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TochterAlice
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Köln

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Insgesamt 1464 Bewertungen
Bewertung vom 12.08.2019
Sautner, Thomas

Großmutters Haus


weniger gut

Hauptsache Sex: Das lernt Malina von ihrer Großmutter Kristyna, die ihr Alter genießt, lebt, wie sie will und ganze Armaden williger Herren - oder soll ich sagen, Kerle - in ihr Bett lässt. Wenn ich richtig verstanden habe, allerdings hintereinander, nicht gleichzeitig. Malina hat ihre Großmutter seit Jahren nicht mehr gesehen, dachte eigentlich, sie sei tot. Eine Sendung Kristynas an die Enkelin bringt diese wieder zurück in ihr Leben - sie begibt sich auf die Suche und findet Kristyna an einem faszinierenden Ort: in einem Haus mitten im Wald, einem kleinen Idyll sozusagen.

Malina fühlt sich fast wie in einem Märchen, gefangen von der Oma und ihrem Umfeld. Kristyna, Herrin über eine Cannabis-Plantage, soll als lebensklug, weise und wegweisend rüberkommen - Malina, die gerade an einem Scheideweg angelangt ist, erfährt in den zwei Wochen, die sie bei ihr verbringt, von ihr, wo es langgeht - im wahrsten Sinne des Wortes. Die Anregungen der Älteren laufen alle darauf hinaus, maximalen Genuss zu erzielen. Sozusagen Sex aus allen Lebenssituationen herauszufiltern.

Eine Frau, die so lebt, so denkt? Man sollte sich vor Augen halten, dass hier ein Mann schreibt, der sich an das Tiefste, das Innerste von gleich zwei Protagonistinnen heranwagt. Der also in die Frauen - eine jung, die andere schon älter - hineinschaut. Aus meiner Sicht ist ihm das nicht gelungen. Überhaupt gar nicht. Ich finde, er schreibt so, wie ein Mann eine Frau sehen und haben will. Denn Kristyna denkt und spricht wie ein lustbetonter Mann. Oder wie das Klischee eines solchen. Und Malina ist eine mehr oder weniger gefügige Elevin. Finde ich. Und ärgere mich ziemlich über diesen Roman, der zwar einige schöne Sätze, aber keine - für mich - wertvollen Gedanken, Erfahrungen, Erkenntnisse und/oder Botschaften enthält.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.08.2019
Osang, Alexander

Die Leben der Elena Silber


gut

Jelena, Lena, Füchschen, Elena, Baba: Das sind die Namen, mit denen die Protagonistin im Laufe ihres Lebens benannt wird - abhängig von den Zeiten und denen, die sie ansprechen. Geboren 1902 wurde sie Jelena getauft und Lena genannt, "Füchschen" war der Kosename ihrer großen Liebe für sie, zu Elena wurde sie in Deutschland. Und "Baba" war sie für ihre Enkel - ein Name, den sie hasste.

93 Jahre alt ist sie geworden - ein langes Leben, dennoch beginnt ihr Enkel Konstantin erst lange nach ihrem Tod zu recherchieren über sie und die Vergangenheit seiner Familie, die aus Berlin, wo Elena, ihre vier Töchter und deren Familien nach dem Krieg jahrzehntelang lebten, über Leningrad, Moskau und Nishni Novgorod bis nach Gorbatow an der Wolga zurückführt. Dort stand Elenas Wiege, dort wurde ihr Vater 1905 als früher Revolutionär aus dem Weg geräumt.

Mehr als zwanzig Jahre nach ihrem Tod versucht Konstantin ihrem Leben, seiner Familiengeschichte, nachzuspüren? Was wurde aus seinem Großvater, dem Deutschen Robert Silber, der nach dem Krieg spurlos verschwand? Warum versteht sich seine Mutter nicht mit ihren Schwestern? Wie erging es seiner Großmutter als Kind, als junger Frau im fernen Russland, in der Sowjetunion? Und warum weiß er kaum etwas über die Verwandten in Berlin, in seiner Stadt? Einige wenige der vielen Fragen, die ihn umtreiben.

