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Frankfurt

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Insgesamt 796 Bewertungen
Bewertung vom 19.09.2025
Stiefvater, Maggie

Grand Hotel Avalon


sehr gut

Schon beim ersten Aufschlagen des Romans hatte ich Bilder im Kopf: ein schimmernder Marmorboden, gedämpftes Stimmengewirr, Kellner in makellosen Uniformen, die mit Tabletts durch die hohen Hallen gleiten. Ein Nobelhotel, das wie eine eigene Welt wirkt. Doch Maggie Stiefvater zeigt schnell, dass das Grand Hotel Avalon mehr ist als eine Bühne für Glanz und Eleganz – es ist ein Ort mit Geheimnissen, einer Quelle, die heilende Kräfte haben soll, und einer Direktorin, die mit all ihrer Hingabe für diesen besonderen Platz lebt.
Wir befinden uns im Jahr 1942. Während draußen der Zweite Weltkrieg tobt, verwandelt sich das abgeschiedene Luxushotel in den Appalachen in einen Internierungsort. Deutsche und japanische Diplomaten mit ihren Familien werden hier vom FBI einquartiert – eine historisch fundierte, aber wenig bekannte Episode, die dem Roman seine Schärfe verleiht. Zwischen Etikette und Argwohn, zwischen alten Gästen, die weichen müssen, und neuen Bewohnern, die unfreiwillig zu Gästen werden, entstehen Spannungen, Begegnungen und stille Dramen.
Im Mittelpunkt steht June Porter Hudson, die Hoteldirektorin. Sie ist keine glatte Heldin, sondern eine Frau, die unter Druck Haltung bewahrt, die das Hotel zusammenhält, während die Fassade zu bröckeln droht. Ihre Liebe zum Avalon, ihr unerschütterliches Pflichtbewusstsein, aber auch ihre Zweifel und Verletzlichkeiten machen sie zu einer Figur, der man gerne folgt.
Stiefvaters Sprache ist atmosphärisch dicht, voller Zwischentöne und beinahe poetisch. Sie lässt uns die Hallen des Hotels hören, riechen und spüren – und manchmal glaubt man, selbst ein Glas des geheimnisvollen Wassers zu kosten. Besonders gelungen ist die Art, wie sie historische Genauigkeit mit einem Hauch Magie verbindet.
Mich hat der Roman gefesselt, weil er mehrere Ebenen miteinander verknüpft: die große Politik im Hintergrund, die leisen privaten Geschichten der Internierten, die Leidenschaft und Verantwortung der Angestellten. Das Grand Hotel Avalon wird so zum Mikrokosmos, in dem die Widersprüche dieser Zeit verdichtet sichtbar werden.
Fazit: Grand Hotel Avalon ist ein Roman, der Historie, Atmosphäre und ein wenig Zauber verbindet. Er erzählt von Loyalität, Verrat und Menschlichkeit inmitten einer Ausnahmesituation – und von einem Hotel, das selbst fast zur Hauptfigur wird. Für mich ein berührendes, kluges und stimmungsvoll erzähltes Buch, das lange nachhallt.

