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Sie schlafen nicht. Ob Unternehmensberater, Online-Redakteur oder Key Account Managerin: Sie schlafen nicht. Denn es geht um Organisation, um Content, um Kommunikation. Sie erzählen von unserer Arbeitswelt, von ihrem Leben mit der Droge Arbeit, von Hierarchien, Erfolg und Privatleben. - Ein Porträt der Menschen in unserer Gesellschaft, von denen man sagt, daß sie unsere Gegenwart gestalten.

Produktbeschreibung
Sie schlafen nicht. Ob Unternehmensberater, Online-Redakteur oder Key Account Managerin: Sie schlafen nicht. Denn es geht um Organisation, um Content, um Kommunikation. Sie erzählen von unserer Arbeitswelt, von ihrem Leben mit der Droge Arbeit, von Hierarchien, Erfolg und Privatleben. - Ein Porträt der Menschen in unserer Gesellschaft, von denen man sagt, daß sie unsere Gegenwart gestalten.
Autorenporträt
Kathrin Röggla, 1971 in Salzburg geboren, lebt in Berlin. Sie wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, u.a. mit: Alfred-Döblin-Stipendium, Reinhard-Priessnitz-Preis, Österreichisches Staatsstipendium für Literatur. Im Jahr 2012 erhielt sie den "Mainzer Stadtschreiber-Preis", ein Literaturpreis, der jedes Jahr von den Fernsehsendern ZDF und 3sat und von der Stadt Mainz verliehen wird.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.2004

Klettern im Kontrollgebirge
Ohne Auszeit: Kathrin Röggla nimmt die Wirtschaft zu Protokoll

Manchmal, von Nebentischen in Restaurants oder in Flughafenwartehallen, wehen einem solche Gesprächsfetzen zu, von denen man reflexhaft annimmt, sie seien Teil einer naturgemäß oberflächlichen, aber irgendwie wirklicheren Welt: der Welt des "content-managements", der "mckinsey-kings" und der "html-sklaven", der "start-up-bürschchen" und "top-performer": "klar, wir sind alle nur menschen! - aber sag das mal jemandem auf den kopf zu!"

Kathrin Röggla hat solche Sätze mitgeschrieben, Ergebnis längerer Interviews mit Menschen, die unter den Druckverhältnissen der New Economy arbeiten und sprechen, vor allem unter den Extrembedingungen einer Messe. "Wir schlafen nicht" ist annonciert als Roman; nach "Abrauschen" und "Irres Wetter" der dritte der 1971 in Salzburg geborenen, in Berlin lebenden Autorin. Zunächst ist es eine Art Jargonprotokoll, ein Originaltonhörspiel zum Lesen: So reden sie, so denken sie, der Chef und die Praktikantin, der Senior Associate und die Key-Account-Managerin, Erfolgsdrogensüchtige allesamt, gefangen hinter Firmenwänden. Sie schlafen zuwenig, denn "das kommt nicht so gut". Nur hin und wieder "eine stunde killerschlaf", mehr ist nicht drin, wenn man den "workflow" halten will - der Treibstoff ist Adrenalin.

Der permanente Schlafentzug läßt die Sprache brüchig werden; hinter den Oberflächen aber regieren die Sach- und Funktionszwänge und die Lebenslügen, von der Erzählerin in feinste Kleinschreibung und überwiegend indirekte Rede transkribiert. Bisweilen lassen Rückfragen auf die Fragen der Reporterin schließen. Ob man schon jemanden kollabieren gesehen habe? Wieviel man am Tag rede? Sei man schon Alkoholikern begegnet? - Meist aber bleibt die Fragende unsichtbar, ist ganz Ohr, notiert Nonverbales allenfalls als "(hustet)" oder "(lacht)" - wenn etwa einer von sich sagt, er sei schon "ein bißchen eine faschopersönlichkeit".

