinder Scerbanenco wurde berühmt, nicht nur in Italien, sondern auch im Ausland, bis er, einige Jahre später, zumindest in Deutschland, wieder in Vergessenheit geriet. Nun erlebt er ein kleines Comeback: In Italien ist gerade ein bislang unveröffentlichter Kriminalroman aus den vierziger Jahren erschienen. Und auch auf Deutsch werden die vier berühmten Lamberti-Romane in einer überarbeiteten Übersetzung vom Folio-Verlag neu aufgelegt.

Giorgio Scerbanenco wurde 1911 als Sohn einer Italienerin und eines Ukrainers in Kiew geboren. Kurz darauf floh seine Mutter mit ihm nach Italien, wo die beiden zunächst in Rom und dann in Mailand lebten. Scerbanenco war ein äußert eifriger Schreiber, der Hunderte Liebes-, Science-Fiction- und Westernromane unter mehr als dreißig Pseudonymen veröffentlichte und als Journalist für diverse Zeitungen und Zeitschriften arbeitete. Kleine Berühmtheit erlangte seine Kolumne "Posta di Adrian", in der er Kummerkastenonkel für die Sorgen der Leserinnen war. Schon in den vierziger Jahren hatte er sich im Schweizer Exil an Kriminalromanen versucht, doch seinen größten Erfolg hatte Scerbanenco mit seiner Lamberti-Reihe, die ihn zum "Vater des italienischen Krimis" machte. Seine Romane und Kurzgeschichten wurden verfilmt, und die bedeutendste italienische Auszeichnung für Kriminalromane, der Premio Scerbanenco, ist nach ihm benannt. Er selbst bekam von all dem nicht mehr viel mit: Giorgio Scerbanenco starb 1969, im Jahr der Veröffentlichung seines letzten Lamberti-Romans, mit 58 Jahren an einem Herzinfarkt.

Der Erfolg seiner Reihe beruhte vor allem auf ihrer Hauptfigur: Duca Lamberti hat seine ärztliche Zulassung verloren, weil er wegen Sterbehilfe zu drei Jahren Haft verurteilt wurde. Ziemlich enttäuscht vom Leben und der Welt zwingt ihn zunächst reiner Geldmangel dazu, immer wieder zwielichtige Aufträge anzunehmen, die Kommissar Carrua, ein ehemaliger Kollege seines Vaters bei der Mailänder Polizei, ihm zukommen lässt.

Nur scheinbar geht es dabei um medizinische Probleme, denn Lamberti wittert immer Größeres. Ein dunkles Geheimnis, eine Ungereimtheit, der er - für den Gerechtigkeit alles ist - unbedingt nachgehen muss. Im ersten Band der Reihe, "Das Mädchen aus Mailand", wird Lamberti von einem reichen Industriellen gebeten, dessen Sohn von seiner Alkoholsucht zu befreien. Schnell wird Lamberti klar, dass es einen Grund für die Trinkerei geben muss und, ist dieser erst einmal gefunden, auch der Alkoholismus geheilt werden kann. Im zweiten Band, "Die Verratenen", soll Lamberti das Jungfernhäutchen einer jungen Frau nähen und gerät durch sie an einen Verbrecherring mit finsterer Kriegsvergangenheit, in dem jeder bereit ist, jeden zu verraten.

In seinem Hass auf Ungerechtigkeit ermittelt Lamberti immer hart an der Grenze zur Selbstjustiz, was ihn nicht unbedingt zu einem sympathischen Charakter macht. Seine Neigung zur körperlichen Gewalt wird manchmal geradezu exzessiv: Ein guter Tritt ins Gesicht hilft da mehr als tausend Worte. Den Falschen trifft es nie, denn die Rollen - "entweder man ist ein Gauner oder man ist keiner" - sind in Scerbanencos Romanen klar verteilt. Es gibt Männer mit "Verbrechergesichtern", die dementsprechend grausam und skrupellos sind. Und Frauen mit rehbraunem Haar und Engelsaura, die sich für die Gerechtigkeit opfern. Zwischentöne sind nicht so gefragt. "Zweideutigkeiten mag ich nicht", sagt dann bezeichnenderweise Livia, eine der Protagonistinnen, und mag Lamberti, weil der es genauso hält.

Auch dann, wenn Männer starke Zigaretten rauchen, weil Männer das eben so tun, und man Homosexuelle, seltsame Wesen mit einem Hang zum Kriminellen, daran erkennt, wie sie sprechen und sich bewegen, wirken die Romane aus der Zeit gefallen. Doch das ist erstaunlich selten der Fall. Denn an anderen Stellen sind sie geradezu modern: Livia hat eine große Leidenschaft für Soziologie, die sich ihrer Meinung nach jedoch viel zu wenig mit der Situation der Frau beschäftigt. Ihr größtes Interesse gilt der Prostitution und der Frage, ob in diesem Umfeld eine Selbstbestimmung der Frau möglich ist. "Venere privata", private Venus, der italienische Titel des ersten Bandes, spielt genau darauf an.

Scerbanenco schildert das Mailand der Wirtschaftswunderzeit, doch nicht von seiner strahlenden Seite. Es ist kein Ort gemütlicher Regionalkrimis, in denen zwar der eine oder andere Mord geschieht, am Ende aber doch das gute Essen überwiegt. Es ist eine düstere Stadt, unter deren Oberfläche es brodelt, auch wenn die Mailänder sich alle Mühe geben, das zu vergessen: "Natürlich lasen sie Tag für Tag im Corriere die übelsten Geschichten, doch schienen diese einer vierten, von einem Einstein des Verbrechens definierten Dimension anzugehören, die noch weiter weg und noch weniger nachvollziehbar war als die vierte Dimension des Einsteins der Physik."

