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meerblick

Bewertungen

Insgesamt 489 Bewertungen
Bewertung vom 22.10.2025
Illies, Florian

Wenn die Sonne untergeht


ausgezeichnet

Die Siedler von Sanary-sur-Mer

Im Februar 1933 brachen Thomas und Katja Mann aus dem heimischen München von ihrer innig geliebten Villa in der Poschinger Straße 1 auf zu einer Vortagsreise zum Thema ‘Leiden und Größe Richard Wagners‘, um dann weiter in die Schweiz zur Erholung zu fahren. Für März war dann die Rückkehr in die Heimat, nach Deutschland, vorgesehen. Doch es sollte anders als geplant eine sehr lange Reise werden, eine über Jahre währende Suche nach einem Platz, an dem die gewohnte und über alles geliebte Ruhe zum Schreiben, dem vertrauten Schreibtisch nebst gepolstertem Stuhl, dem gigantischen Schatz der heimischen Bibliothek und natürlich diese gelbe Decke des unterkühlten Autors einen Platz finden würden. Auch die lebensnotwendigen Rituale der pünktlichen Essens- und Arbeitszeiten mussten in den Alltag wieder einziehen, damit der Literatur-Nobelpreisträger seine Schaffenskraft zum Wohle seiner Leserschaft erhalten und überhaupt seinen wertvollen Gedanken nachgehen konnte, die sich in den überaus beliebten Romanen doch so erfolgreich verfestigten.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten sollte sich das Leben der Familie Mann grundlegend ändern, denn an eine Heimkehr nach München war bis auf weiteres nicht zu denken. Der Grund dafür war einer Unachtsamkeit eines Journalisten zuzuschreiben, der den Wortlaut von Thomas Manns Vortrag über Richard Wagner fehlerhaft wiedergab und damit eine Welle der Empörung in der neuen politischen Führung Deutschlands auslöste. An der südfranzösischen Mittelmeerküste im kleinen Örtchen Sanary-sur-Mer verbringen schließlich die Manns den heißen Sommer von 1933 zusammen mit weiteren namhaften ebenso emigrierten Schriftstellern, die sich dann doch lieber als Siedler bezeichneten, sich einrichteten und sich gemeinsam Unterhaltung als auch Stütze gaben in den schweren Zeiten.
Florian Illies beweist einmal mehr im Roman ‘Wenn die Sonne untergeht – Familie Mann in Sanary‘ sein großes schriftstellerisches Talent. Intelligent und auf angenehm unterhaltende Art präsentiert er die Leiden des großen Thomas Mann, welche Konflikte er mit sich austragen musste, um Stellung zu beziehen, die man so sehr von ihm erhoffte. Der Autor lässt den Leser an dem sehr persönlichen Leben der Familienmitglieder, der Freunde und Wegbegleiter teilhaben, in dem er neben unzähligen überlieferten Zeitzeugnissen auch die bisher unveröffentlichten Tagebucheinträge von Golo Mann auswertet und gekonnt in die Geschichte einarbeitet.
Für mich ist dieser Roman von Florian Illies ein Highlight des Jahres.
Stephan Schad verleiht diesem bemerkenswerten Roman, in dem von ihm eingesprochenen Hörbuch, einen ganz besonderen Reiz, dieser Geschichte zu folgen.

Bewertung vom 20.10.2025
Pustet, Julia

Alles ganz schlimm


gut

Disharmonie

‘Alles ganz schlimm‘ ist der Debütroman von Julia Pustet, der sich mit schwerwiegenden Themen rund um ihre Protagonistin Susanne auseinandersetzt. Hier werden Sucht, Gewalt, psychische Abhängigkeit aber auch Schuldfragen und die Suche nach persönlicher Identität in den Mittelpunkt der Geschichte gestellt, bleiben jedoch all zu oft nur angedeutet im Raum stehen, ohne eine erklärende Wirkung. Der Schreibstil ist sprunghaft, wechselt unvermittelt in den Zeiten, zeigt ein unstetes Bild, was es mir schwer machte, dem Vermittlungsgedanken zu folgen. Die Charaktere wirkten auf mich eher distanziert.
Susanne lebt in einer Disharmonie mit sich selbst und ihrer Umgebung. Freundschaften zerbrechen, werden missbraucht. Psychisch instabil begibt sie sich immer weiter in einen isolierten Zustand, der nur schwer zu ertragen ist.
Sozialkritisch schaut der Roman auf problematische Herausforderungen, die weh tun und nach einer Lösung schreien.