Im großen Redestrom finden sich kühne Bilder: "man muß ja nicht gleich ein kontrollgebirge sein", sagt die Key-Account-Frau, "man muß ja nicht gleich ein kontrollgebirge sein, aber etwas größer soll es schon sein, das felsmassiv, das man in sich zur verfügung hat mit einfahrt und ausfahrt, die man eben auch manchmal geschlossen zu halten hat im arbeitsalltag." Zwischen den je eigenen Persönlichkeitsversteinerungen der schlaflosen Funktionierer klettert die Erzählerin herum, sammelt und überspitzt noch manche interessante Sprachdeformation: eine "will ja mehr so ihr handy im see versenken", eine spürt im Businesshotel unter den reisenden Herren eine "üble pornoübereinstimmung", am nächsten Morgen trifft man sie dann frühstückend im "mövenpickpastelldickicht", und es geht darum, hier "ja nur kein bret-easton-ellis-gefühl aufkommen" zu lassen.

Ist es eine Komödie, ist es eine Tragödie? - Es ist jedenfalls nicht lustig und meistens erbärmlich, ein streckenweise im Short-cuts-Verfahren montierter Ödnis-Diskurs, aber ohne Erbarmen, manchmal hart am Denunziatorischen. Eine Serie von Polaroids aus kaputten Leben, in hartem Licht, und daß es den Porträts an Tiefe fehlt, liegt nicht nur am kritischen Bewußtsein der Fragenden. Da mag wohl auch nicht viel mehr zu holen gewesen sein. Das Montagematerial wird in 32 Kleinkapiteln geordnet, die "positionierung" heißen oder "privatleben" oder "erst mal reinkommen (die praktikantin)". Am Rande ist zu erfahren, daß die Key-Account-Managerin ein Problem mit der Online-Redakteurin hat und diese mit dem Alkohol. Oder wie das Verhältnis eines Senior Associate zum nächsthöheren "Partner" durch eine nächstniedrige Autoklasse bestimmt wird und wie bei ihm "das sogenannte private" zu Panikattacken führte; er brauche die "challenge", eine "auszeit habe ihn beinahe umgebracht".

Genau dies aber hatten wir, denen solche Sätze manchmal von Nebentischen zuwehen, längst vermutet. Diese Leute sind wahrnehmungsgestört und beziehungsunfähig, und ihr Pragmatismus ist barbarisch. Sie sind ebensogut Täter wie Opfer der globalisierten, neoliberalen, postpostmodernen, posteuphorischen Wirtschaftsverhältnisse; wer hätte das gedacht.

Die Dramaturgie der bröckelnden Fassaden, der Rögglas Text lange folgt, ist nicht eben überraschend. Man muß sie nur lang genug reden lassen, dann entlarven sie sich von ganz allein - die Technik könnte sich die Interviewerin bei den Kommunikationsprofis abgeguckt haben. Wo die Entlarvungen aber schon an der Oberfläche hinreichend offenbar werden, wird die Betrachtung des Elends anderer bald fad, und lange bleibt eine Rückfrage gleich auf der ersten Seite quälend unbeantwortet: "ach, keine journalistin? was dann?"

Fast hätte man diese Schlaflosenprotokolle für ein ordentliches, vielleicht etwas kapriziöses Stück Journalismus gehalten, da gleiten die Stimmen der Gestörten kaum merklich ab. Von rätselhaften Hubschraubergeräuschen ist auf einmal die Rede, vom Verschwinden einer Gruppe, von panisch rennenden Menschen, "wie sie mit ihren wehenden mänteln und anzügen über das messegelände gelaufen seien, dem ausgang entgegen", von "alarmstimmen" und dann "bürostille", Tod des Chefs. Nach der Katastrophe sind sie aber alle wieder da, Gespenster am toten Mann, wer weiß wie lange schon Untote. Röggla verspielt den Einfall zum Glück nicht polemisch als Gruselpointe; und so findet sich erst am Ende, im souveränen Spiel der Ambivalenzen, eine Antwort auf das "was dann?" der ersten Seite. Journalismus ist es bestimmt nicht, aber den "Roman" rettet es auch nicht.

Vielleicht ist Rögglas Text Opfer seiner multimedialen Verwertungsstrategie geworden. Eine Hörspielfassung ist bereits vom Bayerischen Rundfunk gesendet, ein Theaterstück wird im April in Düsseldorf uraufgeführt. Das mag in der Zuspitzung funktionieren. Rögglas Romangespenster aber bleiben auf die Länge allzu geheimnislos. Am ehesten prägt sich eine "traurige handy-telefonistin" auf dem Messegang ein: "den kopf geneigt, das eine ohr zugehalten, das andere ans gerät gepresst, stehe die dann unvermittelt vor einem da: ,ja, ja, ja, ja', wie zum mitschreiben hingeschneit auf irgendeinem flur, in irgendeinem übergang von halle zwei zu halle vier. ,ja, ja, ja, ja.'"

