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Diese Ausgabe bietet Gelegenheit, die am wenigsten bekannte Seite des großen französischen Sprachwissenschaftlers kennenzulernen. In einer Weiterführung und kritischen Überschreitung von Saussures strukturalistischer Konzeption der Sprache widmet sich Benveniste der Untersuchung des subjektiven Äußerungsaktes, der Produktion von Sinn als eines besonderen Vorgangs, hervorgebracht durch den Austausch lebendiger Subjekte. Seine Überlegungen zur Sprache als Produktion führen Benveniste zu einer Analyse der Schrift als eines Werkzeuges, welches das Produktionsvermögen der Sprache realisiert. Als…mehr

Produktbeschreibung
Diese Ausgabe bietet Gelegenheit, die am wenigsten bekannte Seite des großen französischen Sprachwissenschaftlers kennenzulernen. In einer Weiterführung und kritischen Überschreitung von Saussures strukturalistischer Konzeption der Sprache widmet sich Benveniste der Untersuchung des subjektiven Äußerungsaktes, der Produktion von Sinn als eines besonderen Vorgangs, hervorgebracht durch den Austausch lebendiger Subjekte.
Seine Überlegungen zur Sprache als Produktion führen Benveniste zu einer Analyse der Schrift als eines Werkzeuges, welches das Produktionsvermögen der Sprache realisiert. Als »Vorgang« im »sprachlichen Prozess« ist das Schreiben der »Gründungsakt«, der »das Gesicht der Kulturen verändert hat«, »die tiefgreifendste Revolution, die die Menschheit seit der Zähmung des Feuers erlebt hat«. Seine letzten Vorlesungen bezeugen die didaktische Sicherheit und große Klarheit des Lehrers Benveniste, seine sprühende Kreativität in der Erfindung von Begriffen und seinen Scharfsinn in der theoretischen Analyse der Schrift.

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Autorenporträt
Émile Benveniste stand als französischer Linguist in der Tradition des Saussure'schen Strukturalismus. Sein Hauptwerk »Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft« war ein Meilenstein auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft und Diskursanalyse. Von Bedeutung waren darüber hinaus seine Studien zur Erforschung der Grammatik der indoeuropäischen Sprachen sowie iranistischer und indogermanischer Etymologie und Namenkunde. Benveniste lehrte an der École pratique des hautes études, am Collège de France und war Mitglied der Polnischen Akademie der Wissenschaften.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.2015

Eine geheime Korrespondenz führt man auf Mitteliranisch
Für ihn war die Sprache die Mutter aller Zeichensysteme: Ein Band mit Texten von und über den französischen Sprachwissenschaftler Émile Benveniste

Im Juni 1940 gerät Émile Benveniste in deutsche Kriegsgefangenschaft. Zu diesem Zeitpunkt genießt der achtunddreißigjährige Indogermanist, der seit kurzem den prestigeträchtigen Lehrstuhl für vergleichende Sprachwissenschaft am Collège de France bekleidet, bereits internationales Ansehen. Das Lager in den Ardennen, in dem Benveniste interniert wird, kann für ihn als Juden zur tödlichen Falle werden. Es gelingt ihm, in die nicht besetzte Zone Frankreichs zu entkommen, doch als die Wehrmacht auch diese okkupiert, braucht er einen neuen Zufluchtsort. Der Dominikanerpater Jean de Menasce, ein befreundeter Iranist in Fribourg, hilft Benveniste, illegal die Schweizer Grenze zu überqueren, und verschafft ihm Unterkunft und Beschäftigung bis zur Befreiung Frankreichs 1944.

An dieser Rettung hatte die Linguistik ihren Anteil: Seine Flucht in die Schweiz bereiteten Benveniste und Jean de Menasce in einer Geheimkorrespondenz vor, die sie auf Sogdisch führten, einer alten iranischen Sprache, zu der Benveniste bis zum Kriegsausbruch geforscht hatte. Nachzulesen ist diese Episode in einem biographischen Abriss, den Benvenistes Freund George Redard, Experte für afghanische Sprachen und zeitweise Rektor der Universität Genf, nach dem Tod des französischen Sprachwissenschaftlers im Jahr 1976 verfasste. Diese Skizze, die der 2005 verstorbene Redard leider nie ausgearbeitet hat, ist einer von mehreren begleitenden Texten in einem Buch, dessen Zentrum Benvenistes letzte Vorlesungen bilden. Er hielt sie in den Jahren 1968 und 1969, bevor ihm ein Schlaganfall die Fähigkeit zu sprechen raubte. Die Skripte lagerten im Archiv, bis sie, ergänzt durch Mitschriften einiger Hörer, 2012 in Frankreich publiziert wurden. Nun sind sie in einer gut lesbaren Übersetzung auf Deutsch erschienen.

Benveniste hat außerhalb des frankophonen Raums nie die Bekanntheit eines Ferdinand de Saussure, Roman Jakobson oder gar Noam Chomsky erreicht. In Deutschland wurde er einem etwas größeren Publikum in den siebziger Jahren durch eine Sammlung von Aufsätzen unter dem Titel "Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft" bekannt, die die Weite seines Horizonts umreißt.

Benveniste schöpfte aus einer außerordentlich breitgefächerten Kenntnis alter und moderner Sprachen und aus seinen akribischen Forschungen, die sich von der vergleichenden Indogermanistik bis zu den Indianersprachen Nordamerikas erstreckten. Vor diesem empirischen Hintergrund - und nicht vom Höhenkamm der Spekulation herab - widmete er sich auch sprachtheoretischen Grundfragen. Dabei blickte er über den Tellerrand hinaus auf Ethnologie, Psychologie, Literatur und Philosophie und verband - ähnlich wie Roman Jakobson - methodische Strenge mit einem umfassenden geisteswissenschaftlichen Hintergrund.

