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TochterAlice
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Köln

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Insgesamt 1456 Bewertungen
Bewertung vom 15.05.2019
Baldvinsson, Karin

Das Versprechen der Islandschwestern


gut

Island im Herzen - Das hat Pias Großmutter Greta bereits seit vielen Jahrzehnten, denn als ganz junge Frau hatte sie dort 1949/50 ein Jahr verbracht, sozusagen als Gastarbeiterin. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden nämlich dort auf den Höfen Arbeitskräfte gesucht - eine der wenigen Möglichkeiten für deutsche Frauen für einen Neubeginn im Ausland.

Doch Greta war nicht dort geblieben, im Gegensatz zu ihrer Schwester Helga, die auf Island eine Familie gegründet und nie mehr ihren Fuß auf deutschen Boden gesetzt hat. Auch der Kontakt zwischen den beiden Schwestern war seit langem abgebrochen.

Doch dann - wir schreiben das Jahr 2017 - kommt eine Einladung zu Helgas 90stem Geburtstag. Greta ist bereit, diese anzunehmen, doch nur wenn sie Verstärkung bekommt: Enkelin Pia und deren Tochter Leonie sollen sie begleiten. Trotz ihres sehr engen Verhältnisses zu Greta hat Pia keine Ahnung, was damals vorgefallen ist - die Großmutter weigert sich schlicht, darüber zu sprechen.

Pia und vor allem Leonie können sich schnell begeistern - sowohl für die Umgebung als auch für die Bewohner. Wobei letztere durchaus ein wenig sperrig sein können, vor allem der männliche Teil.

Island in seiner vollen Pracht - das bekommt der Leser - bzw. vielmehr die Leserin, es ist nämlich ein typischer Frauenroman - hier intensiv vermittelt, vor allem das Wesen der Isländer wird den Rezipientinnen nähergebracht. Auch die Informationen zu den historischen Ereignissen - zur Übersiedlung deutscher Arbeitskräfte, vor allem Frauen, nach Island, sind durchaus fundiert und ausgesprochen interessant.

Doch so sehr ich Romane liebe, die auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen spielen - hier hat mir gerade bei dem Erzählstrang in der Gegenwart so einiges an handlungsfüllendem Leben, an Emotionen und Hintergründen gefehlt. Im Nachkriegsstrang war davon mehr vorhanden, doch auf beiden Ebenen war schnell abzusehen, worauf alles hinausläuft. Dadurch verliert sich aus meiner Sicht ein wenig die Bedeutsamkeit - ich merke bereits jetzt, wenige Tage nach dem Lesen, dass ich die Namen nochmal nachblättern muss, auch viele Teile der Handlung werden schnell aus meinem Gedächtnis entschwinden - ein Buch so leicht und luftig wie ein isländischer Sommertraum. Also sehr kurzlebig, wenn überhaupt vorhanden.

Dennoch eine Leseempfehlung von mir - für einen unterhaltsamen Familienroman. Passt gut als Urlaubslektüre - nicht nur für Island-Reisende!

Bewertung vom 11.05.2019
Gardam, Jane

Bell und Harry


gut

Bullerbü für Erwachsene: Oder auch Lönneberga - allerdings nicht in Schweden, sondern in Nordengland, nämlich in Yorkshire. Dort lebt Bell mit seiner Familie auf einem Bauernhof. Ein anderes Wohnhaus wird nach dem Tod der Großmutter nicht mehr benötigt und wird für Jahrzehnte an die Londoner Familie Bateman vermietet, deren kleiner Sohn Harry aus Bells Sicht der einzige Vernünftige in der Familie ist, also das Landleben und seine Akteure versteht. Doch alsbald kommen sich die Familien näher und bleiben einander über Jahre hinweg verbunden.

Im Stil von locker - und vor allem zeitlich - aufeinander aufbauenden Histörchen erzählt Jane Gardam von den Erlebnissen von Bell und Harry. Manchmal steht auch einer der anderen Akteure im Mittelpunkt.