Bewertung vom 19.09.2025
Keßler, Verena

Gym


ausgezeichnet

Lügen, Pump & Proteinshakes
Wer glaubt, dass ein Fitnessstudio nur der Ort für Bizeps, Burpees und Beinpresse ist, der irrt gewaltig. Verena Keßler zeigt in Gym, dass hinter glänzenden Spiegeln und Eiweißshakes nicht nur Muckis, sondern auch ganze Lebenslügen aufgebaut werden können – und das in einem Ton, der so frisch ist wie der Geruch von neu geöffnetem Magnesium-Pulver.
Die namenlose Protagonistin stolpert nicht einfach in das MEGA GYM, sie mogelt sich hinein – mit einer Notlüge, die so klein klingt wie ein Satz Sit-ups und sich dann doch zu einem Marathon aus Täuschungen auswächst: Angeblich hat sie gerade ein Kind bekommen. Applaus, Mitleid, Respekt – alles da. Nur: Babyfotos sind schwer zu liefern, wenn es „den Kleinen“ gar nicht gibt. Hier liegt die große Raffinesse des Romans: Keßler macht aus einer spontanen Ausrede einen dramaturgischen Deadlift, bei dem wir Leserinnen und Leser mit jeder Seite tiefer in die Gedankenwelt einer Erzählerin gezogen werden, die selbst nicht mehr weiß, wo die Wahrheit endet und die Pose beginnt.
Besonders stark gelingt es Keßler, den Fitnesskult als Bühne für Selbstoptimierung, Sehnsucht nach Anerkennung und die Gefahr der Obsession zu inszenieren. Zwischen legeren Flirts am Tresen, Proteinshake-Smalltalk und dem Stolz eines feministischen Chefs entfaltet sich eine Geschichte, die mal komisch, mal beklemmend wirkt – ein Wechselspiel wie zwischen Aufwärmübung und Maximalgewicht.
Und dann ist da Vick: die Bodybuilderin, die wie eine lebendige Hantel aus Stahl den Ton im Studio und in der Erzählung verschiebt. Mit ihrem Auftreten kippt das Buch vom lockeren Aufwärmen ins Hochintensive – kein leichtes Pumpen mehr, sondern eiserner Drill. Ab hier wird klar: Die Notlüge war nur der erste Satz im Trainingsplan einer Frau, die sich selbst neu erfinden will – koste es, was es wolle.
Keßlers Sprache ist dabei so pointiert, dass man beim Lesen fast glaubt, den Schweiß tropfen zu hören. Humor und Härte, Satire und Tragik – Gym jongliert das alles mit der Leichtigkeit eines Fitnessgurus, der noch beim Plank über Gleichstellung diskutiert.
Am Ende bleibt ein Fazit, das so simpel wie schwer ist: Ehrlichkeit wiegt mehr als jede Langhantel. Gym ist ein Roman, der unterhält, erschüttert, zum Schmunzeln bringt und gleichzeitig mitten ins Herz der Selbstoptimierungsgesellschaft zielt. Ein echtes Jahreshighlight – mit Muskelkater-Garantie fürs Hirn.

Bewertung vom 19.09.2025
Lühmann, Hannah

Heimat


sehr gut

Hannah Lühmanns kurzer Roman Heimat ist eine Provokation im besten Sinn: Auf gerade einmal 170 Seiten verhandelt sie die gefährliche Schnittstelle zwischen Sehnsucht nach Zugehörigkeit und der Verführbarkeit durch reaktionäre Ideologien.
Im Zentrum steht Jana, die mit Familie aufs Land zieht – auf der Suche nach Ruhe, Einfachheit, Bodenhaftung. Was zunächst wie ein vertrautes Stadtflucht-Narrativ beginnt, entpuppt sich als beklemmende Studie über das Wiedererstarken traditioneller Rollenbilder. Jana begegnet Karolin, einer charismatischen Mutter von fünf Kindern, die ihr Leben als Tradwife-Influencerin inszeniert: Herd, Heim, Hingabe. Die Faszination ist unmittelbar, das Unbehagen wächst leise – und genau darin liegt die Stärke des Romans.
Hannah Lühmann erzählt in kühler, klarer Prosa. Sie verzichtet auf moralische Kommentare, überlässt es den Leser:innen, die Ambivalenz auszuhalten. Diese Zurückhaltung macht Heimat literarisch interessant und politisch brisant: Der Text führt mitten hinein in eine Denk- und Gefühlswelt, in der Geborgenheit nahtlos in autoritäre Muster übergeht. Dass AfD-Wahlergebnisse im Dorf wie selbstverständlich hingenommen werden, ist keine Fußnote, sondern Teil eines Systems.
Gerade in einer Gegenwart, in der rechte Bewegungen und Tradwife-Accounts Millionen erreichen, trifft die Autorin ins Mark. Dass sie ihre Leser:innen nicht mit einer klaren Auflösung entlässt, ist konsequent – auch wenn es manche unbefriedigt zurücklassen dürfte. Mich machte es schon leicht rasend. Aber wie gesagt, textlich richtig.
Fazit: Heimat ist kein idyllischer Landroman, sondern eine präzise sezierende Versuchsanordnung über Sehnsucht und Verführung. Ein schmales Buch, das wie ein Schlaglicht wirkt – und nachwirkt.