Bewertung vom 20.10.2025
Razavi, Parvin

Ein Fest für Gemüse


ausgezeichnet

Gaumenfreuden ohne Ende

Wer das Gemüse im Allgemeinen als Nahrungsquelle mag und gern auf den Spuren der Vielfalt von Zubereitungsmöglichkeiten unterwegs ist, wird das Kochbuch ‘Ein Fest für Gemüse - Orientalisch vegetarisch‘ von Parvin Razavi aus dem Brandstätter Verlag lieben. Schon das aufwendig gestaltete Cover, eindeutig ein Augenschmaus, deutet an, mit wieviel Liebe und Sorgfalt zum Detail hier gearbeitet wurde.
Die Spitzenköchin mit persischen Wurzeln beginnt mit einer aussagekräftigen Warenkunde, in der sie Lieblingskombinationen, die bevorzugte Art der Zubereitung, Wissenswertes zur Haltbarmachung oder Informatives zur Lagerung verrät. Dann folgen auch schon diese verführerischen Rezepturen, bei denen mir bereits beim Lesen das Wasser im Munde zusammenläuft. Ich rieche förmlich diese delikaten Aromen der Gemüsesorten, verfeinert mit duftenden Kräutern und Gewürzen, die im Anhang übrigens auch ausführlich erklärt werden.
Ich liebe Tomaten über alles und sie kommen bei mir täglich auf den Tisch. Natürlich habe ich diese Gerichte zuerst nachgekocht und bin nicht enttäuscht worden, ganz im Gegenteil. Liebhaber fast jeder Gemüsesorte kommen voll auf ihre Kosten, erhalten Anregungen für eine gesunde und vitaminreiche Ernährung, die auch noch fantastisch schmeckt.

Bewertung vom 20.10.2025
Simon, Christian

Tempelhof-Schöneberg


ausgezeichnet

Auf den Spuren Berliner Stadtbezirksgeschichte

Die Broschüre ‘Tempelhof-Schöneberg Berliner Industriekultur – Für mehr Berlin: hier lang‘ zeigt auf unterhaltende, sehr informative Weise Wissenswertes und Interessantes zur Geschichte der Industriekultur des Stadtbezirks. Sie enthält eine Faltkarte für Fahrradtouren, nützlich nicht nur für sportlich Begeisterte.
Reichlich bebildert in drei Schwerpunkten unterteilt, werden sehenswerte Gebäude auf historischem Gelände vorgestellt. Unter Verkehr und Mobilität lernen wir unter anderem die Werkhallen der Adam Opel AG kennen und den Natur Park Südgelände. Der Schwerpunkt Produktion und Versorgung weiß über historische Besonderheiten des Gaswerk Schöneberg und der Sarotti AG zu berichten. Bei Medien und Kommunikation stellen sich die Ufa-Filmstudios in der Oberlandstraße vor.
Ein bunter Mix Berliner Geschichte hautnah erlebt, werden zum einzigartigen Erlebnis durch geballtes Wissen, dass übersichtlich, gut strukturiert und sorgfältig ausgewählt, präsentiert wird.

Bewertung vom 20.10.2025
Monti, Olivia

Die Toten von nebenan


ausgezeichnet

Gesellschaftskritik

Olivia Monti lässt uns Lesende in ihrem Roman ‘Die Toten von nebenan‘ in eine Parallelwelt zu der unseren real existierenden eintauchen. Das Reich der Toten unterscheidet sich gar nicht so grundlegend von der Welt der Lebenden. Natürlich braucht man keine Nahrung mehr, um zu existieren. Man nutzt die alten Wohnstätten, hat sich eingerichtet, lebt als Schatten, Windhauch der menschlichen Gesellschaft. Es könnte alles so schön und unbeschwert sein, wenn da nicht dieser höchst manipulative Herr Tober wäre, dem dieses Zusammenspiel zwischen Totenreich und Lebendreich stört, der Streit und Zwietracht versucht zu säen, um seine egoistischen Interessen durchzusetzen.
In genau jene Situation gelangt Frau Löffler nach einem Fahrradunfall. Zunächst verstört reagiert sie, als sie auf Verstorbene Verwandte und Nachbarn trifft. Arrangiert sich allerdings mit den scheinbar unabänderlichen Gegebenheiten und greift ein ins Geschehen.
Eine Assoziation zu den aktuell vorherrschenden gesellschaftlichen und damit auch zu politischen Auseinandersetzungen scheint gewollt. Die gruselige, sehr eigenwillige Grundstimmung will Tendenzen in unserem Alltag widerspiegeln, gibt Anlass nachdenklich gestimmt zu werden.

