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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1034 Bewertungen
Bewertung vom 31.07.2014
Detering, Monika; Radke, Horst-Dieter

Blütenreine Weste


sehr gut

1950 in Mülheim an der Ruhr – mitten im „Ruhrpott“. Ein Mann stirbt an den Folgen einer Vergiftung. Kriminalpolizeiinspektor Alfred Poggel findet schnell heraus, dass der Tote eine Größe unter den Kleinganoven war, bekannt dafür, alles Mögliche zu besorgen oder gewinnbringend zu verkaufen. Auch einige gefälschte Geldscheine hat er in Umlauf gebracht, aber reicht dies als Motiv aus, den Mann zu ermorden?

Ohnehin hat Poggel genug Probleme. Und die meisten davon hängen mit Staatsanwalt Dr. Richard Goeke zusammen, einem Mann, der auch vor 1945 schon Recht gesprochen hat und immer noch der Meinung ist, dass „damals nicht alles schlecht gewesen ist“. Für Goeke scheint das Wichtigste zu sein, dass schnellstmöglich die Ermittlungen im Fall eines gewissen Fritz Katthöfer eingestellt werden, der eine Anklage gegen drei andere Kollegen eingereicht hat wegen einer unberechtigten Verhaftung im Jahr 1938 und der Beschlagnahmung von Wertgegenständen und Einrichtung. Nach Poggels Meinung scheint Katthöfer im Recht zu sein – aber warum nur will Goeke die Klage nicht zulassen?

Dieser Krimi war für mich nicht nur interessant, weil er in meiner Heimatstadt spielt, mich während der Handlung an bekannte Orte führt und mir noch aus Kindheitserinnerungen bekannte Szenarien vor Augen stellt, sondern auch wegen der Besonderheiten, die sich aus der Zeit der Handlung ergeben. Da soll beispielsweise jemand das Recht vertreten, hinter dem nur wenige Jahre zuvor ein Bild von Adolf Hitler an der Wand hing. Vieles dreht sich noch immer um den Schwarzmarkt, wo Kaffeepulver mit Löwenzahn gestreckt wurde und Kakaopulver mit gemahlenem Mehl. Und dann das Pervitin!

Pervitin – mir war dieser Begriff neu. In meiner Heimatstadt schien aber im Jahr 1950 jeder dieses Produkt zu kennen und nicht wenige hatten ihre Erfahrungen damit gemacht. Die chemische Bezeichnung für diesen Stoff ist N-Methylamphetamin - heute allgemein bekannt als Crystal Meth. Im zweiten Weltkrieg fand N-Methylamphetamin millionenfache Anwendung. Es diente zur Dämpfung des Angstgefühls und zur Steigerung der Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit von Soldaten, Piloten und Fahrzeugführern und war umgangssprachlich als Panzerschokolade, Stuka-Tabletten und Hermann-Göring-Pillen bekannt. Allein in der Zeit von April bis Juni 1940 bezogen Wehrmacht und Luftwaffe mehr als 35 Millionen Tabletten Pervitin.

Wie man sich heute unschwer denken kann, ergab sich daraus in der Nachkriegszeit eine enorme Anzahl von Pervitin-Abhängigen. Nur dass man nach einer Änderung des Reichsopiumgesetzes das Mittel nicht mehr frei beziehen konnte. Die Stunde der Schieber schlug…

Inhaltlich also wirklich interessant und mal was anderes. Der Schreibstil erschien mir jedoch manchmal etwas wirr und auch die vielen wie wörtliche Rede zitierten Gedankengänge haben mir nicht so gefallen. Zudem war mir der Ermittler nicht sympathisch. Er war zwar „auf der guten Seite“, aber seine Einstellung zu Frauen gefiel mir überhaupt nicht. Generell mag ich zwar Charakter, die nicht nur nett sind, weil sie das einfach menschlicher macht, aber bei Poggel war es mir ein wenig zu viel und es zog sich bis zum Schluss durch.