Ihr warmherziger und humorvoller Stil ist unübertroffen, dennoch hat mich dieser Roman nicht ganz so begeistert wie andere ihrer Werke: irgendwie gab es zu viele weiße Flecken zwischen und auch in den Geschichten. Zudem stammt das Original aus dem Jahr 1981, die letzte und längste Erzählung spielt jedoch im Sommer 1999. Wie das? Hat sich die Autorin einen Blick in die Zukunft gestattet? Das kann natürlich sein und dann hat sie es auch gut hinbekommen, dennoch empfinde ich es als ein bisschen störend.

Dennoch hat es mir Spaß bereitet, dieses Buch zu lesen - wie alles von Jane Gardam!

Bewertung vom 10.05.2019
Barone, Tracy

Das wilde Leben der Cheri Matzner


gut

Cheri hat es nicht leicht als Adoptivkind eines komplizierten New Yorker Ehepaares: Sol Matzner hat seine Frau aus Italien in die Staaten geholt und ist ihr zuliebe vom Judentum zum Katholizismus konvertiert. Ihr zuliebe hat er Cheri als Baby in die Familie geholt. Irgendwann kann er nicht mehr alles anderen zuliebe tun und Cheri erlebt eine schwierige Jugend mit einer überbesorgten Mutter und einem eigenwilligen Vater.

Eigenwillig - das ist sie selbst auch. Und zwar auf ganz andere Art und Weise als ihre Eltern. Rebellisch vielleicht auch, aber wild? Es ist die Biographie einer häufig unglücklichen Frau, die nicht aus ihrer Haut kann, ohne zu wissen, wie genau diese ihre Haut eigentlich beschaffen ist. Woher sie kommt und wohin sie gehört. Eigentlich.

Ein etwas sperriger Roman, nicht im Hinblick auf Stil und Sprache, nein, diesbezüglich ist er gefällig und angenehm aufgebaut, sondern in Bezug auf die Botschaft. Was genau will uns diese Geschichte erzählen. Ich habe sie als ausgesprochen unterhaltsame, nicht allzu anspruchsvolle und an vielen Stellen ausgesprochen traurige Darstellung eines schwierigen Lebens in unserer Zeit aufgefasst: Geld ist das Letzte, was Cheri fehlt, ihr fehlen Anknüpfungspunkte an ihre eigene Vergangenheit.

Man sollte sich überlegen, wann man dieses Buch lesen möchte, denn es kann wirklich die Stimmung trüben - wenn das auch bei mir nicht lange angehalten hat, dafür ist die Botschaft einfach nicht kraftvoll genug!

Bewertung vom 06.05.2019
Somekh, Simone

Weitwinkel


sehr gut

Hinaus in die weite Welt strebt der Protagonist dieses Romans bereits früh, doch scheint sie versperrt zu sein für ihn.

Ezra, den wir als Jugendlichen kennenlernen, führt ein aus mitteleuropäischer Sicht überaus ungewöhnliches Leben, denn er wächst in einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde auf, der sich seine Eltern, die aus wesentlich liberaleren Familien stammen, aus vollster Überzeugung angeschlossen haben. Auch nach vielen Jahren sind sie, die als "Dazugekommene" gelten, noch immer ängstlich darauf bedacht, bei der Erziehung ihres einzigen Sohnes nichts falsch zu machen.

Da machen ihnen Ezras Liebe zur Fotografie wie auch sein Nonkonformismus bald einen Strich durch die Rechnung: er wird dabei erwischt, wie er auf der Toilette Fotos von seiner Mitschülerin - übrigens mit ihrem vollsten Einverständnis, es ist eine Art Shooting und fliegt von der ebenfalls ultraorthodoxen Schule, um danach an einer wesentlich liberaleren, allerdings ebenfalls jüdischen Einrichtung weiteren aus Sicht seiner Eltern und deren Gemeinde verheerenden Einflüssen ausgesetzt zu sein.

