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1965 wurde Andrej Sinjawskij vom russischen Geheimdienst verhaftet und gemeinsam mit seinem Freund Juli Daniel in einem Schauprozess angeklagt. Er erklärte sich für unschuldig und blieb dabei - ein Novum in der Sowjetunion. Das Urteil lautete auf sieben Jahre Zwangsarbeit. In der Zeit schmuggelte er auf abgerissenes Papier gekritzelte Briefe an seine Frau Maria aus dem Lager, die "Eine Stimme im Chor" bilden. Es sind Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, die durch die Freiheit ihrer Gedanken bestechen und vom Überleben mit tiefer Humanität berichten.

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Produktbeschreibung
1965 wurde Andrej Sinjawskij vom russischen Geheimdienst verhaftet und gemeinsam mit seinem Freund Juli Daniel in einem Schauprozess angeklagt. Er erklärte sich für unschuldig und blieb dabei - ein Novum in der Sowjetunion. Das Urteil lautete auf sieben Jahre Zwangsarbeit. In der Zeit schmuggelte er auf abgerissenes Papier gekritzelte Briefe an seine Frau Maria aus dem Lager, die "Eine Stimme im Chor" bilden. Es sind Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, die durch die Freiheit ihrer Gedanken bestechen und vom Überleben mit tiefer Humanität berichten.
Autorenporträt
Sinjawskij (Abram Terz), AndrejAndrej Sinjawskij, die »Stimme Ost-Europas« (Heinrich Böll) wurde 1925 in Moskau geboren, war Dozent am Gorki Institut für Weltliteratur. Seine ersten Bücher stellte Andrej Sinjawskij unter dem Pseudonym Abram Terz vor. Nach Veröffentlichungen im Westen wurde er verurteilt und von 1965 bis 1971 in Lagern interniert, 1973 emigrierte er nach Frankreich, wo er bis zu seinem Tod 1997 als Professor für russische Literatur an der Sorbonne lehrte.

Geier, SwetlanaSwetlana Geier (1923-2010) hat u. a. Sinjawskij, Tolstoi, Solschenizyn, Belyi und Bulgakow ins Deutsche übertragen. Für ihr Werk, das sie mit der Dostojewskij-Neuübersetzung krönte, wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. - In der Reihe Fischer Klassik liegen sämtliche ihrer im Ammann Verlag erschienenen Dostojewskij-Übersetzungen vor: 'Verbrechen und Strafe' (Bd. 90010), 'Der Spieler' (Bd. 90446), 'Der Idiot' (Bd. 90186), 'Böse Geister' (Bd. 90245), 'Ein grüner Junge' (Bd. 90333), 'Die Brüder Karamasow' (Bd. 90114) sowie 'Aufzeichnungen aus dem Kellerloch' (Bd. 90102). Über ihr Leben und ihre Arbeit gibt Swetlana Geier Auskunft in dem von Taja Gut aufgezeichneten Buch 'Swetlana Geier. Ein Leben zwischen den Sprachen' (Bd. 19221).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.07.2009

