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TochterAlice
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Köln

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Insgesamt 1464 Bewertungen
Bewertung vom 04.11.2019
Kurkow, Andrej

Graue Bienen


ausgezeichnet

Der Herr der Bienen: Das ist Sergej, der im Donbass, genau auf der Frontlinie, in einem kleinen menschenleeren Dorf lebt - mit seinen Bienenstöcken und mit Paschka, seinem Kindheitsfeind: die beiden, die allein zurückgeblieben sind und daher gezwungen sind, zumindest einen minimalen Kontakt zu halten. Was gar nicht so schlecht klappt und sich mit der Zeit intensiviert. Sergej zumindest - aus seiner Perspektive ist der Roman geschrieben - denkt irgendwann sogar mit einer gewissen Zuneigung, die ihn selbst verwundert, an Paschka.

Ansonsten gibt es Besuche von Soldaten beider Seiten - zu Paschka kommt einer der Separatisten, bei Sergej ist es Petro, der die Ukraine verteidigt. Sergej selbst ist neutral, er fühlt sich nicht als Kriegsführender.

So verlässt er irgendwann mitsamt seiner Bienen den Dobass, um ihnen ein ruhigeres Fleckchen zu gönnen - und möglicherweise mehr und besseren Honig zu gewinnen. " Hinter ihm lag der Krieg, an dem er nicht teilnahm, dessen Einwohner er nur war. Kriegseinwohner." (S. 199)

Wobei ihn die Einsamkeit meist nicht störte "...die Menschenleere half, sich mit dem Leben besser zu verstehen." (S. 247)

Unterwegs macht er in einer Gegend halt, in der er ein ruhiges Fleckchen für seine Bienen und eine nette Frau - seine eigene hat ihn mitsamt der Tochter vor einigen Jahren verlassen - findet und sich wohlfühlt, bis er wortwörtlich mit einem Beil davongetrieben wird. Nicht von der Frau natürlich.

Weiter verschlägt es ihn auf die Krim, wo er seinen Kumpel, den Bienenzüchter Achtem besuchen und dort seine Bienenstöcke für ein Weilchen aufstellen will. Doch er trifft nur Frau und Kinder an - Schreckliches ist hier geschehen und passiert weiterhin, Sergej wird Zeuge der Benachteiligung der Krimtataren, um es mal zivilisiert auszudrücken.

Das alles schildert Andrej Kurkow mit einer Warmherzigkeit und einem Augenzwinkern, die mich ein bisschen an "Owen Meany" von John Irving erinnerte - einfach durch die Atmosphäre und Mentalität, die den Roman durchdringt. Sergej ist ein Mann, der sich trotz wiederholter Schicksalschläge dem Leben stellt und versucht, ihm die Hand zu reichen.

Wir begegnen Menschen, die im Einklang mit der Natur leben, bzw. lebten, bis diese sich quasi über ihren Kopf hinweg verändert. Gewissermaßen ist dies also auch ein Ökoroman: mir hat er deutlich gemacht, wie sehr Krieg und Natur aufeinander einwirken. Die Schilderung der Bewohner sowohl des Donbass als auch der Krim sowie des "Dazwischen" hat mich förmlich umgehauen - ich habe noch nie eine so klare Darstellung des Umstandes, dass Menschen trotz unterschiedlicher Religion und Mentalität die gleiche Arbeit machen und sehr ähnliche Ängste und Sorgen haben, gelesen.

Sergej passiert eine Grenze nach der anderen, doch für ihn ist das immer noch ein Land, die Ukraine eben, an die permanenten Kontrollen kann er sich nicht gewöhnen. Und Kurkow wäre nicht Kurkow, wenn er die Gelegenheit auslassen würde, auch die Grenzposten in ihrer Menschlichkeit darzustellen - auf die eine oder andere Art.
Mich selbst gemahnte das an einen ganz anderen Krieg, der auch in weiten Teilen auf dem ehemaligen Gebiet der Sowjetunion ausgetragen wurde und nun schon über 75 Jahre zurückliegt. Vieles ist anders, aber nicht die Not der Menschen. Und auch nicht der Stellungskrieg, jedenfalls nicht wesentlich.

