Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 98,00 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Das Grundgesetz enthält Freiheitsrechte, die ohne jeden Vorbehalt gewährleistet sind. Diese vorbehaltlosen Freiheitsrechte, etwa die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie die Kunst- und die Wissenschaftsfreiheit, lassen ihrem Wortlaut zufolge Einschränkungen durch den Staat nicht zu. Gleichwohl erlaubt das Bundesverfassungsgericht Einschränkungen auf der Grundlage von kollidierendem Verfassungsrecht, in der Praxis vor allem auf der Grundlage der Grundrechte Dritter. In einer kritischen Auseinandersetzung mit der Verfassungsrechtsprechung zeigt Sebastian Lenz, dass die Handlungsmöglichkeiten…mehr

Produktbeschreibung
Das Grundgesetz enthält Freiheitsrechte, die ohne jeden Vorbehalt gewährleistet sind. Diese vorbehaltlosen Freiheitsrechte, etwa die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie die Kunst- und die Wissenschaftsfreiheit, lassen ihrem Wortlaut zufolge Einschränkungen durch den Staat nicht zu. Gleichwohl erlaubt das Bundesverfassungsgericht Einschränkungen auf der Grundlage von kollidierendem Verfassungsrecht, in der Praxis vor allem auf der Grundlage der Grundrechte Dritter. In einer kritischen Auseinandersetzung mit der Verfassungsrechtsprechung zeigt Sebastian Lenz, dass die Handlungsmöglichkeiten des Staates im Bereich vorbehaltloser Freiheitsrechte differenziert zu betrachten sind. Einerseits ist der Staat zur Einrichtung und Ausgestaltung auch der vorbehaltlosen Freiheitsrechte berechtigt und verpflichtet. Dies folgt aus ihrer leistungsrechtlichen Funktion und ermächtigt den Staat zur Setzung und Durchsetzung von Privatrecht auch mit Auswirkungen auf vorbehaltlos gewährleistete Freiheitsrechte. Das Bundesverfassungsgericht ist im Wesentlichen auf eine Evidenzkontrolle beschränkt, ohne dass es auf die Vorbehaltlosigkeit ankommt. Andererseits enthalten die vorbehaltlosen Freiheitsrechte ein striktes Eingriffsverbot, das nur im Fall einer Kollision mit einer verfassungsrechtlichen Handlungspflicht zurücktreten muss. Solche Kollisionsfälle sind zwar nicht undenkbar, aber doch weitaus seltener als die Rechtsprechung bislang annimmt. Ein Kollisionsfall liegt vor, wenn die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates, konkret der Schutz der Menschenwürde eines Dritten, einen Eingriff in ein vorbehaltloses Freiheitsrecht als einziges Mittel erzwingt. Nur in einem solchen Ausnahmefall ist ein Eingriff zulässig.
Autorenporträt
Geboren 1975; Studium der Rechtswissenschaften in Münster; 2005 Promotion; Rechtsreferendar in Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2007

Zerbrecht nicht das Recht!
Sebastian Lenz fragt, wie weit sich unsere Verfassung dehnen lässt

Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit - wo liegen die Grenzen dieser als unbegrenzt gedachten Freiheitsrechte? Die wegweisende Arbeit von Sebastian Lenz sollte auch in Karlsruhe Gehör finden.

Es war die Absicht der Väter und Mütter des Grundgesetzes, nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Zeit die grundrechtlichen Freiheiten besonders zu sichern. Deshalb haben sie neben den Grundrechten, die durch den Gesetzgeber eingeschränkt werden können, auch nicht einschränkbare, sogenannte vorbehaltlose Grundrechte vorgesehen, wie zum Beispiel Artikel 4 (Religionsfreiheit), Artikel 5 Absatz 3 (Freiheit von Kunst und Wissenschaft), Artikel 8 Absatz 1 und Artikel 9 (Versammlungsund Vereinigungsfreiheit). Allerdings können auch diese Freiheitsrechte nicht grenzenlos sein, weil im Zusammenleben der Menschen und auch gegenüber dem Staat grenzenlose Rechte nicht denkbar sind - sie wären nur ein Freibrief für die Macht des Stärkeren.