Hier ist alles ein wenig phantastisch
Die Lager-Aufzeichnungen Andrej Sinjawskijs, des ersten prominenten Opfers eines sowjetischen Schauprozesses nach Stalin
„Potentiell ist jedes Wort Kunst.” Solch ein Satz führt auf viele verschiedene Fährten, bis hin zu dem Credo von Joseph Beuys, jeder sei ein Künstler. Bei Andrej Sinjawskij aber meint der Satz etwas ganz Konkretes. Er zielt auf die gesellschaftliche Sprengkraft, die die Literatur haben kann, wenn sie auf eine offizielle Kunst- und Kulturdoktrin stößt. Sinjawskij wurde von 1965 bis 1971 in verschiedenen sowjetischen Straflagern interniert. Der 1925 geborene, 1997 im Exil in Paris gestorbene Dozent für „Weltliteratur” am Moskauer Gorkij-Institut war der erste prominente Fall eines Schauprozesses nach Stalin.
Schon früh hat sich Sinjawskij das Pseudonym – oder auch: die Spielfigur – „Abram Terz” zugelegt. Unter diesem Namen veröffentlichte der Wissenschaftler seine literarischen Texte und betonte so seine Doppelexistenz. Sinjawskij wurde aus literarischen Gründen verhaftet und verurteilt. Er hatte mit dem „sozialistischen Realismus” nichts zu tun, sondern verfolgte eine „Kunst der Phantasmagorie mit Hypothesen statt Ziel und der Groteske statt Sittenschilderung”. Die Texte, die Sinjawskij im Zuchthaus und im Gulag schrieb, sind 1974 unter dem Titel „Eine Stimme im Chor” im Paul Zsolnay Verlag zum ersten Mal auf Deutsch herausgekommen. Jetzt legt sie der S. Fischer Verlag in einer verbesserten Neuausgabe mit der Übersetzung von Swetlana Geier noch einmal vor.
„Eine Stimme im Chor” besteht aus sechs großen Kapiteln und einem kurzen, abschließenden siebten, die hauptsächlich aus Briefen an Sinjawiskijs Frau zusammengestellt wurden. Im Zentrum stehen nicht Lageralltag und Schwerstarbeit, die die Körperressourcen der Gefangenen schonungslos angreifen. Im Zentrum stehen vielmehr aphoristische Sentenzen, Beobachtungen und Reflexionen, die fast immer um das Phänomen der Kunst kreisen. Die Mischung aus Tagebuch, Essay und poetischen Formeln, die daraus hervorgeht, spricht Sinjawskij wieder seinem literarischen Doppelgänger Abram Terz zu – einem jüdischen Ganoven aus Odessa, dem im kriminellen Untergrund der Sowjetunion etliche Lieder gewidmet wurden. Abram Terz bildet somit auch das Bindeglied zwischen Sinjawskij, dem fast Einzigen, der aus politischen Gründen interniert worden war, und den sonstigen Verbrechern im Lager. Vor allem aber ist er die Figur, mit der Sinjawskij die Qualen des Alltags überstehen lernt: In Terz formiert sich die Gegenwelt der Kunst, der die kruden, brutalen Erscheinungsformen des Lagers wenig anhaben können. Diese Funktion der Kunst als Überlebensmittel ist das Charakteristische an Sinjawskijs „Werken des Abram Terz”. Die Kunst ist hier ein der Existenz abgerungenes zweites Leben, das hinter dem äußerlich sichtbaren ersten zum Vorschein kommt. Sinjawskij gelingt es, während der Lagerzeit selbst deren schwerste körperliche Strapazen mit den Augen der Figur Abram Terz als Kunstwelt zu erleben: „Hier ist alles ein wenig phantastisch: die Menschen und die Dinge.
Alles gleicht ein wenig einer ‚erdachten Welt’. Ströme von Erwartungen (eines Endes: der Haft, des Lebens, der Welt) machen die geringste Tatsache ungeheuer erregend.” Und so hält er in den Briefen an seine Frau die kleinen Details fest, auch Aussprüche seiner Mitgefangenen („Der andere ist stärker. Aber der hat mehr Mumm.”) Alles, was ihm im gleichförmigen Alltag widerfährt, erlebt er als eine spezifische Form der Kunst, die ihm auferlegt ist, die ihn aber auch schützt: „Welch einen Hokuspokus treibt die Kunst, über alles auf der Welt schreibend, während sie eigentlich nur über sich selbst schreibt – darüber, wie sie ist – und in die Betrachtung des Selbstporträts versinkt.”
Sinjawskijs Gedanken kreisen anfangs um den Nullpunkt, an dem er sich befindet, und widmen sich in den folgenden Kapiteln einzelnen Themenkomplexen zu, mit denen er seine eigene Biographie und seine Überzeugungen auffächert – Religion, Geschichte, Verbrechen, wissenschaftlichen Diskursen, dem Schreiben. Er rekapituliert verschiedene Formen von Ikonen oder georgische Miniaturen aus dem 17. Jahrhundert mit dem „Ritter im Tigerfell”, in denen Sonne und Mond „als zwei Gesichter über die Ereignisse wachen”. Bei allen Aktionen und heftigen Handlungsverläufen gibt es diesen Moment der Zeitlosigkeit, diesen Zustand von Dauer. Exkurse gelten aber auch unmittelbaren Leidensgefährten wie dem großen Lyriker Ossip Mandelstam, der Anfang der vierziger Jahre in einem sibirischen Straflager umkam, oder dem Sezierer der russischen Seele Dostojewskij.
Die Spannung zwischen Kunst und Leben scheint, so wie sie in Sinjawskijs Zeitdokument existiert, einer vergangenen Epoche anzugehören, einer geschichtlichen Situation, in der die Kunst wirklich ganz absolut für das „Andere” stehen konnte. Und doch hält sie, auf eine zeitlos beeindruckende Weise, die Erinnerung daran wach, wozu Kunst in der Lage sein kann. Es berührt merkwürdig, was Sinjawskij notiert, als er nach fünf Jahren freigelassen wird und zum ersten Mal wieder den „kostbarsten und erregendsten Geruch” wahrnimmt: „Sie denken vielleicht – Rosenduft? Nein – der Modergeruch der Bücher.” HELMUT BÖTTIGER
ANDREJ SINJAWSKIJ: Eine Stimme im Chor. Die Werke des Abram Terz. Aus dem Russischen von Swetlana Geier. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Taja Gut. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2009. 332 S., 29,90 Euro.
Der russische Schriftsteller Andrej Sinjawskij im französischen Exil Foto: Ingrid v. Kruse
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Tief beeindruckt zeigt sich Rezensent Ulrich M. Schmid vom Werk des russischen Schriftstellers Andrej Sinjawski, dessen in sowjetischer Lagerhaft entstandenes Buch "Eine Stimme im Chor" als zweiter Band der deutschsprachigen Werkausgabe jetzt vorliegt. Als Abraham Terz entzog er sich sowohl der Existenz des staatstreuen Sowjetbürgers wie des Dissidenten und verschrieb sich stattdessen radikal der Kunst, die selbst im sibirischen Lagerleben das "ästhetische Potential" sieht, erklärt der Rezensent. "Eine Stimme im Chor" schrieb der Autor während der Haft, die Textteile wurden in Briefen an seine Frau aus dem Lager geschmuggelt und später wieder zusammengesetzt, erzählt Schmid. Sinjawski alias Terz interessierte sich nicht für die politischen Hintergründe oder die Lebensumstände im Arbeitslager, ihm ging es allein um die Kunst, und so wird ihm beispielsweise auch die unmenschliche Kälte Sibiriens zum "ästhetischen Phänomen", so der Rezensent fasziniert. Dabei versammelt das Buch aber nicht nur kunstphilosophische Betrachtungen, Aphorismen und Alltagsszenen sowie literarische Essays über Swift, Achmatowa oder Mandelstam, auch die Stimmen der anderen Lagerinsassen werden hörbar und demonstrieren damit Terz' "Volksverbundenheit", so Schmid. Für ihn ist "Eine Stimme im Chor" ein "weises Buch", das trotz seiner Vielstimmigkeit durch "innere Einheit" überzeugt. Schmid ist jedenfalls froh, dass das Werk des 1998 verstorbenen Autors nun endlich die verdiente Aufmerksamkeit bekommt.

© Perlentaucher Medien GmbH
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