soziokulturelle Schneise verläuft keinesfalls zwischen Moslems und Christen, auch nicht zwischen arm und reich, gewiss nicht zwischen Männern und Frauen und auch nicht zwischen schwarz-grün-interessierten Bioladenbürgern und altlinken Zynikern. Die Schneise verläuft zwischen iTunes-Nutzern und Box-Set-Sammlern. Ein Zeitgenosse, der sich wochenlang in eine sündhaft teure und üppig ausgestattete Papptruhe voller CDs, Artefakte, Liner Notes und Fotos vertieft, muss auf einen Menschen, der sich mal eben auf die Schnelle "dieses eine Stück von Rihanna" runterlädt, wie ein zerzauster Kauz mit Strickjacke wirken, der triumphierenden Auges aufgespießte Schmetterlinge hinter Glas packt.
Gerade zu Weihnachten werden jede Menge Box Sets auf den Markt geworfen. In diesem Jahr wird drei Veröffentlichungen eine besondere Aufmerksamkeit zuteil: Bob Dylans "The Original Mono Recordings" (als CD für knapp sechzig Euro zu erstehen, Vinyl kostet gut das Dreifache), "Coals To Newcastle", ein Karton, der das Gesamtwerk der Achtziger-Edel-Schrammler von Orange Juice versammelt (ebenfalls für knapp sechzig Euro zu haben) und Bruce Springsteens "The Promise: Darkness On The Edge Of Town Story", für die man immerhin knapp siebzig Euro hinblättern muss.
Die Dylan-Box, in der, wie der Name schon sagt, die ersten neun Alben des großen Nasalisten im authentischen Mono-Mix enthalten sind, dürfte bei eher pragmatisch veranlagten Musikhörern, also der Masse, für Verwirrung sorgen: Warum in aller Welt sollte man, wenn man doch bereits die Stereo-CD-Fassungen von Dylans angeblichen Meisteralben sein eigen nennt, noch so viel Geld für Mono-Abmischungen bezahlen, die schon seit den sechziger Jahren nicht mehr neu aufgelegt wurden!? Wegen des beigelegten Büchleins mit halbwegs selten gezeigten Fotos und Liner Notes des Dylan-Auskenners Greil Marcus? Mitnichten, sondern, weil Alben wie etwa das an einem rotweinseligen Abend aufgenommene "Another Side Of Bob Dylan" in der Mono-Fassung angeblich ganz besonders funkelten. So und nicht weniger schwammig formulieren es audiophile Sammler und Mono-Puristen, alle anderen dürften sich kopfschüttelnd abwenden. Die famose Orange-Juice-Box funktioniert da ganz anders: Hört man sie am Stück (was nur selten gelingen dürfte), erzählt sie die Geschichte einer Achtziger-Jahre-Parallelwelt, in der aus genial-dilettantischen Schrammlern mit den Jahren reflektierte Popper wurden.
Das ganz große Paket gibt es dann bei Bruce Springsteen: Das Box-Set enthält neben drei DVDs, dem remasterten Album "Darkness On The Edge Of Town" (auch einzeln zu haben) die Doppel-CD "The Promise" (ebenfalls einzeln zu erstehen), deren Erscheinen von Springsteen-Fans mit Beben in der Stimme schon als "historisch" bezeichnet wird und den amerikanischen Traumarbeiter von seiner eher süffigen Seite, irgendwo zwischen "Born To Run" und "The River", präsentiert. Die Packung ist alten Notizbüchern mit handschriftlichen Aufzeichnungen des Künstlers nachempfunden und dürfte bei Fans, die zum Fest mit diesem Prunkwerk beglückt werden, für manche wortkarge Stunde der Verzückung sorgen.
Ein häufig gehörter Vorwurf gegenüber Box-Sets und ihren Käufern ist der, dass Archivierungs- und kostspieliger Vollständigkeitswahn wenig mit den vermeintlichen Tugenden von Pop oder Rock 'n' Roll zu tun hätten. Das kann man so sehen; allerdings gilt das auch für die hochvernünftige, komfortable Schnäppchenjagd im Download-Store. Und wer weiß: Vielleicht fahren Käufer des Sandy Denny-Deluxe-Box-Sets (knapp 420 Euro!) ja dafür über mehrere Wochen ihren Räucherstäbchenverbrauch radikal runter. Problematisch ist am Ende nur eine Frage: Wo soll man ab einem gewissen Anhäufungsgrad hin mit den sperrigen Dingern? Vorschlag: in den Keller, in den Hobbyraum.
ERIC PFEIL
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