Wo aber liegen die Grenzen solcher als unbegrenzt gedachter Freiheitsrechte? Das Bundesverfassungsgericht hat, von der Literatur begleitet, seine Zuflucht zu sogenannten verfassungsimmanenten Schranken aus kollidierendem Verfassungsrecht genommen. Die lassen sich, wenn man sie sucht, auch finden. Daraus hat sich ein breites Ensemble möglicher Einschränkungen ergeben, die zudem, da bereits in der Verfassung selbst enthalten, schon im Wege der Interpretation (durch den Richter) festgestellt werden können. Sie eröffnen ein weites Feld von Abwägungen, unabhängig von Entscheidungen des Gesetzgebers. Vorbehaltlose Grundrechte lassen sich so gegebenenfalls leichter einschränken als solche mit Gesetzesvorbehalt - im Grunde ein wenig überzeugendes Ergebnis.

Hier setzt das Buch von Sebastian Lenz an, und zwar höchst eindrucksvoll. Seine Arbeit ist als Dissertation entstanden, hat aber das Niveau einer Habilitationsschrift höchster Qualität. Sie behandelt das Thema der vorbehaltlosen Freiheitsrechte grundlegend und umfassend und zeigt, dass und wie es möglich ist, die vorbehaltlosen Grundrechte den Intentionen des Verfassungsgebers gemäß als solche ernst zu nehmen und auf dieser Grundlage eine konsistente Dogmatik zu entwickeln. Im Zusammenhang damit sucht sie auch die inzwischen herrschende Doppelqualifizierung der Grundrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte und als objektive Grundsatznormen (Wertentscheidungen) rechtsdogmatisch aufzuarbeiten und in Form zu bringen. Drei Schritte, je wohlbegründet, bestimmen das Konzept.

Erstens stellt der Verfasser neben die klassische Abwehrfunktion der Grundrechte, die staatliche Eingriffe in den gewährleisteten Freiheitsbereich untersagt, eine Leistungsfunktion für diese Freiheit, die ihren Grund, aber auch ihre Grenze in Artikel 1 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes findet, wo es um die Schutzaufgabe des Staates für die Menschenwürde geht. Die anerkannte Ausstrahlungswirkung der Grundrechte (als Grundsatznormen) in den horizontalen Bereich, das Verhältnis der Privaten untereinander, ordnet Lenz dieser Leistungsfunktion zu. Das erweist sich als ein dogmatisch gut begründeter "kühner Griff".

Die Problematik der Drittwirkung der Grundrechte, die leicht zu einer Sozialisierung der eigenen grundrechtlichen Freiheit im Namen von Verfassungswerten und Grundrechten anderer führt, wird auf diese Weise eingefangen und in ihrer verfassungsrechtlichen Geltungskraft auf das Maß des Schutzes der Menschenwürde in der Freiheitsordnung begrenzt. Über diesen gebotenen Mindeststandard hinaus besteht für alle Bereiche des Privatrechts ein weiter gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum, der nur - analog zur Ausgestaltung von Einrichtungsgarantien (etwa Ehe und Familie, Artikel 6 des Grundgesetzes) - auf seine Vertretbarkeit (verfassungs-)gerichtlicher Kontrolle unterliegt.

