Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 19,00 €
  • Broschiertes Buch

Die in diesem Band gesammelten Arbeiten führen die von Wilhelm Hennis 1982 begonnene Auseinandersetzung mit Max Webers "Fragestellung" weiter. Der Autor konfrontiert die herrschende "systematisch" -soziologische Interpretation mit dem Versuch, das Werk Webers strikt werkgeschichtlich, also aus der Biographie des Werkes heraus zu verstehen. Der für diesen Band neu geschriebene Titelaufsatz dokumentiert erstmals die große Bedeutung des Thukydides für Webers wissenschaftliche und politische Denkart, die ihm durch Wilhelm Roschers Thukydides von 1842, durch Nietzsches Thukydides-Verständnis, vor…mehr

Produktbeschreibung
Die in diesem Band gesammelten Arbeiten führen die von Wilhelm Hennis 1982 begonnene Auseinandersetzung mit Max Webers "Fragestellung" weiter. Der Autor konfrontiert die herrschende "systematisch" -soziologische Interpretation mit dem Versuch, das Werk Webers strikt werkgeschichtlich, also aus der Biographie des Werkes heraus zu verstehen. Der für diesen Band neu geschriebene Titelaufsatz dokumentiert erstmals die große Bedeutung des Thukydides für Webers wissenschaftliche und politische Denkart, die ihm durch Wilhelm Roschers Thukydides von 1842, durch Nietzsches Thukydides-Verständnis, vor allem aber durch Jacob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte erschlossen wurde. Aus Rezensionen zu 'Max Webers Fragestellung' (1987): "(...) Diese Studien sind so intellektuelle Lichtblitze von erhellender Kraft - ich halte die geschlossene Veröffentlichung für ein Ereignis der politischen Theorie und ihrer Geschichte. (...)" Peter Steinbach in Das Historisch-politische Buch 36. Jg. Nr. 1 (1988) S. 2f. "(...) Vornehmlich als Belege dienende, z.T. schwer zugängliche Texte referierende Passagen machen die Lektüre von Hennis' "Werk unabdingbar und zum großen Gewinn und Genuß (...)" Daniel Brühlmeier in Studia Philosophica vol. 51 (1992) S. 259-261
Autorenporträt
Hennis, Wilhelm1923-2012; Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen; 1951 Promotion; 1960 Habilitation; 1960-62 Professor an der Universität Hannover; 1962-67 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg; 1967-88 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br.; seit 1988 Professor emeritus.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.04.2003

