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Eine junge Frau sucht noch einmal die Stätten ihrer Kindheit auf. Sie wandert durch die verlassen daliegenden Räume des großen alten Herrenhauses, das nun zum Verkauf ansteht, und streift durch seinen verwilderten Park. Sie erinnert sich an Szenen ihres Lebens aus der Zeit, als sie sechs Jahre alt war und ihre Welt vor allem aus diesem Haus und seinem Garten bestand, den sie und ihr etwas älterer Bruder mit phantastischen Spukgestalten und Naturgeistern bevölkert und zu einem abenteuerlich-verwunschenen Reich gemacht hatten. Elizabeths Erinnerungen sind von Anfang an überschattet von dem…mehr

Produktbeschreibung
Eine junge Frau sucht noch einmal die Stätten ihrer Kindheit auf. Sie wandert durch die verlassen daliegenden Räume des großen alten Herrenhauses, das nun zum Verkauf ansteht, und streift durch seinen verwilderten Park. Sie erinnert sich an Szenen ihres Lebens aus der Zeit, als sie sechs Jahre alt war und ihre Welt vor allem aus diesem Haus und seinem Garten bestand, den sie und ihr etwas älterer Bruder mit phantastischen Spukgestalten und Naturgeistern bevölkert und zu einem abenteuerlich-verwunschenen Reich gemacht hatten. Elizabeths Erinnerungen sind von Anfang an überschattet von dem Wissen, dass all dies Glück wenige Jahre später zerschellte und der hochverschuldete Landsitz aufgegeben werden musste. Helena McEwens Debütroman "Das große Haus" ist ein Kindheitsroman von erstaunlicher poetischer Kraft. Es gelingt der Autorin, die Trauer über den Verlust des Unwiederbringlichen in Bildern beglückender Erinnerung aufgehen zu lassen.
Autorenporträt
Helena McEwen, die 1961 geboren wurde und auf Marchmont in Schottland, dem Stammsitz ihrer Familie, aufwuchs, hat zunächst ein Kunststudium absolviert und ist mit eigenen künstlerischen Arbeiten hervorgetreten, bevor sie sich der Schriftstellerei zuwandte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2001

Wenn im Flur kein Licht brennt
Exil im Kinderzimmer: Helena McEwens Debütroman · Von Felicitas von Lovenberg

In den letzten Jahren schien es vor allem in Großbritannien eine schriftstellerische Pflicht zu sein, sich den prägenden Jahren der Kindheit zu stellen. Oft sind die Autoren dieses Genres noch keine dreißig Jahre alt. Ihre Berichte gehen hart zur Sache: Sie handeln von Kindesmißbrauch, von verprügelten Müttern und egomanen Vätern, von Alkohol- und Drogenexzessen - man denke nur an Andrea Ashworths Memoir "Als unser Haus in Flammen stand".

Unter diesen Erzählungen aus Kinderperspektive nimmt sich ein autobiographischer Roman, der in einem Herrenhaus zwischen Kindermädchen und Ahnenporträts spielt, ungewöhnlich aus. Elisabeth, die Erzählerin, wächst auf einem weitläufigen Landsitz in Schottland auf. Hier gibt es viel Wald, einen Kirschgarten und Löwen aus Stein. Von den zahlreichen Geschwistern - die Familie ist katholisch - ist sie die jüngste. "Das große Haus" wimmelt von Menschen: die unnahbare Mama, der liebevoll selbstversunkene Papa, jede Menge Bedienstete und dazwischen immer wieder amerikanische Besucher, die für den Aufenthalt beim schottischen Adel wohl einige Dollar springen lassen. Von im Luftzug vorbeirauschender Kleider unmerklich schwingenden Leuchtern, von langen kalten Korridoren und britischem stiff upper lip ist diese Atmosphäre durchdrungen. Wehten nicht aus dem Trakt der Dienstboten gelegentlich Fetzen von Popmusik und klapperten die Zimmermädchen nicht ab und zu mit ihren Plateau-Absätzen - man glaubte sich eher ins neunzehnte Jahrhundert versetzt als in die späten Sechziger.

Der Roman setzt gut zwanzig Jahre später ein mit Elisabeths letztem Besuch in ihrem Elternhaus, das zum Verkauf steht. Vor wenigen Monaten hat ihr Lieblingsbruder James wegen seiner Alkohol- und Drogensucht Selbstmord begangen, kurz darauf ertrank ihre Schwester Kitty. Als Elisabeth durch die ehemals vertrauten, nun leer starrenden Räume geht, erinnert sie sich an die gemeinsamen Kindertage - und schon nimmt Helena McEwen den Leser mit in eine andere Welt, aus der keine Zeile mehr in die Gegenwart zurückführt.

