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Warum haben Schnecken Fühler? Warum besteht ein Ei aus Eiweiß und Eigelb? Warum verdampft Wasser? Nadia freut sich, dass sie den Kreislauf der Jahreszeiten begreift und warum es Tag und Nacht gibt. Die Schule wird eine willkommene Flucht vor ihrem Zuhause in einer Vorstadt Lyons, wo die Familie nach dem Algerienkrieg gelandet ist. Wo niemand darüber redet, was geschehen ist mit ihrer Mutter und ihrer Heimat. Nadia findet Freundinnen, hört französische Schlager und backt Crepes. Sie verliebt sich ein bisschen und liest Gedichte. Sie lernt ihr Leben mit Wörtern zu füllen, die ihr Mut und…mehr

Produktbeschreibung
Warum haben Schnecken Fühler? Warum besteht ein Ei aus Eiweiß und Eigelb? Warum verdampft Wasser? Nadia freut sich, dass sie den Kreislauf der Jahreszeiten begreift und warum es Tag und Nacht gibt. Die Schule wird eine willkommene Flucht vor ihrem Zuhause in einer Vorstadt Lyons, wo die Familie nach dem Algerienkrieg gelandet ist. Wo niemand darüber redet, was geschehen ist mit ihrer Mutter und ihrer Heimat.
Nadia findet Freundinnen, hört französische Schlager und backt Crepes. Sie verliebt sich ein bisschen und liest Gedichte. Sie lernt ihr Leben mit Wörtern zu füllen, die ihr Mut und Rückhalt geben und vielleicht sogar das Gefühl, irgendwie dazuzugehören.
Brigitte Giraud schreibt mit Liebe zu den Kleinigkeiten des Lebens über eine Kindheit, an die wir uns plötzlich erinnern, als sei es unsere eigene.
Autorenporträt
Brigitte Giraud wurde 1960 in Sidi BelAbbes (Algerien) geboren. Sie studierte Deutsch und Englisch und arbeitete als Buchhändlerin. Seit ihrer Kindheit lebt sie in der Nähe von Lyon. Brigitte Giraud hat bisher drei Romane veröffentlicht. "Das Leben entzwei" ist ihr erstes Buch in deutscher Übersetzung.

Anne Braun, geb. 1956 im Schwäbischen, arbeitet seit dem Abschluss ihres Sprachenstudiums an der Universität Heidelberg freiberuflich als Sprachlehrerin, als Übersetzerin für Italienisch, Fränzösisch und Englisch, als Herausgeberin von Anthologien und als Autorin im Kinderbuchbereich. Sie lebt in Baden-Württemberg und hat eine Tochter und einen Sohn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2007

Nirgendwo ist Algerien

Die Suche nach der eigenen Herkunft ist ein Lebensthema der französischen Autorin Brigitte Giraud. In ihrem neuen Roman entdeckt sie die Sprache als Schutzschild.

Von Anja Hirsch

Ich lerne lesen. Ich entziffere die Buchstaben auf allen Verpackungen. Ich kann nicht mehr damit aufhören." An diese Offenbarung wird man sich noch erinnern - als die merkwürdigen Zeichen auf den Schildern sich zu Wörtern zusammenfügten. Die ganze Welt schien damals aus Aufschriften zu bestehen, deren Bedeutung man nicht immer verstand. In diesem Stadium befindet sich die sechsjährige Nadia in Brigitte Girauds kleinem Roman zu Beginn. Nadia hat Spaß an den Wörtern. Sie liest wie besessen, beim Zähneputzen, beim Händewaschen, auf dem Schulweg. Ihre unbändige Freude am Lernen macht irgendwann stutzig. Die Schule - ein Ort, an dem sich die Welt vervielfacht? "Ich gehöre zu einem Ganzen, und vergesse, woher ich komme." Woher ich komme - das ist für die 1960 in Algerien geborene und in den Randzonen Lyons aufgewachsene Schriftstellerin Brigitte Giraud selbst ein Lebensthema.

Von fehlenden Wurzeln, von der fehlenden Mutter handelt der Text über eine Familie, die nach dem Algerienkrieg in der französischen Vorstadt gelandet ist. Dass Brigitte Giraud ein Kind über den Beginn der Schulzeit bis zum Eintritt in die Pubertät erzählen lässt, ist gewöhnungsbedürftig. Nadia klingt manchmal künstlich und altklug. Und doch korrespondiert dieser Ton mit der Schwierigkeit, von etwas zu sprechen, das sich ständig entzieht. Auch das erzeugt oft Künstlichkeit, bisweilen Manisches. An dieser Grenze bewegten sich bereits frühere Texte der Autorin. Jetzt übernimmt exzessives Lesen und Lernen die Funktion, von Anderem abzulenken.