Bewertung vom 19.09.2025
Huth, Peter

Aufsteiger


gut

„Aufsteiger“ ist wie ein Espresso für die Medienseele: kurz, intensiv und mit ordentlich bitterer Note. Peter Huth nimmt uns mit auf die Achterbahnfahrt von Felix Licht, einem Redakteur, der alles für die Karriere geopfert hat – Freundschaften, Familie, Freizeit – nur um dann festzustellen, dass der Chefredakteurposten an Zoe Rauch geht: jung, hübsch, woke und alles, was Felix selbst nie war.
Huths Blick auf die Berliner Medienwelt ist messerscharf: jede Intrige, jeder Karriereknick und jede bittere Eitelkeit wird mit einer Präzision beobachtet, die man sonst nur von Zoos kennt, wenn ein Löwe die neue Antilope mustert. Besonders amüsant: Felix‘ Selbstmitleid springt fast aus den Zeilen, während Zoe souverän durch den Dschungel aus Fake News, Power Lunches und Instagram-Politik navigiert.
Das Buch ist klug, witzig und gelegentlich so bitter, dass man fast das Karamell im Kaffee vermisst. Einziger kleiner Wermutstropfen: Man wünscht sich manchmal, Felix würde weniger jammern und mehr handeln – aber vielleicht ist genau das die Pointe.
Fazit: Wer auf Medienkarrieren, bitter-satirische Beobachtungen und Menschen stößt, die glauben, ihnen stehe die Welt zu, steht hier goldrichtig. Vier von fünf Sternen, weil der Kaffee noch etwas heißer sein könnte – aber sonst: volle Punktzahl für Huths präzise Feder und messerscharfen Humor!

Bewertung vom 31.08.2025
Bieker, Chelsea

Madwoman


sehr gut

Chelsea Biekers Madwoman, brillant übersetzt von Jasmin Humburg, schlägt ein wie ein Schlag ins Gesicht. Clove, junge Mutter, Vorstadtidyll inklusive Instagram-Feed, Yogastunden und Kinderlachen – auf den ersten Blick alles perfekt. Doch unter der makellosen Oberfläche brodelt ein Lügengeflecht, das jeden Moment auseinanderbrechen könnte. Ein einziger Brief aus dem Frauengefängnis reicht, und die Vergangenheit stürzt auf sie herab.
„Durch Gewalt werden wir Frauen so kleingemacht, dass wir dankbar für Dinge sind, für die wir gar nicht dankbar sein müssten.“
Bieker zeigt gnadenlos, wie häusliche Gewalt Wurzeln schlägt und Generationen prägt. Clove ist zerrissen zwischen dem kleinen Mädchen, das einst Angst hatte, und der Frau, die verzweifelt versucht, ihre Kinder zu schützen, ohne selbst unterzugehen. Die Autorin jongliert gekonnt mit zwei Zeitebenen: die Gegenwart, voller perfektionistischer Kontrolle und Gesundheitswahn, und die Kindheit, geprägt von Angst, Schmerz und Gewalt. Der Kontrast ist verstörend, authentisch und packend.
Was Madwoman besonders macht, ist die schonungslose Darstellung psychischer Realität. Die Triggerwarnungen sind nicht übertrieben – man fühlt die Wut, die Verzweiflung, die lähmende Angst. Die Geschichte bleibt hart, kantig, aber niemals voyeuristisch. Clove kämpft, stolpert, hält ihre Familie zusammen, und doch lässt sich der Schatten der Vergangenheit nicht abschütteln.
Ein paar Punkte Abzug gibt es nur, weil die Schilderungen manchmal so direkt sind, dass man kurz Luft holen muss – aber genau darin liegt auch die Stärke des Buches. Chelsea Bieker zwingt den Leser, hinzusehen, und lässt niemanden unberührt zurück.
Fazit: Madwoman ist ein erschütternder, klarsichtiger Roman über Gewalt, Überleben und Identität. Rasend spannend, emotional intensiv und mit einer Protagonistin, die trotz aller Risse beeindruckt. 4 von 5 Sternen – weil man danach erstmal tief durchatmen muss, bevor man wieder in die Welt tritt.