Der Autor Alexander Osang pflegt einen eindringlichen und gleichzeitig unterhaltsamen Stil. Trotz erheblicher Längen und gelegentlicher Redundanzen fiel mir die Lektüre leicht. Nur im Nachhinein habe ich mich gefragt, was denn nun genau die Erkenntnis aus diesem Roman ist. Erschütternd war es für mich zu erkennen, dass ich keine gewonnen habe! Ich bin Elena und ihrer zerfahrenen, zerfaserten Familie emotional kaum näher gekommen und bin mir sicher, dass sie und Konstantin ebenso wie die anderen Menschen um sie herum schon bald wieder aus meiner Wahrnehmung verschwinden werden. Ein gefälliger Roman ohne Botschaft. Ich bereue nicht unbedingt, ihn gelesen zu haben, aber andererseits war es auch kein Gewinn.

Bewertung vom 11.08.2019
Kabus, Christine

Das Geheimnis der Fjordinsel


sehr gut

Eine Reise nach Norwegen macht die junge Rike aus Ostfriesland im Jahr 1980, nachdem sie nach dem Tod ihres geliebten Großvaters Fiete, bei dem sie aufgewachsen ist, Bahnbrechendes erfahren hat, das die Sicht auf ihre Familie komplett verändert.

Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen und so gibt es gleich zwei Protagonistinnen: die junge Norwegerin Johanne, der wir im Jahr 1926 in der Kleinstadt Horten begegnen und eben Rike.

Wie auch Rike muss Johanne gleich zu Beginn einen Todesfall verkraften und zwar den ihre Vaters, der für den Unterhalt der gesamten Familie aufkam. Rike muss nicht nur dessen Alkoholhandel regeln - ein schwieriges Unterfangen in Zeiten der teilweisen Prohibition in Norwegen - sondern auch die Familie zusammenhalten. Zudem erscheinen die Todesumstände des Vaters bald schon ziemlich undurchsichtig.

Vor allem im weiter zurückliegenden Erzählstrang gestaltet sich die Handlung ausgesprochen abenteuerlich - es geht um Schmuggelei und weitere hochkriminelle Delikte. Und natürlich wieder und wieder um die Liebe!

Der Leser wird durchgehend mit Sprüngen zwischen Gegenwart (also der Gegenwart im Roman) und Vergangenheit konfrontiert - die Kapitel beleuchten abwechselnd die Geschicke von Rike im Jahr 1980 und die von Johanne im Jahr 1926. Ein Wechsel, der durchaus gelungen ist. Vor allem über die Umstände, aber auch über den Zeitgeist, der in der Zwischenkriegszeit vor allem in Norwegen herrschte, erfährt man so einiges. Autorin Christine Kabus hat wie immer hervorragend recherchiert und versteht sich perfekt darauf, in ihren Romanen eine Atmosphäre zu schaffen, die den Leser zeitlich und räumlich in andere Gefilde entführt.

Die Handlung war ein wenig zu sehr in die Länge gezogen und stellenweise ein bisschen langatmig. Zudem waren für mich die Prioritäten an mancher Stelle etwas unpassend gesetzt - zu gern hätte ich mehr über Rikes wundervollen ostfriesischen Großvater, den Kapitän Fiete erfahren und ebenso über Johannes loyale Schwester Dagny.

Doch das ist Kritik auf hohem Niveau: Insgesamt ist dies ein packender und mitreißender Roman mit viel Herz, der Freunden und vor allem Freundinnen langer Schmökerabende - und natürlich auch Norwegenfans - herzlich zu empfehlen ist!

Bewertung vom 11.08.2019
Kabus, Christine

Insel der blauen Gletscher


sehr gut

Eine Reise ganz, ganz weit in den Norden Europas nämlich nach Spitzbergen macht der Leser dieses opulenten Romans - und noch viel mehr! Was dahintersteckt? Nun, die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen - zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in der Gegenwart.

So gibt es gleich zwei Protagonistinnen: die junge Emilie, die wir 1907 im heimatlichen Elberfeld, heute Wuppertal antreffen, wo die Tochter eines Industriellen von einem interessanteren, abenteuerlicheren Leben träumt und schließlich tatsächlich als Teilnehmerin einer Gruppe von Forschern in Norwegen landet - allerdings muss sie dafür in die Rolle ihres jüngeren Bruders Max schlüpfen.

