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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 18.10.2014
Rasheed, Leila

Rückkehr nach Somerton Court / Somerton Court Bd.1


sehr gut

Im Jahr 1912 kehrt die junge Lady Ada Averley nach einem mehrjährigen Aufenthalt mit Vater und Schwester zurück nach England. Ihr Leben in Indien hatte sie geliebt, nun taucht ein Problem nach dem anderen auf. Der Neffe ihres Vaters, der sich während dessen Abwesenheit um die Besitztümer kümmern sollte, hat die Familie an den Rand des finanziellen Ruins getrieben. Die junge Ada soll nun gut und standesgemäß heiraten, nur hat sie leider ganz andere Dinge im Sinn. Zum einen hegt sie nämlich – undenkbar für eine Frau – den Wunsch zu studieren und zum anderen hängt ihr Herz an einem vollkommen unstandesgemäßen jungen Inder. Gibt es für sie eine Chance, ihre Träume zu verwirklichen?

Das Jahr 1912. Ganz England trägt ein Korsett. Nicht nur die Damen, die sich aus modischen Gründen hineinzwängen, sondern auch die, bei denen ein solches Kleidungsstück nicht zur Garderobe gehört. Und ebenfalls viele Männer, denn jede und jeder wird in Zwänge, Ansprüche und Regeln gepresst, die ihm sein jeweiliger gesellschaftlicher Stand vorgibt. Unschicklich! Wie oft habe ich dieses Wort in diesem Buch gelesen.

Und was ist nicht alles unschicklich! Frauen, die Bücher lesen, die nach Bildung streben und sich für Politik interessieren. Damen, die sich nicht für Kleider und Bälle interessieren. Dienstmädchen, die Klavier spielen möchten. Herren, die sich in ein Dienstmädchen verlieben. Herren, die sich in einen anderen Mann verlieben…

Wie immer, wenn ich Geschichten aus dieser Zeit lese, bin ich gleichermaßen fassungslos und fasziniert. Welche Probleme kamen auf jeden Menschen in der damaligen Zeit zu, der sich aus diesem Korsett, in das ihn die Gesellschaft gezwängt hatte, befreien wollte! Und wie kann es Menschen geben, die ihren gesamten Lebensinhalt darin sehen, sich für Kleider und Bälle zu interessieren und gegen jeden zu intrigieren, der etwas anders ist als sie selbst!

Sowohl ganz vorne als auch ganz hinten im Buch befindet sich ein umfangreicher Stammbaum der Familie. Man sollte sich den zweiten Stammbaum aber wirklich erst nach dem Lesen anschauen, denn da gibt es einen Unterschied und man hat sonst einen fiesen Spoiler.

Ein sehr kurzweiliges Lesevergnügen. Ich habe das Buch in einem Rutsch an einem regnerischen Sonntag gelesen. Die Schicksale der unschicklichen Charaktere waren so interessant, dass ich unbedingt wissen wollte, wie es mit ihnen weitergeht. Leider ist am Ende vieles offen, denn das Buch stellt den ersten Band einer Reihe dar. Ich werde dann wohl weiterlesen müssen.

Bewertung vom 18.10.2014
Bischoff, Marc-Oliver

Die Voliere


ausgezeichnet

„Obwohl ich nicht damit gerechnet habe, freue ich mich darauf, das Gefängnis nach über zwanzig Jahren zu verlassen. Ich habe meine Strafe verbüßt. Ich habe alles getan, um zu verhindern, dass ich rückfällig werde. Aber ich fürchte trotzdem, dass alles in einem Fiasko endet. Wir sind wie Aussätzige. Niemand will uns in seiner Nähe haben. Und die Medien und die Technologie sorgen dafür, dass alle Welt jederzeit über unseren jeweiligen Aufenthaltsort informiert ist.“ (S. 47f)

Nach über zwanzig Jahren Haft sollen nun drei Männer aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden. Die Verbrechen, wegen derer sie verurteilt worden, sind geeignet, bei den meisten Menschen große Angst auszulösen. Die Psychologin Nora Winter soll den Wiedereingliederungsprozess beratend unterstützend, aber ist eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft für solche Männer überhaupt möglich?