Hilflosigkeit und Zuversicht in Einklang zu bringen und die Lebewesen - Menschen und Bienen gleichermaßen - und ihre Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen, das kann so nur Kurkow. Vor Jahren hatte mich sein Roman mit Pinguin, also "Picknick auf dem Eis" in Entzücken versetzt. Ich habe noch einiges von ihm gelesen, aber auch wenn ich die direkten Nachfolger sehr mochte, fand er aus meiner Sicht nicht mehr zu dem damaligen Niveau zurück. Jetzt, durch die Bienen, ist es ihm gelungen. Mal sehen, mit welchem Tier bzw. Lebewesen es ihm das nächste Mal gelingt!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.10.2019
Maybach, Katja

Die Zeit der Töchter


sehr gut

Wir begegnen Maria und Vivien und ihren Töchtern Anna und Antonia, die wir in "Die Stunde der Mütter" durch den Krieg begleiteten, in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre. Anna und Antonia sind zu jungen Frauen herangewachsen, die ihr eigenes Leben leben und sich dem Alltag stellen. Ihre Mütter halten immer noch zusammen und stehen ein für die Schwachen: Vivien als energische Schuldirektorin und Maria durch ihr Engagement in der Flüchtlingshilfe.

Sie sind umgeben von einer ganzen Reihe weiterer Charaktere, die mehr oder weniger wichtige Rollen im Leben der vier Frauen spielen.

Ich liebe den atmosphärischen, eleganten Stil und die klugen Recherchen der Autorin Katja Maybach zu immer noch brennenden historischen Themen und konnte somit auch wieder wunderbar in vergangenen Zeiten schwelgen bzw. mich von überraschend vielen negativen Erscheinungen schrecken lassen. Ein wieder mal ausgesprochen gelungener Roman über die Nachkriegszeit, in dem mir diesmal leider ein wenig zuviel Personal vorhanden war. Nicht nur die beiden Mütter/Töchterpaare, sondern weitere Figuren, die zuerst noch einführt werden mussten, standen im Vordergrund. Das war mir insgesamt ein bisschen des Guten zuviel, auch wenn dies eine Kritik auf sehr, sehr hohem Niveau ist: Katja Maybach ist und bleibt eine meiner Lieblingsautorinnen - das hat sich durch die Lektüre dieses Romans nur verstärkt!

Insgesamt also ein keineswegs pessimistischer Roman, der die dunklen Seiten der Nachkriegszeit zutage fördert. Und zeigt, wie stark die Frauen trotzdem waren - sie waren diejenigen, die mutig einstanden für Werte, die auf eine bessere Zukunft hoffen ließen! Erschreckend allerdings ist, wie viele der damals aktuellen Themen wie Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass im Allgemeinen und die Ablehnung von Flüchtlingen im Speziellen heute wieder im Vordergrund der politischen und gesellschaftlichen Debatten stehen!

Die Autorin legt den Finger in die Wunde, ohne jemals plump zu werden, sie rüttelt auf eine besonders markante Weise auf: durch das Aufzeigen des Wiederkehrenden, der Wiederholungen. Ein sehr empfehlenswerter Roman für alle die, die mit beiden Beinen im Hier und Jetzt stehen, denen die Bedeutung der Vergangenheit jedoch bewusst ist.

Bewertung vom 30.10.2019
Peters, Veronika

Die Dame hinter dem Vorhang


sehr gut

Eine leidende Exzentrikerin: Das war Edith Sitwell, die es sowohl aus gesundheitlichen als auch rein optischen - ihre Eltern fanden sie einfach hässlich - nie einfach hatte. Dennoch konnte sie sich das ein oder andere große Stück Kuchen von der Sonnenseite des Lebens abschneiden. Denn sie war klug und originell und reüssierte als Autorin sowohl von Poesie als auch von Erzählungen und diversen Berichten, mit denen sie ihr täglich Brot verdiente.

Und zwar nicht nur für sich, sondern auch für ihren Hausstand - ihre frühere Gouvernante und spätere Gesellschafterin Helen und für Jane Banister, ihrem Hausmädchen, einer fiktiven Figur, aus deren Perspektive die Handlung geschildert wird.

