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Frankfurt

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Insgesamt 785 Bewertungen
Bewertung vom 03.08.2025
Rubik, Kat Eryn

Furye


ausgezeichnet

Ein Cabrio stürzt von der Klippe. Die Presse spricht von einem tragischen Unfall. Aber die Erzählerin weiß: Das war kein Unfall. Und so beginnt mit einem schwarzen Loch aus Erinnerung, Trauer und Wut ein literarischer Roadtrip zurück in die eigene Jugend – an den Ort, wo alles begann. Und wo alles endete.
Kat Eryn Rubik hat mit Furye einen Roman geschrieben, der wie ein Cocktail aus Sonnenbrand, Salz auf offener Wunde und bittersüßer Nostalgie schmeckt. Unfiltriert, poetisch, zornig und absolut fesselnd. Mir hat er gut gefallen in diesem Sommer.
Die namenlose Ich-Erzählerin ist das, was man gemeinhin als Erfolg bezeichnet: Musikmanagerin, Vogue-Coverfrau, tough und souverän. Innen drin? Leer. Abgestorben. “Ich hatte mein Leben vertan. Mich in mir selbst vertan.” (S. 287) — Dieser eine Satz, ein stilles Erdbeben, das sich durch den ganzen Roman zieht. Als ein Anruf sie zurück in ihre Heimatstadt ruft, ist das nicht einfach nur eine Reise, sondern eine Konfrontation mit ihrem früheren Ich. Dem Sommer der Furien. Alec. Meg. Tess. Drei Mädchen, ein Rudel, ein Schwur. Eine jugendliche Explosion – they owned the world.
Kat Eryn Rubik erzählt in zwei kunstvoll verschränkten Zeitebenen – Vergangenheit und Gegenwart, Furien und Frau – und spielt dabei virtuos mit Sprache und Atmosphäre. Die jugendliche Leichtigkeit flimmert heiß und gefährlich über den Seiten, während die Jetztzeit rau, reflektiert und voller schmerzhafter Klarheit ist.
Und ja, es tut weh. Denn Furye kratzt an allem, was glänzt: Leistungsdruck, toxische Weiblichkeitsbilder, psychische Gesundheit, gesellschaftliche Herkunft, Freundschaft und Verlust. Aber die Autorin kratzt nicht nur – sie reißt auf. Und gerade darin liegt die Kraft des Romans. Es ist keine feel-good-Lektüre. Es ist ein Roman, der dich anschreit, der dich wachküsst und dir gleichzeitig eine schallende Ohrfeige und eine zärtliche Umarmung verpasst.
Die weiblichen Figuren? Widersprüchlich, vielschichtig, radikal echt. Keine Heiligen, keine Heldinnen. Aber Furien eben – im besten Sinne: wild, loyal, wütend, unvergesslich.
Die literarische Wucht wird ergänzt durch visuelle Details (Tablettenblister und Sonnensegel als Reminiszenz ans Cover), liebevoll durchdachte Symbolik und sprachliche Sätze, bei denen man den Textmarker am liebsten heiraten möchte.
Fazit: Furye ist ein feministisches Feuerwerk mit emotionalem Tiefgang. Ein Roman, der dich durchschüttelt und nicht loslässt. Für alle, die keine Angst vor ehrlichen Geschichten haben. Für alle, die wissen wollen, wie es sich anfühlt, wenn man sich in sich selbst verliert – und vielleicht ein kleines Stück wiederfindet.