Auf der anderen Seite steht Hanna, die 2013 in Bayern von einem Tag auf den anderen vor den Trümmern ihres Ehelebens steht: ihr Mann Thorsten, mit dem sie zwei erwachsene Kinder hat, hat sie aus heiterem Himmel verlassen und sich mit einer jungen Gespielin auf eine einjährige Segeltour begeben. Auch sie zieht es nach Norwegen: sie entschließt sich, in ihren früheren Beruf als Reisereporterin zurückzukehren und nimmt einen Auftrag für einen Bericht über Spitzbergen an.

Der Leser wird pausenlos mit Sprüngen zwischen Gegenwart und Vergangenheit konfrontiert - die Kapitel beleuchten abwechselnd die Geschicke von Hanna in den 2010ern und die von Emilie im Jahr 1907. Ein Wechsel, der durchaus gelungen ist. Vor allem über die Umstände, aber auch über den Zeitgeist, der vor dem 1. Weltkrieg herrschte, erfährt man so einiges. Auch der Kontrast der damaligen Strukturen und Einschränkungen für Frauen in Deutschland zur vergleichsweisen Freiheit eines männlichen "Forscherlebens" ist wirklich sehr gut, bildhaft und einfühlsam dargestellt.

Der Roman hätte aus meiner Sicht gut ein paar Figuren weniger haben können, um sich mehr auf die wirklich Wichtigen und deren Geschichten zu konzentrieren. Auch sonst fand ich, dass die Prioritäten an manchen Stellen ungünstig gesetzt waren. Für mich war der Teil um Emilie mit großem Abstand der interessantere, auf den ich mich aufgrund der wunderbar recherchierten, atmosphärisch geschilderten Details aus früheren Zeiten immer sehr gefreut habe. Hanna mit ihrem plötzlich - hier sprechen wir von einigen wenigen Tagen - erfolgten kompletten Lebenswandel hat mich eher irritiert. Zudem hätte mich das Schicksal und die Entwicklung einiger Figuren - Emilies fortschrittliche Tante Fanny und ihr Bruder Max, mit dem sie zeitweise die Identität tauschte, waren hier sehr vielversprechend - vor allem 1907 interessiert, dies wurde ein wenig unter den Tisch gekehrt.

Insgesamt aber ein packender und mitreißender Roman mit viel Herz, der Freunden und vor allem Freundinnen langer Schmökerabende herzlich zu empfehlen ist!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.08.2019
Steinert, Hajo

Blumenspiel


weniger gut

Genau mein Fall - so dachte ich beim ersten Blick auf das Buch. Das Szenario: Wir schreiben das Jahr 1909. Der junge Kunstschmied Heinrich kommt in einer privaten Extremsituation aus dem bergischen Engelskirchen nach Köln, wo er bei einer flüchtigen Bekannten aus der Heimat zur Untermiete wohnen kann. Sie hätte nichts gegen eine richtige Beziehung, aber Henri, wie sich der junge Mann bald nennt, hat nur Augen für die schöne Schneiderin aus der Nachbarschaft. Durch einen Zufall lernt er Hedwig, so heißt sie, kennen und entbrennt mehr und mehr für sie. Auch Hedwig ist ihm zugetan, doch in ihr lodert es - sie träumt von einem anderen, einem freien Leben und weiß auch schon, wo sie es finden wird: in einer Siedlung auf dem Monte Verità in Ancona in der Schweiz, wo ein neues Lebensmodell entwickelt wird.

Henri fühlt sich eigentlich in Köln sehr wohl, ist das Leben dort doch für ihn bereits der Inbegriff der Freiheit. Sowohl Hedwig, ein kölsch Mädsche, als auch seine Wirtin machen ihn mit den vielfältigen Facetten dieser Stadt bekannt und das Herz geht ihm über!

Doch als es Hedwig unwiderruflich in die Schweiz zieht, bleibt er an ihrer Seite, denn für ihn ist der Platz an ihrer Seite das Erstrebenswerteste in seinem Leben. Dort angekommen, erleben sie das neue Leben völlig unterschiedlich. Während Hedwig darin aufgeht, ist Henri ausgesprochen befremdet. Die Situation eskaliert...