Verwandte Seelen?
Wilhelm Hennis liest Weber, der Thukydides las
Karl Jaspers, der Max Weber so hoch schätzte, dass er eine Büste von ihm in seinem Arbeitszimmer aufstellte, widmete dem Verehrten 1932 eine Studie, der er den Untertitel gab „Deutsches Wesen im politischen Denken, Forschen und Philosophieren”. Als Jaspers diese Schrift im Oktober 1946 der Öffentlichkeit wieder vorlegte, hatte er den Hinweis auf das „Deutsche Wesen” entfernt. „Damals”, bemerkte er dazu, habe er „im Ansturm des Nationalsozialismus an echte deutsche Größe” erinnern wollen.
Dem Inhalt des politischen Denkens Max Webers mochte er „zum Teil” für sich und seine Zeit „nur noch historischen Charakter” zubilligen. Tatsächlich lässt dieser Charakter die von Jaspers zitierten Sätze Webers und etliche seiner eigenen bedenklich scheppern. Man kann das alles ein halbes Jahrhundert später unter dem Stichwort „geistige Verirrung” ablegen. Aber wie kam es zu solcher Verirrung?
Der emeritierte Freiburger Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis hat soeben einen weiteren Aufsatzband über Weber veröffentlicht, der an erster Stelle von Weber und Thukydides handelt. Zufällig war dem Autor an seiner Universität ein aus der Bibliothek aussortiertes Buch von Wilhelm Roscher, „Leben, Werk und Zeitalter des Thukydides”, in die Hände geraten. Die 1842 publizierte Habilitationsschrift des Ranke-Schülers hatte Weber als Primaner gelesen und dann noch einmal zwanzig Jahre später in Rom, als er über „Roschers historische Methode” arbeitete. „Auf den 41 Seiten des Roscher- Kapitels” der Wissenschaftslehre notiert nun Hennis, „sind von den 81 Roscher- Zitaten 41 dem Jugendwerk des großen Volkswirts entnommen.” Es kann keinen Zweifel darüber geben, dass Webers Lektüre dieses Buchs wie auch des thukydideischen Werks eine gründliche war.
Wie es dazu kam und in was für einem intellektuellen Umfeld solche Lektüre eingebettet war, schildert Hennis sorgfältig und mit Liebe. Eine untergegangene Welt deutscher Gelehrsamkeit, in der Gymnasium und Universität in gegenseitiger Achtung an der Vermittlung humanistischer Bildung arbeiteten, wird da anschaulich gemacht. Erfreut liest man, auf wie wertvolle aktuelle Forschungsarbeit zu diesem Thema sich der Autor beziehen kann. Zugleich muss Hennis registrieren, dass der Anteil Deutschlands an der „Weltwissenschaft zu Thukydides ... sehr zurückgefallen ist”.
Aber was hat Weber im besonderen aus der Thukydides-Lektüre gewonnen? Hennis bemerkt, dass die „Inkubationszeit” zur Entstehung der „Protestantischen Ethik” mit jenen römischen Jahren, in denen die neuerliche Roscher-Lektüre stattfand, zusammenfällt. Hier erweist sich der Hinweis auf Nietzsche als aufschlussreich, dessen Bemerkungen über Thukydides Hennis große Aufmerksamkeit widmet: „Thukydides als die große Summe, die letzte Offenbarung jener starken, strengen, harten Thatsächlichkeit, die dem älteren Hellenen im Instinkte lag”, wie es in der „Götzen-Dämmerung” heißt. Und Hennis resümiert nach einigen ähnlichen Zitaten: Aufgrund solcher Urteile hätte Weber in Nietzsche eine „verwandte Seele” entdecken können. Dazu passt, was der Autor an einer anderen Stelle seines Aufsatzes feststellt: Die Absage Webers „an die abendländische Denktradition von Platon bis Kant und natürlich Hegel (sei) in ihrer Radikalität kaum je voll wahrgenommen worden”. Hier entdeckt Hennis eine Trennungslinie: „Die politische Wissenschaft in der Tradition des Thukydides” von Machiavelli und Hobbes bis Max Weber und die „Politikwissenschaft, jedenfalls die deutsche, unter dem Einfluss von Leo Strauss, Eric Voegelin und Hannah Arendt”, die sich allenfalls an ihm reibe, „dem ,wertfreien Nihilisten‘”.
War das Weber? Das weiß gewiss niemand besser als Hennis. Aber war das auch Thukydides? Sicherlich nicht. Der harte thukydideische Ton wird fehlinterpretiert, wenn man ihn als Ausdruck einer Haltung auffasst, die die Vernunft „nicht in der Vernunft, noch weniger in der Moral” sehen will, wie Nietzsche es tat – und vielleicht auch Weber. Nicht so sehr hingegen Roscher. Hennis zitiert des von Weber bewunderten Jacob Burckhardt Mahnung zum „Ganzdurchlesen der Autoren”. Nietzsche war ein Häppchenleser. Roscher vielleicht nicht.
Recht des Stärkeren
Aber Roschers Analyse des „Geschichte des Peloponnesisches Krieges” ignoriert die Konzeption der Erzählung im Ganzen und verfolgt analysierend die einzelnen Stränge des Berichteten. Das hat zur Folge, dass etwa „die entsetzliche Grausamkeit, womit das eroberte Melos behandelt wurde”, bei Roscher in dem Kapitel „Recht des Stärkeren” für sich behandelt wird, aber der entscheidende Fingerzeig, den der antike Historiker hierzu gibt, aus dem Blick gerät: Nachdem Thukydides die übermächtigen Athener in dem seither weltberühmten „Melier-Dialog” als rücksichtslose Machtpolitiker vorgestellt hat, fährt er übergangslos fort, indem er über den Sizilien-Feldzug Athens zu berichten anfängt, die große Katastrophe, die das Schicksal der Athener in diesem ganzen Krieg besiegelte.
Wenn Weber hierzu – wie Hennis zitiert – Roschers Schlussfolgerung „Wo zwei Parteien einander bekämpfen, aus Überzeugung oder Notwendigkeit bekämpfen, da haben sie beide Recht; mit andren Worten, da kann von Recht und Unrecht gar nicht die Rede sein” auf dem Vorblatt des Titels annotiert: „Recht und Unrecht”, dann ist Roschers Rezeption noch einmal verkürzt. Mit dem Eindruck, den man unbefangen von der Lektüre des Thukydides gewinnt, hat das kaum noch etwas zu tun.
Thukydides zeigt die Welt, wie sie ist. Hennis hat Recht, wenn er sein Werk deshalb „als großes, vielleicht das größte Einführungswerk in die Welt der Politik” bezeichnet, das die Geschichtswissenschaft hervorgebracht habe. Aber dies Werk ist auch Geschichtsschreibung: Man muss darauf achten, wie etwas geschrieben ist, um zu verstehen, was gemeint ist. Gerade dazu gibt es von Leo Strauss viele Hinweise. Etliche Deutsche im 19. Jahrhundert, noch nicht Roscher, fühlten sich durch die Lektüre des Thukydides entlastet von allzu viel Moral, wenn es um Politik, um Tatsachen, um die Macht ging. „Zur Wiederaufrichtung Deutschlands in seiner alten Herrlichkeit würde ich mich gewiss mit jeder Macht der Erde und auch mit dem leibhaftigen Teufel verbünden, nur nicht mit der Macht der Dummheit.” So zitiert Jaspers Max Weber 1932 und 1946. Für solche Mischung aus Arroganz und Amoralität kann Thukydides nicht in Anspruch genommen werden. Hybris und Katastrophe gehören zusammen: das ist die Lehre der Alten, auch des Thukydides.
JÜRGEN BUSCHE
WILHELM HENNIS: Max Weber und Thukydides. Nachträge zur Biographie des Werks. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2003. 203 Seiten, 29 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2003

