Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 2,35 €
  • Gebundenes Buch

Man verbringt seine Tage irgendwo im Herzen der Gesellschaft, richtet sich ein, lebt im Großen und Ganzen ein unauffälliges Leben, von außen ist nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Und doch gibt es da in den schwachen Momenten etwas Befreiendes, auch seltsam Bedrohliches, etwas, das einen von einem Moment auf den anderen hinauskatapultieren kann aus diesem Alltag. Stephan Wackwitz` Essays erzählen von dieser anderen Welt, in der es nicht kalkuliert und kontrolliert zugeht, der Welt der Tagträume und Phantasien, der Kunst, einer Welt der Verausgabung und der Erkenntnis. Es ist die Welt neben der…mehr

Produktbeschreibung
Man verbringt seine Tage irgendwo im Herzen der Gesellschaft, richtet sich ein, lebt im Großen und Ganzen ein unauffälliges Leben, von außen ist nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Und doch gibt es da in den schwachen Momenten etwas Befreiendes, auch seltsam Bedrohliches, etwas, das einen von einem Moment auf den anderen hinauskatapultieren kann aus diesem Alltag. Stephan Wackwitz` Essays erzählen von dieser anderen Welt, in der es nicht kalkuliert und kontrolliert zugeht, der Welt der Tagträume und Phantasien, der Kunst, einer Welt der Verausgabung und der Erkenntnis. Es ist die Welt neben der Welt, wie wir sie kennen, in der sich jedoch das Eigentliche ereignet. Und das kann überall sein: In einer Bank und dem Park daneben, in einem japanischen Buchladen, in dem Erwachsenen völlig unverständlichen Reich der Pokemons, beim morgendlichen Teetrinken oder beim Spazierengehen.
Autorenporträt
Stephan Wackwitz, geboren 1952 in Stuttgart, verbrachte 26 Jahre im Ausland und lebt heute wieder in Berlin. Neben zahlreichen Essays erschienen von ihm Romane (»Die Wahrheit über Sancho Pansa«, »Walkers Gleichung«), kulturhistorisch-autobiographische Bücher über Tokio, Osteuropa und den Kaukasus sowie historisch-biographische Bücher über seinen Großvater (»Ein unsichtbares Land«) und seine Mutter (»Die Bilder meiner Mutter«).Literaturpreise:Wilhelm-Müller-Preis 2010Samuel-Bogumil-Linde-Preis 2012Wilhelm Lehmann-Literaturpreis 2016
Rezensionen
Stephan Wackwitz behauptet von sich, beziehungsgestört zu sein. Skandalöserweise findet er das ganz normal. Ist "Selbsterniedrigung durch Spazierengehen" deshalb für Singles unbedingt empfehlenswert? Hm, vielleicht würde er das so nicht unterschreiben. Dennoch liest es sich ausgesprochen amüsant, was Essayist Wackwitz, Jahrgang 1952 und Leiter des Goethe-Instituts im polnischen Krakau, so über sein Leben und Lieben zum Besten gibt. Eben radelt er noch vergnügt mit seiner zukünftigen Ex-Gattin zum Scheidungstermin, schon verbringt er nur wenige Kapitel weiter seinen Weihnachtsurlaub auf besonderen Wunsch seines achtjährigen Sohnes auf Gran Canaria in illustrer Runde: mit seinen ehemaligen Schwiegereltern und der Ex-Ehefrau samt neuem Freund. Und stellt erstaunt fest, wie entspannt der Heilige Abend doch gewesen sei angesichts dieser prekären familiären Konstellation. Ein ausgesprochen unterhaltsames Buch, das die Untiefen des Alltags auf kluge und wortgewandte Weise kommentiert, in jedem Fall höchst lesenswert. (www.parship.de)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2002

Mit Kafka bei den Pokémon
Essay als Hochform: Stephan Wackwitz denkt um sein Leben

Bisweilen springt er einen ja an: der Gedanke, den man noch nicht gedacht hat, der einen selbst überrascht und der sich nicht alsbald als anderswo ähnlich oder besser formulierter und damit als nachvollziehende Erfindung erweist. Man kann ihn begrüßen und feiern, etwa durch Bestellung eines (weiteren) Kaltgetränkes und umgehend im Kreis anderer Verzehrwilliger kommunizieren. Man kann ihn auch notieren und mittels späterer Anreicherung durch mehr oder weniger korrespondierende Zitate aus dem physischen oder virtuellen Zettelkasten zu nobilitieren versuchen. Das gibt dann einen verschwitzt-ängstlichen Strebertext mit Imponierkraft auf Beeindruckbare. Und man kann ihn auf Bereitschaft stellen, mit der Aufgabe, nach Verwandten zu suchen, die ihn stark machen - oder desavouieren. In erstem Falle kann's ein guter Essay werden, im zweiten Fall wird's ein Abort. (Umgangsmöglichkeit vier, obwohl schwer en vogue, soll aus Umweltschutzgründen verschwiegen sein: Gedanken schwatzhaft aufblasen und ungeprüft herauströten.) Gute Essays sind rar, weil gute Essayisten rar sind. Das wird daran liegen, daß es dazu einer speziellen Geisteshaltung bedarf - darauf ist zurückzukommen.

