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Der Zusammenbruch des Kommunismus kommt für Anna Levay zu spät. Die verwitwete Lehrerin am Gymnasium einer Kleinstadt am Plattensee kann mit der von ihren ungarischen Landsleuten lange ersehnten Freiheit eigentlich nicht mehr viel anfangen, im Gegenteil. Ihr kleinbürgerliches Leben, in dem sie sich mehr schlecht als recht eingerichtet hat, wird von oben nach unten gekehrt; auf nichts scheint mehr Verlass zu sein. Für die jungen Leute mag die Zukunft ja rosig ausschauen, aber bei einer älteren, alleinstehenden Frau lösen die Veränderungen nur Existenzängste aus. Doch das Leben hält immer…mehr

Produktbeschreibung
Der Zusammenbruch des Kommunismus kommt für Anna Levay zu spät. Die verwitwete Lehrerin am Gymnasium einer Kleinstadt am Plattensee kann mit der von ihren ungarischen Landsleuten lange ersehnten Freiheit eigentlich nicht mehr viel anfangen, im Gegenteil. Ihr kleinbürgerliches Leben, in dem sie sich mehr schlecht als recht eingerichtet hat, wird von oben nach unten gekehrt; auf nichts scheint mehr Verlass zu sein. Für die jungen Leute mag die Zukunft ja rosig ausschauen, aber bei einer älteren, alleinstehenden Frau lösen die Veränderungen nur Existenzängste aus. Doch das Leben hält immer Überraschungen bereit. Eines Abends bemerkt Anna eine seltsame, mit den Händen greifbare Lichterscheinung um ihren Kopf. Erst ist die Lehrerin verwirrt und versucht herauszufinden, was genau da gespenstisch leuchtet, aber es gibt keinen Zweifel: Es ist ein Heiligenschein! Anna kann es kaum fassen, zumal sie eine überzeugte Atheistin ist. Voller Panik versucht sie den Heiligenschein erst zu vers tecken, bis sie zu ihrem Erstaunen feststellt, dass ihre Umgebung ihn gar nicht wahrnimmt. Nur, wer im Zustand der absoluten Unschuld lebt und seit längerem keine Sünde mehr begangen hat, also praktisch nur Babys und Tiere können ihn sehen. Beruhigt lernt Anna, mit ihrer Gloriole zu leben bis sie eines Tages durch Zufall entdeckt, dass sie übernatürliche Fähigkeiten besitzt: Kranke, die sie berührt, werden geheilt; Fische schwimmen von alleine ins Netz, sobald sie am Ufer erscheint. Diese unglaublichen Begebenheiten stellen das Leben in der Kleinstadt völlig auf den Kopf. Als schließlich auch noch eine heiße Heilquelle entspringt, ist der Jubel groß. Endlich scheint der ersehnte wirtschaftliche Aufschwung in greifbarer Nähe. Die ganze Stadt sieht sich schon in Geld schwimmen. Und natürlich gibt es wie immer ein paar Leute, die besonders kräftig profitieren. Wen wundert es, dass diese Leute auch schon im alten System die Nutznießer waren. Nur Anna Levay bringen ihre neuen Fähigkeit en keine materiellen Vorteile, im Gegenteil. Aber sie weiß sich zu wehren... "Irren ist göttlich", die Geschichte über einen fälschlicherweise zugeteilten Heiligenschein, ist eine amüsant zu lesende, wunderbar satirische Studie über eine Gesellschaft, in der hemmungslos dem Götzen Mammon gehuldigt wird und ehrbare Bürger zu den absurdesten Dingen bereit sind, um an Geld zu kommen. "Das Leben selbst", schreibt Agota Bozai, "hat mich zu diesem Roman inspiriert. In der Kleinstadt, in der ich lebe, spielt das Geld bei 99 Prozent der Leute die einzige Rolle in ihrem Leben. Für Geld sind sie buchstäblich zu allem bereit."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2002

Kein Segen, so ein Heiligenschein!
Ágota Bozai schickt Gnade durch die Wasserleitung

Vielleicht war es "irgendein sonderbarer Lichtbrechungsfehler", womöglich handelt es sich aber auch nur um eine besonders massive Seifenblase, schließlich hat Anna Lévay soeben ein ausgiebiges Schaumbad genossen. Doch auch nach dem Abtrocknen will die bizarre Lichterscheinung über ihrem Kopf einfach nicht verschwinden. Die verwitwete Dorflehrerin muß sich damit abfinden, daß sie auf einmal einen Heiligenschein trägt, dessen grelles Licht ihren Schlaf empfindlich stört. Ihre Sorge gilt aber auch den Nachbarn: Wie soll sie denen die mysteriöse Erscheinung erklären?

