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smartie11
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In Niedersachsen
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Bewertungen

Insgesamt 915 Bewertungen
Bewertung vom 03.12.2012
Oberholz, Ansgar

Für hier oder zum Mitnehmen?


sehr gut

Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Als Ansgar Oberholz im November 2004 als frischgebackener Ex-Teilhaber einer kleinen Werbeagentur früh morgens Schutz vor einem Gewitterschauer sucht, nimmt er es zum ersten Mal wahr: das altehrwürdige Gebäude am Rosenthaler Platz im Herzen Berlins. Ein Gebäude mit gastronomischer Tradition und geschichtsträchtiger Vergangenheit, sowohl als Aschingers 9te Bierquelle („Berlin Alexanderplatz“) als auch als Dependance einer königlich-amerikanischen Fastfood-Kette. Genau dieses Gebäude erscheint Ansgar Oberholz wie geschaffen, ein Café zu eröffnen, das die Welt noch nicht gesehen hat. Im darauffolgenden Sommer 2005 eröffnet er sein „St. Oberholz“.
In „Für hier oder zum Mitnehmen?“ erzählt er die Geburtsgeschichte des „St. Oberholz“, vom Einsetzen der Presswehen kurz vor der Geburt bis zum Laufen lernen seines Babys, inklusive aller Sorgen und Nöte, die das Leben eines Existenzgründers so mit sich bringen und vieler skurrilen Situationen und Begegnungen im Gastro-Business. Hier muss sich der Chef schon mal mit spukenden Nazi-Putzfrauen, dem Prince of Darkness als Herrscher über die Clochards Berlins oder dem Hartnäckigen Handelsvertreter des weltgrößten Erfrischungsgetränkeherstellers herumplagen. Dabei wird er tatkräftig von seiner kleinen Ansammlung von Angestellten unterstützt, die von der für Geister-Erscheinungen anfälligen Spanierin bis zum schwedische „Du-Therapeuten“ mit laxem Sexualverhalten reicht. Selbstverständlich kommt auch die Kundschaft nicht zu kurz, die von Berliner-Urgesteins-Zwillingen aus dem Nagelstudio, über drogenabhängige Soldaten bis zum Porno-Cutter mit Namen eines Schmonzetten-Sängers ein breites wie schillerndes Spektrum bietet.
Im Mittelpunkt stehen aber stets das Café und sein Vater Oberholz, dessen Gefühlswelten in einer ununterbrochenen Achterbahnfahrt (wenige) Höhen und (viele) Tiefen erreichen. Kein Wunder, dass er sich schon mal wie eine SMS mit tragischem Inhalt oder eine hochglanzpolierte Edelstahlkugel im Flipperautomat fühlt…
Alles in Allem war „Für hier oder zum Mitnehmen?“ eine kurzweilige und unterhaltsame Lektüre für mich. Die Art des Schreibend und das Wording haben mit mitunter sehr gut gefallen. Formulierungen wie „Duftmarketing der Dönerbude“ oder „wenn Püppi ein Würstchen auf den preußischen Offizierskiesweg zittert“ sind typisch für Oberholz und machen für mich den Charme des Buches aus, auch wenn das sicherlich nicht jedermanns Geschmack treffen wird. Zu empfehlen ist auf jeden Fall ein Blick auf die Homepage des St. Oberholz (Tipp: Fundbüro) und auch auf Google Maps, wenn man sich eine genauere Vorstellung über das Umfeld des Cafés gönnen möchte.