Ich habe mich so gefreut auf den Roman, der meiner Heimatstadt Köln und dem interessanten Projekt in Ascona gleichermaßen ein Denkmal der Erinnerung setzt, doch leider wurde ich herb enttäuscht. Nicht durch den Stil des Autors, nein, dieser ist ausgesprochen gefällig und liest sich runter wie Öl und auch die in den Roman eingearbeiteten Informationen zur damaligen Zeit sind durchaus sind durchaus ungewöhnlich und damit spannend. Aber aus meiner Sicht wird hier kein Stimmungsbild, nichts Atmosphärisches transportiert, leider bleibt alles nur an der Oberfläche. Und der Monte Verità kommt als Hort der Laster und als sittenloses Gefüge rüber - und zwar defintiv nicht nur aus Henris Sicht! Leider ist es dem Autor - so finde ich - nicht gelungen, hier das Spannende, Neuartige der Kolonie, das sie für viele Suchende zu einem Ort der Sehnsucht werden ließ, zu transportieren. Viele Begriffe und Informationen werden nur erwähnt, aber nicht näher beleuchtet bzw. in die Handlung eingefügt.

Schade, ich hatte mir so viel versprochen von dieser Lektüre und bin jetzt richtiggehend enttäuscht!

Bewertung vom 06.08.2019
deWitt, Patrick

Letzte Rettung: Paris


sehr gut

Ähnlich einem Sittenspiel aus vergangenen Zeiten beginnt diese Mutter-Sohn-Story, die als skurril zu bezeichnen eine Untertreibung wäre! Wobei der Autor Patrick de Witt tatsächlich weder Epochen noch Jahreszahlen nennt, wodurch man als Leser lediglich Vermutungen anstellen kann. Jedenfalls spielt sie nicht im Hier und Jetzt, denn außer Telefonen spielt die Kommunikationstechnologie keine Rolle und die Protagonisten reisen per Schiff - eine Zeitspanne zwischen beiden Weltkriegen oder auch nach dem Zweiten Weltkrieg erscheint mir denkbar.

Frances und Malcolm Price leben vom mehr als üppigen Erbe des Ehemannes bzw. Vaters in Saus und Braus, bis dieses komplett aufgebraucht ist. Der Start in ein neues, auf gewisse Weise nicht minder dekadentes Leben in Paris steht an. Die ganze Story um die Schiffsreise des bankrotten Gespanns nach Frankreich und des dortigen Lebens im Kreise alter und neuer Bekannter - die ebenfalls alle einen gehörigen Knall haben, jeder auf seine Art - ist vollkommen absurd, in ihrer Absurdität jedoch durchaus schlüssig. Auch die Begleitung durch einen Kater namens "Kleiner Frank", laut Frances die Reinkarnation ihres längst verstorbenen Gatten ist stimmig und gewinnt innerhalb der Handlung zentrale Bedeutung. Auf recht unvorhersehbare Art und Weise, versteht sich - wie eben alles in diesem Werk unvorhersehbar und auch nicht unbedingt im klassischen Sinne logisch bzw. sofort einleuchtend ist. Doch dem Autor gelingt es, alles übersichtlich zu halten. Auch wenn am Ende so einiges offen bleibt. Gewissermaßen sogar das Wesentliche. Aber selbst das fügt sich stimmig ins Gesamtkonzept.

Eine richtig schräge, aber in sich ausgesprochen stimmige Geschichte, die einerseits fast etwas Märchenhaftes hat, andererseits wieder - auch wenn von einem Amerikaner verfasst - nur so vor britischem Humor strotzt. Ja, die Protagonisten Frances und ihr Sohn Malcolm sind völlig von der Rolle in einer Art, wie man es von den britischen Exzentrikern kennt. In diesen hat - so scheint es - der kanadische Autor Patrick de Witt seine Meister für das vorliegende Werk gefunden.