Ein weiterer kleiner Minuspunkt war für mich die Verwendung der Sprache. Nicht wenige Charaktere sollten wohl deutlichen Dialekt sprechen, was auch realistisch ist und was ich aus meiner Kindheit und zudem aus dem Arbeitermilieu heraus sehr gut kenne. Dafür sprachen diese Personen aber zu sehr hochdeutsch, das war nicht gut umgesetzt. Allerdings dürfte dieser Punkt jemandem, der nicht hier aufgewachsen ist, kaum auffallen.

Abgesehen davon ein interessantes Stück Ruhrgebiets-Nachkriegsgeschichte und mit nur 222 Seiten mal zwischendurch flott zu lesen.

Bewertung vom 31.07.2014
Rademacher, Cay

Der Trümmermörder / Oberinspektor Stave Bd.1


ausgezeichnet

„Jedermann hat Angst. Jeder fragt sich, wer die Toten sind – und wer der Mörder ist. Jeder hat seine eigene Theorie, verdächtigt jemand anderen. Ungute Gerüchte machen die Runde. Es ist, als würde all das Elend, als würden die ständigen Entbehrungen und Demütigungen einen Hass nähren, der sich ein Objekt sucht. Und der gesichtslose Mörder könnte dieses Objekt sein. Solange es so kalt bleibt und solange Sie den Mörder nicht verhaftet haben, wird dieser Zorn wachsen. Irgendwann wird man der Polizei Versagen vorwerfen. Und dann der Verwaltung allgemein. Und irgendwann wird jemand laut sagen, was sich so mancher sicherlich schon denken wird: Dass es das früher nicht gegeben hätte, unter Adolf. Ich aber werde nicht tatenlos zusehen, wie ein einziger verrückter Mörder eine Lage schafft, in der sich unsere Bürger nach den Nazis zurücksehnen.“

Hamburg, im Januar 1947. Die Stadt liegt in Trümmern, die Menschen leiden Hunger. Verschärft wird die Situation noch durch die Eiseskälte, die die Stadt bereits seit Wochen in ihren Fängen hat. Der tägliche Kampf ums Überleben zerrt an den Nerven, verbraucht alle Kräfte. In diesem ohnehin schon Horrorszenario wird eine junge Frau aufgefunden, nackt und ermordet, mitten in den Trümmern. Sie wird nicht das letzte Opfer des „Trümmermörders“ bleiben und Oberinspektor Stave wird schnell klar, wie überaus wichtig ein schneller Fahndungserfolg ist…

Dieser Krimi hat mich von der ersten Seite an begeistert. Feinfühlig und doch in aller Deutlichkeit wird die Situation der Menschen in diesem Hungerwinter 1947 beschrieben. Zu Recht wird diesen Schilderungen ausreichend Raum in der Geschichte zugewiesen. Es ist für jeden Leser, der später geboren wurde, ohnehin schwer bis unmöglich, die Lage der Menschen nachzuvollziehen. Was alles aus dieser Mordserie entstehen könnte, beschreibt mein Eingangszitat. Eine wirklich brenzlige Situation!

Grundsätzlich kommt kein Buch, das in der Nachkriegszeit des 2. Weltkriegs spielt, ohne das Thema Nazis aus. Entsprechend wird es auch hier behandelt. Daneben wird auch die persönliche bzw. private Seite des Ermittlers nicht vernachlässigt: Staves Frau starb bei einem Bombenangriff, sein Sohn ist vermisst. Furchtbar – und doch ist Stave nur eins von vielen Schicksalen.

Die Mordserie selbst ist spannend und bietet beim Miträtseln viel Raum für Spekulationen. Weitere interessante Charaktere und ein packender Schreibstil rundeten für mich das Ganze ab.

Das Nachwort informiert übrigens darüber, dass diese Geschichte auf einem authentischen Fall beruht. Anders als im Buch, das uns eine Lösung des Falls präsentiert, wurde der wahre Trümmermörder jedoch nie gefunden.

Fazit: Für mich ein ganz klarer Favorit! Für Oberinspektor Stave gibt es noch zwei weitere Fälle: „Der Schieber“ und „Der Fälscher“. „Der Schieber“ wartet bereits auf meinem SuB und kann sicher sein, kurzfristig gelesen zu werden.