Auch ohne Schwierigkeiten von außen stellt das Leben in „Freiheit“ die Entlassenen vor große Probleme. Nicht jeder schafft es, sein Leben wieder zu organisieren. Und haben die Männer tatsächlich ihre gefährlichen Neigungen im Griff? Waren die Therapien wirklich erfolgreich? Dazu reagieren die Nachbarn mit deutlicher Ablehnung, die sich zur Panik steigert, als in der Gegend ein Junge verschwindet. Und dann gibt es auch noch Menschen, die diese Situation für ihre Zwecke ausnutzen wollen – das ganze wird zum Politikum.

Was für ein Buch! Ich bin restlos begeistert! Die Umsetzung des Themas ist wirklich gelungen! Während des Lesens wurde ich einem Wechselbad der Gefühle unterzogen, denn der Autor schafft es, weder die Taten und die Gefährlichkeit der Männer zu beschönigen oder zu gering zu schätzen, noch die Ängste und Sorgen der „normalen“ Menschen zu vernachlässigen. Manches, was die ehemaligen Straftäter getan hatten oder im Verlauf des Buches tun, jagte mir Schauer über den Rücken. Und im nächsten Moment machen „ordentliche Bürger“ Dinge, bei denen ich fassungslose dachte: Wer sind jetzt die Monster? Die Spannung reißt keinen Moment ab und von Anfang an merke ich, so wie einer der Männer, den ich zu Beginn der Rezi zitiert habe, dass alles auf ein Fiasko – eine Katastrophe – zusteuert. Nur dass ich keine Ahnung habe, wie die aussehen wird…

Ich muss gestehen, ich bin bislang nicht so differenziert an die Thematik herangegangen. Wenn in meiner Nachbarschaft jemand einziehen wollte, der Kinder missbraucht und ermordet hat, wäre ich auch dagegen. Und als neben der Schule meiner Tochter eine forensische Klinik eröffnet wurde, dachte ich ebenfalls: „Bitte nicht hier!“. Insofern hat mir das Buch sehr zu denken gegeben. Ich habe immer noch Angst, aber ich weiß nun, dass man es sich mit diesem Thema nicht zu leicht machen sollte.

Bewertung vom 18.10.2014
Moyes, Jojo

Ein ganzes halbes Jahr


ausgezeichnet

Ich muss gestehen, ich hab mich lange nicht an dieses Buch herangetraut. Trotz der vielen guten Bewertungen hatte ich wohl Scheu, an ein Buch heranzugehen, bei dem die meisten schon gleich ein Päckchen Taschentücher dazulegen. Wenn wir es nicht in der Leserunde gelesen hätten, läge es heute vermutlich noch nicht mal auf meinem SuB. Aber nun bin ich so froh, dass ich es gelesen habe!

Ein tolles Buch, eine starke Thematik! Herrlich unsentimental werden die einzelnen Charaktere, ihre Gefühle, Ängste und Einstellungen beleuchtet. Ich schaffte es so tatsächlich, für jede der unterschiedlichen Positionen Verständnis aufzubringen und sie nachempfinden zu können. Und eins wird ganz klar: Man darf es sich mit einer Meinung zu diesem schwierigen Thema nicht zu einfach machen!

Wer sich auf dieses Buch einlässt, erlebt eine wunderschöne Liebesgeschichte. Er wird an einigen Stellen sehr traurig werden und an anderen laut loslachen – denn die Protagonisten lieben schwarzen Humor! Er wird viel zum Thema Tod und selbstbestimmtes Ende lesen, aber auch sehr viel über die Freude am Leben und den Mut, ein neues Leben zu beginnen.