Benveniste, der sich viel mehr als de Saussure für die Dynamik und Veränderlichkeit des lebendigen Sprechens in realen Kommunikationssituationen interessierte, ging über die Vorstellung von der Sprache als einem statischen Zeichensystem hinaus und bezog das sprechende Subjekt und die Strukturen der Gesellschaft in seine Theoriebildung mit ein. Für ihn war die Sprache die Mutter aller Zeichensysteme: Nur durch sie lassen sich die anderen Systeme - von Verkehrssignalen bis zum Geld - überhaupt interpretieren. Und nur sie lässt sich selbstbezüglich einsetzen, indem man in ihr über sie sprechen kann. Sprache erst macht für Benveniste den Affen zum Menschen, sie ist die Voraussetzung für die Formierung von Gesellschaft, und erst sie schafft Subjektivität durch das Pronomen "Ich", das dem "Du" gegenübersteht.

Die insgesamt fünfzehn Vorlesungen machen neben dem ausführlichen Vor- und Nachwort, den editorischen und biographischen Begleitschriften nur ein gutes Drittel des Bandes aus. Etwa die Hälfte von ihnen kreist um Fragen der Zeichentheorie, wie man es in ähnlicher Form bereits in Benvenistes Publikationen findet. Neues bietet aber die zweite Hälfte der Vorlesungen, die sich dem Verhältnis von Sprache und Schrift widmet.

Benveniste arbeitet heraus, welch enorme Abstraktionsleistung es in der Kulturgeschichte der Menschheit bedeutete, die Sprache aus der unmittelbaren Praxis des Kommunizierens herauszulösen, sie aus der Distanz zu betrachten, um in ihr ein System bedeutungsvoller Silben, Wörter und Laute zu erkennen und diese schließlich vom akustischen in ein visuelles Medium zu übertragen: Die Idee, Sachverhalte festzuhalten, indem man nicht sie selbst, sondern das Sprechen über sie durch Symbole wiedergibt, war keineswegs selbstverständlich, aber genial und effizient.

Zugleich sieht Benveniste in der Schrift die Voraussetzung dafür, dass die Sprache objektiviert und dadurch überhaupt erst selbst zum Gegenstand der Reflexion werden konnte. Erstaunlich ist allerdings, dass der Sanskrit-Kenner in diesem Zusammenhang einen möglichen Einwand nicht erörtert: Im vierten Jahrhundert vor Christus erarbeiteten Sprachgelehrte eine Grammatik des Sanskrit, die an Systematik und Detailreichtum die Werke griechischer und römischer Grammatiker bei weitem übertraf - und das, obwohl die indischen Sprachexperten sich nur auf die gesprochene Sprache stützten und ihr Wissen jahrhundertelang auch nur mündlich weitergaben.

Vielversprechend liest sich Benvenistes Überblick über die variierenden Wortwurzeln, die den Begriffen "lesen" und "schreiben" in europäischen und asiatischen Sprachen zugrunde liegen. Doch was dieser Vergleich über die unterschiedlichen Rollen aussagt, die das Lesen und Schreiben in diesen Kulturen spielte, bleibt im Ungefähren. Diesen Mangel an Präzision und Stringenz weisen etliche Passagen in den Vorlesungen auf. Das liegt nicht an Benveniste, sondern an der Textüberlieferung, die sich notgedrungen auf Konzepte und Notizen stützt. Das verleiht den Vorlesungstexten etwas Fragmentarisches und Sprunghaftes, das dem Verstehen Grenzen setzt. Hier wäre eine Kommentierung dicht am Text notwendig gewesen, die Lücken füllt, Zusammenhänge herstellt, Erklärungshilfen an die Hand gibt, um die Vorlesungen für sprachwissenschaftlich interessierte Leser, die nicht gleich Benveniste-Philologen sind, besser nutzbar zu machen.

Die Begleittexte leisten das zwar nicht, liefern dafür aber interessante wissenschaftsgeschichtliche und biographische Informationen. Das gilt vor allem für die berührenden Schilderungen von Julia Kristeva, die als junge Frau bei Benveniste studierte und den Kontakt zu ihm auch während der bitteren Jahre hielt, die er nach seinem Schlaganfall bis zu seinem Tod in trüben Pflegeheimen verbringen musste. Über das heideggernde Geraune, in das Kristeva nach Art des französischen Poststrukturalismus gelegentlich verfällt, liest man am besten hinweg.

Einen Höhepunkt des Buches aber liefert wieder Benveniste selbst mit einigen kurzen im Anhang abgedruckten Auszügen aus seinen Aufzeichnungen zu Feldforschungen, die er bei Indianern in Alaska und Kanada zu Beginn der fünfziger Jahre unternahm. Beflügelt von seinen Entdeckungen und vom Land, lässt er sich hier zu atmosphärisch dichten Schilderungen hinreißen und vermittelt etwas von der Begeisterung, die ihm seine Arbeit verschaffte. So ähnelt dieses Buch einem Menü mit einem mäßigen Hauptgang, aber schmackhaften Vor- und Nachspeisen.

WOLFGANG KRISCHKE

Émile Benveniste: "Letzte Vorlesungen". Hrsg. von Jean-Claude Coquet und

Irène Fenoglio. Vorwort von Tzvetan Todorov, Nachwort von Julia Kristeva.

Aus dem Französischen von Thomas Laugstien. Diaphanes Verlag, Zürich 2015. 176 S. , br., 24,95 [Euro].

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