Zeitgeschichte – sehr berührend erzählt und mit einer spannenden Krimihandlung verwoben. Lesen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.07.2014
Balbutis, Bettina

Das Simpsons-Syndrom


ausgezeichnet

„Frau Balbutis, Sie verstehen das nicht. … Diese Made habe ich nicht irgendwo in der Wohnung gefunden, sondern auf meinem Arm. Frau Balbutis, in meinem Körper nisten Maden! Sie bauen ihre Nester in meiner Achselhöhle.“ Auf dieses Stichwort hin reißt er den Morgenmantel auseinander und entblößt einen erstaunlich haarlosen Oberarm. „Sehen Sie! Da krabbelt eine! Holen Sie eine Pinzette!“ Ich starre und starre – aber da ist nichts. Langsam schüttele ich den Kopf. „Da ist keine Made.“ „Himmel noch mal, haben Sie keine Augen im Kopf?“ Aus der Morgenmanteltasche fischt Böhm eine angelaufene Lupe. „Sie müssen ganz genau hinsehen. Ich sehe sie, Frau Balbutis, und ich spüre sie auch. Wie sie auf meiner Haut entlangkriecht, wie sie sich ernährt und wie sie sich fortpflanzt…“

Herr Böhm leidet unter Dermatozoenwahn. Laut Wikipedia versteht man darunter „die wahnhafte Vorstellung, dass sich Lebewesen (meist Würmer oder Insekten) unter der Haut befinden und sich bewegen.“ Klingt eklig und nach nichts, worunter man auch nur ansatzweise leiden möchte. Vermutlich wüsste man nicht mal, wie man auf einen Familienangehörigen (oder Freund, Kollegen, Nachbarn) reagieren sollte, der einem ein Geständnis wie im obigen Textauszug machen würde.

Dr. Bettina Balbutis ist Ärztin. Vermutlich eine gute, ganz sicher aber eine engagierte. In diesem Buch stellt sie uns 33 Krankheiten vor, die allesamt skurril, manchmal gar nicht so selten, häufig sehr peinlich und zum größten Teil für den medizinischen Laien unbekannt sind.

Wer jetzt aber mit einer trockenen Auflistung gruseliger Symptome und medizinischer Fachausdrücke rechnet, der irrt. Zwar bekommt der Leser reichlich detaillierte Information, die wird aber zum einen gut verständlich rübergebracht und wird zum anderen in einer so locker-lustigen Erzählweise präsentiert, dass man wirklich (trotz teilweise ernster Themen) viel zu lachen hat.

Die Autorin schreibt aus ihrem Leben, aus ihrer Praxis. Sehr menschlich berichtet sie über Stinknasen und Penisbrüche, über Menschen, die vor Scham nicht rot, sondern gelb anlaufen. Über Scheinschwangerschaften und Menschen, die davon überzeugt sind, dass sie tot sind. („Gräm dich nicht, Kindchen. Ich bin schon seit zwei Jahren tot, ist gar nicht schlimm.“) Wir erfahren, dass es Menschen gibt, die stockbesoffen sein können, ohne einen Schluck Alkohol getrunken zu haben und dass die „Retrograde Ejakulation“ ein Grund für einen unerfüllten Kinderwunsch sein kann.

Das alles ist überaus unterhaltsam. Aber wichtiger noch ist die enthaltene Info. Ich stelle mir vor, dass manch einer hier seine Symptome liest, über die er bislang nicht gesprochen hat, die ihm peinlich waren. Und nun erfährt er, dass es keinen Grund gibt, sich zu schämen und dass es ärztliche Hilfe für ihn geben kann. Oder man selbst ist kein Betroffener, kennt aber jemanden, über den man bislang gelacht hat. Dem man vielleicht mangelnde Hygiene unterstellt hat oder den man schlicht für „verrückt“ hielt.