Fazit: Wer es bisher noch nicht getan hat, sollte dieses Buch lesen!

10 von 15 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.10.2014
Föhr, Andreas

Totensonntag / Kreuthner und Wallner Bd.5


ausgezeichnet

„Ich geh nirgends mehr hin“, hauchte Nissl. „Sankt Veit. Hörst du? Der Sarg ist in Sankt Veit, im Keller.“ Er starrte Wallner mit aufgerissenen Augen an und quetschte dessen Unterarm mit der blutverschmierten Hand. „Ich hab die Frau auf dem Gewissen!“

Der alte Nissl, der hier so dramatisch stirbt, war Wallner und seinem Kollegen Kreuthner gut bekannt. Ein kleiner Ganove, Alkoholiker, ohne festen Wohnsitz und mit einem beachtlichen Vorstrafenregister, was Einbrüche und Diebstähle angeht. Aber dass er einen Menschen auf dem Gewissen haben soll, kann sich niemand vorstellen. Und was soll diese Sache mit dem gläsernen Sarg, in dem schneewittchengleich eine Tote liegen soll? Als die beiden Beamten dem Hinweis nachgehen, stoßen sie auf ein Verbrechen, dessen Aufklärung sie weit in die Vergangenheit führen wird – bis hin zu einem Maitag des Jahres 1945…

Diesen Krimi habe ich förmlich eingeatmet! Der Schreibstil war sehr angenehm und kurze Kapitel führten dazu, dass ich immer „nur noch eins“ mehr lesen wollte. Sehr spannende Abschnitte wechselten mit Passagen voller trockenem Humor ab und immer wieder gab es Rückblenden in das Jahr 1945, bei deren Dramatik mir teilweise ganz anders wurde. Der Krimi selbst spielt im Jahr 1992, was insofern bedeutsam ist, als dass es noch reichlich Zeitzeugen für das Ende des zweiten Weltkriegs gibt. Und Beteiligte.

Wie ist das, wenn jemand, den man kennt, mit dem man vielleicht sogar verwandt ist, eine SS- oder SA-Vergangenheit hat? Viele von ihnen haben sich nach dem Krieg wieder eine „normale“ bürgerliche Existenz aufgebaut und haben kein großes Interesse daran, über ihr früheres Leben zu reden. Wallner und Kreuthner haben es nicht leicht, die Geister der Vergangenheit aufzuscheuchen. Dass sie aber auf einem guten Weg sind, merken sie schon bald, denn auf den „alten“ Mord folgt ein aktueller. Eins ist doch klar: Wer im Jahre 1945 keine Skrupel hatte, der kennt sie auch 1992 nicht. Obwohl es auch Verdächtige jüngeren Alters gibt… Ein kniffliger Fall!

Die Charaktere bieten uns das beliebt-bewährte grundverschiedene Ermittler-Duo, hier noch gewürzt mit einer recht unkonventionellen Staatsanwältin. Wallner ist der leicht spießige, überaus korrekte Typ und Kreuthner, nun ja, das genaue Gegenteil. Alle Freunde von ihnen werden sich freuen, die beiden hier mal als ganz junge Beamte zu erleben. Und wer sich immer schon mal gefragt hat, wieso Wallner ständig friert, erhält in diesem Buch die Antwort darauf.

Auch wer Regionalkrimis mag, kommt hier auf seine Kosten. Die bayerischen Schauplätze liefern schöne Landschaftsbeschreibungen, uriges Brauchtum und Dialekt. Ein Nichtbayer (so wie ich) muss aber keine Verständnisprobleme fürchten, denn auch wenn Sätze wie „Du! Du kannst mir mal an Schuah aufblasen!“ nicht zu meinem Sprachgebrauch gehören, kann ich ihre Aussage doch problemlos nachvollziehen ;-)

Die Auflösung war schlüssig, die Handlung ließ mich lange miträtseln und brachte sowohl überraschende Wendungen als auch die ein oder andere „Hände-über-dem-Kopf-zusammenschlag“-Situation. Fazit: Spannend, unterhaltsam und anspruchsvoll – dieser Krimi ließ bei mir keinen Wunsch offen.