Ein unterhaltsames, stilistisch ausgefeiltes Werk, das gewissermaßen eine Karikatur seiner selbst ist. Obwohl viele Fragestellungen für den Leser offen bleiben - zumindest ging es mir so - gibt es einen klaren Schluss, der morbider nicht sein könnte. Etwas für Liebhaber von Werken wie Isabel Bogdans "Der Pfau". Wenn es hier auch noch um Einiges extremer zugeht - in vielerlei Hinsicht.

Ein kleiner, amüsanter Roman, der mit seiner Leichtigkeit, ja Unbekümmertheit in gewissen durchaus prekären Situationen fasziniert und ein passendes Geschenk für viele Gelegenheiten ist, wobei man den Adressaten schon gut kennen sollte. Es sollte jemand sein, der für Späße der gehobenen und zugleich extremen Art, aber auch für Extravaganzen und vor allem für Überraschungen zu haben ist. Denn eines ist dies sicher nicht - ein Buch für Jedermann!

Bewertung vom 04.08.2019
Nessensohn, Hansjörg

Und dieses verdammte Leben geht einfach weiter


ausgezeichnet

Timon und Sunny sind beste Freunde und wollen sich nach dem Abitur auf Mallorca entspannen. Das bedeutet in ihrem jungen Alter: so richtig abfeiern! Unterwegs treffen sie auf Jonas, der völlig verzweifelt scheint und es - wie sich später herausstellt - auch ist. Aus gutem Grund. Sie nehmen ihn mit nach Malle und Timons erste Aktion dort ist, Jonas' Leben zu retten, aus dem dieser freiwillig scheiden wollte. Danach ist natürlich nicht mehr viel mit Party. Nicht nur wegen Jonas. Denn auch Timon und Sunny haben ihr Päckchen zu tragen und - wie sich zeigt - Geheimnisse voreinander. Es dauert eine Weile, bis sie sich einander öffnen und Jonas ist daran nicht ganz unbeteiligt.

Drei junge Menschen, die sich - nach einer ordentlichen Anlaufzeit, natürlich - gegenseitig stützen und dadurch zusammenwachsen - ein schöner Gedanke. Was mir gefällt: die Geschichte hat durchgehend Ecken und Kanten, nichts wird idealisiert, nichts ist "fertig" - wie das Leben eben. Das Leben in einer, nein, drei Extremsituationen, zu denen es aber durchaus kommen könnte, denn das Leben ist ja oft dramatischer und extremer als jede Fiktion!

Ich jedenfalls bin begeistert von diesem Jugendbuch, das ich dennoch nicht jedem Leser empfehle, denn es ist schwere Kost. Als Elternteil, Freund oder Pate sollte man vielleicht dieses Buch vorher selbst lesen bzw. sich Gedanken darüber machen, ob es zu dem Adressaten passt. Wenn das der Fall ist, wird es auf jedenfall eine ungeheure Bereicherung sein, so viel kann ich versprechen! Oder man kauft es bei Interesse direkt für sich selbst, das wird mit Sicherheit niemand bereuen.

Ein einfühlsam, aber nicht zart oder sanft geschriebenes Werk - wobei es durchaus zarte und sanfte Momente gibt, die jedoch immer wieder mit dem Holzhammer unter- bzw. abgebrochen werden - vom Leben selbst. Dass dieses - das Leben eben - unser größter Freund und unser stärkster Feind gleichermaßen sein kann - das illustriert Autor Hansjörg Nessensohn in diesem Roman aufs Eindringlichste.

Ein aufwühlendes und ausgesprochen gelungenes Werk!

Bewertung vom 31.07.2019
Licht, Kira

Sunset Beach - Liebe einen Sommer lang


ausgezeichnet

Sunset Beach, Kalifornien: Reiche Kids am Strand, die ständig mit ihren Autos rumkurven und deren größtes Problem es ist, vor Schulbeginn einen Parkplatz zu bekommen. So kamen mir Abby und ihre Freunde zu Beginn des Romans vor - dass sie nun ins letzte Schuljahr kommen und für ihren Abschluss büffeln müssen, scheint Nebensache zu sein.