Zu Hause gibt es eine Veränderung, indem ein Pflegekind aufgenommen wird - Carmi ist nur wenige Jahre jünger als Ezra und bald schon hat sich ein Vertrauensverhältnis aufgebaut - Ezra versteht, dass er mitnichten derjenige mit den größten Problemen ist.

Zum zweiten Teil, in dem sich Ezra alleine in New York durchschlägt und versucht, als Fotograf Fuß zu fassen, gibt es aus meiner Sicht einen großen Bruch - dieser ist weitaus oberflächlicher als der erste, wobei das möglicherweise Absicht des Autors Simone Sobekh ist, um den vollkommen anderen Lebensstil zu verdeutlichen, der hier herrscht. Für mich werden jedoch gewisse Gedankengänge des Protagonisten, die er zweifellos gehabt haben muss, dadurch zu wenig verdeutlicht und das Buch verliert für mich an Qualität. Zudem erscheinen mir einige Abläufe und Handlungen ausgesprochen unlogisch.

Dennoch habe ich den Roman wirklich gerne gelesen: er fällt definitiv aus dem Rahmen des Bekannten bzw. Üblichen. Dem jungen Autor ist ein mutiges und stellenweise eindringliches Werk zu einem ausgesprochen ungewöhnlichen Thema gelungen, dem ich zahlreiche Leser wünsche.

Bewertung vom 05.05.2019
Horowitz, Anthony

Ein perfider Plan / Hawthorne ermittelt Bd.1


sehr gut

Das Wort ist Mord: Das vorliegende Werk von Anthony Horowitz ist im Stil eines True Crime Falles geschrieben und der Clou - wenn man es denn so betrachten will - besteht darin, dass sich der Autor quasi als Watson neben den eigentlichen Ermittler Hawthorne, also Holmes, in die Handlung einbezogen hat. Und zwar durchaus als Hauptfigur, zumal die Geschichte aus seiner Perspektive erzählt wird.

Hawthorne, ein ehemaliger Polizist, der auch jetzt noch von dieser gelegentlich zur Unterstützung von Ermittlungen herangezogen wird, von zahlreichen früheren Kollegen aber auch als unliebsamer Nebenbuhler gesehen wird, ist einem besonders eigenartigen Mordfall auf der Spur. Eine ältere Dame hat beim Bestatter alles für ihre Beerdigung geregelt und wird noch am selben Tag ermordet. Zur Beerdigung reist dann auch ihr Sohn, ein berühmter Filmschauspieler aus den Vereinigten Staaten an.

Hawthorne kennt Horowitz bereits von der Arbeit an Drehbüchern und möchte diesen nun als Autor heranziehen, der diesen Fall verewigen soll. Horowitz ist zwar nicht sonderlich begeistert, lässt sich dann aber doch darauf ein und wird mehr und mehr zum Ermittelnden - was Hawhtorne nicht gerade mit Begeisterung aufnimmt.

Die Figuren sind allesamt eindringlich beschrieben, merkwürdigerweise entpuppen jedoch eigentlich alle bei näherer Betrachtung als wahre Unsympathen, allen voran Hawthorne.

Sicher war das nicht unbedingt die Absicht des Autors, doch auch er selbst wirkt nicht unbedingt durchgehend als Sympathieträger. Ein bisschen kommt mir diese Einbeziehung der eigenen Person als Effekthascherei oder gar als versteckte Werbekampagne vor zumal andere Werke des Autors durchaus Erwähnung finden.

Ein wenig ärgerlich ist, dass zum Ende des Buches der originale Buchtitel (Titel dieser Rezension) zum Thema der Handlung wird. Er ist leider in der deutschen Übersetzung nicht übernommen worden, was ich überhaupt nicht verstehen kann.