Man erfährt so einiges von ihr - sie hielt nicht mit ihrer Meinung hinter dem Berg und tat, was ihr passte. Allerdings ließ sie sich durchaus auch von dem ein oder anderen Zeitgenossen ausnutzen. Nein, ein glücklicher Mensch war sie zeitlebens nicht; schon in ihrer Kindheit wurde sie von ihren Eltern ihren Brüdern gegenüber benachteiligt und das setzte sich auch in späteren Jahren durch.

Veronika Peters hat einen Roman über diese faszinierende Persönlichkeit verfasst, die sowohl von realen als auch fiktiven Figuren umgeben ist. Die Charaktere sind gut gezeichnet, auch Zeit und Raum sind atmosphärisch dargestellt, doch wäre ein stellenweise etwas tiefergehender Ansatz wünschenswert gewesen. Ein unterhaltsamer, ab und an zu wenig Spannung beinhaltender Roman, der dazu einlädt, sich weiter mit der Person Edith Sitwell und einigen ihrer Zeitgenossen zu beschäftigen.

Bewertung vom 29.10.2019
Smith, Myquillyn

Mein Zuhause zum Aufatmen


weniger gut

Nicht mein Thema - Obwohl es das eigentlich ist. Denn mein Zuhause ist hoffnungslos überladen mit Zeug - aber nicht mit Deko, sondern mit Gebrauchsgegenständen, von denen nicht gerade wenige wertvolle Andenken emotionaler Art für mich darstellen. Zu wieder anderen möchte ich gerne immer wieder greifen können, dazu zählen vor allem Bücher, aber auch Küchengeräte.

Ich hatte gehofft, anspruchsvolle Leitgedanken philosophischer und psychologischer Art zu Themen wie "Besitz", "befreien", "loslösen" übermittelt zu bekommen - sowie Vorschläge, inwiefern mir mein christlicher Glaube bei diesen Fragestellungen eine Hilfe oder ein Halt sein könnte.

Nichts davon habe ich hier aufgefunden, es geht eigentlich immer um dasselbe - dass man seine Wohnung beruhigen sollte und dass das am besten mit wenigen und großen Gegenständen geht. Dazu gibt es Fotos, die auf mich ausgesprochen wenig einladend wirken - sie sehen aus wie aus dem Möbelhaus und werden von Mal zu Mal - das heißt, je näher die Autorin ihrem ansgestrebten Mix aus Gemütlichkeit und Minimalismus - GeMi, wie sie ihn nennt, rückt, unpersönlicher. Bspw. werden alle kleinen, persönlichen Gegenstände von Wänden und Borden entfernt und durch große beschriftete Schilder mit Worten wie "Relax" und durch 08/15-Pflanzen ersetzt.

Nein, auch wenn es ein paar kleinere hilfreiche Hinweise für mich gab, ist das alles doch meilenweit entfernt von mir und von meinen Vorstellungen.

Ich hatte gehofft, dass ein Buch mit Einrichtungstipps und welchen zum Entrümpeln aus einem christlichen Verlag auch übergeordnete Empfehlungen, solche zu Entscheidungswegen oder zu Empfindungen gewissem Besitz gegenüber beinhalten würde - Pustekuchen. Leider zielt die Autorin haarscharf vorbei an allen Themen, Fragen, Hoffnungen und Wünschen, die mich diesbezüglich umtreiben!

Bewertung vom 28.10.2019
Konrad, Ksenia

Alles außer fern


sehr gut

Ksenia Konrad kommt aus Russland und hat selbst Deutsch als Fremdsprache gelernt. Inzwischen lebt sie selbst im deutschsprachigen Raum, unterrichtet selbst Deutschlernende - und schreibt Bücher auf Deutsch, wie man sieht.

Und zwar über genau das: über ihre Erfahrungen als Deutschtrainerin, wie sie sich bezeichnet. Dass sie ihre Aktivitäten sehr strukturiert angeht, wird schon von Beginn an klar, denn so verfährt sie auch Im Aufbau ihres Buches: entlang der deutschen Grammatik nämlich - und kommt von dort auf die weiteren Zusammenhänge in ihrem Unterricht, auf die Inhalte und Aktivitäten ihrer Kurse und vor allem: auf die Teilnehmer.