Bewertung vom 03.08.2025
Gestern, Hélène

Rückkehr nach St. Malo


gut

Mit Rückkehr nach Saint-Malo legt Hélène Gestern einen umfangreichen Roman vor, der sich ganz der Kraft der Erinnerung, der Versöhnung mit der eigenen Herkunft und der Schönheit der bretonischen Küste widmet. Es ist ein Buch, das Zeit fordert – und dafür umso mehr Tiefe zurückgibt.
Im Mittelpunkt steht Yann, Historiker, Scheidungskandidat und Sohn einer einstmals einflussreichen Reederfamilie. Nach dem Tod seines Vaters kehrt er in die Familienvilla nach Saint-Malo zurück – in jenes Haus, das einst Schauplatz unbeschwerter Kindheitssommer mit seinem verstorbenen Zwillingsbruder war. Zwischen Dünenwind, Wellenrauschen und Familienarchiv beginnt er, Schicht für Schicht die Geschichte seiner Vorfahren zu entschlüsseln – und damit auch seine eigene.
Hélène Gestern erzählt ruhig, detailliert, mit großem Respekt für historische Genauigkeit und psychologisches Gespür. Die Sprache ist poetisch, stellenweise fast hypnotisch, vor allem in den Naturbeschreibungen. Das Meer – mal tosend, mal still – wird zum Spiegel der Figuren. Die kleine Insel Cézembre vor Saint-Malo ist dabei nicht nur geografischer Fixpunkt, sondern auch Symbol für Vergangenes, Unausgesprochenes, Verdrängtes. Es kann sich auch etwas ziehen, wenn man kein großer Fan von Naturbeschreibungen ist.
Stark ist das Buch, wenn es sich in die Familiengeschichte vertieft, in Fragen von Schuld und Schweigen, in die Brüche, die zwei Weltkriege hinterlassen haben – nicht nur im Land, sondern in den Menschen. Auch die subtile Liebesgeschichte fügt sich unaufdringlich ein, ohne je die Oberhand zu gewinnen.
Weniger überzeugend waren für mich die sehr ausführlichen Passagen zu Schiffsbau, und archivalischen Details. Wer eine straffe Handlung sucht, wird sich streckenweise schwertun – Rückkehr nach Saint-Malo ist kein Roman zum schnellen Durchfliegen. Es lebt vom langsamen Lesen, vom Mitgehen, vom Sich-Einlassen. Eigentlich genau das richtige für eine Reiselektüre in Frankreich!
Die vielen Zeitebenen und Namen können anfangs herausfordernd sein, aber Geduld wird belohnt. Denn was bleibt, ist ein Roman, der nicht laut auftritt, aber lange nachhallt. Ein Roman, der sich dem großen Thema der Herkunft mit literarischer Eleganz nähert. Und der das Meer so beschreibt, dass man meint, Salz auf den Lippen zu schmecken.
Fazit: Ein poetischer, stellenweise etwas zu ausufernder Familienroman mit Tiefgang – für Liebhaber langsamer, fein gearbeiteter Literatur. Ideal für Leser:innen, die sich gern in vielschichtige Geschichten und weite Landschaften hineinfallen lassen.

Bewertung vom 03.08.2025
Kuhn, Yuko

Onigiri


sehr gut

Ich liebe Sushi und daher hab ich mich immer weiter in die japnaische Küche verliebt. Auch Onigiri haben einen Platz in meinem Herzen. Diese kleinen Reisbällchen, liebevoll von Hand geformt, schlicht und doch voller Bedeutung. Als ich Yuko Kuhns Roman Onigiri entdeckt habe, war ich sofort neugierig: Was verbirgt sich hinter diesem stillen Titel? Die Antwort: sehr viel.
Denn wie diese Reisbällchen steht auch der Roman für Fürsorge, Verbundenheit, unausgesprochene Liebe – für alles, was zwischen den Generationen weitergegeben wird, wenn Worte fehlen.
Als Aki vom Tod ihrer Großmutter erfährt, trifft sie eine mutige Entscheidung: Sie reist mit ihrer demenzkranken Mutter Keiko ein letztes Mal nach Japan, zurück in das Haus der Familie. Und obwohl sie weiß, wie riskant das für Keiko ist, spürt sie, dass dort etwas schlummert – eine Erinnerung, ein Funke.
Und tatsächlich: In der Heimat beginnt Keiko aufzublühen. Während sie in Deutschland zunehmend in der Vergessenheit verschwand, wird sie in Japan plötzlich wieder lebendig – spricht klar, lacht, erinnert sich. Für Aki ein schmerzhafter und zugleich wunderschöner Moment: Sie erkennt in ihrer Mutter zum ersten Mal die mutige, lebenshungrige Frau, die sie einmal war.
Yuko Kuhn erzählt diese Geschichte leise, aber kraftvoll. Sehr japanisch. Ohne große Gesten, aber mit eindrücklicher Tiefe. Der Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart macht deutlich, wie sich das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter im Laufe der Jahre verschoben hat – von Nähe, Abgrenzung, Erschöpfung bis hin zu einem späten, fast zärtlichen Verständnis.
Was mir besonders gefallen hat: Onigiri verzichtet auf direkte Rede. Das ist ungewohnt, aber es macht den Text noch intimer – man ist ganz nah bei Aki, in ihren Gedanken, Zweifeln, Erinnerungen.
Der Roman ist mehr als eine Mutter-Tochter-Geschichte. Er handelt von Identität, Heimat, Demenz – aber auch vom Verzeihen und der Hoffnung, dass es nie zu spät ist, sich wirklich zu begegnen. Er hat mir die Zerbrechlichkeit des Erinnerns bewusst gemacht – und die Kraft kleiner Gesten.
Ein schmales, intensives Buch, das mir sehr nah gegangen ist. Für mich ganz klar:
5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 02.08.2025
Hauff, Kristina