Bewertung vom 12.10.2014
Schmitt, Eric-Emmanuel

Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran


sehr gut

„Monsieur Ibrahim war schon immer alt. Alle in der Rue Bleue und in der Rue du Faubourg-Poissonnière meinten, sich erinnern zu können, dass Monsieur Ibrahim schon immer diesen Kolonialwarenladen hatte, von acht Uhr früh bis tief in die Nacht hockte er fest verankert zwischen seiner Kasse und den Putzmitteln, ein Bein im Gang, das andere unter einem Stapel von Streichholzschachteln, einen grauen Kittel über einem weißen Hemd, Zähne aus Elfenbein unter einem dürren Schnurrbart und Augen wie Pistazien, grün und braun, heller als seine bräunliche Haut voller Weisheitsflecken.
Denn allgemein galt Monsieur Ibrahim als weiser Mann. Wahrscheinlich, weil er seit mindestens vierzig Jahren der Araber in einer jüdischen Straße war. Wahrscheinlich, weil er viel lächelte und wenig sprach. Wahrscheinlich, weil er sich der normalen Hektik der Menschen scheinbar entzog, besonders der Hektik der Pariser, er rührte sich nie, saß auf seinem Hocker wie ein aufgepfropfter Ast, füllte niemals, vor wem auch immer, seine Regale auf, und verschwand zwischen Mitternacht und acht Uhr früh, keiner wusste wohin.“

Der jüdische Junge Moses lebt allein mit seinem Vater in einer düsteren Wohnung in Paris. Eine Mutter hat es für ihn nie gegeben und da der Vater sehr depressiv wirkt, ist Moses schon früh auf sich selbst angewiesen. Mit 11 Jahren führt er praktisch den Haushalt, geht einkaufen und erwärmt Dosengerichte für die täglichen Mahlzeiten. Um Haushaltsgeld zu sparen, klaut er viele der Dosen. Und hat er dann genug zusammengespart, bringt er das Geld zu den Mädchen in der Rue de Paris. Auf der ganzen Welt scheint es nur einen Menschen zu geben, der sich für ihn interessiert: Monsieur Ibrahim, der Besitzer des kleinen Kolonialwarenladens an der Ecke. Er ist immer für ihn da und hat für jedes Problem und jede Lebenslage einen passenden Hinweis in seinem Koran. Nach und nach entwickelt sich zwischen beiden eine wunderbare Beziehung…

Bei diesem Büchlein muss ich aufpassen, dass meine Rezi nicht länger wird als die Geschichte. Allein die Liste der Textstellen, die ich hier gerne aufführen würde, ist lang. Sogar sehr lang.

Monsieur Ibrahim ist ein wunderbarer Mensch. Gäbe es doch mehr von dieser Sorte! In sich ruhend hat er stets ein offenes Ohr für Moses (oder Momo, wie er ihn nennt) und mit wachem Blick erkennt er alles, worüber der Junge nicht zu sprechen wagt. Wie er sich des vernachlässigten Jungens annimmt, ist sehr berührend zu lesen. Ohne große Sentimentalitäten steht er ihm mit Rat und Tat zur Seite und bemüht sich, auch Moses Sinn für seine Umgebung zu schärfen…
Dann sind wir durch die Gärten der Champs-Elysées gelaufen, an den Theatern vorbei und am Kasperletheater. Dann in die Rue du Faubourg-Saint-Honoré, wo es viele Geschäfte gab mit den Namen bekannter Marken: Lanvin, Hermès, Saint-Laurent, Cardin…, die waren schon komisch, diese Boutiquen, alle riesengroß und ganz leer im Vergleich zum Laden von Monsieur Ibrahim, der nicht größer war als ein Badezimmer, wo aber nirgends noch ein Haar reinpasste, wo man vom Fußboden bis zur Decke auf jedem Regal, dreimal hoch- und viermal tiefgestapelt, alles Lebensnotwendige fand – und auch das nicht so Notwendige.
„Es ist schon verrückt, Monsieur Ibrahim, wie arm die Schaufenster der Reichen sind. Nichts ist drin.“
„Das eben ist der Luxus, Momo, nichts im Schaufenster, nichts im Laden, alles im Preis.“