Um diese Abwehr zu unterstreichen, durchzieht die Autorin refrainartig die in Präsens gehaltenen Notizen mit Zitaten aus dem Schulalltag, an denen sich Nadia wie an Bojen im Wasser festhält: grammatische Lernsätze, mathematische Textaufgaben, auch Gedichte, die sie in stillen Momenten für sich rezitiert. Sie verbeißt sich in das Lernen, um weiterleben zu können. "Ich bin Klassenbeste. Darüber bin ich stolz und enttäuscht zugleich", beschreibt Nadia den täglichen Gefühlsspagat. Dieser läuft zielstrebig auf den Punkt zu, wo der Druck, ein stets höfliches und unauffälliges Kind zu sein, zu groß wird: "Ich kann nicht zwischen Erschöpfung und Kummer unterscheiden." Hier beginnt es, interessant zu werden.

Nadia lebt mit dem Vater, dem Halbbruder und einer depressiven Schwester, die zeitweilig in ein Heim kommt. Nach dem Verschwinden der Mutter hat der Vater sich neu gebunden - "die Frau, die nicht meine Mutter ist", nennt Nadia ihre Stiefmutter konsequent, und in der Steigerung heißt sie "die Frau, die ich niemals lieben konnte". Nadias Notate entwickeln sich gegen die Ersatzmutter und werden zur stummen Rede an die abwesende leibliche Mutter. In den Wörtern entdeckt Nadia die Macht, Geschichten zu erfinden, die sie alles Traurige vergessen lassen. Schreiben als Flucht aus der Enge eigener Familienverhältnisse - das ist ein bekanntes Sujet.

Der Charme des Werks liegt daher eher in der Tonlage. Unaufdringlich, wie mit Pastellfarben skizziert Giraud den Übergang in die Pubertät, die ersten Freundschaften, heimliche Ess-Anfälle. Unaufhaltsam verknüpft sie diese Erlebnisse aber auch mit der Angst, die in Nadias Leben um sich greift. Erst mit der Angst beginnt die Suche nach der frühen Kindheit, der Mutter, Algerien. Doch für Nadia bleibt das nordafrikanische Land ein blinder Fleck und das Tor zur Heimat in der Schule konsequent verschlossen. "Ich lerne über die Entdeckung Amerikas, alles über die Inkas, die Wikinger und die Hunnen. Aber niemand erzählt mir etwas über meine eigene kleine Geschichte, wie ich das Mittelmeer überquert habe, mein persönliches trauriges Epos."

Algerien hinterlässt Schnittwunden im Text; oft brechen Episoden einfach ab. "Das Leben der Wörter" ist aus Schmerz geborene Prosa, die besser zu lesen ist, je mehr der Schmerz auch in der Sprache keine Umwege macht. So zieht der eine deutliche Spur über einen relativ kurzen Erzählzeitraum: Brigitte Giraud geleitet ihre Figur so von vorschnellen Antworten zu den Fragen zurück.

- Brigitte Giraud: "Das Leben der Wörter". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Anne Braun. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 138 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Schriftstellerin Brigitte Giraud lässt ein Mädchen erzählen. Nadia ist, als der Roman beginnt, erst sechs. Der Roman folgt ihr in die Pubertät, mit allen Problemen, die auf dem Weg liegen. Diese sind durchaus spezifischer Art. Nadias Familie ist nach dem Algerienkrieg nach Frankreich geflohen. Sie lebt mit Vater, Schwester und Halbbruder in der Großstadt, die Mutter ist verschwunden. Zur Stiefmutter bleibt sie entschieden auf Distanz. Den Ton der Erzählung findet die Rezensentin Anja Hirsch gelegentlich "künstlich und altklug" - aber so vermittle sich das Gefühl des ständigen Verlusts und Entzugs, der Unmöglichkeit sprachlicher Erfassung dieses Lebens sehr gut. Nadia flieht ins Schreiben, darin ist der Roman nicht originell. Wo aber der Schmerz direkt in der Sprache spürbar wird, da findet Hirsch das Werk stark.

© Perlentaucher Medien GmbH