Bewertung vom 20.10.2025
Kaiser, Vea

Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels


ausgezeichnet

Stationen eines Lebens

Der Roman ‘Fabula Rasa oder die Königin des Grand Hotels‘ von Vea Kaiser erzählt die Geschichte der Buchhalterin Angelika Moser, die sich in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in dem über Generationen traditionsbewusst geführten Grand Hotel Frohner, gelegen an der Wiener Ringstraße unweit der Wiener Staatsoper, einen Namen macht und durch Ehrgeiz als auch durch einen glücklichen Zufall zur Führungskraft in der Verwaltung ganz nach oben arbeitet. Sie genießt eine gewisse Vertrautheit zum Direktor, dem Herrn Frohner Senior, der sie verleitet gewisse finanzielle Vorteile für das Unternehmen in den Büchern vorbei am Finanzamt vorzunehmen. Hintergrund dieser offiziell inoffiziellen Handlungen von Korrekturen an der Vermögensstruktur der Hoteleigner sind aktuell erhobene Ansprüche Dritter, die zurückführen in die Zeit der Naziherrschaft, denen nicht entsprochen werden soll. Angelika fühlt sich einerseits dem Hause verpflichtet, in dem ein Geist dem Reichtum uneingeschränkt zu dienen herrscht, andererseits entwickeln sich Wünsche nach einem gewissen Luxus in ihrem Leben. Sie bewegt sich in einer Welt, die sie zuvor nur im Fernsehen gemeinsam mit ihrer Mutter und den in gleichen ärmlichen Verhältnissen lebenden Nachbarn bewundert hat, die ihr jedoch stets als unerreichbar dargestellt wurde.
Vea Kaiser setzt sich mit einer Themenvielfalt wie der Suche nach Geborgenheit und Akzeptanz im Leben, den Herausforderungen des Mutterseins, Demenz, Drogenabhängigkeit, Grenzen des Pflichtbewusstseins, Verlangen nach familiärer Geborgenheit, Ausgrenzung und tiefer Verletzlichkeit auseinander. Dabei stellt sie ihre Charaktere gekonnt durch detailreiche, sehr lebensnahe Beschreibungen in Szene, lässt das Wiener Leben in pittoresken Formulierungen erblühen und schafft es durch eine große Kunst des Fabulierens eine interessante und gleichzeitig unterhaltende Geschichte zu präsentieren, die den Zeitgeist widerspiegelt. Wie es ihr gelingt eine lehrhafte Erzählung in Verbindung zu bringen mit der Wiederherstellung eines unbeschriebenen Blattes für einen Neubeginn, erfährt, wer tief in die literarische Welt der Autorin eintauchen kann und möchte.

Bewertung vom 13.10.2025
Bauer, Christina

Einfach backen mit Sauerteig


ausgezeichnet

Backfreuden mit Sauerteig

Ich liebe jegliche Art von Gebackenem aus Sauerteig und Christina Bauer weiß einmal mehr zu begeistern, zu inspirieren mit ihren farbenfrohen Backbuch ‘Einfach backen mit Sauerteig‘. Übersichtlich und klar strukturiert mit genauen Mengenangaben sind die Rezeptangaben für sechzig Backideen, die einfach nur Lust machen aufs Ausprobieren und natürlich zum Genießen. Ich habe mich daran gewagt und es lohnt sich.
Zu Beginn zeigt uns die talentierte Bäckerin, wie man den Sauerteig ansetzt. Das braucht ein wenig Übung, aber die macht ja bekanntlich den Meister. Sie beantwortet meist gestellter Fragen, gibt wertvolle Tipps zur weiteren Verarbeitung des Teigansatzes und zum Backvorgang. Dann folgen auch schon diese verführerischen Rezepturen und Backanleitungen, die wunderschön, appetitlich bebildert sind. Meine Favoriten sind die vielen Brotsorten, die mich noch einige Zeit beschäftigen werden, weil ich einfach unglaublichen Genuss daran finde.