Dennoch, das Buch ist spannend, die Auflösung überraschend und ich konnte es irgendwann nicht mehr aus der Hand legen, zumal der Stil des Autoren ausgesprochen angenehm zu lesen ist.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.05.2019
Bukowski, Helene

Milchzähne


sehr gut

Wo rohe Kräfte sinnlos walten: dieser Spruch ging mir bei der Lektüre dieses Buches öfter durch den Kopf, denn Skalde und ihre Mutter Edith sind dort, wo sie leben, unerwünscht. Dabei ist Skalde dort geboren und ihr Vater war ein Einheimischer, dessen Tod aber in Zusammenhang mit ihrer Mutter gebracht wird.

Man lebt für sich und ist mehr oder weniger gezwungen, als Selbstversorger zu agieren. Geld gibt es offenbar nicht mehr, denn zusätzliche Produkte erhält man durch Tauschgeschäfte mit den anderen. Die Anderen - ich würde sie nicht als Nachbarn bezeichnen, da sie sich kaum wie solche verhalten. Kurt ist jemand, der Mutter und Tochter wohlgesonnen ist, ebenso die beiden Frauen Gösta und Len, aber selbst mit diesen ist der Umgang überaus reduziert.

Es scheint, als hätte eine ungeheure Erderwärmung stattgefunden, die bereits große Regionen unbewohnbar gemacht hat und auch hier ist die Hitze kaum noch zu ertragen. Das, was existiert, wollen die Menschen für sich bewahren, Neue werden mit Argwohn betrachtet. Und das ist noch das Wenigste. Oft genug kommunizieren die Menschen hier nicht im Guten, sondern über Drohungen. Die Gemeinschaft ist keine, da es fast kein Mit-, sondern ein Gegeneinander gibt.

Eines Tages trifft Skalde das Kind Meisis und nimmt es mit nach Hause - es gelingt ihr nur für kurze Zeit, das kleine Mädchen zu verstecken, dann entdecken die anderen sie und betrachten sie vor allem aufgrund ihrer roten Haare mit Argwohn und halten sie für unnormal. Am liebsten würden sie sie ausradieren - und das ist wörtlich zu nehmen.

Skalde geht auf einen Handel ein - wenn Meisis innerhalb von zwei Monaten die Milchzähne ausfallen, ist sie ein normales Kind und kann bleiben, ansonsten wird sie beseitigt.

Etwas Ursprüngliches, Archaisches liegt in dieser Geschichte, die geheimnisvoll bleibt, denn vieles wird lediglich angedeutet. Die Symbolik und die Verbindung zu Themen unserer Gesellschaft wie Ausgrenzung, Angst vor Neuem, Fremdenhass ist dennoch mehr als deutlich.

Helene Bukowski hat mit ihrem Debüt eine ganz besondere Art von Endzeitroman geschaffen. Ein beängstigendes Szenario mit einer Vision, die leider alles andere als unrealistisch ist. Ein Roman, dessen Lektüre Kraft und Mut erfordert. Wenn man sich heranwagt, kann es sich durchaus als Gewinn mit wegweisendem Inhalt entpuppen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.05.2019
Daly, Maureen

Siebzehnter Sommer


ausgezeichnet

Es ist ein ganz besonderes Gefühl, das die siebzehnjährige Angie durchdringt: das Gefühl, jung zu sein und eine ganz besondere Zeit zu durchleben. Genauer gesagt, einen ganz besonderen Sommer.

Sie hat gerade die Schule abgeschlossen und wird aufs College gehen - das ist durchaus etwas Besonderes. Denn dieser Roman ist 1942 entstanden, in einer Zeit, in der es nicht unbedingt üblich war, dass Mädchen studieren. Doch Angies Familie hat vier davon - vier Töchter, Angie ist die Dritte und ihnen allen soll eine gute Ausbildung zukommen, da sind die Eltern sich einig.

Doch das ist nicht das Besondere an diesem Sommer, obwohl Angie sich sehr auf College freut. Nein, was neu ist: Jack ist in ihr Leben getreten. Jack, den sie vorher nur vom Sehen kannte, ein toller Sportler und Mädchenschwarm. Ausgerechnet er interessiert sich für Angie ...und sie dann auch bald für ihn.