Denn es schwirren zu viele Hormone in der Luft herum. Auch Leo, der noch in Trauer um seinen Vater und gerade von der Ostküste, rübergezogen, wird gleich davon infiziert. Vielmehr ist es Abby, die ihm sofort den Kopf verdreht. Dabei muss er sich doch eigentlich mit ganz anderen Angelegenheiten befassen, bspw. damit, seinen steinreichen Stiefvater - ja, seine Mutter hat tatsächlich schon wieder geheiratet - kennenzulernen und sich um seine Zwillingsschwester Allegra, die eine ernsthafte Depression hat, zu kümmern.

Auch die so beliebte und ziemlich oberflächlich scheinende Abby hat ihre Problemchen, zu denen nun noch der aufdringliche Leo hinzukommt.

Ein Setting, wie es für einen oberflächlichen Urlaubsschmöker gemacht scheint! Doch wenn der Leser sich damit zufriedengeben möchte, hat er nicht mit der Autorin Kira Licht gerechnet, die sich einfach die Freiheit nimmt, in jedes Genre - auch in Teenieromanzen - Botschaften und eine gewisse Tiefe hineinzubringen. Sie vermittelt Werte wie auch Empathie mit einer Leichtigkeit - man könnte auch sagen, Lässigkeit - die ihresgleichen sucht. Die man quasi gar nicht bemerkt - nur nach der Lektüre ist etwas mit dem Leser passiert. Und zwar denkt er über das Gelesene nach und nicht nur einmal.

Dieser Roman ist - wie alle Bücher von Kira Licht - alles andere als Fast Food. Nur ist sie eine der seltenen Autor*innen, die die Gabe haben, ihre durchaus ernsten Gedanken und Inhalte in ein dermaßen gefälliges Format - eines, das beim Lesen runtergeht wie Öl - zu packen und ihre Leser damit quasi aus dem Hinterhalt zu überfallen! Ich liebe ihren Stil und ihre intelligente Leichtfüßigkeit und hoffe, dass ich mich noch auf viele Werke aus ihrer Feder freuen kann!

Bewertung vom 31.07.2019
Reifenberg, Frank Maria

Wo die Freiheit wächst


ausgezeichnet

Nein, in Köln war es während des Zweiten Weltkriegs überhaupt nicht gemütlich! Es war die Stadt in Deutschland, die am häufigsten Bombenangriffe erleiden musste, nämlich insgesamt 262 Mal. Wenn man sich das vergegenwärtigt, wundert man sich nicht mehr, dass fast jede Woche irgendwo auf dem Gelände der Stadt im Zuge von Bauarbeiten eine Fliegerbombe gefunden wird und entschärft werden muss.

1942: Wir begegnen Lene, die in Nippes lebt, einem Stadtviertel im Norden Kölns, nicht allzu weit entfernt von der Innenstadt. Sie ist sechzehn und die Zweitälteste von insgesamt fünf Geschwistern. Ihr ältester Bruder Franz ist an der Ostfront, in Russland, ihr jüngerer Bruder ist vierzehn und ein begeisterter Hitlerjunge. Dann gibt es noch zwei ganz kleine Mädchen. Der Vater wird vermisst, die Mutter hat bereits einen neuen Partner.

Lene macht eine Ausbildung zur Friseuse und schreibt Briefe - an ihre Freundin Rosi, die in Detmold in den Arbeitsdienst verschickt wurde, an den Bruder an der Front und irgendwann auch an Erich, den sie nach langen Jahren wiedergetroffen hat und jetzt ziemlich toll findet. Und sie erhält Antworten.

Mit Lene erleben wir den Alltag in Köln, der alles andere als erbaulich ist: ständige Bombenangriffe, die vielen Verluste sind fast schon an der Tagesordnung. Immer mehr Juden müssen ihre Wohnungen verlassen und immer mehr von ihnen sieht man in Züge steigen.

Und immer mehr zweifeln am Nationalsozialismus, allen voran Erich. Aber auch Lene ist nicht überzeugt davon. Aber offen darüber reden kann sie nicht.

Es werden viele Themen angesprochen in dem Roman wie Euthanasie, politische Häftlinge, ältere Menschen in Kriegszeiten, Mangelernährung und vieles mehr. Aber es gab Gegenwehr. Auch unter jungen Leuten. In Köln nannten sie sich Edelweißpiraten und sie waren sehr mutig. Und manche erhalten die Quittung dafür. Auch Lene wird zu einer von ihnen.