Fazit: Ein Buch, das sehr unterhaltsam ist, das Wissen vermittelt, das richtig viel Spaß macht und gleichzeitig Verständnis und soziales Miteinander fördern kann. Wenn auch die Autorin selbst bei ihren Freunden manchmal aneckt…

„Tust du mir einen Gefallen? … Kannst du woanders hingucken, wenn du dein Medizinerzeug denkst? Das macht mich echt nervös.“

Bewertung vom 24.07.2014
Weber, Nina

Dead Man's Hand


sehr gut

„Sara schwieg einen Moment, während die Gedanken durch ihren Kopf rasten. Es erschien ihr höchst seltsam, dass ein Pokerprofi kurz vor dem Einzug an den Final Table an einem Infarkt starb. Sara hatte Dixon eine Weile beobachten können, er war ihr nicht wie ein kranker Mann vorgekommen. … Dass Dixon die Aufregung nicht verkraftet haben sollte, war schier absurd. Der Amerikaner hatte mehrmals am Finaltisch der World Series gesessen. Ein vergleichsweise kleines Turnier in Hamburg sollte sein Nervenkostüm kaum beeinflusst haben. Der Gedanke in Saras Kopf nahm immer klarere Form an: Jemand hatte Joel Dixon ermordet. Und der Täter befand sich hier auf der Etage, wahrscheinlich sogar am Pokertisch, an dem sie eben gesessen hatte.“

Wenn Sara nicht gerade ihrer Polizeiarbeit nachgeht, liebt sie das Pokerspiel. Bei einem Turnier in Hamburg erlebt sie, wie der an ihrem Tisch sitzende Joel Dixon plötzlich tot zu Boden sinkt. Dass die Pokerlegende bei einem solch kleinen Turnier vor Aufregung einen Herzinfarkt erleiden könnte, glaubt sie nicht - im Gegensatz zu dem Notarzt und ihren Kollegen. Sie verdächtigt einen der Mitspieler, ihn ermordet zu haben. Und während das Turnier weitergeht, versucht Sara nicht nur zu gewinnen, sondern außerdem den Täter zu ermitteln…

Dies war mal ein ganz besonderer Krimi. Ich habe ja schon viele gelesen, aber noch nie einen Poker-Krimi. Daher reizte mich das Buch sehr und ich muss sagen: Es hat sich gelohnt!

Sara ist ein sympathischer Charakter. Ein wenig hadert sie damit, dass sie „nur“ Schutzpolizistin geworden ist und keine Kriminalbeamtin. Auch ihre Familie traut ihr nicht allzu viel zu. Sie jedoch weiß genau, dass sie sich auf eins verlassen kann, nämlich ihren Instinkt.

In der Folge erleben wir viele, viele Pokerrunden, in denen Sara das tut, was jeder Pokerspieler ohnehin tut. Sie beobachtet ihre Mitspieler ganz genau – allerdings stellt sie auch noch Fragen. Das ist wirklich spannend und interessant! Leider verstehe ich rein gar nichts vom Pokern, daher tat ich mich mit dem Nachvollziehen der Partien etwas schwer. Es befindet sich im Buch ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen und zudem sind häufig die betreffenden Spielkarten abgebildet. Auch gibt es im Text immer wieder Erklärungen. Alles zusammen hilft und jetzt habe ich ein wenig theoretisches Wissen gesammelt. Wer schon mal ein paar Karten auf der Hand hatte, hat vermutlich noch mehr Freude an den Partien.

Das Buch liest sich flott weg, macht Spaß und lädt zum Mitraten ein. Logisch stimmt auch alles und zum Ende steigt die Spannung. Was will man mehr?

Bewertung vom 07.07.2014
Evers, Horst

Vom Mentalen her quasi Weltmeister


sehr gut

„Die Deutschen mag der Engländer nicht so und nennt sie Krauts, was ungerecht ist, weil die Deutschen gar nicht den ganzen Tag Sauerkraut essen. Anders als der Engländer, der den ganzen Tag Plumpudding isst. Aber im Gegensatz zum Deutschen pauschalisiert der Engländer eben gern und macht sich nicht so viele Gedanken über differenzierte Darstellungen.“

In diesen Tagen stellt sich doch regelmäßig die Frage, was man so mit der Halbzeitpause anfängt. Wenn man kurz im Bad war und anschließend am Kühlschrank, kann man sich natürlich die Meinung verschiedener Fußball-Experten anhören. Oder man liest etwas. Zum Beispiel ein kurzes Kapitel in diesem Buch.