Bewertung vom 09.10.2012
Rhodes, Kate

Im Totengarten / Alice Quentin Bd.1


gut

Solider Thriller mit zu wenig Tempo

Was für Alice Quentin, Psychologin, zunächst nach einem unangenehmen Routine-Auftrag für die Polizei aussieht, wächst sich für sie zu einem persönlichen Albtraum aus, in dem sie sich immer wieder ihren eigenen Psychosen stellen muss, die tief in ihrer von Misshandlung geprägten Kindheit wurzeln. Zunächst scheint es nur um die psychologische Beurteilung des wegen Mordes verurteilten Sträflings Morris Clay zu gehen. Doch schon bald schon stolpert Quentin über die verstümmelte Leiche einer jungen Frau…
„Im Totengarten“ startet mit viel Spannung, einer guten Story und glaubwürdigen und (größtenteils) sympathischen Charakteren und verspricht damit schon nach den ersten 30 Seiten recht viel. Doch leider verliert die Story danach sehr schnell an Schwung, und viel zu lange passiert nichts wirklich Aufregendes. Natürlich werden nach und nach neue Charaktere vorgestellt und die Handlung vorangetrieben, aber leider ohne viel Tempo. Auch die Entwicklung von Quentin´s manisch-depressivem Bruder und dessen Rolle bleibt für meinen Geschmack lange Zeit zu blass. Stattdessen werden immer und immer wieder die Jogging-Runden von Alice Quentin im winterlichen London beschrieben.
Auch der Klappentext verspricht für meinen Geschmack etwas zu viel: „Erst gerät ihr Bruder unter Verdacht, dann verschwindet ihre Freundin“ heißt es dort. Letzteres geschieht erst rund 50 Seiten vor dem Ende. Und frühestens ab dort habe ich auch erst angefangen, wirklich mit der Geschichte mitzufiebern.
Insgesamt sehe ich „Im Totengarten“ mit gemischten Gefühlen. Eine solide Story wird einfach auf zu vielen Seiten erzählt.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.09.2012
Jochimsen, Jess

"Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst?"


ausgezeichnet

Lieber Rabenvater als Supermutter!

Kindermund tut Wahrheit kund. Das dieser Satz nur allzu richtig ist, wissen wir wohl alle. Die Gedankengänge unserer Kinder sind manchmal so gewunden, dass man sie kaum nachvollziehen kann, und dann auf einmal wieder so gradlinig und logisch gedacht, dass mal als Erwachsener nie darauf gekommen wäre. Wer Kinder hat, erlebt jeden Tag Überraschungen.
Jess Jochimsen berichtet in „Krieg ich schulfrei, wenn Du stirbst?“ in loser Folge von den vielen lustigen, verwunderlichen, schrägen und manchmal einfach nur peinlichen Momenten, die er als selbst ernannter Rabenvater mit seinem Sohn, zumeist vollkommen unvorbereitet, erlebt. Es geht um Themen wie die Folgen von „ongarnieren“ (ja, genau!), akute väterliche Erklärungsnöte und die Unfähigkeit zum Lügen im Kleinkindalter und deren – meist peinlichen – Folgen. Selbst aktuelle Themen bleiben nicht aussen vor („Papa, ich hab' Bankenkrise!“).
Das – leider viel zu kurze – Buch ist aufgeteilt in 36 kleine Kapitel von jeweils 3 – 4 Seiten und hat mir beim Lesen vom amüsierten Schmunzeln bis zum lauten Lacher eine Menge Spaß bereitet. Es ist ein Gute-Laune-Drops für den Alltag, insbesondere wenn man selbst Kinder hat und die ein oder andere Situation wiedererkennt. Und zu lesen, dass es anderen Vätern durchaus ähnlich ergeht wie einem selbst, ist immer tröstlich!

Bewertung vom 29.08.2012
Greiff, E. L.

Zu den Anfängen / Zwölf Wasser Bd.1


sehr gut

Lesetipp für High-Fantasy-Freunde

„Zwölf Wasser - Zu den Anfängen“ ist der vielversprechende erste Teil einer Trilogie, in der E. L. Greiff den Leser mit epischen Erzählungen in ein eigenes Fantasy-Universum mit dichter Atmosphäre entführt. Es ist eine Welt mit unterschiedlichen Völkern, eigener Zeitrechnung, unbekannten Tieren und außergewöhnlichen Namen, ganz, wie es sich eben für einen echten High-Fantasy-Roman gehört.