Die gerade mal 100 Seiten wollen an einem Nachmittag gelesen werden. Der Schreibstil hat manchmal etwas Poetisches an sich, ließ mich öfter schmunzeln und abwechselnd Freude und Trauer erleben. Ein kleines Büchlein, das in sich die Farbenpracht eines ganzen Lebens vereinigt. Und von dem ich mir am Ende wünschte, es wäre noch viel, viel länger gewesen.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.10.2014
Ehlers, Jürgen

Nur ein gewöhnlicher Mord


sehr gut

„Über die personelle Situation in Ihrem Bereich bin ich durchaus im Bilde. Wir werden Abhilfe schaffen, sobald dies möglich ist. Angesichts der angespannten politischen Lage müssen wir jedoch zur Kenntnis nehmen, dass die Belange der örtlichen Polizeidienststellen zurzeit nicht die höchste Priorität genießen. Ich gehe aber davon aus, dass wir durch erhöhten persönlichen Einsatz die personellen Defizite ausgleichen und eine unveränderte Leistung aufweisen werden.“
„Wir tun unser Bestes, Herr Kriminaldirektor!“
„Herr Berger, das reicht heute nicht mehr aus. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie mehr als Ihr Bestes geben. Mehr gibt es in diesem Punkt nicht zu sagen. – Heil Hitler!“
„Heil Hitler, Herr Kriminaldirektor!“

Juli 1939. In einem Park in Hamburg wird die Leiche einer Frau gefunden. Sie wurde grausam ermordet, das Gesicht ist durch Schnitte völlig entstellt. Kommissar Berger beginnt seine Ermittlungen, die man angesichts der politischen Lage kaum als normal bezeichnen kann. Zumal ihm noch ganz andere Dinge im Kopf herumgehen, denn seine Frau ist Halbjüdin…

Selten habe ich ein Buch gelesen, bei dem ich den Titel so dermaßen zutreffend fand! Zu Beginn ahnte ich das aber noch nicht, das Buch begann für mich wie ein „normaler“ Krimi, mit dem Mord und dem Auffinden der Leiche. Berger betrat die Szene und ab diesem Zeitpunkt entwickelten sich mehrere Handlungsstränge, bei denen ich anfangs verwirrt war und mich fragte, wie und ob sie überhaupt zusammengehörten. Berger beschäftigt sich scheinbar mit verschiedenen Fällen – oder gibt es Zusammenhänge? Und dazu noch die Schiene mit seinen privaten Problemen… Nicht einfach, da den Überblick zu behalten. Aber vermutlich ging es Berger ganz genauso. In einer Zeit, in der man kaum „normale“ Polizeiarbeit realisieren kann, müssen Berger und seine Kollegen zusehen, wie sie ihren Alltag überhaupt bewältigen können.

Im Verlauf der Handlung rückt der 1. September immer näher und das bedeutende Zeitgeschehen dominiert mehr und mehr. Spätestens wenn Berger mitten in den ersten Kriegstagen agiert, wird die Bedeutung des Buchtitels deutlich. Denn was ist ein einzelner Mord, so grausam er auch zunächst erscheint, gegen die unvorstellbaren Gräueltaten des Kriegs?!