Schattengrünes Tal


ausgezeichnet

Fesselnd, atmosphärisch und psychologisch packend
Schon Kristina Hauffs In blaukalter Tiefe hat mich mit seiner dichten Atmosphäre und dem psychologischen Spannungsaufbau begeistert – und Schattengrünes Tal steht diesem Roman in nichts nach. Wieder gelingt es der Autorin, einen Schauplatz so lebendig und gleichzeitig so beklemmend zu zeichnen, dass man sich förmlich in die Handlung hineingezogen fühlt.

Das alte Hotel „Zum alten Forsthaus“ im Schwarzwald ist der perfekte Ort für diese Geschichte: abgelegen, verwittert, mit einer düsteren Aura, die von Seite zu Seite mehr unter die Haut kriecht. Beschreibt die Autorin großartig. Im Zentrum steht Lisa, eine Frau, die zwischen Pflichtgefühl gegenüber ihrem herrischen Vater, der Verantwortung für das heruntergekommene Hotel und ihrer eigenen Ehe zerrieben wird. Der schleichende Einbruch von Daniela, dieser schutzbedürftig wirkenden, aber immer undurchsichtiger werdenden Fremden, sorgt dafür, dass aus dem leisen Familien- und Dorfalltag langsam ein psychologischer Sturm wird.

Besonders gelungen finde ich, wie Hauff Spannung ohne großes Blutvergießen erzeugt: Alles lebt von der unterschwelligen Bedrohung, dem Spiel aus Nähe und Misstrauen, und der Frage, was hinter Danielas Verhalten steckt. Der Perspektivwechsel verstärkt die Sogwirkung, und die düstere, herbstliche Atmosphäre des Schwarzwalds legt sich wie ein Schatten über die gesamte Geschichte. Ihre Naturbeschreibungen sind wieder sehr gelungen.

Wie schon bei `In blaukalter Tiefe` habe ich das Buch kaum aus der Hand legen können. Kristina Hauff versteht es meisterhaft, menschliche Abgründe, subtile Manipulationen und ein Gefühl stetig wachsender Beklemmung miteinander zu verweben. Für mich ein psychologischer Spannungsroman, der lange nachhallt – und definitiv ein weiteres Highlight in Hauffs Werk.

5 von 5 Sternen und eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 02.08.2025
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