Rasch wird deutlich, wie behütet sie aufgewachsen ist - wie in einem Kokon. Immer noch haben die wohlmeinenden Eltern ein Auge auf sie - doch der Sommer mit Jack, der wird auch von ihnen respektiert, auch wenn sie manchmal etwas streng auftreten. Zurecht vertrauen sie ihrer Tochter.

Ein schönes Buch, das mich sofort an die Zeit denken ließ, als ich selbst siebzehn war - das ist zwar noch keine 77, aber doch immerhin schon fast vierzig Jahre her. Ich hatte damals keinen Jack, der kam viel später, aber das verheißungsvolle Gefühl des Jungseins, das habe auch ich verspürt und bei dieser Lektüre wurde es wieder geweckt.

Maureen Daly hat es geschafft, einen absolut zeitlosen Roman in Bezug auf das Empfinden, jung zu sein, zu schreiben. Natürlich tickten im Jahr 1942 die Uhren noch ganz schön anders und man wundert sich auch sehr über einige Vorgänge, die nicht mehr so ablaufen, aber die Stimmung ist geblieben. Und wird hoffentlich auch für immer so sein. Eine Art Verheißung, ein Versprechen.

Zudem pflegt die Autorin einen überaus erfrischenden und stellenweise ausgesprochen humorvollen Stil: so ist bspw. Angies ältere Schwester Margaret "mit einem jungen Mann aus Milwaukee verlobt, der wie ein riesiges Pandababy aussieht und sich auch so benimmt." (S. 36)

Wer sich wieder jung fühlen will oder jung sein und bleiben will, zumindest gefühlt, der sollte diesen Roman unbedingt lesen! Und es ist auch etwas für die Leser, die den nahenden Sommer etwas bewusster spüren wollen. Eine wahre Sommerlektüre eben!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.04.2019
Smith, Betty

Glück am Morgen


ausgezeichnet

Annie und Carl machen den Schritt zur Gründung einer eigenen Familie sehr früh, vielmehr sollte man sagen, in sehr jungen Jahren, Achtzehn und zwanzig sind sie, in den späten 1920er Jahren, in denen dieser Roman spielt, bedeutet das noch nicht einmal die Volljährigkeit.

Doch sie haben es sich reiflich überlegt und fällen diese Entscheidung voller Überzeugung, wenn auch gegen den Willen ihrer beider Eltern. Ihr erstes Ehejahr - um das es in diesem Roman geht - verbringen sie am College, in einer kleinen Stadt im mittleren Westen, wo Carl sein letztes Jahr des Jurastudiums absolviert - nun unter deutlich erschwerten Umständen, denn seine Eltern drehen ihm den Geldhahn zu und die von Annie, die quasi von zu Hause ausgebüxt ist, machen ihre Geldbörse gar nicht erst auf.

Doch wenn man überzeugt ist von seiner Entscheidung, dann schafft man alles: darauf vertrauen Annie und Carl, auch wenn sie beide - insbesondere Annie - noch reichlich naiv sind. Oder wahrscheinlicher: gerade deswegen!

Dies klingt nicht besonders spektakulär als Thema eines Romans, doch Sprache und Stil der Autorin machen ihn zu etwas Besonderem, Einzigartigen!

Betty Smith hat ihren Roman, der nun ins Deutsche übersetzt wurde, in den 1960er Jahren geschrieben, zurückblickend auf eine längst vergangene Zeit, nämlich ihre eigene Jugend. Ob sie da eigene Erfahrungen hineinbringt? Möglich wäre es, denn auch sie verbrachte einige Jahre mit ihrem Mann im College und studierte zwar nicht, besuchte aber wie Annie Kurse als Gasthörerin.

Das junge Paar muss sich so einigen Hindernissen stellen, die zunächst unüberbrückbar scheinen und machen die Erfahrung, dass Liebe allein nicht reicht, auch wenn diese - wenn sie wie bei ihnen auf beiden Seiten in Hülle und Fülle vorhanden ist - ausgesprochen hilfreich sein kann.