HOLGER NOLTZE.

Kathrin Röggla: "Wir schlafen nicht". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 223 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sprachlich interessant, aber leider ohne Erkenntnisgewinn, so lässt sich das Resüme von Holger Noltzes Rezension ziehen. Er hat Kathrin Röggla wohlwollend dabei beobachtet, wie sie "zwischen den je eigenen Persönlichkeitsversteinerungen der schlaflosen Funktionierer" herumklettert, einsammelt und anschließend überspitzt wiedergibt, was sie an Funden sprachlicher und damit seelischer Deformation zusammengetragen hat. Ihr Roman sei deshalb in erster Linie ein "Jargonprotokoll, ein Originaltonhörspiel zum Lesen: So reden sie, so denken sie, der Chef und die Praktikantin, der Senior Associate und die Key-Account-Managerin." Und allesamt sind sie kaputt und innerlich zerrüttet. Aber haben wir uns das alles nicht schon vorher gedacht? fragt sich Noltze und bemängelt die immergleiche "Dramaturgie der bröckelnden Fassaden". Und so fällt sein Urteil trotz einer guten erzählerischen Idee im hinteren Teil des Buches insgesamt negativ aus: "Rögglas Romangespenster bleiben auf die Länge allzu geheimnislos."

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.08.2004

Und doch sagt der viel, der schlaflos sagt
„all das short sleeping, quick eating und diese ganzen nummern” - Kathrin Rögglas Turbo-Protokoll der neuen Arbeitssitten
Unsere jungen literarischen Frühaufsteher sind politisch in der Regel große Schläfer. Wenn politisch Alarm geschlagen wird, schlagen sie sich das Kissen über den Kopf und dösen weiter ihren unschuldigen Kindheitstraum. Kathrin Röggla schien da eine Ausnahme zu sein. Als in New York der Terror in die Twin Towers einbrach, lebte sie als Stipendiatin des Deutschen Literaturfonds im unmittelbaren Umkreis des Anschlags. Und Kathrin Röggla schläft nicht, zwei Monate später liegt ihr Buch vor - „really ground zero”. „jetzt also habe ich ein leben, ein wirkliches”, hieß damals der erste Satz ihres aufgeweckten Erfahrungsprotokolls. Nach all den Medienschleifen kehrte die Wirklichkeit in die Sprache zurück, und Kathrin Röggla bezog Posten. So hat sie seit dem Terroranschlag mehr als ein „wirkliches Leben”, über Nacht wurde sie eine literarische Marke.
Auch in „wir schlafen nicht” vernimmt man von der ersten Seite den Röggla-Sound. Ihr neues Buch sollte ein atmosphärisch vielstimmiger Bericht aus der zugerichteten neuen Arbeitswelt sein. Die 1971 in Salzburg geborene, heute in Berlin lebende Autorin hat dazu keine Recherchemühen gescheut. „diesem text liegen gespräche mit consultants, coaches, key account managerinnen, programmierern, praktikanten usw. zugrunde”, heißt es auf dem Vorblatt. In zweiunddreißig Kapiteln entwirft sie in fremden und entfremdeten Stimmen Reflexionen aus dem beschädigten neuen Arbeitsleben. Röggla ist eine konsequente kleinschreiberin, was aber nicht indizieren soll, dass sich hier ein poetisches Ich in den eigenen Seelenhaushalt zurückzieht. Vielmehr duldet der neoliberale Markt scheinbar keinen Rest, alles Innere wird nach Außen gestülpt. Ihre ökonomischen Figuren, die sie im Buch immer wieder auftreten lässt, sprechen in dritter Person von sich. „Möglicherweise könnten das andere, aber er sei nicht der typ, der 24 stunden eine rolle spiele, nein, das sei er nicht.” Da mag man noch sehr auf Authentizität pochen, in Rögglas Welt gibt es kein Entrinnen aus der Entfremdung.