Jedem, der an Zeitgeschichte interessiert ist, wird mit diesem Buch viel geboten! Mehrere persönliche Schicksale werden geschildert, teils sehr eindringlich und berührend. Bergers Taten waren für mich nicht immer nachvollziehbar. So sympathisch er ist, ist er doch nicht immer ein einfacher Charakter. „Wie kann er das bloß tun? Ich hätte niemals…“ – dieser Gedanke kam mir einige Male. Aber (ich zitiere mich mal selbst) was gibt es Langweiligeres, als einen „nur“ guten Charakter? Und zudem: Wer kann mit Sicherheit sagen, was man tatsächlich zu dieser Zeit getan hätte? Auf jeden Fall sorgt Berger für Spannung und ist auch schon mal für einen markigen Spruch gut:
„Gibt es sonst noch irgendetwas, was wir wissen sollten, aber was Sie uns nicht verraten mögen, weil irgendeiner Ihren Bekannten sonst vielleicht ärgerlich werden könnte? Verraten Sie es mir lieber gleich, sonst könnte es nämlich passieren, dass ich ärgerlich werde, und das könnte dann sehr unangenehm für Sie werden!“

Fazit: Spannend, verwirrend, berührend, grausam. Genau wie die damalige Zeit.

Bewertung vom 06.10.2014
Pellissier, Marie

Die tödliche Tugend der Madame Blandel


sehr gut

Lucie hatte es doch gut gemeint. Obwohl sie eigentlich nur die Gardienne ist, ist das Haus am Place des Vosges Nr. 3 seit über 40 Jahren ihre Heimat, den Menschen dort fühlt sie sich eng verbunden. Sie sorgt nicht nur für die Postverteilung und die Sauberkeit, sondern kennt manchen Bewohner schon sein ganzes Leben lang. Auch Justinien Blandel hat sie schon Pflaster auf die Knie geklebt, als er ein kleiner Junge war. Als sie nun in seinem Schlafzimmer die Spuren eines offensichtlichen Ehebruchs seiner Frau entdeckt, erwacht ihr Beschützerinstinkt. So macht sie gründlich sauber und räumt alles weg, was dem armen Justinien Schmerzen bereiten könnte.
Dumm nur, dass kurz danach die untreue Vanessa Blandel ermordet aus der Seine gezogen wird. Lucie wird klar, dass sie vermutlich nicht nur wichtige Spuren beseitigt hat, sondern sich damit auch selber verdächtig gemacht hat. Da gibt es nur eine Lösung: Sie muss selber den Täter finden.

Diese Lucie hatte gleich mein Herz gewonnen. Sie erschien mir wie eine Seele von Mensch, ausgestattet mit dem Wunsch, bei jedem Mitmenschen etwas Nettes zu entdecken. Unerschütterlich bemüht sie sich sogar um die Personen, die sie selbst schlecht behandelten. Vermutlich kann man ihr ein Übermaß an Naivität zuschreiben. Das sorgt auch dafür, dass sie immer wieder in haarsträubende Situationen gerät. Manches Mal dachte ich: „Oh nein! Sie wird jetzt doch wohl nicht…“ oder „Was tut sie denn jetzt schon wieder?“ Dabei kann sie durchaus pfiffig schlussfolgern, kommt auf gute Ideen. Und sie ist mutig, nicht selten zum Leidwesen ihrer Familie. Ihrem Mann und den Kindern verlangt sie mit ihrer Art, sich und ihre Gesundheit unter „Ach, anderes ist wichtiger“ einzusortieren, einiges ab. Aber letztlich ist sie eine Frau, der man wohl nicht böse sein kann.