Thukydides als Faustpfand
Wilhelm Hennis' schönste Deutungskämpfe um Max Weber

"Ein Kampf um Weber" - so war eine jener großen Rezensionen überschrieben, die Wilhelm Hennis in nicht geringer Zahl der in langsamem Wachstum befindlichen Max-Weber-Gesamtausgabe seit den achtziger Jahren gewidmet hat. Die Rezensionen sind fast alle in dieser Zeitung erschienen; sie sind nun sämtlich in Hennis' drittem Weber-Band enthalten, der soeben erschienen ist und in dem der Autor seinen Kampf um Weber entschlossen fortführt. Nach "Max Webers Fragestellung" (1987) und "Max Webers Wissenschaft vom Menschen" (1996) nun "Max Weber und Thukydides". Abermals geht es um die Deutung des Weberschen Werkes und seiner Biographie und auch: aus der Biographie heraus. Und auch in diesem Fall ist Hennis intellektuell entflammt durch eine besondere Entdeckung, von der aus ein Blick aufs Ganze gewonnen wird.

Hennis' Kampf um die Deutungshoheit über Max Weber und sein OEuvre ist einer an vielen Fronten; was ihn aber am stärksten aufbringt, das ist die Inanspruchnahme Webers für und durch die Soziologie - als "Gründervater", als "Klassiker", als Weichensteller, der dieses Fach auf den Weg gebracht hat. Die Soziologen - seien es nun die theorieambitiösen, seien es die geschichtslosen Gesellen von der empirisch-quantitativen Sozialforschung - sind nicht die Gesellschaft, in der Hennis Max Weber (als einen der Ihrigen) sehen möchte; ein intellektuelles Erbrecht an Weber kommt ihnen nicht zu.