Die kleine Elisabeth, von allen "Specky" genannt, ist gerade sieben Jahre alt. Die Geschwister - Kinder, die man nur sehen, aber nicht hören sollte - haben ein ungemütliches Kindermädchen und leben im Kindertrakt abgeschottet von den Eltern. Zwar lodert im Ofen ein Kohlefeuer, doch Geborgenheit und Wärme müssen die Kinder einander selbst vermitteln. Mama hält ihnen höchstens die Wange zum Kuß hin, und der Vater wird von der Mutter zum Statisten gemaßregelt. Kein Wunder, daß die Kinderfrau, die Köchin und das Stubenmädchen im Leben der Geschwister eine größere Rolle spielen als die Eltern. Elisabeths Bezugsperson ist vor allem James, der, obschon gerade erst acht, alle Attribute des männlichen Helden in sich vereint: Er ist unerschrocken, clever und witzig - und ihr Beschützer. Während James und Elisabeth im Wald herumstöbern und Räuber und Gendarm spielen, haben die Eltern ganz andere Probleme. Nur manchmal beschleicht die Kinder eine dunkle Ahnung, daß im Haus etwas nicht stimmt. Elisabeth jedenfalls kann sich keinen Reim auf jenes Gespräch machen, das sie eines Tages zufällig mit anhört, in dem die Mutter den Vater anfaucht, wieder betrunken zu sein. Zwischen den Zeilen ahnt man hier die latente Suchtgefahr, die dieser Familie in den Adern liegt.

Elisabeths Welt aber ist im großen und ganzen idyllisch, ist sie doch völlig mit dem Entdecken alltäglicher Wunder beschäftigt: mit dem Ausnehmen eines Kaninchens etwa, mit der gefundenen Schwanzfeder eines Fasanenmännchens oder der kleinen Warze am Nasenflügel der Mutter. Das Kind hat eine überschäumende Phantasie, die alles zum Leben erweckt. Draußen im Wald fühlt sie sich von Magie umgeben, und nicht nur auf dem Dachboden sieht Specky furchterregende Gespenster, die sie nur mit James' Hilfe vertreiben kann. Doch trotz solcher Ängste und den nur zu reellen Bestrafungen, die Elisabeth und James für zu langes Draußenbleiben einstecken müssen, zeigt sich der Schatten einer Katastrophe für das Mädchen erst, als James ins Internat muß. Elisabeth bleibt allein zurück mit ihrer Furcht vor der Dunkelheit und betet zu ihrem Schutzengel, daß er sie vor den Dämonen bewahren möge, die in der Nacht darauf warten, sie zu verschlingen.

In Episoden zwischen Kinderzimmerexil, Feld und Flur, den Gottesdiensten in der eigenen Kapelle, Hauskonzerten und gediegenen Weihnachtsfeiern beschwört Helena McEwen diese Kindheit so lebendig herauf, daß Gerüche und Gefühle aus den Seiten aufzusteigen scheinen: Wie James mit dem Luftgewehr Specky fast ins Auge schießt und sie ihm nicht einen Moment lang böse ist; wie sie ein Osterei vor lauter Mitgefühl und aus Angst vor den gierigen Familienmitgliedern im Garten vergräbt; wie die Geschwister einmal in der Obhut einer gefürchteten Tante verbleiben, die nachts nicht das Licht im Flur anläßt, so daß Elisabeth sich nicht zum Bad traut und in ihrer Verzweiflung schließlich in James' Cowboyhut pinkelt - wofür sie später gedemütigt wird.

Helena McEwen, Jahrgang 1961 und nicht verwandt mit dem in Großbritannien so erfolgreichen Schriftsteller Ian McEwen, verbrachte ihre Kindheit in dem Herrenhaus Marchmont. Sie verlor ihren Vater an den Alkohol, einen Bruder und eine Schwester. "Oh, nein, ich bin nicht traurig, weil sie gegangen sind. Ich bin traurig, weil sie ohne mich gegangen sind", denkt die erwachsene Elisabeth. "Das große Haus" ist der Versuch, zum Ursprung einer untergründig zerfallenden Familie zurückzukehren und dort die verlorene Idylle wiederzufinden. Helena McEwen schreibt mit solch poetischer Melancholie und strengem Charme, daß nur Platz für eine letzte Frage bleibt: Wo zwischen game boy und Pokémon liegt heute der Rückzugsraum einer Kindheit, aus dem ein solcher Roman zwischen Tragödie und Idylle wachsen kann?

Helena McEwen: "Das große Haus". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Silvia Morawetz. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2001. 223 S., geb., 36,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Diesen Kindheitsbericht aus einem Herrenhaus "zwischen Kindermädchen und Ahnenporträts" in Schottland hat Felicitas von Lovenberg gelesen und sich reichlich berauscht an den Gerüchen und Gefühlen, die aus den Seiten zu ihr aufgestiegen sind. Helena McEwen schreibe mit "poetischer Melancholie und strengem Charme", meint die schwer beeindruckte Rezensentin und läßt uns ein bißchen von der Welt sehen, aus der die Protagonistin, das Kind Elisabeth, stammt: eine vergangene Welt, aus der "keine Zeile mehr in die Gegenwart führt". Eine Kindheit zwischen Idylle und Abgrund. Ein autobiografisches Buch, weiß Rezensentin von Lovenberg auch. Und am Schluss der Rezension eine echte Feuilletonfrage, die durch Klischee und kalte Lebensferne frappiert: "Wo zwischen gameboy und Pokémon liegt heute der Rückzugsraum einer Kindheit, aus dem ein solcher Roman zwischen Tragödie und Idylle wachsen kann?" Angesichts des Sachverhalts, dass zwei Geschwister der Heldin diese Kindheit nicht überlebten, hätte man diesen Kindern ein bißchen mehr gameboy und dafür weniger Tragödie gewünscht. Denn bloß im Feuilleton macht das Sterben Spaß.

© Perlentaucher Medien GmbH"