Der Leser erfährt, wie es den Menschen so ergeht und sieht, dass es keinen Alltag ohne Krieg gibt. Der Krieg hat wirklich alle Menschen in Deutschland in seinem Griff und man kann ihm nicht entrinnen.

Was aber nicht heißt, dass es überhaupt nichts Schönes gibt, allerdings relativieren sich die Dinge. Es gibt Freundschaft, Liebe, überraschende kleine und große Gesten von Mitmenschen. Ja, die kann man auch in Zeiten erleben, die dunkler nicht sein können.

Frank M. Reifenberg schildert eindringlich und ergreifend das Leben der Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg. Wobei diese viel näher an der Armee war, als man es sich heute vorstellen kann: durch die Soldaten, die es fast in jeder Familie gab, aber auch durch die feindlichen Angriffe.

Ein sehr, sehr trauriges, aber sehr wichtiges Buch, in dem die Stimmung, das Atmosphärische eine große Rolle spielt. Starker Tobak, aber ich bin froh, dass ich es lesen durfte. Als Kölnerin habe ich einen unglaublich tiefen Einblick in die jüngere Vergangenheit meiner Stadt erhalten und ich wünsche einem jeden, dass es auch zu seinem Herkunftsort einen solch großartigen Roman über die dunklen Zeiten des Zweiten Weltkriegs gibt. Es war ein Riesengewinn und ein großes Geschenk, ihn zu lesen!

Bewertung vom 29.07.2019
Suffrin, Dana von

Otto


sehr gut

Otto ist ein Mann mit Geschichte. Und einer mit mehreren Vergangenheiten in verschiedenen Ländern. Mit unterschiedlichen Sprachen. Otto ist auch ein Despot - jedenfalls ziemlich oft. Und ein Patriarch - eigentlich immer. Er wird von seinen Töchtern gleichermaßen geliebt und gehasst.

Vor allem Timna, seine Ältere und diejenige, aus deren Perspektive der Leser die Handlung erlebt, ist vollkommen auf ihn fixiert. Auch wenn er sie wahnsinnig nervt, springt sie immer, wenn er ruft. Zumindest fast immer. Dafür beleidigt er sie viel seltener als ihre jüngere Schwester Babi - immerhin ist sie seine Lieblingstochter. Auch, wenn auch Babi oft zugegen ist - zusammen bilden die Töchter sozusagen Ottos Hofstaat.

Otto ist weit gekommen in seinem Leben von Siebenbürgen in Rumänien nach Polen, dann ins gelobte Land - am Ende seines Lebens ist er in München gelandet. Denn Otto ist schwer krank und verbringt mindestens genauso viel Zeit im Krankenhaus wie in seinem kleinen Reihenhaus in einem Vorort von München. Otto ist Jude, er hat viel gelitten, viel erlebt und viel überstanden, letzteres verlangt er auch von seinen Mitmenschen, insbesondere den Töchtern. Er nutzt sie heftigst aus, sie haben stets bei Fuß zu sein, wenn er ruft - warum sind sie immer noch bereit dazu?

Ein kurzer, jedoch durchaus heftiger Familienroman, in dem sich die Protagonisten nicht nur einmal nahezu zerfleischen. Und in der Mitte - quasi als Dreh- und Angelpunkt - steckt Otto. Ich habe ihn nicht lieben gelernt im Handlungsverlauf, nein, eher habe ich gemeinsam mit Timna gelitten. Aber auch genossen, denn die Autorin hat eine faszinierende Art zu schreiben. Ich habe also während der Lektüre von und mit seinen Töchtern gelernt, mit Otto zu leben.

Man kann getrost sagen, dass Dana von Suffrin bereits in ihrem Debütroman stilistisch ihren eigenen Weg geht. Einen Weg voller Sarkasmus und schwarzem Humor, gelegentlich blitzt auch mal ein Strahl liebevolle Ironie hervor. So ist ein Roman entstanden, der gleichermaßen fordert und fasziniert.