Schnell lernen wir, dass eigentlich alles an der Motivation hängt - ist der Unterricht eintönig, sind die Teilnehmer gelangweilt und vergessen die Lerninhalte alsbald wieder. Doch bei anschaulichem Lernen ist das Gegenteil der Fall - es bleibt viel mehr hängen, die Inhalte werden quasi spielerisch erarbeitet, was auf verschiedenste Weisen möglich ist - bspw. durch Einbeziehung der eigenen Lebensinhalte oder durch Anwendung des Gelernten vor Ort, also in der Natur, in Museen oder auch einfach in der Stadt. Alles, was mit dem eigenen Alltag, der eigenen Situation und vor allem den eigenen Interessen zu tun hat, bleibt hängen.

Die Trainerin kniet sich ordentlich rein in ihre Aufgabe - und ihre Schützlinge danken es ihr, indem sie es ihrerseits auch tun. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt, aber in ihrem Einsatz um die Eroberung der Sprache Deutsch sind sie vereint, ein Team sozusagen. Eines, das einander aufgrund der gleichen Bedürfnisse versteht. Wobei es nicht alle schaffen, so weit zu kommen, aber viele!

Ein spannendes Buch, während dessen Lektüre ich mich stellenweise auch ein klein bisschen gelangweilt habe, nämlich in dem Teil, in dem es um die Grammatik ging. Obwohl ich eine kleine Auffrischung durchaus gebrauchen könnte, auch als Muttersprachlerin. Aber es geht auch ohne, also bin ich faul und lasse mich nicht richtig drauf ein. Falsch von mir, ich weiß! Doch vielleicht bin ich nicht ganz die richtige Zielgruppe, sondern fortgeschrittene DaF-Lernende - und die werden das ganz sicher zu schätzen wissen!

Bewertung vom 25.10.2019
Atwood, Margaret

Die Zeuginnen


ausgezeichnet

In Margaret Atwoods Fortsetzung um den fiktiven Staat Gilead an der Grenze zu Kanada ist nicht mehr die Magd Desfred die alleinige Protagonistin.

Vielmehr kommt sie überhaupt nicht vor, nicht einmal ihr Name fällt in diesem neuen Szenario, das etliche Jahre später stattfindet. Es wird aus der Perspektive dreier Frauen berichtet, aus der einer älteren, nämlich von Tante Lydia, die in Gilead eine einflussreiche Position einnimmt und von zwei jüngeren, Agnes und Daisy, von denen die erstere ein düsteres, vorbestimmtes Leben in Gilead führt, die zweite privilegiert bei ihren Eltern in Kanada aufwuchs und erst nach deren Tod von ihrer Verbindung zu Gilead erfährt.

Beide Frauen geraten in den Fokus von Tante Lydia - ob in ihre Klauen oder unter ihren Schutz, das kann man unterschiedlich sehen.

Denn Margaret Atwood lässt ihren Leser nie in Ruhe in Bezug auf dessen Meinung zu den Protagonisten, er muss immer wachsam bleiben, denn - schwupps - kann sich durch einen winzigen Dreh in der Handlung die Wahrnehmung einer Figur komplett ändern.

Dadurch, dass hier die Perspektive wechselt, entsteht eine breitere Sicht aufs Szenario, die Betrachtung ist nicht einseitig und der Leser erhält einen breiten Blick. Und gleichzeitig profitiert er von den Gaben der großartigen Schriftstellerin, denn die Darstellung wechselt je nachdem, ob nun Agnes, Daisy oder Tante Lydia berichtet und ändert sich auch bei jedem Charakter im Erzählverlauf - denn bei Frau Atwood sind alle Figuren dynamisch, ebenso wie das Szenario.

Somit muss man sich nicht ängstigen, dass es düster bleibt - tatsächlich haben alle drei Protagonistinnen ebenso wie die weiteren Figuren ganz schön etwas durchzustehen, doch immer wieder - und besonders zum Ende hin - blinkt ein Fünkchen Hoffnung auf.