Die Polizei, insbesondere der ermittelnde Commissaire, kommt dafür hier umso schlechter weg. Natürlich ist mir klar, dass hieraus ein besonderer Reiz entstehen soll, aber es war mir ein bisschen zu viel des Guten. Sicher sollte Lucie bei ihren Ermittlungen der Polizei überlegen sein, aber der Commissaire erschien mir einfach zu unbeholfen, um realistisch zu sein. Amüsant waren die Passagen mit ihm trotzdem. Vor allem, wenn Lucie ihn nötigt, mit ihr gemeinsam die Bettwäsche zusammenzulegen ;-)

Auch sonst gefiel mir der Krimi gut. Auf Blut muss der Leser hier verzichten, aber dafür ergeben sich im Laufe der Handlung immer neue Aspekte und Tatverdächtige. Eine Weile dachte ich, dass hier beinahe jeder irgendetwas zu verbergen hat. Das machte die Lektüre für mich interessant und spannend.

Was zudem schön war, war die französisch-leichte Grundstimmung im Buch. Irgendwie bekam ich ständig Lust, jetzt sofort nach Paris aufzubrechen ;-) Ich konnte mich über liebevolle Beschreibungen von Gebäuden und Plätzen freuen, Clochards beobachten und bei dem häufigen Auftischen landesüblicher Köstlichkeiten Appetit bekommen.

Fazit: Charmant, amüsant, intelligent und unterhaltsam – mir hat dieser Krimi mit einer sehr speziellen Ermittlerin gut gefallen. Dürfte aber nichts für strenge Anhänger der harten Linie sein.

Bewertung vom 05.10.2014
Lee, Harper

Wer die Nachtigall stört ...


ausgezeichnet

„Nein, Jem, ich glaube, es gibt nur eine Art von Menschen. Einfach Menschen.“

Das Jahr 1935, ein kleines Nest namens Maycomb im Bundesstaat Alabama. Die 8jährige Scout lebt zusammen mit ihrem 12jährigen Bruder Jem und ihrem Vater Atticus Fink ein einfaches und beschauliches Leben…

„Die Menschen bewegten sich damals langsam. Sie schritten gemächlich über den Platz, schlenderten durch die umliegenden Läden und ließen sich bei allem Zeit. Ihr Tag hatte zwar auch nur vierundzwanzig Stunden, schien aber länger zu sein. Niemand beeilte sich, denn man konnte nirgends hingehen, es gab nichts zu kaufen, zumal man kein Geld hatte, und außerhalb von Maycomb war ebensowenig los.“

Mit dieser Beschaulichkeit ist es jedoch vorbei, als der Vater – ein Rechtsanwalt – die Verteidigung eines jungen Schwarzen übernimmt, der ein weißes Mädchen vergewaltigt haben soll. Für die Volksseele ist es sehr einfach, wer hier Recht und wer Unrecht hat. Nicht aber für Atticus Fink, der sich bemüht, bei all seinen Taten nur seinem Gewissen zu folgen und diese Einstellung auch seinen Kindern vermittelt. Die folgende Zeit wird nicht leicht für die Familie…

Die Erzählerin ist die 8jährige Scout. Schon bevor sie in die Schule kommt, hat sie Lesen gelernt und liebt nichts mehr, als die abendlichen Lesestunden mit ihrem Vater. Gleichermaßen phantasiebegabt wie intelligent beobachtet und hinterfragt sie die Geschehnisse um sie herum, die Ansichten und Handlungen der anderen. Was steckt zum Beispiel hinter all diesen Gerüchten um ihren Nachbarn Boo Radley, der nie sein Haus verlässt? Der angeblich wahnsinnig ist und zum Schutz seiner Mitmenschen drinnen angekettet wird? Sind die armen Leute, die nahe der Müllhalde leben, wirklich alle „Pack“ und warum sollen alle Nigger schlecht sein? Gerade in so einem kleinen Ort ist es nicht einfach, all diese Dinge nicht einfach hinzunehmen. Es kann sogar gefährlich werden.