Stefan Wackwitz ist ein getestet guter Essayist, was aber noch nicht automatisch etwas sagt über einen Sammelband mit seinen Essays, denn solche Bücher haben den eingebauten Haken, daß ein lesendes Publikum in ihnen immer dem einen oder anderen alten Bekannten begegnet, in diesem Fall überwiegend aus dem "Alltag" und den zwei größeren Zeitungen aus Frankfurt aus den Jahren 1989 bis 2000. Diese Wiederbegegnung kann nur dann erfreulich sein, wenn die Texte nicht mit der Erstbegegnung schon erschöpft sind und wenn sie implizit miteinander kommunizieren, also mehr darstellen als einen Kessel Buntes.

Für beide Bedingungen kann ein deutliches "Positiv" gemeldet werden. Die alten Bekannten erkennt man wohl im Umriß gleich wieder, sie sind aber leicht facettenreich genug, daß auch die Zweitbegegnung interessant bleibt. Und das Buch mit seinen zehn Texten ist deutlich mehr als die Summe seiner Teile, denn es generiert nebenbei auch ein Lebensbild des Autors, von seiner Kindheit bis zu seinem Aggregatzustand als Miterzieher eines Scheidungskindes. Ein sehr diskreter Bildungs- und Erziehungsroman, der gleichwohl nicht in den Verdacht gerät, die essayistisch traktierten Gegenstände und Verhältnisse nur zum Vorwand zu nehmen, genau diesen abzuspulen.

Er verdankt sich vielmehr der Tatsache, daß Wackwitz sein weitschweifendes generalisierendes Denken immer wieder autobiographisch rückkoppelt. So ist ihm in "Zwei Partys" deutlich die Erleichterung darüber anzumerken, daß er selbst erkannt hatte, daß Partys auch einmal zu Ende gehen müssen, im Gegensatz zu denen, über die er hier schreibt, die Junkies in der Taunusanlage in Frankfurt, die das Ende des Festes nicht registriert haben - und die Bankleute, die deren Areal passieren. (Daß deren Party inzwischen auch und deutlich zu Ende ist, das ist eine andere Geschichte, dieser Essay ist von 1989.)

"Der politikförmige Kollektivwahnsinn der siebziger Jahre riß mich mit wie so viele von uns", heißt es in "Daily Records", 1980 hatte er sich zur Bewerbung auf eine Lehrerstelle, die er aus anderen Gründen dann doch nicht antrat, in Stuttgart auf seine Verfassungstreue überprüfen lassen müssen. In "Deckerinnerungen an den Klassenkampf" steht dazu: "Ich weiß bis heute nicht, ob ich damals eigentlich ein Verfassungsfeind war oder nicht." Daß ihn die Lösung dieses Rätsels offensichtlich heute nicht mehr dringend interessiert, ist atypisch, wo er doch sonst den Weltverhältnissen wie sich selbst im Großen und Kleinen beherzt zu folgen sucht, etwa im Tagebuch und auf sehr ausgedehnten Fußmärschen. Von der Tagebucharbeit ist in "Daily Records" zu lesen, Aufzeichnungen aus über dreißig Jahren, die Material ergeben zu schwungvollen Reflexionen über Langeweile und den Karrierevorteil derer, die Langeweile genießen können. Stalin etwa sei ein Prachtexemplar dieser Subspezies gewesen und dessen Sieg über Trotzki nicht zuletzt auf seine Langeweile-Nehmerqualitäten im kommunistischen Sitzungsgeschäft zurückzuführen.

In "Mein bayerisches Mittelstandsamerika" steht der Satz von "jenem schweifenden, assoziativen Weltverhältnis, was zur intellektuellen Arbeit nun mal notwendig ist". Dieses assoziative Schweifen befähigt ihn intellektuell, den kürzlich und plötzlich abgeflauten Pokémon-Tornado im Kinderzimmer, der auch immer wieder den Geldbeutelinhalt der Erziehungspflichtigen erfaßte, rückzubeziehen auf Erzählwerk und Denken bei Kafka und Borges, und es hat wohl sein körperlich-geistiges Korrelat in den erwähnten Marathon-Fußmärschen des Autors seit Wackwitz' Internatszeit. Damals glich das wohl eher Kerouac ohne Auto und am anderen Ort, aber mit derselben Drogenhilfe, heute führen diese Exkursionen unter anderem in die Bierbuden der Stadtteile von Krakau, die nicht ohne Grund für eher unattraktiv gehalten und deshalb von die (Innen-) Stadt preisenden, durchreisenden Journalisten nicht aufgesucht werden - wahrscheinlich zum Besten aller Beteiligten.

Was die hier, in "Selbsterniedrigung durch Spazierengehen", mitgeteilte Passion über den Autor erzählt, ist, daß er konstitutionell nicht zu den Stubenhockern zählt, ganz im Gegenteil. Das ist in seinem Gewerbe mehr als die halbe Miete. Und selten. Was hier anfangs schlicht als "überraschender Gedanke" bezeichnet wurde, heißt bei Wackwitz "Essayistenepiphanie". Einer wie er darf das. Kein Problem.

BURKHARD SCHERER

Stephan Wackwitz: "Selbsterniedrigung durch Spazierengehen". Essays. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 158 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Sehr gefallen hat dem Rezensenten Dirk Knipphals Stephan Wackwitz' Essayband. Schmunzelnd freut er sich, dass es Wackwitz versteht, fernab von "schwerdenkerischen Posen" die "wirklich wichtigen Themen" anzuschneiden wie die "milde Asozialität der Männer" oder das Spazierengehen, mit unaufdringlicher Belesenheit und in angenehm "schweifenden Assoziationen". Hier begegneten sich "Ironie und Ernsthaftigkeit", "Melancholie und schierer Jux", aus denen der Leser sowohl Spaß als auch Erkenntnis gewinne. Ein Buch voller Überraschungen, befindet der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH