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MaWiOr
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Insgesamt 3668 Bewertungen
Bewertung vom 27.10.2020
Huchel, Peter

Havelnacht


ausgezeichnet

Peter Huchel hat zwar nur vier Lyrikbände veröffentlicht, doch gehörte er zu den bedeutendsten deutschen Lyrikern der Nachkriegszeit. Außerdem war er Redakteur der wegweisenden DDR-Zeitschrift „Sinn und Form“. Aber bereits in den 1950er Jahren wurde diese Zeitschrift von staatlicher Seite kritisch beäugt. 1962 musste er als Redakteur zurücktreten. Es begann seine Isolationszeit, die neun Jahre dauerte. 1971 wurde ihm die Ausreise gestattet. Huchel starb am 30. April 1981.

Der Inselband „Havelnacht“ versammelt Gedichte, die Huchel seiner Heimat, der Landschaft seiner Kindheit widmete. In der Isolation war die Erinnerung die einzige Heimat, die ihm blieb. Es sind Gedichte über die Havellandschaft und ihre herbe Schönheit: „Monde um Monde wehten ins Jahr, / wehten wie Schnee auf Wange und Haar. / Zeitlose Stunde, die mich verließ, / da sich der Löwenzahn weiß zerblies.“ Auch Kindheitserinnerungen blitzen immer wieder auf: „Kindheit. O blühender Zauch, / wo wir im nußweißen Tag, / klein im Holunderrauch / waren den Hummeln nach.“

Die stimmungsvollen Gedichte werden mit Schwarz-Weiß-Fotos von Roger Melis, der bei Peter Huchel aufwuchs. Mit sparsamen fotografischen Mitteln gelingt es Melis ebenfalls, die märkische Landschaft und ihren spröden Reiz einzufangen. Ergänzt wird der Inselband durch ein Nachwort von Lutz Seiler.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.10.2020
Grimm, Jacob;Grimm, Wilhelm

Grimms Märchen


ausgezeichnet

Froschkönig, Rotkäppchen oder Dornröschen … die Märchen der Gebrüder Grimm sind seit jeher bei Groß und Klein beliebt. Immer wieder haben sie auch Künstler zur Illustration angeregt. Nun ist eine Sonderausgabe in der beliebten Reihe der Insel-Bücherei mit siebzehn Grimms Märchen erschienen – illustriert durch den bekannten Comiczeichner und Cartoonisten Flix (eigentlich Felix Görmann). Mit „Faust“ und „Don Quijote“ hat er in der Vergangenheit bereits zwei literarische Klassiker mit seinen Zeichnungen bereichert.

Nun also „Grimms Märchen“. Es sind Schwarz-Weiß-Abbildungen, die an Scherenschnitte erinnern - realistisch, etwas düster, aber durchaus humorvoll (z.B. Die Bremer Stadtmusikanten oder Das tapfere Schneiderlein) die Märchen untermalen. Teilweise sind es ganzseitige Illustrationen, dazwischen auch immer wieder Vignetten. Ein sehr gelungenes und empfehlenswertes Inselbändchen.

Bewertung vom 26.10.2020

Schlimmer geht immer


ausgezeichnet

Wenn man denkt: „schlimmer gehts nicht mehr“, da kommt es manchmal doch noch viel schlimmer. Das beweisen auch die neunzehn Geschichten des Diogenes-Auswahlbandes.

Den Auftakt macht der britische Schriftsteller Graham Swift mit der Geschichte „Glück im Unglück“, die während des Endes des Zweiten Weltkrieges spielt. Seine Schriftstellerkollegin Jojo Moyes erzählt von der jungen Chrissie, die auf der Suche nach einem besonderen Weihnachtsgeschenk ist, und schließlich in einem Taxi landet. Eine schick-salhafte Begegnung mit dem Chauffeur. In ihrer Geschichte „Carpe Diem“ hat die amerikanische Schriftstellerin Lucia Berlin ein ernsthaftes Problem in einem Waschsalon, wo die Protagonistin aus Versehen drei Waschmaschinen von einem unfreundlichen Kerl in Gang setzt.

Roald Dahls Kurzkrimi „Lammkeule“ ist schon längst ein Klassiker, in der eine hintergangene Ehefrau mit einer gefrorenen Lammkeule erschlägt und später der Polizei die gebratene Tatwaffe vorsetzt. Neben den zeitgenössischen AutorenInnen ist auch der deutsche Abenteuerschriftsteller Friedrich Gerstäcker (aus dem 19. Jahrhundert) vertreten. In seiner Geschichte „Pech!“ erzählt er, wie ein Passagier in San Francisco seinen Dampfer verpasst. Genügend Zeit um von einem Unbekannten zu erfahren, in welche Kette von Unglücksfällen dieser geraten war. In der kürzesten Geschichte „Urlaub mit Bauarbeitern“ (von Stefan Schwarz) wird von der Schwierigkeit berichtet, wenn im Auslandsurlaub Dusche und Toilette kaputt sind.

Fazit: Kurzweilige Geschichten, die alle keine Happyend haben.

Bewertung vom 26.10.2020
Mellem, Daniel

Die Erfindung des Countdowns


sehr gut

Den wenigsten wird der Name Herman Oberth etwas sagen, dabei war er einer der führenden deutschen Raketenpioniere. Bereits in den späten 1920er Jahren entwickelte er den ersten Raketenmotor mit flüssigem Treibstoff. Ab 1929 arbeitete er mit Wernher von Braun zusammen. Als in den 1930er Jahren die Nationalsozialisten auf ihre Forschung aufmerksam wurden, stellte sich beiden Forschern die Frage nach der Verantwortung eines Wissenschaftlers.

Der Physiker Daniel Mellem hat sich in seinem ersten Roman der streitbaren Persönlichkeit von Hermann Oberth gewidmet. Erzählt wird dieses Leben aus der Perspektive des Protagonisten als Countdown in elf Kapiteln. Mellem beleuchtet das unstete Leben des Forschers, das dieser ganz seiner Vision von der Raumfahrt untergeordnet hatte. Oberth war kein idealtypischer Wissenschaftler, trotzdem fällt der Autor kein Pauschalurteil, vielmehr versucht er, in der Biografie von Oberth Anhaltspunkte für dessen Handeln aufzuspüren. Oberth war ein Mensch voller Widersprüche und diese werden in dem Erstlingswerk gut herausgearbeitet … und das unspektakulär, aber sehr lesenswert.

Bewertung vom 26.10.2020
Rachilde

Monsieur Vénus


ausgezeichnet

In Deutschland ist die französische Schriftstellerin Rachilde (eigentlich Marguerite Eymery, 1860-1953) kaum bekannt. Zunächst wurde sie als Junge erzogen, doch dann entwickelte sie ein Verhältnis zum weiblichen Geschlecht. Ermutigt durch Victor Hugo fing Marguerite mit zwölf Jahren an zu schreiben. Mit 14 nahm sie ihren Künstlernamen Rachilde an und veröffentlichte bald erste Geschichten und Artikel. 1884 gelang ihr mit „Monsieur Vénus“ der literarische Durchbruch. Der seinerzeit skandalträchtige Roman wurde aus Angst vor der französischen Zensur zunächst in Belgien veröffentlicht.

Der Roman erzählt die Geschichte der 25-jährigen, wohlhabenden Pariser Adligen Raoule de Vénérande, die sich in Jacques Silvert, einen armen Künstler verliebt, der sich seinen Lebensunterhalt als Blumenmacher mit Kunstblumen verdient. Von vornherein ist die übliche Konstellation verändert: Raoule ist die dominierende Figur. Jacques ist stets vom Belieben seiner Herrin abhängig. Schließlich kommt es zur Aufhebung ihrer Geschlechter. Raoule heiratet Jacques, um sich seines vollen und endgültigen Besitzes sicher zu sein. Doch Jacques geht dermaßen in seiner Frauenrolle auf, dass er nach einem echten männlichen Liebhaber sucht, den er in einen Major findet. Schließlich kommt es zu einem Duell, in dem Jacques getötet wird.

Der Roman erschien zum ersten Mal auf Deutsch in ungekürzter Originalfassung - mit einem Nachwort der Literaturwissenschaftlerin und Expertin für weibliches Schreiben Martine Reid.

Bewertung vom 23.10.2020

Spannende Weihnachtsferien


ausgezeichnet

Langsam steht Weihnachten vor der Tür … da kommen kurzweilige und spannende Weihnachtsgeschichten gerade recht. Der Diogenes-Band bietet zwölf Beispiele von verschiedenen Autoren. Den Auftakt macht die Geschichte „Die üblichen Weihnachtsmänner“ des englischen Schriftstellers Mick Herron, der von einer Plünderung in einem Einkaufszentrum durch Weihnachtsmänner berichtet. Der „Weihnachtsmord auf Sandhamn (von Viveca Stein) geschieht während einer Firmenweihnachtsfeier. Da wollte jemand fingierte Rechnungen vertuschen.

Krimi-Altmeister Henry Slesar erzählt zwar von einem Mann, der Weihnachten liebt, dass er schon am 26. Dezember anfängt, das nächste Fest zu planen … doch dann ist er gerade am Heiligabend verschwunden. Am Ende gibt es eine fürchterliche Entdeckung. Die britische Krimi-Autorin P.D. James schildert einen „Mistelzweigmord“ und ihre schottische Kollegin Val McDermid erzählt die Geschichte von dem „Mädchen, das den Weihnachtsmann umbrachte“. Den Schlusspunkt setzt Luca Ventura, der für seine Capri-Krimis bekannt ist. Mit „Der heilige Stefano von Capri“ ist ihm ebenfalls eine spannende Geschichte gelungen.

Andere AutorenInnen sind Ulrich Knellwolf, Asa Larsson, Martin Suter, Ian Rankin, Ernest Hemingway und Colum McCann. Fazit: jede Geschichte eine unterhaltsame Lektüre für die langen Winterabende.

Bewertung vom 21.10.2020
Bechstein, Ludwig;Grimm, Jacob

Die große Sagenreise


ausgezeichnet

Die Gebrüder Grimm sammelte über 500 Sagen aus dem deutschen Sprachraum, die sie in der zweibändigen Edition „Deutsche Sagen“ 1816 und 1818 veröffentlichten. Diese Veröffentlichung war gewissermaßen der Startschuss für andere Autoren (u.a. Ludwig Bechstein) und Sammler im 19. Jahrhundert, sich mit der Sage zu beschäftigen. Versuchte man anfangs, die Texte durch eine literarische Überarbeitung und Glättung für eine breite Leserschaft zugänglich zu machen, wurde später der Originalton und –charakter der Texte immer wichtiger. Mehr und mehr wurden Dialekte und Mundarten berücksichtigt.

„Die große Sagenreise“ präsentiert 105 Sagen von der Ostsee bis zu den Alpen. Den Auftakt bildet die Sage „Die Stadt Vineta“, die auf der Insel Usedom angesiedelt ist. Den Schlusspunkt setzt schließlich „Der Richter von Bellinzona“ – eine Sage aus Südtirol. Da die Sagen von verschiedenen SprecherInnen (von Rolf Boysen über Gert Heidenreich, Katharina Thalbach bis zu Ulrich Noethen) vorgetragen werden, ist neben der geografischen auch für sprachliche Abwechslung gesorgt. Darüber hinaus punktet die Edition mit einer sehr ansprechenden Aufmachung und einem informativen Falt-Booklet.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.10.2020
Borchert, Wolfgang

Draußen vor der Tür


ausgezeichnet

Im Kältewinter 1946/47 schrieb Wolfgang Borchert sein Schauspiel „Draußen vor der Tür“. Darin kehrt der 25-jährige Unteroffizier Beckmann verwundet aus Krieg und russischer Gefangenschaft ins zerbombte Hamburg zurück. Er verzweifelt in den Trümmern und kommt mit seinen Kriegserlebnissen, seiner Schuld und den Zuständen daheim nicht zurecht. Er findet nicht mehr in die bürgerliche Welt zurück. Immer wieder steht er vor verschlossenen Türen. Sein Zuhause ist - „draußen vor der Tür“. Beckmann ist kein Held, eher ein Antiheld, der sich ausgeschlossen fühlt.