Gegen die Soziologie hat Hennis auf Anthropologie gesetzt, auf "Max Webers Wissenschaft vom Menschen" und vom "Menschentum". Zugleich hat er einen werkbiographischen Schritt rückwärts getan und das lange Zeit eher unbeachtete Webersche Frühwerk (vor der "Protestantischen Ethik", 1904/05) ins Blickfeld gerückt und für reif befunden; von der ganz unbestreitbaren "Soziologie" des letzten Lebensjahrzehnts weiß dieses Frühwerk noch nichts. Und nicht zuletzt rückt Hennis Max Weber - statt ihn am Anfang einer neuen Disziplin zu sehen - in alteuropäisches Abendlicht, nämlich ans Ende einer Reihe großer Denker des Politischen: "von Macchiavelli über Rousseau und Tocqueville bis hin zu Weber". Nicht was aus Weber folgt, ist deutungsmaßgeblich, sondern welche Vorgeschichten in ihm intellektuell zusammenfließen und hier - wohl ein letztes Mal - persönlichkeitsbestimmend zum Tragen kommen. Was er zu sagen hat, hat er als Alteuropäer zu sagen.

Hennis macht sich seinen Reim auf Weber mithin historisch, und genau das setzen die hier zu besprechenden "Nachträge zur Biographie des Werks" entschlossen fort. Vor allem der faszinierende Kopfbeitrag, von dem der Band zu Recht den Titel bezieht, tut dies, tut es auf Thukydides, auf den Historiographen des Peloponnesischen Krieges hin. Die dahin gerichtete Rückwärtsbewegung vollzieht sich bei Hennis vor allem auf zweierlei Art. Einerseits wird in die Biographie des Weberschen Werks auch der Gymnasiast mithineingenommen, seine Schulerfahrung und "Privatlektüre". Das humanistische Gymnasium ist eben der Ort, wo der junge Weber die "hellenische Geisteskultur" in sich aufsog und es lernte, "mit den Augen eines Griechen" zu sehen. Und andererseits und vor allem: Jene alteuropäische Reihe großer politischer Denker, die mit Weber schließt, erhält nun einen neuen, einen klassisch-hellenischen Anfang; Thukydides rückt an die Spitze.

Warum Thukydides? Hier kommt, wenn ich es recht sehe, ein Zu- und Glücksfall zusammen mit einem systematischen Grund. In Hennis' Hände ist - das ist der Glücksfall - ein Exemplar von Wilhelm Roschers "Leben, Werk und Zeitalter des Thukydides" von 1842 gelangt, bei dem es sich "ohne jeden Zweifel um das des Gymnasiasten Max Weber" handelt und in dem dessen Mehrfachlektüre in Gestalt von Randbemerkungen reichliche Spuren hinterlassen hat. Und es war wohl diese Taube in der Hand, die Hennis' Recherchen in Sachen "Max Weber und Thukydides" in Gang gesetzt und ihn sogleich auf Webers ersten wissenschaftlichen Aufsatz nach der schweren Erkrankung (1903) hat stoßen lassen: "Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie".

Die in diesem methodologischen Aufsatz geführte Auseinandersetzung mit Roscher hält sich im Anfangsstück immer neu an dessen "Thukydides", was in der Weber-Exegese bislang gänzlich unregistriert geblieben ist. Der systematische Grund aber hat den Titel "Nüchternheit und Pessimismus" und zielt damit auf die mentale "Wahlverwandtschaft zwischen dem ersten großen historisch-politischen und dem vielleicht letzten Alteuropa zugehörigen politischen Denker". Was Weber wie keinen seiner Zeitgenossen auszeichnet, das ist der rücksichtslos-realistische Blick auf die politisch-sozialen Gegebenheiten, das ist die intellektuelle Rechtschaffenheit, der alles Schön- und Gutfärberische, alle optimistische Schlußwendung verhaßt und verächtlich war.