sehr gut

Wenn Europa Elefanten serviert bekommt …
Nach dem Überraschungserfolg von Trophäe, in dem Gaea Schoeters schon genüsslich das anachronistischen Jagden in Afrika zerlegte, serviert sie uns mit Das Geschenk die nächste literarische Breitseite. Wörtlich. 20.000 afrikanische Elefanten trampeln durch Berlin, nicht aus dem Zoo entflohen, sondern als freundliche „Dankesgabe“ aus Botswana, nachdem Deutschland den Import von Jagdtrophäen verboten hat. Ein Geschenk, das man nicht ablehnen kann – schließlich: it’s magic.
Schoeters’ Satire ist so überdreht, dass sie fast real wirkt. Während der Bundeskanzler versucht, zwischen Wahlumfragen und Elefantenfladen einen kühlen Kopf zu bewahren, zeigt die Autorin gnadenlos auf, wie schnell moralische Prinzipien in Rauch aufgehen, wenn plötzlich vier Meter hohe „Fremde“ vorm Reichstag stehen. Erst sind sie exotisch und schützenswert, dann ein Sicherheitsrisiko – und schließlich nur noch eine Frage von: Abschießen oder nicht?
Mit bissigem Humor und einer guten Portion Zynismus legt Schoeters den Finger in die Wunde westlicher Besserwisserei: Wer anderen Ländern vorschreibt, wie sie ihre Ressourcen managen, sollte vielleicht erst mal selbst lernen, mit 120 Kilo Elefantenfutter pro Tier und Tag klarzukommen – plus der entsprechenden „Nebenprodukte“.
Klar, nicht jede Szene sitzt perfekt, und gegen Ende leistet sich die Autorin einen kleinen Hänger. Aber insgesamt ist Das Geschenk eine kluge, herrlich freche Realsatire, die uns Europäern die Doppelmoral auf dem Silbertablett serviert – am besten mit einem großen Haufen Elefantendung garniert.
Fazit: Wer Schoeters’ Trophäe mochte, bekommt hier den Nachschlag – größer, dreister, und mit noch mehr Fladen.

Bewertung vom 02.08.2025
Knecht, Doris

Ja, nein, vielleicht


ausgezeichnet

Leben in Zwischentönen – Wenn das Vielleicht lauter wird als das Ja oder Nein
Doris Knecht begleitet mich schon lange als Autorin – und auch mit ihrem neuen Roman Ja, nein, vielleicht hat sie mich wieder voll und ganz überzeugt. Sie schreibt so, wie das Leben manchmal ist: leise, ungeschönt, ehrlich, klug – mit einem feinen Sinn für das Komische im Alltäglichen und das Schwere im scheinbar Banalen.
Im Mittelpunkt steht eine namenlose Ich-Erzählerin, deren Leben sich gerade wandelt: Die Kinder sind aus dem Haus, der Alltag pendelt sich ein zwischen Großstadtwohnung und Landhaus. Ruhe kehrt ein – und mit ihr eine neue Art von Freiheit. Doch dann: ein Zahnarzttermin, ein schmerzhaftes Detail, das plötzlich zur existenziellen Krise wird. Wie beiläufig, fast unmerklich, entfaltet Knecht daraus ein ganzes Panorama an Gedanken übers Älterwerden, über den Körper, über Freundschaften, weibliche Selbstbilder – und über die große Frage, ob man die eigene Zufriedenheit noch einmal aufs Spiel setzen sollte. Für Liebe. Für einen Mann. Für Friedrich, der da plötzlich wieder vor einem steht.
Was Knecht so großartig macht – und was ich an ihr seit jeher liebe – ist diese unglaubliche Beobachtungsgabe. Ihre Sprache ist schnörkellos, dabei oft poetisch, vor allem aber tief und wahr. Die Gedanken der Erzählerin, ihre Zweifel, ihre Ironie, ihre Sehnsucht nach Autonomie: All das fühlt sich nie konstruiert an, sondern auf eine ganz besondere Weise ehrlich und nah. Ich habe mich in so vielen Stellen wiedergefunden – und das, ohne dass Knecht je auf plakative Identifikation aus wäre.
Ja, in diesem Roman passiert nicht viel. Und genau das ist seine Stärke. Es ist ein Buch für Menschen, die bereit sind, genau hinzusehen. Die nicht nach schnellen Lösungen suchen, sondern sich für die leisen Töne interessieren – für das, was zwischen den Jahren, den Beziehungen, den großen Entscheidungen passiert. Für das Leben eben.
Fazit:
„Ja, nein, vielleicht“ ist ein stiller, scharfsinniger Roman über Aufbrüche im Spätleben, über Abschiede und neue Möglichkeiten, über Angst und Mut – und über die Liebe, wenn sie eigentlich gar nicht mehr eingeplant war. Für mich ein absolutes Lesehighlight. Wer Doris Knecht schon kennt, wird sie hier erneut feiern. Und wer sie noch nicht kennt, sollte genau hier anfangen.