Zum Inhalt:
„Etwas geht vor…“ ist das Grundmotiv. Eine unheilvolle Veränderung auf dem ganzen Kontinent, ganz langsam und zunächst fast unbemerkt, bringt die mystischen Undae dazu, ihr Schweigen warnend zu brechen. Es werden drei Undae mit Eskorte auf eine ungewisse Reise entsandt, um den Geschehnissen auf den Grund zu gehen.
„Zwölf Wasser – zu den Anfängen“ ist aber auch die Geschichte zweier Männer, die auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein könnten. Babu, fast noch ein Junge, ist als freies Kind eines Hirtenvolkes nahezu ohne räumliche Grenzen auf den saftigen Weiden des Langen Tals aufgewachsen. Erst als er die wahre Geschichte um seinen toten Vater und einen Verrat erfährt, kappt er seine Wurzeln und flieht mit „seinem“ Falken in die unbekannte Weite des Kontinents. Felt entstammt dem ehemals so stolzen Volk der Welsen, das in Lethargie der eigenen glorreichen Vergangenheit nachhängt und nun ein hartes Leben voller Entbehrungen fristet. Er ist Soldat, durch und durch, der bei allem Schmerz das eigene Wohl und das seiner Familie seiner Treue dem eigenen Volk unterordnet.
Das Schicksal wird diese beiden zusammenführen und zu Gefährten machen.

Mein Eindruck:
„Zwölf Wasser – zu den Anfängen“ hat mich schnell in seinen Bann gezogen und in der neuen Welt „heimisch“ werden lassen. Durch den wortgewaltigen und blumigen Schreibstil entstehen beim Lesen in Gedanken Bilder vom endlosen Grün des Langen Tals ebenso wie vom trostlosen, windumtosten Goradt, der weiten Aschewüste sowie dem nebulösen Berst. Die Charaktere bieten Ecken und Kanten und gewähren einem zum Teil tiefe Einblicke in ihr Gemüt. Die Geschichte ist spannend und entwickelt sich – zugegeben anfangs etwas langsam – stringent am Grundthema entlang. Nur gegen Ende des Buches wird die Geschichte immer fantastischer (für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr), grade im Gegensatz zum – für High Fantasy – noch relativ bodenständigen Anfang der Geschichte.

Fazit:
Für alle Fans der High-Fantasy, die sich liebend gerne in die Welt von Mittelerde oder auch in die von Rothfuss´ Königsmörder-Trilogie „eingraben“, ist „Zwölf Wasser“ mit Sicherheit ein guter Lesetipp. Ich bin sehr gespannt auf Teil zwei, der in 2013 erscheinen soll. Für weitere Info´s empfiehlt sich auch ein Blick auf die Homepage (12wasser.de).

Bewertung vom 19.07.2012
Herwig, Ulrike

Mein Gott, Wanda


sehr gut

Wanda ist 63, geschieden und hat sich vor Kurzem mit dem Verkauf ihres Teeladens selbst in den Ruhestand verabschiedet. Beste Voraussetzungen also für einen ruhiges und stressfreies Leben (abgesehen von einem frechen Dackel, der ihr jeden Morgen einen „Gruß“ in ihrem Garten hinterlässt).
Als sie dann von einem ihrer alten Stammkunden noch zu einer Australienreise eingeladen wird, scheint alles perfekt. Zumindest so lange, bis sie einen Anruf ihres Sohnes Stefan erhält, der nach einem Ski-Unfall im Krankenhaus liegt, und Mama bittet, seine Mucki-Bude „Herkules“ temporär zu übernehmen.
Wenn der (auch noch kranke) Sohn ruft, kann Mama natürlich nicht „nein“ sagen. Also taucht Wanda in das fremde Universum einer heruntergekommenen Muckibude ein, krempelt zusammen mit zwei Freundinnen die Ärmel hoch und die Stefan´s Muckibude gehörig um.
„Mein Gott, Wanda“ liest sich von der ersten bis zur letzten Seite flüssig durch und bietet zahlreiche Gelegenheiten zum Schmunzeln und zum Lachen. Liebenswerte und farbenfroh beschriebene Charaktere mischen sich mit einer, zwar nicht tiefgründig, aber unterhaltsamen Geschichte. So ergibt sich in Summe eine schöne und kurzweilige Urlaubslektüre, perfekt sowohl für einen ruhigen Tag am Strand als auch für einen kuscheligen Tag auf dem Sofa bei Regenwetter.