An diesem eingefleischten Nüchternheitsprinzip hat Nietzsche mitgewirkt, aber auch die christliche Gewissensbildung und, wie wir nun lernen können, das vorplatonische Griechentum. Nietzsche, den Hennis zitiert, hat dieses im Blick auf Thukydides - und in Absetzung gegen den "vermoralisierten" Platon - wie folgt gekennzeichnet: "Thukydides als die große Summe, die letzte Offenbarung jener starken, strengen, harten Thatsächlichkeit, die dem älteren Hellenen im Instinkte lag. Der Muth vor der Realität unterscheidet zuletzt solche Naturen wie Thukydides und Plato." Weber seinerseits spricht mit verwandter Intention an einer Stelle, wo er die okzidentale von der chinesischen Geschichtsschreibung unterscheidet, vom "thukydideische(n) Pragma" der ersteren; ein wahlverwandter Hinweis auf Macchiavelli findet sich - von Hennis unerwähnt gelassen - in nächster Nähe.

Daß es zum Verstehen Webers nötig sei, sein Verhältnis zur Antike, zur "hellenischen Geisteskultur" und auch zu Platon ins Auge zu fassen, diese Aufforderung hat Hennis schon früher an die Adresse der Weber-Forscher ergehen lassen. Daß er diesbezüglich nun so emphatisch auf Thukydides setzt, ist so neu wie auf den ersten Blick einleuchtend. Nur hat es im Weberschen Werk wenig an direkten Anhaltspunkten dafür und sind direkte Bezugnahmen auf Thukydides dort ausgesprochen rar. Aus dieser Beweisnot aber weiß sich Hennis - ausgestattet mit dem Faustpfand des Weber-Roscherschen "Thukydides" - auf wunderbare Art zu befreien, indem er einen ganzen Schatz von griechischen Geschichten im Vor- und Umfeld Webers ausgräbt und zu erzählen weiß. Und das Ganze fügt sich zu einem Gemälde zusammen, in dem noch da, wo weiße Flecken drohen, die Emphase des Autors für die nötige Farbigkeit sorgt.

Die erste Geschichte, die Hennis erzählt, ist die des Schülers Maximilian Weber, der das Kaiserin-Augusta-Gymnasium zu Charlottenburg besucht, daselbst 1882 das Abitur ablegt und dort die eigene zeitgenössische Politik, Sozial- und Kulturwelt auf dem Hintergrund der antiken zu sehen und zu begreifen lernt; immer ist ihm die zeit-, aber nicht textferne Antike so nah, so vertraut, daß noch im soziologisch-komparativen Spätwerk der Vergleich von gegenwärtigen und antiken Sozialformen und -strukturen ganz unmittelbar zur Hand ist.

Auch entdeckt Hennis Max Webers hellenischen Mentor, den acht Jahre älteren und engvertrauten Vetter Fritz Baumgarten, Gymnasiallehrer sowie Autor nicht weniger an die Jugend adressierter Griechenland-Bücher, zudem im engsten familiären Austausch mit den Webers in der Freiburger Zeit seit 1894. Und natürlich vermutet Hennis in Fritz Baumgarten den, "der dem jüngeren Vetter den Roscher als Privatlektüre empfahl"; "wer soll es sonst gewesen sein"? Es folgt Webers Bewunderung für Jacob Burckhardts "Griechische Kulturgeschichte", die er mit Nietzsche teilte, und auch der Hinweis auf Carl Neumann, den Heidelberger Kollegen, der in Basel bei Burckhardt gehört und in der Historischen Zeitschrift im Jahre 1900 die "Griechische Kulturgeschichte", deren ersten Teil, ausgiebig gewürdigt hatte; hier sind Stücke der Korrespondenz mit Weber erhalten. Dann führt der Weg nach Rom, zu dem Ort und der Zeit von Webers Genesung: "die römische Lektüre". Zum Leidwesen des bis dahin so reichbeschenkten Lesers reißen die Erzählungen dann aber hier ab; es folgt nur noch der "Versuch einer Zusammenfassung" mitsamt dem Appell an die "Fachleute", den angedeuteten Pfaden nachzugehen.