Horst Evers hat in seinem neuen Buch eine herrliche Sammlung der schönsten und verbreitetsten Vorurteile über sämtliche Teilnehmerländer verfasst. Natürlich fehlt auch Deutschland nicht! Und damit man das Buch nicht nur zu dieser WM „nutzen“ kann, um sich ein wenig über die anderen Teilnehmer „zu bilden“, sind auch noch diverse Länder aufgeführt, die diesmal nicht dabei sind. (So bekommt man auch schon Infos zu Katar.) Und falls sich jemand nicht so für Fußball interessiert: Es gibt noch viele andere (allgemeinere) „Infos“.

Ich habe schon mehrere Bücher von Horst Evers gelesen. Ich mag einfach seine Art, Dinge auf den Punkt zu bringen, sehr. Hier vermischt er gekonnt Wahrheiten mit Vorurteilen. Was dabei rauskommt, zeige ich in dieser Rezi auszugsweise zum Thema „England“. Das Einleitungszitat zeigte schon an einem Beispiel, was den Engländer von den Deutschen unterscheidet. Weitere Auffälligkeiten ergeben sich beim Aussehen…

„Der Großteil der männlichen Engländer sieht im Prinzip aus wie Wayne Rooney. Leider.“

…oder bei den fußballerischen Fähigkeiten…

„Engländer können leider praktisch gar keine richtigen Tore schießen. Sie schießen die Bälle immer nur an die Latte und behaupten dann, es sei ein Tor gewesen.“ (An dieser Stelle ein kleiner Hinweis für alle, die entweder im Jahr 1966 noch nicht Fußball geschaut oder sich auch später nicht wirklich dafür interessiert haben: Einfach mal das Stichwort „Wembley-Tor“ googeln.)

Aber nicht nur die einzelnen Länder werden beleuchtet. Es gibt auch Infos zur Geschichte des Fußballs. Gar nicht uninteressant, so ein Kapitel „Fußball im Wandel der Zeiten“. Wer hätte denn geahnt, dass es schon im ganz alten China ein Ballspiel namens Cuju gab, das Bestandteil der militärischen Ausbildung war? Oder dass 1857 mit dem FC Sheffield der erste reguläre Fußballverein der Welt gegründet wurde? Im Jahr 1974 wurde übrigens das Amt des Schiedsrichters eingeführt und schon ein halbes Jahr später wurde das Verprügeln desselben unter Strafe gestellt.

Ein weiterer Extrapunkt in diesem Buch sind die Expertenanalysen. Hier finden wir also ein Kapitel, das sich ausschließlich mit Netzer, Delling und Co. befasst.

Dass Horst Evers unter anderem schon den Deutschen Kabarettpreis erhalten hat, merkt man an vielen Stellen. Ich habe an seiner spitzen Feder meinen Spaß gehabt. Hier ein kleines Beispiel zum aktuellen Gastgeberland:

„Mit Blick auf die beiden nächsten WM-Gastgeber, Russland und Katar, sei noch kurz angemerkt, dass Brasilien homosexuelle Aktivitäten bereits im Jahr 1823 entkriminalisiert hat. Als eines der ersten Länder weltweit.“

Leicht zu lesen, die kurzen Kapitel können jederzeit „zwischendurch“ eingeschoben werden. Auch jetzt noch, denn nach der WM ist vor der WM und das nächste Länderspiel kommt bestimmt.

Fazit: Ein großer Spaß, nicht nur zur WM.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.07.2014
Neumann, Gerda M.