„Vollsynchron” mit der Gegenwart zu notieren, war bisher ihr erstes Schreibethos. Da verwundert schon, dass sie etwas großschreibt, was längst alle wieder kleinschreiben - die schrecklich schöne Welt der New Economy. Röggla nimmt all die „key account manager” und „senior associates”, die als Übergangshelden längst Gegenstand historisch melancholischen Angedenkens sind, noch einmal beim überdrehten Wort und „wording”. Aber der Börsenboom ist lange Zeit her. Wie weit weg wirkt vom Stillstand unseres Tages heute die alte beflügelte Hochstimmung des Marktes. Schlafen wir nicht längst wieder, und täte uns etwas Bewegung und Beschleunigung nur allzu gut? Jedenfalls dürften viele „startup-bürschchen”, die sich in den Neunzigern Gedanken machten, wie sie im Sinne der Effizienz - „all das short-sleeping, quick eating und diese ganzen nummern” - den Schlaf am besten austricksen könnten, morgens wieder ausschlafen. Rögglas Präsens über die neue Welt der Ökonomie hat etwas ungewollt Historisches. Da mag Rögglas atemlose Prosa noch so nach vorne drängen, die Geschichten von den flexiblen Zurichtungen der New Economy, die sie aufwärmt, sind von Gestern. Warum heute noch so viel Lärm machen über die längst vergangenen „90er-jahre-geräusche”?
Gewiss, kaum eine junge Autorin schreibt so sprachlich gewitzt, kreativ und originell wie Röggla. Und auch in „wir schlafen nicht” gewinnt sie den Verrenkungen, die die neue Arbeitswelt mit sich führt, wunderbare Pointen ab. Genau weiß sie den Oberflächenjargon der Jetztzeit wieder zugeben. Ohne viel Federlesens kann man ihr Buch so als kongeniales Art-Consulting zu all den anderen Consultants ihres Buches stellen.
Aber will Röggla es so verstanden wissen? Will sie nicht mehr als unterhalten? Röggla selbst hat in einem Gespräch einmal ihr Schreibverfahren als „hysterische Affirmation” gekennzeichnet - und das war kritisch gemeint. So wartet man nun gespannt, wann die Autorin, die sich heimlich in die fremde Arbeitswelt eingeschlichen hat, kritisch explodiert. Aber die literarische Schläferin wacht nicht auf, von Kapitel zu Kapitel geht dagegen ihre eigene Stimme im allgemeinen Grundrauschen des Textes verloren. Röggla schafft es nicht, eine zwingende Haltung zur ihrem ökonomischen Gegenstand zu gewinnen. Ästhetische Verfremdungstechniken sind ja beileibe nicht das Vorrecht der Literatur. Vielmehr hat die Werbung vorgemacht, wie mit Verfremdung und Simulation virtuos und kunstvoll gespielt werden kann. Man darf das ästhetische Potential der Wirtschaft nicht unterschätzen.
So fremd sind Rögglas Erzähltechniken den modernen Markttechniken nicht. Wie jedes moderne Unternehmen hat auch Rögglas „roman” flache Hierarchien; die einzelnen Kapitel stehen zwanglos nebeneinander, ohne dass sich daraus ein klarer Handlungsfaden ergäbe. Alles psychologische Prunkwerk, das ihren ökonomischen Figuren erst unverwechselbaren Charakter geben würde, hat Röggla in ihrer veräußerlichten Schreibweise wegrationalisiert. Scheinbar geht nicht nur in der modernen Ökonomie, sondern auch in der jungen Literatur der „mckinseyking” um.
Man braucht kein Freund der entschleunigten Schnecken-Prosa der Alten zu sein, um am Ende des Buches literarisches Unbehagen zu spüren. Was man nach diesem Turbo-Protokoll der neuen Arbeitssitten vermisst, ist der alte Formenreichtum literarischer Schönheit, der noch immer das wirksamste Antidot gegen beschleunigte Marktgesetze ist.
STEPHAN SCHLAK
KATHRIN RÖGGLA: wir schlafen nicht. roman. S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 223 Seiten, 18,90 Euro.
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