„Wie konnten sie das tun? Wie konnten sie nur?“ – „Das weiß ich nicht, aber sie haben’s getan. Sie haben es vorher getan, sie haben es heute getan und sie werden es wieder tun. Und wenn sie’s tun, weinen anscheinend nur Kinder.“

Ein wunderbares Buch! Ich glaube, kein anderes habe ich so häufig gelesen. Seit gut 35 Jahren wohnt es in meinem Schrank, es hat mich als ganz junges Mädchen angesprochen und verzaubert mich noch heute. Herrlich geschrieben kann ich auch beim zigsten Lesen in den Worten und der Handlung versinken. Sicher ist die Thematik häufig ernst und deprimierend, aber es gibt Männer wie Atticus Fink und es gibt Kinder wie Jem und Scout. In ihnen liegt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.


„Das habe ich auch gedacht, als ich so alt war wie du. … Aber wenn es nur eine Art von Menschen gibt, warum können sie dann nicht miteinander auskommen? Wenn sie alle gleich sind, warum haben sie dann nichts anderes im Kopf, als sich gegenseitig zu verabscheuen? Scout, so allmählich wird mir was klar. So allmählich wird mir klar, weshalb Boo Radley die ganze Zeit im Haus bleibt… Er tut’s, weil er drinbleiben will.“

Bewertung vom 05.10.2014
Clare, Cassandra

City of Bones / Chroniken der Unterwelt Bd.1


sehr gut

Scheinbar ist Clary ein ganz normales Mädchen. Sie ist 15, lebt zusammen mit ihrer Mutter und deren Freund und hat die ganz normalen Probleme, die ein junges Mädchen so mit sich und den Erwachsenen hat. Scheinbar.

Denn plötzlich verändert sich alles. Sie sieht Personen und Dinge, die sonst keiner sieht. So beachtet sie in einer Disko einen Mord, an dem ein paar mit Tätowierungen übersäte Personen beteiligt sind – und niemand außer ihr bemerkt etwas davon! Clary erfährt, dass es sich bei diesen Personen um sogenannte Schattenjäger handelt und dass die Tatsache, dass sie sie sehen kann offenbar bedeutet, dass sie ebenfalls eine Schattenjägerin ist. Nach einem Panik-Anruf ihrer Mutter ist diese dann plötzlich verschwunden und die Wohnung ein Schlachtfeld, auf dem eine Gestalt wie aus einem Horrorfilm auf Clary wartet. Hilfe kann es nur von den Schattenjägern geben und so schließt sie sich ihnen an und beginnt ein Leben in einer für sie vollkommen neuen Welt…

Nachdem die gesamten Chroniken der Unterwelt schon lange bei den Büchern meiner Tochter wohnen und von ihr heiß und innig geliebt werden, habe ich nun auch mal den ersten Band gelesen. Ich trat ein in eine überaus interessante Welt! Es öffnet sich ein Szenario mit Dämonen und Halbdämonen, Schattenwesen, Vampiren, Werwölfen, „lichtem Volk“, Hexenmeistern und Wesen, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte. Und Clary erfährt, dass alle Mythen wahr sind!

Spannend und leicht geschrieben liest sich das Buch gut weg. Die Sprache ist einem Jugendroman angemessen. Ebenfalls typisch für einen Jugendroman sind die diversen Randthemen, die sich durch das Buch ziehen: Eltern-Kind-Beziehungen, Erste Liebe, Gefühlschaos, Entdeckung der eigenen Homosexualität. Und nicht zuletzt natürlich die Tatsache, dass die Helden der Geschichte noch Jugendliche sind, die ständig über sich hinauswachsen und es auch mit den erwachsenen Gegenspielern aufnehmen.

Fazit: Sicher zu Recht der Start einer Kultserie und auch für Erwachsene unterhaltsam zu lesen. Ich werde mir so nach und nach auch mal die Folgebände meiner Tochter leihen.

Reihenfolge:
City of bones
City of ashes
City of glass
City of fallen angels
City of lost souls
City of heavenly fire