Windermere Grove


sehr gut

„Mrs. Hewitt war eine stille, aufrechte Frau. Und sehen Sie, mein Neffe ist ein ehrlicher, gerader junger Mann. Er wurde bei der Leiche gefunden und ist nun wegen Mordes angeklagt. Mrs. Gaynesford wird Ihnen davon erzählt haben. Das ist so unbegreiflich wie die Tat selbst. Er wollte einer Frau, die offenbar gestürzt war, wieder auf die Beine helfen und nur, weil er die Lage in seiner Eile falsch beurteilte, verhaftete man ihn wegen Mordes.“

Die Journalistin Olivia Lawrence wird von einer befreundeten Anwältin um Hilfe gebeten. Einer ihrer Mandanten, ein junger Mann namens Pierre Hobart-Varham, steht im Verdacht, in der Ortschaft Windermere Grove einen Mord verübt zu haben. Er behauptet jedoch, die Tote Mrs. Hewitt lediglich gefunden zu haben. Beweise gibt es keine, weder für noch gegen seine Täterschaft. Auch ein Motiv ist nicht erkennbar, weder für Pierre noch für irgendeinen anderen Menschen, denn die Ermordete war eine „stille, aufrechte Frau“ und allseits beliebt. Nach anfänglichem Zögern macht sich Olivia auf nach Windermere Grove. Unter dem Vorwand, einen Artikel schreiben zu wollen, beginnt sie zu ermitteln…

Was uns in diesem Krimi geboten wird, ist Detektivarbeit vom Feinsten! Überlegt und hartnäckig forscht Olivia im Umfeld der Ermordeten. Kein Gedanke ist zu klein, als dass er nicht verfolgt werden sollte! Wie ein Puzzle werden anschließend die Informationen zusammengefügt. Als Leser machte es mir großen Spaß, mitzurätseln. Schon nach kurzer Zeit gab es so viele Fakten und Vermutungen, dass ich mir eine Skizze machte und es damit Olivia gleichtat, die ihre Erkenntnisse stets schriftlich festhielt.

Action und Blut gibt es in diesem Krimi nicht. Dafür kommen die Freunde klassischer Detektivgeschichten voll auf ihre Kosten!

Der gesamte Fall ist eingebettet in ein wahrlich britisches Szenario. Neben der klassischen Detektivarbeit gab es reichlich Schilderungen der Landschaft und der Örtlichkeiten, einschließlich des dem Ort seinen Namen gebenden Herrensitzes Windermere Grove. Dort gibt es (natürlich) einen Butler, immer wieder wird Tee mit Milch getrunken und allgemein sind Sprache und Benehmen überaus förmlich und konservativ.

Ich hätte mir nur gewünscht, ein wenig mehr Informationen über Olivia selbst zu bekommen. Die Ermittlerin schaffte es am Ende zwar, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, aber über sie selbst erfahren wir nur sehr wenig.

Fazit: Ein ruhiger, klassischer Detektivroman mit viel Stoff zum Miträtseln und reichlich britischer Atmosphäre.

Bewertung vom 02.07.2014
Benacquista, Tonino

Malavita


sehr gut

„Eine Hand, die sich auf seine Schulter legte, riss ihn aus seiner Träumerei. Sie gehörte weder einem Aufseher noch einem Lehrer. … Sie gehörte einem Jungen, etwa einen Kopf größer als er. Er hatte zwei Kumpel, die in zu großen Klamotten steckten, zur Verstärkung mitgebracht.

„Was wollt ihr von mir?“
„Du bist Amerikaner. Du hast Kohle.“
„Kommt zur Sache. Wie funktioniert euer Business?“
„Was machen deine Eltern?“
„Das geht euch einen feuchten Dreck an. Aber wer seid ihr? Schutzgelderpresser? Arbeitet ihr mit System oder eher wahllos? Wie viele seid ihr? Drei, sechs, zwanzig? In was reinvestiert ihr das Geld?“
„…?“
„Management und Organisation gleich null. Dacht‘ ich’s mir doch.““

Mit Warren legt man sich besser nicht an. Genauso wenig wie mit seiner Schwester. Oder seiner Mutter. Und erst recht nicht mit seinem Vater.