Glücklicherweise zeigt sich bald, daß ihre Gloriole nur von Menschen wahrgenommen werden kann, die noch keine Todsünde begangen haben. Babys und Tiere reagieren als einzige auf das Zeichen göttlichen Segens. Die Anziehungskraft allerdings, die Anna Lévay ausstrahlt, erweist sich als überaus lästig: Fremde Kinder wühlen in ihrem Haar, Hunde und Katzen hängen sich an ihre Fersen, Möwen umschwärmen ihr geweihtes Haupt. Als sich dann auch noch ein Schwan bemüht, seinen Kopf zwischen Annas Schenkel zu bohren, wird sie "bei dem Gedanken an den Schwan, in dessen Federn sich Zeus versteckt hatte, um Leda zu befruchten", reichlich nervös. Nicht ganz zu Unrecht: Am nächsten Morgen ist, "wie einst zu Sarah, die weibliche Natur zu Anna Lévay zurückgekehrt", die immerhin kurz vor der Pensionierung steht.

Die Heldin der ungarischen Autorin Ágota Bozai war bis zu ihrer Heiligsprechung eine einfache ältere Frau, die immer überzeugt war, Atheistin zu sein. Unscheinbar ist sie, ein wenig übergewichtig, eher praktisch gekleidet, und voller Grimm den Männern gegenüber. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus kann die Nostalgikerin mit den gewonnenen Freiheiten nichts anfangen, auch weil es ihr finanziell schlechter geht als zuvor.

So zeichnet Bozais Vita einer Heiligen wider Willen auch ein Bild der postkommunistischen Gesellschaft Ungarns, zumal ihre Kritik an der Konsumwelt "durch das Leben selbst" inspiriert sei, wie die Autorin sagt. Allerdings schlägt Bozai, wenn sie von den Übeln der neuen Zeit berichtet, immer wieder einen unangenehm belehrenden Ton an - allzuoft beklagt Bozai die "finanziell orientierte" Gesellschaft, in der "das Maß für den Wert eines Menschen der Besitz bestimmter Statussymbole und die Inanspruchnahme gewisser Dienstleistungen" ist. Dabei ist der 1965 geborenen Autorin die Gratwanderung zwischen Realität und aberwitziger Groteske erstaunlich gut gelungen. Der Gefahr, das Erzählte ins Lächerliche zu verkehren, entzieht sich Bozai geschickt. Zeitweilig droht gar ihre Phantasie die Wirklichkeit völlig zu überlagern, denn die Fiktionen der Autorin erweisen sich als reizvoll und ansteckend.

So spricht die Lehrerin urplötzlich alle Sprachen der Welt, übersteht einen schweren Autounfall vollkommen unbeschadet und erlebt staunend, wie sich Wasser zu Wein wandelt. Als sie ihren Kopf minutenlang unter den eiskalten Wasserhahn hält, dringt die Gnade gar in das Leitungssystem des kleinen Dörfchens und findet ihren Weg in jedes Haus. Nierensteine verschwinden, eine Dame, die ihrem Ehemann gerade ein Sodawasser zubereitet hatte, erfährt am Abend "eine nie gekannte Potenz ihres Mannes", jahrzehntelange Migräne verschwindet, Rheuma ist wie weggeblasen, pickelige Haut wird makellos rein, selbst Krebszellen sterben ab.

Kein Wunder, daß der kleine Ort bald das große Geschäft wittert. Wie die konsumkritische heilige Anna dies allerdings durchkreuzt, ist die eigentliche Pointe des Romans.

CHRISTINA ZINK.

Ágota Bozai: "Irren ist göttlich". Roman. Aus dem Ungarischen übersetzt von Christina Kunze. Kremayr & Scheriau, Wien 2001. 282 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Diese "Gratwanderung zwischen Realität und aberwitziger Groteske" findet Christina Zink "erstaunlich gut gelungen", und sie schwärmt von den "reizvollen und ansteckenden" Ideen der Autorin, die in einem kleinen ungarischen Dörfchen plötzlich lauter Wunder geschehen lässt - ausgelöst durch eine "Heilige wider Willen". Die Beispiele, die Zink anführt, geben einen Eindruck davon, dass es sich um ein amüsantes Werk handeln muss, das dabei nie ins Lächerliche umschlägt. Etwas hat die Rezensentin aber dennoch zu bemängeln: Von den "Übeln der neuen Zeit" im postkommunistischen Ungarn werde oft in einem "unangenehm belehrenden Ton" berichtet, schreibt sie.

© Perlentaucher Medien GmbH