Was enthält der Band, sieht man von den erwähnten Rezensionen ab, darüber hinaus? Ich verweise nur auf zwei Vorträge, die hier kennenzulernen sind, zunächst auf "Max Weber in Freiburg", einen Vortrag, der Webers berüchtigter Freiburger Antrittsvorlesung von 1894 gewidmet ist, aus dem man aber auch erfahren kann, "daß Weber an keiner anderen Universität so lange und so intensiv gelehrt hat" wie an der in Freiburg: vom Wintersemester 1894/95 bis zum Wintersemester 1896/97 - ganze fünf Semester!

Und Hennis berichtet auch von dem universitätspolitischen Husarenstück des gerade Dreißigjährigen; kaum ist er da, da setzt er für die Nationalökonomie, für seinen Lehrstuhl also, und ein zugehöriges Extraordinariat die Auswanderung aus der Philosophischen Fakultät durch; die Juristische Fakultät erweitert sich zur Rechts- und Staatswissenschaftlichen. Der Band schließt mit dem Vortrag "Reiz und Aktualität Max Webers" (1997), der ein vorzügliches Schlußstück abgibt, den letzten der Nachträge sozusagen. Der Leser allerdings wünscht sich weitere Nachträge und, wenn es, wie aufs innigste zu wünschen ist, Alter und Gesundheit zulassen, noch einen vierten Band.

HARTMANN TYRELL

Wilhelm Hennis: "Max Weber und Thukydides". Nachträge zur Biographie des Werks. Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2003. 202 S., br., 29,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wilhelm Hennis Band "Max Weber und Thukydides" versammelt zur Freude von Rezensent Hartmann Tyrell die "schönsten Deutungskämpfe um Max Weber" - Hennis' "große Rezensionen" zur Max-Weber-Gesamtausgabe. Nach "Max Webers Fragestellung" (1987) und "Max Webers Wissenschaft vom Menschen" (1996) suche Hennis - "intellektuell entflammt" - auch im vorliegendem Band die Deutungshoheit über Max Weber zu behaupten und gegen die Inanspruchnahme Webers für und durch die Soziologie zu verteidigen, berichtet Tyrell. Das ist ihm seines Erachtens abermals bestens gelungen. Er hebt hervor, dass für Hennis der biografische Ansatz im Vordergrund steht; nicht was aus Weber folge, sei deutungsmaßgeblich, sondern welche Vorgeschichten in ihm intellektuell zusammenfließen und hier persönlichkeitsbestimmend zum Tragen kommen. So nehme Hennis in dem "faszinierenden" Beitrag "Max Weber und Thukydides" in die Biografie des Weberschen Werks auch den Gymnasiasten Weber hinein, seine Schulerfahrung und "Privatlektüre". Aufschlussreich findet Tyrell dabei insbesondere Hennis' Auswertung von Webers mit vielen Randbemerkungen versehenem Exemplar von Wilhelm Roschers "Leben, Werk und Zeitalter des Thukydides" von 1842. Am Beispiel von Webers Beschäftigung mit Thukydides zeige Hennis, dass es für ein angemessenes Verständnis Webers nötig sei, die Antike ins Auge zu fassen. Neben den Rezensionen enthält der Band auch einige Vorträge Hennis' über Weber. Besonders angetan zeigt sich Tyrell dabei von den Vorträgen "Max Weber in Freiburg" und "Reiz und Aktualität Max Webers", der ein "vorzügliches Schlussstück" abgebe.

© Perlentaucher Medien GmbH
…mehr