Am 21. November 1947 hatte das Stück seine Uraufführung an den Hamburger Kammerspielen. Für die Theaterbesucher ein äußerst bewegender Abend, denn die Intendantin Ida Ehre informierte sie vor der Aufführung von Borcherts Tod, der am Vorabend im Alter von 26 Jahren in einem Schweizer Spital verstorben war. Minutenlanges Schweigen ehe sich der Vorhang hob. Dann erlebte das Publikum den jungen Schauspieler Hans Quest - ihm hatte Borchert das Stück gewidmet – in der Rolle des grauen Soldatengespenstes Beckmann, hungernd, frierend, mit einem steifen Bein und einer Gasmaskenbrille, der in seiner Angst und Verzweiflung immer wieder schreit: „Gibt denn keiner Antwort?“

1947 erschien auch eine Hörspielfassung (Nordwestdeutscher Rundfunk), ebenfalls mit Hans Quest als Beckmann-Sprecher. Dazu mit einer Einführung von Ernst Schnabel (Chefdramaturg des NWDR). Diese historische Fassung liegt nun als Audio-CD – ein Stück deutscher Literatur- und Rundfunkgeschichte der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Bewertung vom 21.10.2020

Hitchcock


ausgezeichnet

Der britische Meisterregisseur Alfred Hitchcock (1899-1980) gilt als „Master of Supense", als Meister in der Kunst, Spannung zu erzeugen. Keiner verstand es so, mit den Ängsten der Menschen zu spielen wie er. Mit seinen Thrillern „Psycho“ oder „Die Vögel“ jagte er Kinozuschauern in aller Welt einen Schauer über den Rücken.

Seine Filme gehören heute noch zum festen Bestandteil der Fernsehsender. Im Delius Klasing Verlag ist nun eine umfangreiche und reich illustrierte Dokumentation erschienen. Sie zeichnet Hitchcocks komplette künstlerische Laufbahn nach – unterteilt in die sechs Dekaden seines Schaffens von den 1920er bis zu den 1970er Jahren. Am Anfang werden auch die Filmjahre „Hitchcock vor Hitchcock (1899-1925)“ kurz beleuchtet. Hitchcocks lange Schaffenszeit wird dann in den „englischen“ bzw. „amerikanischen“ Hitchcock unter-teilt.

Die Anfänge waren noch stark von der Stummfilmära geprägt, ehe ihm dann in den 1930er Jahren in England u.a. mit „Der Mann, der zuviel wusste“ der Durchbruch gelang. In Hollywood stieß Hitchcock zunächst auf Schwierigkeiten. Hitchcock verstand es jedoch immer besser, klare und dynamische Bilder für die zweidimensionale Leinwand zu komponieren, dabei schnitt er seine Filme weniger im Schneideraum sondern im Kopf. Mit seinen Klassikern „Das Fenster zum Hof“, „Vertigo“, „Marnie“, „Die Vögel“ oder „Psycho“ erlangte er schließlich Weltruhm.

Der Altmeister drehte insgesamt 53 Filme, die alle detailliert vorgestellt werden - von „Irr-garten der Leidenschaft“ (1925) bis „Familiengrab“ (1976). Zu jedem der 53 Filme gibt es zunächst ein allgemeines Datenblatt, das über Jahr, Dauer, Dreharbeiten, Buch, Kamera, Schnitt, Musik, Produktion, Musik usw. und natürlich über Darsteller informiert. Die anschließenden fundierten Erläuterungen (u.a. Vorgeschichte, Inhalt, Rezeption) und Betrachtungen geben weitere ausführliche Auskünfte. Außerdem gibt es Porträts zu besonderen Akteuren, wie dem Schauspieler James Stewart oder der Kostümbildnerin Edith Edith Head. Die Texte werden durch zahlreiche (auch ganzseitige) Abbildungen illustriert.

Im umfangreichen Anhang finden sich ein Überblick zu seinem Nachlass „Hitchcock nach Hitchcock“, ein Glossar, eine kleine Bibliografie und ein Register. Eine wunderbare und äußerst informative Alfred-Hitchcock-„Bibel“, die keine Wünsche offen lässt.