Ein warmherziges und rührendes Buch, in dem es für meinen Geschmack ein bisschen zu oft um Kostenkalkulationen ging, aber so ist es eben, wenn man jeden Cent zum Überleben braucht! Trotz dieser kleinen, subjektiv wahrgenommenen Störung empfand ich diesen Roman als absolut rund, habe ihn mit Begeisterung gelesen und war ganz traurig, als ich ihn ausgelesen hatte.

Ein wunderbares Geschenk für Menschen, mit denen man es gut meint, nicht zuletzt für heiratsfreudige Leseratten oder auch anlässlich runder Hochzeitstage!

Bewertung vom 29.04.2019
Glaser, Brigitte

Rheinblick


gut

Bonn als Zentrum der Politik und damit der Macht in der Bundesrepublik Deutschland: das ist ein mittlerweile vergangenes Kapitel und Bonn ist fast zu seiner einstigen Beschaulichkeit zurückgekehrt.

Doch in den Nachkriegsjahren und bis nach der Wende war es tatsächlich die politische Zentrale des Landes und als solche wird sie hier von Brigitte Glaser dargestellt: Wir schreiben das Jahr 1972 und Willi Brandt ist gerade als Kanzler bestätigt worden, was seine fortschrittliche Politik der vergangenen Jahre - er war bereits seit 1969 Kanzler - bestätigte.

Die Handlung des Romans spielt in den zwei Wochen ab der Wahl, in denen die Ereignisse einander jagen: mit Hilde Kessel, der Wirtin des "Rheinblick", der Logopädin Sonja und der Journalistin Lotti stehen drei Frauen im Fokus der Handlung, die in den Sog der damaligen politischen Ereignisse und auch Intrigen geraten.

Nachvollziehbar schildert die Autorin, wie die so unterschiedlichen Frauen; die mit beiden Beinen im Leben stehende Hilde, die mühsam versucht, die Nachwirkungen ihrer traumatischen Kriegserlebnisse aus dem Alltag herauszuhalten und die beiden jungen, nach dem Krieg geborenen Frauen auf vollkommen unterschiedliche Weise mit den politischen Ereignissen in Berührung kommen. Hilde führt seit langen Jahren den "Rheinblick", Treffpunkt der unterschiedlichsten politischen Player, die an Politik nicht sonderlich interessierte Sonja wird im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit vor eine ganz besondere Herausforderung gestellt und Lotti, die für eine süddeutsche Provinzzeitung tätig ist, tut fast alles, um ihren ersten großen Artikel platzieren zu können.

Ein wirklich interessanter Roman für mich, die ich mit Bonn - damals das politische Zentrum - von Kindesbeinen an vertraut bin und den Wandel der Stadt sozusagen hautnah miterlebt habe. Die Idee, verschiedenen Perspektiven "sprechen" zu lassen, ist wirklich gut, allerdings ist die Darstellung, vor allem, was das Personalgefüge anbelangt, etwas überladen. Zu viele Akteure, die in zu viele Ränke verwickelt sind, haben mich stellenweise verwirrt und beim Lesen aus dem Konzept gebracht. Ein Personalverzeichnis zu Beginn des Buches wäre hilfreich gewesen, die Konzentration auf weniger Charaktere und Ereignisse ebenfalls.

So hat mir das Buch nicht ganz so gut gefallen wie andere Bücher der Autorin, deren langjähriger Fan ich bin. Dennoch ist es wichtig, originell und lesenswert und ich lege es jedem auch nur halbwegs politisch und zeitgeschichtlich interessierten Leser ans Herz!

Bewertung vom 28.04.2019
Bronsky, Alina

Der Zopf meiner Großmutter


ausgezeichnet

Mäxchen und seine Oma: Das sind nur zwei Akteure innerhalb dieses sonderbaren, dabei ausgesprochen intensiven Familiengefüges - aber die beiden wichtigsten. Denn Max, zunächst Kind, dann Teenager, erzählt diese absolut wahnwitzige Geschichte aus seiner Perspektive und seine Grossmutter ist diejenige, um die sich alles dreht und wendet. Und auch die, die alles bewegt. Da sorgt sie schon selbst für.