Bewertung vom 02.08.2025
Buckley, Katie

Hero


ausgezeichnet

Liebe ja. Lovestory nein.
Hero ist eine Frau, die irgendwie in uns allen steckt. Jeder hat Anteile von ihr in sich, die eine mehr, die andere weniger.
“Ich habe immer eine schlagfertige Antwort parat. Männer schleudern mir alberne Beleidigungen entgegen, und ich pariere sie mit einem Blick oder einem Lachen, das sie ein bisschen aufrechter sitzen lässt. Ich bin ein Waldbrand, der die Leute zwingt, ihr Streichholz besonders sorgfältig aus-zublasen. Waldbrände sind irgendwie aufregend, oder? Und unberechenbar. Aber irgendein Idiot kommt immer auf die Idee, sein Feuerzeug aufzuklappen und es mir vors Gesicht zu halten. Irgendein Typ muss immer Öl ins Feuer gießen.
Im echten Leben habe ich mich schon oft verbrannt. Früher bin ich regelmäßig in Flammen aufgegangen, mein Inneres wurde immer empfindlicher.” (S 53)
Hero ist eine brutal schöne Frau, die keine gute Vergangenheit hat und sich bei Männern nicht unbedingt die Zeit nimmt, sie zu ergründen bevor sie mit ihnen im Bett landet.
Aber da ist der eine. Der will sie heiraten, aber will sie das? Es folgt kein rosarotes Ja, sondern eine Woche voller Gedanken und Gefühle. Wir sind hautnahe dabei.
Ein derbes Buch, aushaltbar, mit vielen Wahrheiten.
“Ich muss daran denken, wie ich einmal zu Two Shot sagte:
Ich hasse es, mich entscheiden zu müssen. Ich hasse es, dauernd irgendwelche Kompromisse eingehen zu müssen. Ich will wie ein Mann sein. Ich will alles haben können.
Wenn du zwischen ihm und deiner Karriere wählen müsstest, wie würdest du dich entscheiden?, fragte Two Shot.
Ich will mich nicht entscheiden müssen, sagte ich
Sie zog die Augenbrauen hoch.
Und ich will eine Million Dollar, sagte sie.”
(S 189)
Wenn man sich an den Schreibstil und die fehlende Indikation der wörtlichen Rede gewöhnt hat, dann saugt es einen förmlich ein. Mich hat diese Liebesgeschichte, die eigentlich eine Leidensgeschichte ist fasziniert. Sicherlich weil mir das Verhalten von Hero so fremd und kaputt erscheint, aber eben auch seine Berechtigung hat.
Und vielleicht genau deshalb bleibt das Buch so lange im Kopf: weil es keine Lösung anbietet, keine glatte Heldin und kein kitschiges Happy End. Stattdessen stellt es Fragen, die man nur für sich selbst beantworten kann. Wie viel Schmerz und Selbstzerstörung ist man bereit zu tragen, um Nähe zu spüren? Wie viel Freiheit darf Liebe kosten, ohne sich selbst zu verlieren? Hero zwingt einen, mitzudenken und mitzuleiden – und genau das macht es so besonders.