Bewertung vom 30.08.2025
Wagner, Jan Costin

Eden


ausgezeichnet

Als ich den Klappentext in der Vorschau des Galiani Verlags las, war klar: ICH kann dieses Buch nicht lesen. Warum? Es geht im Roman um ein 12jähriges Mädchen, Sofie, die bei einem Attentat auf ein Konzert zu den Todesopfern zählt. Auch ich habe eine musikliebende 12jährige Tochter und das machte es für mich sehr schwer. Aber ich gab dem Roman eine Chance und bin sehr froh, dass ich es tat, denn der Roman ist eine Bereicherung. Es geht nahe, aber wirkt eher verbindend und lebensbejahend. Ein Brücken bauender Roman.
Auch wenn ich das Fazit vorwegnehme: Ja, es ist sicherlich der schmerzhafteste Schicksalsschlag, den einen Treffen kann, der Tod des eigenen Kindes, trotzdem war es für mich eher eine Aufforderung, die Zeit die man miteinander hat jeden Tag zu genießen, denn es gibt immer unvorhergesehenes im Leben.
„Der Tag steht still wie ein Bild, ein Gemälde, das dank eines interessanten Effekts beiläufig die Farben wechselt, allein daran erkennt Tobias, dass dieser Tag doch voranschreitet. Auch dieser Tag ist gekommen, um zu vergehen.“ (S 27)
Was macht den Roman so besonders? Jan Costin Wagner nimmt einen schweren, kaum aushaltbaren Stoff und blickt tief in die Beteiligten hinein. Wie können Menschen das schlimmstmögliche bewältigen? Was hilft ihnen und wie schauen sie auf die Dinge? Dadurch entsteht ein Kaleidoskop an Vielfalt und Denkansätzen. Der Vater, die Hauptfigur, beschäftigt sich mit dem Attentäter und will verstehen, sieht das menschliche im Fehlverhalten. Der Vater eines Freundes von Sofie, ist nicht betroffen, doch macht er sich das Ereignis zu eigen um seine Verschwörungsideen zu untermauern. Und dann sind da noch einige andere Figuren.
“Es ist die beste aller defizitären Lösungen.” (S. 239)
Jan Costin Wagner schreibt großartig einnehmend. Ich begann im Freibad zu lesen, konnte & wollte es nicht aus der Hand legen. Wirklich lesenswert.
Fazit: Schweres Thema, tolles Buch, ein Brückenbauer in der heutigen nicht vorhandenen Debattenkultur. Ein versöhnlicher Roman, der großartig geschrieben ist.

Bewertung vom 14.08.2025
Kornmüller, Jacqueline

6 aus 49


sehr gut

Ich habe noch nie Lotto gespielt. Nicht einmal aus Versehen. Aber mein Vater? Der füllt seit über 40 Jahren jede Woche brav seinen Schein aus – mit einer Ernsthaftigkeit, als hinge das Weltklima vom richtigen Kreuzchen auf der 27 ab. Gewonnen hat er, aber nur kleinste Beträge. Jackpot – nie! Aber geträumt? Jede Woche. Und genau diese Mischung aus Hoffnung, Routine und stillem Trotz erinnert mich sehr an Lina, die Heldin von Jaqueline Kornmüllers wunderbar schräg-schönem Roman 6 aus 49.
Denn Lina, die Großmutter der Autorin, spielt nicht nur Lotto, sie spielt sich durchs Leben – und das mit einer Mischung aus Mut, Witz und unfassbarer Widerstandsfähigkeit. Als Kupfergeschirrwäscherin gestartet, landet sie – durch Schicksal, Zufall und eine ordentliche Portion Biss – irgendwann auf der Veranda ihres eigenen Hotels in Garmisch, den Lottoschein in der Hand, das Glück im Blick.
Kornmüller erzählt diese Geschichte mit genau der richtigen Dosis Herz, Humor und Schärfe. Kein Geschichtsroman mit Stock im Rücken, sondern eine flirrende Zeitreise durch Bayern, Winter-Olympiade, Nazizeit, Hotellobby und Frauensolidarität. Lina und ihre Freundin Maria stemmen das Leben, das Hotel, die Kindererziehung und wahrscheinlich auch noch ein paar Tortenbleche – und das ganz ohne Männer.
Die Sprache ist grandios in diesem Roman! Kornmüller schreibt nicht gefällig, sondern genau. Zwischen poetischen Wortschleifen und trockenen Alltagskommentaren liegt oft nur ein Satz. Man liest, lacht, schluckt – und liest nochmal. Nicht weil man muss, sondern weil man will.
Und dann dieses Cover!K< at Menschik illustriert mit so viel Liebe, dass ich das Buch am liebsten auf den Wohnzimmertisch liegen lassen möchte – wie ein Kunstobjekt. Lottozahlen, Hotel, Freundinnenpower – alles drauf, alles dran. Das wäre mal ein colles Poster!
Fazit: 6 aus 49 ist ein Glücksgriff. Auch ohne Lottoschein. Es zeigt: Das wahre Glück liegt nicht im Kreuzchenfeld, sondern im Leben selbst – mit all seinen Umwegen, Zufällen und Kupferkesseln. Ein Buch für starke Frauen, ewige Träumer und Menschen mit Herz für Geschichten, die bleiben.
Und wer weiß – vielleicht fange ich jetzt doch mal mit dem Lotto an.