Dieser hat den größten Teil seines Lebens als Giovanni Manzoni gelebt und war einer der ganz großen Mafia-Bosse in den USA. Bis er eines Tages in die Fänge des FBI geriet und sich bereit erklärte, im Prozess gegen „den Boss der Bosse“ auszusagen. Seit dieser Zeit ist auf seinen Kopf ein Preis von 20 Millionen Dollar ausgesetzt und Manzoni, der nun Fred Blake heißt, kommt mit seiner Familie in den Genuss eines Zeugenschutzprogrammes. Tag und Nacht werden sie von FBI-Agenten bewacht. Diese sollen nicht nur die Blakes vor der Rache der Mafia schützen sondern möglichst auch die Bevölkerung vor den gelegentlichen Rückfällen Freds.

Ein Ding der Unmöglichkeit.

Ich hatte beim Lesen einen Riesenspaß! Herrlich geschrieben mit reichlich schwarzem Humor gibt es immer wieder Szenen, die an „echte“ Mafiabücher oder –filme erinnern. Nehmen wir mal folgende Stelle:
„Ungefähr zehn Jungs aus allen möglichen Klassen saßen auf einer weißen Linie, die ein Völkerball-Spielfeld markierte; sie warteten geduldig vor einer Bank. Auf der saß als Einziger Warren, die Arme auf der Rückenlehne ausgestreckt. Er wirkte ein wenig müde, war aber dennoch voll konzentriert. Der einzige Junge, der stand, war der Bittsteller. Er sah Warren nicht in die Augen, sondern blickte zu Boden. … Die anderen warteten darauf, auch an die Reihe zu kommen.“
Warren ist - nebenbei gesagt - erst 13 Jahre alt. Und das folgende Gespräch zwischen den beiden ist wirklich ein Brüller! Das trifft übrigens auch auf die Memoiren zu, die Fred in seiner neuesten Tarnung als Schriftsteller schreibt.

Das Ganze endet in einem furiosen Showdown und auch Malavita bekommt am Ende seine Vendetta. Wer Malavita ist? Am besten selbst nachlesen. Spaß ist garantiert.

Bewertung vom 02.07.2014
Roll, Liselotte

Bittere Sünde / Kalo ermittelt Bd.1


sehr gut

„Gunvor Berggren fror. Als sie die Augen aufschlug, wusste sie auch warum. Draußen vor dem Fenster schneite es, und sie war vollkommen nackt. Noch immer war sie viel zu erschöpft, um zu sprechen. Also lag sie einfach da und blickte sich um. Staunte über die Plastikfolie, die Wände und Boden bedeckte. Über die glänzenden, spitzen Gegenstände auf dem Hocker neben ihr. Die Fonduegabel. Und über die Latexhandschuhe – solche, wie sonst Ärzte sie trugen. Das alles kam ihr komisch vor. Leise rief sie: Gösta? Bist du hier?
Doch niemand antwortete.“

Ich gebe mal den Klappentext wieder: „Als die grausam misshandelte Leiche von Erik Berggren gefunden wird, steht Kommissar Magnus Kalo vor einem Rätsel. Das Opfer führte ein einsames Leben und hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Doch ein Blick in dessen Vergangenheit bringt erste Anhaltspunkte: Eriks Vater soll zur Zeit der Militärjunta in Argentinien ein Mädchen gefoltert und vergewaltigt haben. Ist Rache das Motiv für den Mord? Je näher Kalo der Wahrheit kommt, desto größer wird auch die Gefahr für ihn und seine Familie…“

Eine spannende Geschichte ist das hier, die sowohl Ermittler als auch einige agierende Personen immer wieder in die Vergangenheit führt. Der Täter arbeitet planvoll und geht mit extremer Grausamkeit vor. Die Tatorte führen daher Magnus Kalo und seine Kollegen regelmäßig an ihre Belastungsgrenzen. Als dann auch noch Magnus Familie bedroht wurde, mochte ich das Buch überhaupt nicht mehr aus der Hand legen.