Zweitens fragt Lenz nach dem genauen Tatbestand der vorbehaltlosen Freiheitsrechte, das heißt nach dem, was sie inhaltlich und der Art nach an Freiheit gewährleisten wollen. Das ist für ihn sehr zu Recht eine Frage sachgemäßer Auslegung dieser Grundrechte - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Statt wie die vorherrschende Meinung und Praxis den Schutzbereich dieser Freiheitsrechte zunächst extrem weit zu fassen und unter Freiheit einfach grenzenlose Beliebigkeit - tun und lassen können, was immer man will - zu verstehen und dann die unerlässlichen Schranken abstrakt und vielfältig aus anderen Grundrechten, Verfassungswerten und ähnlichem herzuleiten, geht es ihm darum, den konkreten Gewährleistungsinhalt des betreffenden Grundrechts zu ermitteln. Dieser erschließt sich nicht allein vom zumeist lapidaren Wortlaut her, vielmehr ist zu fragen: Worum willen, zur Abwehr welcher Eingriffe und Unrechtserfahrungen, zur Erreichung welcher politischen Forderungen wurde das Grundrecht eingeführt oder erkämpft und ist es gewährleistet?

Solche genaue Bestimmung des Grundrechtstatbestandes beziehungsweise Gewährleistungsinhalts drängt Kollisionsfälle mit anderen Grundrechten oder Verfassungswerten von vornherein weit zurück und macht die Suche nach wohlfeilen "immanenten Schranken" weithin überflüssig. Das dient der Integrität der vorbehaltlosen Freiheitsrechte.

Für dennoch verbleibende Kollisionsfälle, die sich nie ganz ausschließen lassen, werden im dritten Schritt präzise Regeln für deren Abarbeitung und Entscheidung entwickelt. Diese unterscheiden sich deutlich von der derzeitigen Abwägungseuphorie und laufen darauf hinaus, dass Einschränkungen und Eingriffe in diese Freiheitsrechte nur dann und insoweit möglich sind, als für den Staat Handlungspflichten aus seiner Schutzpflicht für die Menschenwürde (gebotener Mindeststandard im Sinne des Untermaßverbots) bestehen. Zwar mögen Zweifel bleiben, wieweit damit auch die letzten Problemfälle stringent lösbar sind. Im Hinblick auf das Luftsicherheitsgesetz läuft die nicht ganz konsistente Argumentation des Verfassers wie auch die des Bundesverfassungsgerichts eher in eine Aporie hinein. Aber die Richtung, die Lenz hier einschlägt, verdient volle Zustimmung.

Das Buch insgesamt stellt eine imponierende innovative Leistung dar. Auch wer mit manchen Auffassungen nicht übereinstimmt, wird durch den neuen dogmatischen Ansatz, die gediegene und tief dringende, jeder Polemik abholde Argumentation, die in voller Kenntnis und Würdigung der Literatur erfolgt, reich entschädigt. Vor allem aber fällt die stete Einbeziehung und produktive, gut geführte Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ins Auge, die Lenz zu Recht als Teil unserer Rechtswirklichkeit ansieht. Der Arbeit ist daher zu wünschen, dass sie auch in Karlsruhe Resonanz findet.

ERNST-WOLFGANG BÖCKENFÖRDE.

Sebastian Lenz: "Vorbehaltlose Freiheitsrechte". Stellung und Funktion vorbehaltloser Freiheitsrechte in der Verfassungsordnung. Mohr Verlag, Tübingen 2006. 343 S., geb., 94,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ernst-Wolfgang Böckenförde ist außerordentlich zufrieden mit dieser als Dissertation entstandenen Arbeit. Dem Text bescheinigt er Habilitationsniveau und folgt dem Autor Sebastian Lenz durch seine Argumentation hin zu einer "konsistenten Dogmatik". Sinnvoll findet Böckenförde, dass der Autor den Tatbestand der vorbehaltlosen Freiheitsrechte erst einmal zu klären versucht und nach ihrer sachgemäßen Deutung fragt. "Kollisionsfälle" mit anderen Grundrechten behandelt Lenz in den Augen des Rezensenten "präzise" und abseits von der grassierenden "Abwägungseuphorie". Trotz der ein oder anderen offenen Frage hebt Böckenförde beide Daumen: Innovativ, unpolemisch, kenntnisreich (auch bezüglich der Literatur) und in "produktiver Auseinandersetzung" mit den Entscheidern in Karlsruhe.

© Perlentaucher Medien GmbH