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Produktdetails
  • Verlag: NZZ Libro
  • Seitenzahl: 216
  • Deutsch
  • Abmessung: 23mm x 157mm x 226mm
  • Gewicht: 496g
  • ISBN-13: 9783038231097
  • ISBN-10: 3038231096
  • Artikelnr.: 12906842
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2005

Gute Dienste in bösen Zeiten
Drei Miniaturen zur Polen- und Neutralitätspolitik der Schweiz

Paul Stauffer: Polen - Juden - Schweizer. Felix Calonder (1921-1937). "Exilpolens" Berner Emissäre (1939-1945). Die Schweiz und Katyn (1943). Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2004. 231 Seiten, 32,- [Euro].

Persönlichkeiten und Sachverhalte, die historische Bedeutung haben und gleichwohl eher unbekannt geblieben sind, der Vergessenheit zu entreißen gehört zu den Aufgaben der Geschichtsschreibung. Paul Stauffer, der als Historiker den Spuren der Biographie seines Schweizer Landsmannes Carl J. Burckhardt literarisch gefolgt und als Diplomat von 1984 bis 1989 Botschafter in Warschau gewesen ist, unterzieht sich dieser historiographischen Verpflichtung in drei Studien, die den schweizerisch-polnischen Beziehungen gewidmet sind. Im Mittelpunkt stehen drei Persönlichkeiten, denen der Autor seinen unpathetischen, aber angemessenen Respekt zollt. Das ist zum einen der ehemalige Bundesrat Felix Calonder: Über 15 Jahre lang, von 1922 bis 1937, war ihm die Präsidentschaft einer Gemischten Kommission anvertraut, die sich im Auftrag des Völkerbundes darum bemühte, "die negativen Auswirkungen der Teilung" Oberschlesiens "zu mildern". Diese schweizerischen "Guten Dienste" bezogen sich nicht zum geringsten auf den Minderheitenschutz für Polen, Deutsche und Juden in dieser Region, die im Gefolge des Ersten Weltkriegs im Jahr 1921 zwischen dem Deutschen Reich und Polen geteilt worden war. Angesichts der leidenschaftlichen Unversöhnlichkeit auf deutscher wie auf polnischer Seite blieben seine Erfolge zwar alles in allem bescheiden. Dennoch erschien er bereits den Zeitgenossen als ein "Staatsmann des kommenden Europa", wie Paul Sethe den publizitätsscheuen "Schiedsmann" der Leserschaft der "Frankfurter Zeitung" im Juli 1937 vorstellte.

Im Zentrum der zweiten Studie steht Stanislaw Nahlik, der während des Zweiten Weltkriegs als Diplomat an Polens Berner "Exilgesandtschaft" tätig gewesen ist. Angesichts deutscher Proteste hat deren Existenz der Schweizer Regierung ein um das andere Mal Kopfzerbrechen bereitet. Dies gilt um so mehr, als die Schweiz im Verlauf der militärischen Auseinandersetzung zur "Alarmzentrale des Holocaust" wurde und die Rolle der polnischen Diplomaten in Bern - allen voran diejenige des mit Chiffrierungsaufgaben beschäftigten Nahlik, eines hochkarätigen Völkerrechtlers - in diesem Zusammenhang maßgeblich war. Dem grassierenden Vorkriegs-Antisemitismus hatten die Exilpolen inzwischen abgeschworen, und Nahlik distanzierte sich zudem auch von jener polnischen Tradition, die so leicht in "nationaler Megalomanie" geendet hatte: "einer Tendenz, über seine Verhältnisse zu leben, primär auf Mehrung von Ehre und Prestige bedacht zu sein, nüchternes Interessedenken dagegen gering zu schätzen". Der Pragmatiker Nahlik stellte sich vielmehr in die "Nachfolge des polnischen ,Positivismus' aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts", vermied das "romantische Pathos der - blutig gescheiterten - Aufstände gegen die fremden Okkupanten" und avancierte in einem "Geiste nüchternen Realismus'" während der Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu einem "überzeugten und überzeugenden Verfechter des Rotkreuzgedankens".

Bleibt schließlich François Naville: Als Ordinarius für Gerichtsmedizin der Universität Genf stellte er sich als neutrales und unabhängiges Mitglied jener zwölfköpfigen Expertengruppe zur Verfügung, die auf Einladung der deutschen Reichsregierung Ende April 1943 an Ort und Stelle maßgeblich zur Klärung der umstrittenen Katyn-Kontroverse beigetragen hat: Im Frühjahr 1940 hatten die Sowjets über 4100 polnische Offiziere ermordet, die im Zuge des deutschen Feldzuges gegen Polen und nach dem Einmarsch der Roten Armee nach Ostpolen in russische Gefangenschaft geraten waren. Als die Deutschen die Entdeckung der Massengräber von Katyn der Weltöffentlichkeit verkündet hatten, wurde dies von sowjetischer Seite umgehend dementiert und das Verbrechen dem "Dritten Reich" zur Last gelegt. Die internationale Ärztekommission half mit, den Sachverhalt aufzuklären und die Verantwortung der Sowjets für den Massenmord plausibel zu machen. Nach der Zäsur des Jahres 1945 dauerte der Streit um Katyn freilich an: Die neutrale Schweiz geriet, weil einer ihrer Staatsbürger Mitglied der internationalen Expertengruppe gewesen war, immer wieder unter sowjetischen Druck. Politischer Kritik sah sich Professor Naville auch im eigenen Land ausgesetzt. Allein, der Deutschland und den Deutschen gegenüber eher skeptische Mediziner rückte keinen Zoll breit von seinem wissenschaftlichen Befund ab. Und schließlich wurde er, als die sowjetische Katyn-Legende mit dem Untergang der UdSSR ihren Zweck verloren hatte, in seiner Haltung vollauf bestätigt.

Paul Stauffer hat drei historische Miniaturen vorgelegt, die durch Quellennähe und Nüchternheit überzeugen. Ihre Ergebnisse gehören von nun an zum Bild der schweizerischen Polen- und Neutralitätspolitik.

KLAUS HILDEBRAND

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Überzeugend findet Rezensent Klaus Hildebrand diese drei Studien des Historikers Paul Stauffer, die den schweizerisch-polnischen Beziehungen gewidmet sind. Im Mittelpunkt des Bandes stehen nach Auskunft Hildebrandts drei Persönlichkeiten von historischer Bedeutung, die gleichwohl relativ unbekannt geblieben sind. Die erste Studie würdige Felix Calonder, der sich als Präsident einer gemischten Kommission, die sich im Auftrag des Völkerbundes darum bemühte, "die negativen Auswirkungen der Teilung" Oberschlesiens "zu mildern", von 1922 bis 1937 für Minderheitenschutz für Polen, Deutsche und Juden in dieser Region einsetzte. In der zweiten Studie befasse sich Stauffer mit Stanislaw Nahlik, der während des Zweiten Weltkriegs als Diplomat an Polens Berner "Exilgesandtschaft" tätig war. Die dritte Studie schließlich ist Francois Naville gewidmet, der Ende April 1943 an Ort und Stelle maßgeblich zur Klärung der umstrittenen Katyn-Kontroverse beigetragen hat. Hildebrand lobt die Quellennähe und Nüchternheit dieser historischen Miniaturen. "Ihre Ergebnisse", resümiert er, "gehören von nun an zum Bild der schweizerischen Polen- und Neutralitätspolitik".

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