Ich war daher froh, dass sich das Buch sehr schnell lesen ließ. Dazu trugen (speziell in meinem Fall) auch die sehr kurzen Kapitel bei, die bei mir den „nur-noch-ein-Kapitel“-Effekt auslösten. Auch der Schreibstil gefiel mir gut und es gab diverse sympathische Charaktere.

Die Täterperspektive fehlte in diesem Buch, aber dafür konnte ich mehrere Personen in ihren letzten Momenten begleiten. Einzig mit der Auflösung war ich nicht ganz glücklich, die war für mich nicht stimmig. Aber bis wenige Seiten vor Schluss habe ich mich wirklich gut unterhalten gefühlt.

Fazit: Sehr spannend und flott zu lesen. Nur der Schluss war für mich nicht rund.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.07.2014
Weber, Raimon

Eis bricht


sehr gut

„Er schüttelte sich, öffnete die trockenen Lippen und schnappte nach Luft. Er fror. Der Traum war von Geräuschen, schlimmen Geräuschen, erfüllt gewesen. Knirschen, Brechen, Splittern. Als würde in seinem Schädel Glas zerspringen. Er konnte sich nur noch an das Gefühl von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein erinnern. Es waren keine Bilder geblieben. Henning Saalbach schlief immer unruhig, wälzte sich im Minutentakt in den Laken bis ihn ein neuer Alptraum überfiel. Aber niemals zuvor hatte ihn sein Unterbewusstsein etwas ähnlich Schlimmem ausgesetzt.“

Vor 12 Jahren war Henning Saalbach ein glücklicher Mann.
Vor 12 Jahren hatte er eine Frau und einen kleinen Sohn.
Vor 12 Jahren war er ein erfolgreicher Autor.
Vor 12 Jahren ließen Henning und seine Frau ihren Sohn Marc abends alleine zuhause und gingen aus.
Vor 12 Jahren wurde Marc an eben diesem Abend im Schlafzimmer seiner Eltern ermordet.
Seit 12 Jahren sitzt sein Mörder im Gefängnis.
Seit 12 Jahren ist in Hennings Leben nichts mehr, wie es war.
Seit 12 Jahren lebt Henning allein. Denn nach Marcs Tod ging auch seine Ehe in die Brüche.
Seit 12 Jahren trinkt Henning viel zu viel.
Seit 12 Jahren hält ihn nur noch der Gedanke an Rache am Leben.
Seit 12 Jahren wartet er auf den Tag, an dem Marcs Mörder entlassen wird.
Dieser Tag ist nun da.

Dieser Thriller hat mich wirklich positiv überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass auf 200 Seiten so viel Tiefe entwickelt werden kann. Aber genau das war der Fall.

Sensibel wird Hennings Gefühlsleben beleuchtet. Anfangs pendelt die Handlung zwischen Jetzt-Zeit und Rückblicken. Die Rückblicke befassen sich natürlich mit der Nacht des Mordes und machten mich sehr betroffen. Niemanden, der Kinder hat, lässt eine solche Schilderung kalt! Unvorstellbar, wie man danach weiterleben soll! Und sehr gut vorstellbar, dass man sich mit Rachegedanken trägt.

Aber was passiert mit diesen Gedanken, wenn der erwartete Tag da ist? Henning befallen Zweifel: Ist das, was er tut, richtig? Was, wenn er sich irrt? Schließlich hat der Täter stets behauptet, dass er Marc nie töten wollte. Henning beginnt, nachzuforschen…

Meine Güte, wie oft habe ich mich während des Lesens gefragt, was ich tun würde. Henning war mir sehr sympathisch und ich habe mich ihm immer sehr nah gefühlt. Spannend wurde es auch noch und die 200 Seiten lasen sich wie nichts weg.

Manchem Leser wird in diesem Thriller vielleicht zu wenig Blut fließen. Aber für mich persönlich war durch die Thematik des Kindermordes wahrlich genug „thrill“ in dem Buch.

Fazit: Spannend, mit berührender Thematik. Schnell zu lesen und daher ideal für „zwischendurch“.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.