Bewertung vom 28.06.2025
Taylor, Austin

Das Gefühl von Unendlichkeit


gut

Was haben ein Hörsaal, ein Urknall und eine Chemie-Vorlesung gemeinsam? Ganz einfach: Das Gefühl von Unendlichkeit. Dieser Roman ist kein stiller Leseabend mit Kamillentee – das ist ein Leuchtfeuer aus Emotion, Wissenschaft und ganz großer Gefühlsexplosion.
Nicht Taylor Swift, die Sängerin – sondern Austin Taylor, die Autorin, hat mit diesem Debüt ein Werk geschaffen, das sich nicht in gängige Genres pressen lässt. Es ist Romance, ja – aber nicht süßlich. Es ist Wissenschaft, ja – aber nicht trocken. Und es ist Drama, aber eines mit echtem Tiefgang, das einen in Harvard absetzt und nicht eher loslässt, bis man auch selbst kurz davor ist, die Thermodynamik des Herzens zu berechnen.
Zoe ist klug, ehrgeizig, analytisch – aber dann kommt Jack. Auch er ist kein klassischer Bookboyfriend, sondern ein vielschichtiger Charakter mit Schatten und Substanz. Zwischen Vorlesungssaalsarkasmus, nächtelangen Gesprächen und einem intellektuellen Battle um die Gunst der Professorenschaft knistert es gewaltig. Und dann? Dann entdecken die beiden etwas, das nicht nur die Welt der Chemie auf den Kopf stellt, sondern bald auch ihr Leben.
Was Austin Taylor hier gelingt, ist nicht weniger als eine Explosion aus Intellekt und Intimität. Die Autorin bringt ihr eigenes Wissen ein – und ja, das merkt man. Manchmal wird es chemisch, manchmal wird es politisch, oft wird es persönlich.
Ja, das Buch hat Passagen, die etwas ausufern, und gegen Ende zieht ein dramatischer Nebel auf, der sich nicht ganz lichtet – aber das tut der Wucht der Geschichte keinen Abbruch. Statt Standard-Happy-End gibt’s Erkenntnisse, Reibung, Schmerz, Entwicklung. Genau das, was man sich von echter Literatur wünscht.
Mein Fazit:
Austin Taylor hat mit Das Gefühl von Unendlichkeit ein Debüt hingelegt, das sich nicht brav an Konventionen hält, sondern mit einem lauten Knall über die Seiten fegt. Für Leser:innen, die keine Angst vor Gefühl und Gehirn in Kombination haben und auch nicht klassiche Romance suchen.

Bewertung vom 28.06.2025
Bradley, Kaliane

Das Ministerium der Zeit


sehr gut

Ich lese ja wirklich vieles – aber Das Ministerium der Zeit hat meine Vorstellung von „originell“ noch mal neu kartografiert. Gelesen habe ich es, weil es im Podcast Zwei Seiten empfohlen wurde. Ich hatte Lust auf etwas, das anders ist. Und bekam ein Buch, das nicht nur anders, sondern auch herrlich seltsam, klug und emotional verwirrend ist.
Die Ausgangslage: Eine junge Frau bekommt einen Job in einem geheimnisvollen Ministerium, das Zeitreisen ermöglicht. Ihre Aufgabe? Einen echten viktorianischen Polarforscher – Commander Graham Gore, historisch verbürgt und moralisch irgendwo zwischen „gentleman“ und „verzweifelt überfordert“ – ins 21. Jahrhundert einzuführen. Gore wird also ins London von heute geholt und lernt zwischen Spotify, Bussen mit WLAN und „Frauen wohnen hier auch einfach so?“ das moderne Leben kennen. Und sie – unsere Ich-Erzählerin mit kambodschanischen Wurzeln – soll ihn begleiten. Als „Brücke“. Als Mitbewohnerin. Als Mensch, der erklären soll, was hier eigentlich Sache ist.
Was daraus entsteht, ist eine Zeitreise-Romanze ohne Kitsch, ein Science-Fiction-Roman ohne Raumschiffe, ein literarischer Tanz über die großen Themen: Kolonialismus, Identität, Sprache, Nähe, Gewalt, Macht, Erinnerung, Verlust. Und: Liebe. Ja, es wird auch romantisch – aber auf die leise, verdrehte, bittersüße Art. Kein großes Tamtam. Dafür Blicke, Dialoge, Momente, die lange nachhallen.
Bradleys Stil ist dabei etwas ganz Eigenes: gleichzeitig intellektuell und verspielt, bildstark und lakonisch, oft mit einem trockenen Witz, der mich mitten im Satz hat auflachen lassen. Und dann wieder poetisch und traurig, wie ein Gedicht, das zu spät auf dem Anrufbeantworter ankommt.
Commander Gore? Ein absoluter Szenendieb. Sein trockener Humor, seine Verlorenheit, sein Mut, sich in diese seltsame Welt hineinzutasten – all das macht ihn zu einer Figur, die man nicht vergisst. Unsere namenlose Erzählerin hingegen wirkt oft wie ein Gegenpol: kontrolliert, vorsichtig, manchmal fast zu zurückgenommen – und gerade deshalb faszinierend.
Aber: Irgendwann, so im letzten Viertel, rutscht das Buch ein wenig ins narrative Chaos. Geheimnisse überschlagen sich, politische Verschwörungen tauchen auf, die Zeit springt, die Perspektiven auch, und ich hatte kurz das Gefühl, als hätte jemand im Ministerium vergessen, die Chronologie zu sichern. Es wird wirr, manchmal zu sehr. Aber irgendwie passt auch das wieder zu dieser Geschichte, die sich nie ganz greifen lässt – wie die Zeit selbst.
Mein Fazit:
Dieses Buch ist wie ein handgeschriebener Brief aus einer anderen Epoche, der in einem modernen Briefkasten landet und genau im richtigen Moment gelesen wird. Es ist nicht perfekt, aber es will auch gar nicht perfekt sein. Es will überraschen, berühren, zum Nachdenken bringen – und genau das tut es.