Bewertung vom 07.08.2025
June, Joana

Bestie


ausgezeichnet

Manche Bücher sind wie eine neue Mitbewohnerin: Du denkst, du kennst den Deal – und dann zieht jemand ein, der alles in dir umsortiert. Bestie von Joana June war für mich genau so ein Buch. Ich habe es nicht gelesen – ich bin eingezogen.
Was für ein Debüt. So klug gebaut, so emotional fordernd, so sprachlich sicher – Bestie hat mich mit mitgenommen. Es ist ein Roman über zwei Frauen, die sich begegnen und verändern, aber kein Stück des üblichen Selbstfindungskitschs. Delia, die sich als „Lilly“ neu erfindet, und Anouk, die strahlende Influencerin mit Rissen im Lack, könnten nicht unterschiedlicher sein – und ähneln sich doch in ihrem innersten Wunsch: gesehen zu werden. Echt gesehen. Nicht durch den Filter. Einfach nur das normale Leben im echten Raum.
Was dieses Buch so verdammt stark macht, ist seine Ambivalenz. Hier gibt es keine klaren Heldinnen, keine einfachen Antworten. Jeder Schritt, den die Figuren machen, schmerzt ein bisschen. Nicht, weil er falsch ist – sondern weil man weiß, wie viel Unsicherheit, Mut und Selbstverrat dahintersteckt. Ich habe Delia und Anouk nicht immer gemocht, aber ich habe ihnen jede Entscheidung geglaubt.
Und dann dieser Stil! Joana June schreibt mit einer Direktheit, die manchmal weh tut und im nächsten Moment so poetisch wird, dass man kurz innehält. Gerüche, Räume, Sätze – alles ist spürbar. Jede Szene sitzt. Jede Nuance hat ein Echo. Selbst die kleinen Zwischenspiele zwischen den Akten – erst rätselhaft, dann fast magisch – tragen dazu bei, dass man tiefer geht als gedacht.
Besonders beeindruckt hat mich, wie feinfühlig das Buch mit Themen wie weiblicher Selbstdarstellung, Macht, Einsamkeit und der Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit umgeht – ohne Moralkeule, ohne Pathos. Es geht hier um mehr als nur zwei Lebensentwürfe. Es geht um das, was wir bereit sind zu geben – und zu verlieren – um endlich wir selbst zu sein.
Ach, und der Titel: Bestie. Was für ein Coup. So unscheinbar auf den ersten Blick – so vielschichtig, wenn man erstmal drin ist. Freundschaft oder Verrat? Verletzung oder Verbündete? Ich werde ihn so schnell nicht vergessen.
Der Roman bleibt. Vielleicht, weil es sich weniger wie ein Roman und mehr wie ein Gespräch anfühlte. Zwischen den Zeilen. Zwischen zwei Frauen. Zwischen den Leserinnen.
Joana June hat mit Bestie nicht einfach ein gutes Debüt geschrieben – sie hat einen Nerv getroffen. Und ich kann kaum erwarten, was da noch kommt.
Fünf Sterne von Herzen.