Das mir auch im Blick auf die Realität Stärke und Zuversicht gegeben hat. Denn Gilead kommt mir vor wie ein USA unter der Regierung von Michael Richard Pence, dem aktuellen Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten - eine von religiösen Eiferern angeführte Regierung, wie sie nach einem erfolgreichen Impeachment-Verfahren gegen Trump zur Realität werden könnte. Dass nicht immer das Schlimmste eintreffen muss, das war eine der Botschaften, die ich aus diesem großartigen Roman mitgenommen habe!

Bewertung vom 25.10.2019
Winterberg, Linda

Die Kinder des Nordlichts


ausgezeichnet

Marie und Elin haben eine furchtbare Zeit hinter sich. Beide haben sie ihre Großmütter verloren, mit denen sie in einem kleinen norwegischen Küstenort jeweils zusammengelebt haben. Diese hatten beide ein schweres Schicksal hinter sich, sie waren von deutschen Soldaten schwanger geworden und wurden daraufhin von ihren Familien verstoßen. Zudem hatten sie und ihre beiden Töchter unter der Mißachtung ihrer Mitmenschen zu leiden.

Marie war in Deutschland aufgewachsen und kehrt, von Elin begleitet, dorthin zurück. Und zwar nach Wiesbaden, dem Ort, an dem auch ihre Großmutter lebte.
Die beiden jungen Frauen stehen vollkommen ohne berufliche Perspektive dar, doch bietet sich unversehens die Möglichkeit, ein Café mit norwegischen Backwaren zu eröffnen.


Und das kurz vor Weihnachten - da stimmt wirklich alles! Auch wenn natürlich jede Menge Unwägbarkeiten auf Marie und Elin warten.
Ein schöner Roman, in dem mich neben dem warmherzigen Schreibstil vor allem das harmonische Miteinander von Jung und Alt, aber auch die Schilderung der spannenden historischen Begebenheiten aus dem Zweiten Weltkrieg faszinierte. Davon hätte es ruhig ein paar mehr geben können, bzw. hätten die außerordentlich interessanten Umstände gerne ausführlicher geschildert werden dürfen. Denn so habe ich das Buch mit tausend Fragen zugeklappt.

Bewertung vom 25.10.2019
Ridker, Andrew

Die Altruisten


weniger gut

Familie Alter war nie besonders emotional. Auch wenn Mutter Francine durchaus ein interessanter und vielschichtiger Charakter war, der ihre Kinder wohlwollend begleitete, war sie eher der kühle Typ. Erstaunlich für eine Psychotherapeutin, doch wenn man sich ihre Familiengeschichte vor Augen führte, kann man es nachvollziehen.

Dennoch erstaunlich, dass sie Arthur Alter geheiratet hat, der ist nämlich ein ganz anderes Kaliber. Auch er hatte es nicht leicht, aber egal, wieviel Verständnis man ihm entgegenbringt: er ist einfach ein mieser Charakter. Dass in der Familie keine Warmherzigkeit herrschte, lag zu einem großen Teil an ihm.

Auch in Francines letzten Monaten, während ihrer furchtbaren Krebserkrankung, war er ihr alles andere als eine Stütze. Ganz im Gegenteil: er hatte schon jemand Neues am Start.

Kein Wunder, dass seine Kinder nach der Beerdigung den Kontakt zu ihm abbrachen. Nun, nach zwei Jahren lädt er sie zu einem Wochenende ein und sie kommen - was wird wohl passieren?

Ehrlich gesagt hat sich herausgestellt, dass ich das überhaupt nicht wissen wollte. Und ich glaube auch nicht, dass sie sich durch diesen Roman die Laune verderben lassen müssen. Denn zumindest ich konnte in diesem Roman keine Botschaft erkennen, die mich nach der Lektüre auch nur einen Schritt weitergebracht hätte. Auch wenn das Ende - wenn man so will - ein positives ist.

Nein, eine derartige Lektüre tut mir nicht gut. Denn hier agiert jeder gegen jeden: Ein Familienroman in durchgehend negativ aufgeladener Atmosphäre und auch stilistisch ist der Roman kein Genuss. Im Gegenteil, er ist voller Sprünge und Lücken. Von mir daher: Daumen runter! Sie verpassen nichts, wenn Sie diesen Roman überspringen - egal, wie ansprechend das Cover auch ist!