Bewertung vom 13.10.2025
Marant, Ellis

Jenseits der Hitze


sehr gut

Ungewöhnliche Liebesgeschichte

Ellis Marant nähert sich in ihrem Debütroman ‘Jenseits der Hitze‘ auf recht ungewöhnliche, eigenwillige Weise heran, eine Liebesgeschichte zu erzählen. Sie schreibt über ein Paar, dass sich fern der Heimat kennenlernt, eine Nacht miteinander verbringt und sich sofort wieder aus den Augen verliert. Es besteht kaum eine Chance, dass sie sich jemals in ihrem Leben wieder finden werden. Er lebt in München, sie ist gemeinsam mit ihrem Vater aus Kabul geflüchtet. Ihre Lebensumstände, infolge politisch motivierter kriegerischer Auseinandersetzungen, zwingen die Frau ihre Heimat zu verlassen. Sie ist auf der Flucht, muss sehr vorsichtig sein im Umgang mit Fremden.
Intelligent, mit poetischer Geschicklichkeit präsentiert die Autorin eine Geschichte, die in der Lage ist eine angenehme atmosphärische Stimmung zu erzeugen, die schwerwiegende aktuell politische Themen aufgreift, gekonnt verarbeitet und dabei menschliche Beziehungen in ihrer Vielartigkeit in den Mittelpunkt stellt. Man muss sich einlassen auf den Stil des Erzählens und wird mit einem Lesegenuss der besonderen Art beschenkt.

Bewertung vom 13.10.2025
Boyle, T. C.

No Way Home (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Verstörende Abhängigkeiten

Nachdem ich den Roman ‘No Way Home‘ von T.C. Boyle zu Ende gelesen hatte, musste ich erst einmal tief durchatmen. Was für eine Geschichte mit so präziser charakterlicher Darstellung von drei jungen Menschen, die in einer unglaublich zerstörerischen psychischen als auch physischen Abhängigkeit stehen, diese bis zum Exzess vorantreiben und nicht in der Lage sind, einfach loszulassen. Aus abwechselnden Perspektiven betrachtet der Autor seine Protagonisten mit ihren Sichtweisen in Schlüsselszenen der Handlung. Damit steigt der Leser tief ein ins Geschehen und kann eine mentale Beziehung zu den Charakteren aufbauen, ist geneigt, so wie ich, nach Antworten zu suchen.
Terry, um die dreißig, ist Assistenzarzt in LA, ehrgeizig, intelligent und fühlt sich dem geleisteten Hippokratischen Eid verpflichtet. Als seine Mutter stirbt, tritt er sein Erbe in einer Kleinstadt, gelegen in der Wüstenregion Nevadas, an. Dort trifft er auf die äußerst attraktive Bethany, die fast mittellos und ohne ein Dach über dem Kopf ihre große Chance in einer Beziehung zu diesem angehenden Arzt sieht und kurzentschlossen in das Haus der verstorbenen Mutter von Terry, ohne seine Einwilligung, einzieht. Bethany verbindet jedoch noch immer ein starkes Band zu ihrem Ex-Freund Jesse, einem Narzissten mit kriminellem, zerstörerischem Potenzial. Aus diesem menschlichen Gefüge heraus, entsteht ein Machtkampf, in dem der Verstand aussetzt, wo Gefühle ins Spiel kommen, Gefühle in toxischer Abhängigkeit.

Bewertung vom 11.10.2025
Jando

Der Himmel trägt ein goldenes Herz


sehr gut

Die Kraft der Liebe

Felippo trauert um seine Frau Aurora, die er an den Tod verloren hat und mit der ihn eine lebenslange große Liebe verband. Seine Erinnerungen führen den alten Mann an ganz besondere Orte, die beide oft zu Lebzeiten gemeinsam besucht haben, wo sie Kraft tankten und die Schönheit der Natur bestaunten. Still und leise nimmt er Abschied von einer im harmonischen Einklang mit seiner großartigen Partnerin verbrachten Zeit. Auf seinem Weg in die Vergangenheit begleiten ihn sein treuer Weggefährte der Hirtenhund Barnaby und die äußerst emphatische Clara.
Jando, der Autor von ‘Der Himmel trägt ein goldenes Herz‘, schreibt leise und trotzdem sehr lebendig eine Geschichte, die zu Herzen geht, die aber gleichzeitig Trost spendet, weil sie auf erfüllte Jahre der Liebe zurückblickt und ein glückliches Leben in den Mittelpunkt stellt. Farbenfrohe Illustrationen von Robby Krüger stimmen atmosphärisch auf die berührenden Worte der Geschichte von ewiger Liebe ein, die der Tod nicht beenden kann.