Bewertung vom 07.08.2025
Dittmann, Anne

Jungs von heute, Männer von morgen


sehr gut

Eltern, die sich schon heute viele Gedanken über Gleichberechtigung, Erziehung und Rollenbilder machen, greifen mit ziemlicher Sicherheit eher zu einem Buch wie diesem. Schade eigentlich – denn „Jungs von heute, Männer von morgen“ richtet sich genau an die, die solche Lektüre am dringendsten bräuchten. Aber für alle, die offen sind, Neues zu lernen und eigene Prägungen zu hinterfragen, ist dieses Buch eine echte Bereicherung.
Anne Dittmann – Spiegel-Bestsellerautorin, Journalistin und alleinerziehende Mutter eines Sohnes – gelingt mit diesem Buch ein inspirierender Mix aus persönlichen Einblicken, fundierter Recherche und gesellschaftlicher Analyse. Und das in einem angenehm zugänglichen, fast schon plaudernden Ton. Kein erhobener Zeigefinger, sondern ein offenes Gespräch auf Augenhöhe.
Von Gefühlen, Freundschaften, Rollenvorbildern und... Pornos.
Das Themenspektrum ist beachtlich: von ersten Wutanfällen im Kita-Alter bis zur Frage, wie man als Eltern mit dem Thema Sexualität, Medien oder Männlichkeitsbildern in den sozialen Netzwerken umgeht. Besonders gelungen fand ich die Interviews mit Expert:innen wie Susanne Mierau, Nicola Schmidt oder Patricia Cammarata – sie geben zusätzliche Perspektiven und ganz konkrete Impulse.
Was mir besonders aufgefallen ist:
📘 Das Buch ist nicht nur inhaltlich stark, sondern auch richtig schön gestaltet – übersichtlich, mit klugen Kapitelüberschriften, gut gesetzten Zitaten und hilfreichen Zusammenfassungen. Es lädt zum Wieder-reinlesen ein, zum Nachdenken und Reflektieren – nicht nur für Eltern, sondern für alle, die mit Jungs leben, arbeiten oder sie begleiten.
💬 Natürlich bin ich nicht in allen Punkten mit der Autorin einer Meinung – an einigen Stellen hätte ich mir mehr Tiefe oder eine differenziertere Betrachtung gewünscht. Doch gerade diese Reibung war spannend und hat zum Weiterdenken angeregt.
Fazit:
Anne Dittmann hat ein warmherziges, kluges und engagiertes Buch geschrieben, das Denkmuster aufbricht und neue Perspektiven eröffnet – ein starkes Plädoyer für eine empathische, offene Jungen-Erziehung, die jenseits von Klischees funktioniert.
4 von 5 Sternen – und eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 07.08.2025
Novic, Sara

Klartext


sehr gut

Literarische Inklusion
Stell dir vor, Hogwarts, aber ohne Zauberstäbe – dafür mit ganz viel echter Magie: Sprache, die man mit den Händen spricht, Emotionen, die ohne Worte knallen, und Teenies, die ganz schön viel zu sagen haben. Willkommen an der River Valley School für Gehörlose, wo das Leben nicht leise, sondern einfach anders klingt.
👧 Charlie, neu an der Schule, rebellisch, unglücklich mit ihrem Cochlea-Implantat und bisher Außenseiterin in beiden Welten – weder hörend noch gehörlos so richtig angekommen. 🧑‍🎓Austin, Star der Schule, plötzlich aus der Bahn geworfen, als seine kleine Schwester „perfekt“ hören kann. Und 🧑‍🏫February Waters, Schulleiterin mit Herz, die versucht, ihre Ehe, die Schule und ihren inneren Frieden zusammenzuhalten, während alles um sie herum zerbröselt.
Was wie eine Coming-of-Age-Story beginnt, wird zu einem stillen Aufschrei: Was bedeutet es, gehört zu werden – in einer Welt, die dich ignoriert, weil du anders kommunizierst? Sara Nović, selbst gehörlos, bringt mit „Klartext“ eine Geschichte zu Papier, die nicht nur aufrüttelt, sondern richtig unter die Haut geht. Zwischen Drama, Identitätssuche und Solidarität webt sie leise, aber eindrücklich Themen wie Inklusion, kulturelle Zugehörigkeit und Selbstbestimmung ein.
✨ Besonders cool: Die kurzen Einschübe zu Gebärdensprache und Gehörlosengeschichte – kleine Wissensbonbons, die man beim Lesen aufschnappt und direkt weitererzählen will.
📚 Mein Fazit: „Klartext“ ist laut in seiner Wirkung, stark in seiner Aussage – und ein Buch, das jeder lesen sollte, dersich für echte Diversität interessiert. Dazu spannend, clever, emotional, manchmal witzig, manchmal hart – aber immer wichtig.