Lamberti kann all das gar nicht verdrängen, weder bei der Detektivarbeit noch privat. Er ist pleite und durch seine Verurteilung in Verruf geraten, seine Kleidung ist abgewetzt, und mit dem wenigen Geld, das er verdient, muss er seine Schwester, alleinerziehende Mutter eines unehelichen Kindes, versorgen. In seiner alten Praxis tauchen nicht nur die zwielichtigen Bekanntschaften ehemaliger Zellengenossen auf, sondern auch Frauen, die sich illegale Abtreibungen versprechen. So kommt er unfreiwillig immer wieder mit dem düsteren Milieu in Kontakt, in dem er später ermitteln wird.

Lamberti ist zwar ein sehr erfolgreicher Detektiv, der nicht nur die kleinen Zuarbeiter und Auftragskiller stellt, sondern ganze Verbrecherringe sprengt - ein Triumph, der den Kommissaren der meisten Mafia-Romane selten vergönnt ist. Dennoch kann man nicht gerade behaupten, dass die Lamberti-Romane ein Happy End hätten: Täter gefasst, nun ist alles wieder gut - diesen Trost gönnt Scerbanenco seinen Lesern nicht. Denn selbst wenn Lamberti den einen oder anderen Verbrecher erwischt, hat die Gerechtigkeit doch nie ganz gesiegt: "Sie mussten das Gesetz befolgen, und manchmal ist das Gesetz merkwürdig, es begünstigt den Verbrecher und bindet dem Ehrlichen die Hände."

Der Einzige, der "immer noch an Knäuel, die entwirrt werden können", glaubt, ist Mascaranti, Lambertis treuer, aber eben auch ein wenig treudoofer Helfer von der Mailänder Polizei. Lamberti dagegen weiß: Manche Fälle sind zu vertrackt, um entwirrt zu werden, und selbst wenn es eine Lösung gibt, so ist sie meist bitter erkauft. Gerade deshalb pflegt er einen fatalistischen Zynismus: "Ach, wie gerne hätte er geschossen, sehr gerne, an geeigneten Zielen fehlt es ja nie."

Obwohl sie sich in ihrer pessimistischen Grundstimmung, ihrer düsteren Atmosphäre und der Härte ihres Protagonisten an amerikanischen Kriminalromanen orientieren, sind Scerbanencos Lamberti-Romane sehr italienische Krimis. Nicht, weil die Protagonisten ab und zu mal "Buongiorno" oder "Prego" sagen, durch hübsche Städtchen fahren und zwischendurch zum Pastaessen einkehren. Sondern in ihrer Art, die italienische Geschichte, den italienischen Alltag und den Umgang miteinander zu beschreiben.

Dass ein Neapolitaner sich eben anders verhält und spricht als ein Mailänder und mit einem Sarden überhaupt nicht zu vergleichen ist, das ist in Italien immer noch so. Mailand, die Industriestadt, die zur Zeit des italienischen Wirtschaftswunders zu boomen beginnt, zieht mittellose Süditaliener in den Norden, ohne dabei all die Verheißungen zu erfüllen, die es versprochen hat. Scerbanencos Romane sind historisch und aktuell zugleich, weil man ihnen anmerkt, aus welcher Zeit sie stammen, die Probleme und Debatten jedoch, die sie beschreiben, auch zu unserer Gegenwart gehören: organisierte Kriminalität, Drogen- und Menschenhandel, Sterbehilfe und die Legalisierung von Prostitution. Gleichzeitig sind sie natürlich geprägt von der Atmosphäre der Nachkriegszeit und erzählen von einer anderen Seite des wirtschaftlichen Aufstiegs: von jungen Frauen, die hoffen, in der Metropole etwas werden zu können, und abrutschen, oder von Kriegsverbrechern, die sich als Anwälte durchschummeln, von einem absurden Verständnis des Katholizismus, bei dem auch ein Zuhälter, wenn er denn heiratet, unbedingt eine Jungfrau ehelichen muss, und von der Mafia, bevor sie in Romanen und Filmen ihr cooles Gangsterimage bekam.

Bei Giorgio Scerbanenco ist sie ein anonymes, schwer zu bekämpfendes Grauen. Lambertis Vater, ebenfalls Polizist, kann ein paar Erfolge im Kampf gegen die Mafia verbuchen und wird prompt von einem Auftragskiller lahmgelegt. Er stirbt zwar nicht, behält aber einen gelähmten Arm zurück, der ihn für den Rest seines Lebens zu Büroarbeit zwingt. Wieder andere werden wegen Schutzgeldes erpresst, oder man schlitzt ihnen das Gesicht auf - nein, so richtig gemütlich ist dieses Mailand nicht. Aber genau das macht Scerbanencos Romane auch nach fünfzig Jahren noch lesenswert.

ANNA VOLLMER

Giorgio Scerbanenco: "Das Mädchen aus Mailand. Duca Lamberti ermittelt". Mit einem Nachwort von Giancarlo De Cataldo. Aus dem Italienischen von Christiane Rhein. Folio, 255 Seiten, 18 Euro

Ders.: "Die Verratenen. Duca Lamberti ermittelt". Mit einem Nachwort von Tobias Gohlis. Aus dem Italienischen von Christiane Rhein, Folio, 256 Seiten, 18 Euro

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