Bewertung vom 28.06.2025
Bendix, Caspar

Born to perform - Sei das Rad, nicht der Hamster


gut

Also ehrlich – ich hab’s gelesen, weil ich dachte: „Komm, das klingt wie Stromberg auf Speed.“ Und ganz falsch lag ich damit nicht. Das Cover? Eher Business-Ratgeber-Vibes – sah aus, als müsste ich gleich meine Work-Life-Balance optimieren und einen Meditationskurs buchen. Aber nein: Born to perform ist kein Sachbuch, sondern eine Büro-Satire mit Herz, Hirn und einer gehörigen Portion Selbstironie.
Unser Held Bo Martens ist so ein typischer Typ, der nach dem Studium erstmal mit offenen Fragen kämpft – beruflich, emotional und vermutlich auch beim Wäschewaschen. Gut, dass ihm Dr. Thomas Meermann zur Seite steht – eine wandelnde PowerPoint-Folie in Anzugform, die mit hohlen Businessphrasen um sich schmeißt wie andere mit Konfetti. Und das ist ehrlich gesagt auch der größte Spaßfaktor des Buches.
Was dann passiert? Bo verliebt sich in seine Zahnärztin (natürlich! Irgendwer muss ja schöne Zähne haben in der Story), und sein bester Kumpel Jan – ein etwas zu selbstsicherer Lehrer mit dem Charme eines überzuckerten Energydrinks – beschließt, dass man Meermanns Management-Sprüche wunderbar auf das Datingleben übertragen kann. Drei Wochen Zeit fürs perfekte Date – was kann da schon schiefgehen?
Die Story selbst ist jetzt keine literarische Offenbarung – aber sie macht einfach Laune. Man merkt schnell: Wer Resturlaub oder Millionär von Tommy Jaud mochte, wird hier auch seinen Spaß haben. Und wer schon mal in einem Großraumbüro saß und dachte: „Bin ich hier im Film oder ist das wirklich das Leben?“ – der wird sich eh wie zu Hause fühlen.
Die Charaktere sind sympathisch überzeichnet, die Sprüche sitzen (meistens), und der Humor pendelt irgendwo zwischen Schmunzeln und lautem Prusten beim Lesen in der S-Bahn (sorry an die Mitreisenden). Ja, es gibt eine Liebesgeschichte – aber die hält sich schön im Hintergrund. Viel wichtiger sind eh die ganzen schrägen Manager-Tipps und die Situationskomik.
Fazit: Born to perform ist keine literarische Raketenwissenschaft – aber ein kurzweiliger Trip durch PowerPoint-Hölle, Zahnarztliebe und Lebensoptimierung. Nichts, was ewig im Gedächtnis bleibt, aber definitiv was fürs Wochenende auf der Couch oder als Lese-Snack in der Mittagspause. Wer Stromberg mag, wird Bo lieben. Und wer das Büroleben kennt, wird sich zwischen den Zeilen verdammt oft wiedererkennen.