Bewertung vom 16.10.2019
Moyes, Jojo

Wie ein Leuchten in tiefer Nacht


ausgezeichnet

1937: Die Engländerin Alice lernt den gutaussehenden Amerikaner Bennett und heiratet ihn quasi ad hoc. Sie erfährt erst auf der Überfahrt mit dem Schiff, dass sie in einer Kleinstadt in Kentucky und nicht, wie vermutet, in einer Großstadt leben werden - gemeinsam mit dem Schwiegervater, der schon von Anfang an ständig mit dabei ist - sie teilen sogar eine Schiffskabine mit ihm.

Aber es kommt noch schlimmer: er hat ganz bestimmte Vorstellungen davon, wie sie sich verhalten soll und ist gar nicht erbaut davon, dass sie sich meldet, als Bibliothekarinnen für die lokale Satteltaschenbücherei gesucht werden.

Damit ist ein sehr unkonventioneller Vorläufer der Büchereibusse im Kleinstformat gemeint: die Bibliothekarinnen reiten zu den verstreut lebenden Bewohnern der nahen Bergregion und bringen ihnen wöchentlich neue Literatur. Ein ebenso mühseliger wie erfüllender Job, stellt sie bald fest. Denn abgesehen vom Eigentümer des Büchereigebäudes Fred, der sich gelegentlich einbringt und aushilft, sind nur Frauen am Start - unkonventionelle, starke Frauen wie Marge O'Hare, die Leiterin der Bibliothek, die aus freiem Willem in wilder Ehe mit ihrem langjährigen Liebsten Sven lebt - ungeachtet seiner regelmäßigen Heiratsanträge.

Leider gerät Alice in Schwierigkeiten und da zeigt sich die Kraft der Freundschaft der anderen Bibliothekarinnen, in der sie Halt und Unterstützung findet.

Eine sehr erbauliche und eindringliche Unterhaltungslektüre, in der trotz vieler ernster Themen wie der Unterdrückung der Frauen, aber auch der Minenarbeiter, Rassismus und anderen Ungerechtigkeiten der Humor nicht zu kurz kommt. Und so viel mehr als das: ein starker Roman über die Kraft der Frauen, ihre Freundschaft - und Liebe. Denn die Autorin Jojo Moyes zeigt auch, dass es die richtigen Männer gibt, solche, die für Frauen sind und nicht gegen sie. Auch schon in den 1930er Jahren. Ich liebe historische Romane aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und dies ist ein ganz besonders gelungener, der mein Herz erfüllt. Auch wenn ich die Romane der Autorin Moyes schon vorher schätzte - dies ist mit ganz großem Abstand mein bisheriges Lieblingsbuch von ihr, das ich hegen und pflegen werde!

Bewertung vom 12.10.2019
Lénard, Nané

SchattenSchuld


sehr gut

Im beschaulichen Bückeburg ist so einiges los - zunächst werden alte Knochen gefunden, die auf einen längst vergangenen Mord an einer adligen Dame hindeuten - und dann gibt es frische Körpeteile, die auf mehrere aktuelle Verstümmelungen verweisen und - furchtbar, aber leider wahr - die passenden Vermissten dazu sind bereits gemeldet.

Klar, es ist der zwölfte Teil einer Serie und so findet ein Wiedersehen mit einer ganzen Reihe von Kripobeamten statt - im Mittelpunkt stehen wie immer die Kommissare Wolf Hetzer und Peter Kruse, für mich liebe und alte Bekannte.

Der Fall bzw. die Fälle selbst purzeln nur so ins Geschehen hinein, so dass es nicht langweilig wird. Allerdings hat sich die Aufschlüsselung für mich ein wenig überstürzt und nicht ausreichend begründet, zudem steht am Ende ein dicker fetter Cliffhanger, der - so finde ich - den Leser ein wenig zu sehr im Regen stehen lässt - fast so, als würde dieser Band zusammen mit dem nächsten einen geschlossenen Zweiteiler ergeben.

Dennoch als Teil dieser sehr atmosphärischen Reihe sehr lesenswert, nicht zuletzt wegen der eindringlich porträtierten Figuren!