Wenn sie tatsächlich exisiteren würde und ich mich in ihrem Dunstkreis befände, würde ich sie möglicherweise manchmal hassen, aber ich lese wahnsinnig gern über sie: Max' Großmutter sprengt alle Dimensionen des Vorstellbaren. Und zwar in jeder Hinsicht! Denn so taktlos und übergriffig ihr Verhalten auch fast immer ist, sie verfügt ohne Zweifel über ein riesengroßes Herz. Auch wenn man das nicht immer merkt, nicht zuletzt, weil sie es nicht für jeden öffnet. Denn wo käme man dann wohl hin!

Doch in dem Moment, als ihre Familie zusammenzubrechen droht, vor allem, weil ihr Mann sich einer anderen zuwendet, geht sie ganz besondere Wege, um das Gefüge zusammenzuhalten und neu zu justieren. Gerade sie, die in anderen Situationen nicht alle in ihrer Familie halten konnte. Oder wollte.

Einmal mehr hat Alina Bronsky - nach dem wunderbaren "Baba Dunjas letzte Liebe" - einen kleinen Roman mit großem Inhalt geschaffen: wieder schreibt sie spritzig, tragikomisch, rührend, absurd, bewegend, liebevoll und stellenweise auch erschrecken und abstoßend - vor allem aber unglaublich originell. Und wenn es ein Museum für Romanhelden gäbe - jede einzelne ihrer Figuren wäre es wert, darin ausgestellt zu werden. Sie ist die einzige mir bekannte Autorin, die es vermag, mit wenigen Worten einen blumigen, ja wilden Stil zu kreieren und das ist eine Kunst, die man nicht lernen kann - sie ist tief in einem drin verwurzelt - so wie Max und seine Familie es in ihrer neuen Heimat Deutschland nie sein werden. Oder doch?

Man muss ein bisschen nachdenken, um im Handlungsverlauf die Fäden zusammenziehen zu können, denn man ist als Leser immer an Max' Seite, der längst nicht alles sofort begreift und dem noch viel weniger erzählt wird - und der auf der anderen Seite schon früh eine erschreckend wache Auffassungsgabe vorweisen kann, aber ohne wäre er in dieser Familie nicht weit gekommen!

Wenn in "Baba Dunja" Verwurzelung das zentrale Thema war, dann ist es hier Entwurzelung, Neubeginn, Selbstfindung - wählen sie eines davon oder auch alle zusammen. Ja, auch bei Alina Bronsky ist es nicht immer so eindeutig wie bei Baba Dunja, hier muss sich nicht nur Max nach der Auswanderung aus Russland neu orientieren, nein, auch der Leser muss für sich selbst zunächst einmal jeden Akteur und jedes Ereignis richtig platzieren und einordnen: Dann wird auf einmal alles sonnenklar und die Tragik wie auch der Humor können in ihrer Gesamtheit erst voll erfasst werden. Und man bekommt eine Ahnung davon, was der Begriff "russische Seele" so alles beinhalten kann.

Mal wieder ein ganz besonderer Roman von Alina Bronsky - wenn es ein Lied wäre, würde ich sagen, es hätte Folk-Elemente - oder kann man diesen Begriff auch auf Literatur verwenden? Auf Alina Bronsky passt er auf jeden Fall genau!

Wenn also - bspw. für eine Bahnfahrt - eine nicht allzu ausführliche, dabei aber genussintensive Lektüre gewünscht wird, dann ist dieses Büchlein aus meiner Sicht genau das Richtige - wie auch in Phasen leichter Trübsinnigkeit, in die kein platter Humor passen würde. Da ist die diesen Roman durchdringende Tragikomik genau das Richtige! Ein Roman, den ich nicht so schnell vergessen werde und der mich besonders berührt hat!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.