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Verena

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Insgesamt 164 Bewertungen
Bewertung vom 23.02.2023
Howe, Jenny L.

The Love Test - Versuch's noch mal mit Liebe


schlecht

Sehr enttäuschend

Durch Ali Hazelwood bin ich auf Rom-Coms mit Setting in der akademischen Welt gestoßen und habe mich umso mehr gefreut, als ich über „The Love Test“ gestolpert bin. Nicht nur wieder ein Roman, der die Heldin zur Promotion belgeitet – nein, dieses Mal ging es um mein persönliches Fachgebiet: die Literaturwissenschaften.

Leider wurde ich maßlos enttäuscht. Wie kann man ein Thema, das der Autorin ja offensichtlich auch am Herzen liegen muss, nur so langweilig darstellen? Ich glaube alle, die zuvor noch nie mit Literaturwissenschaften zu tun hatten, sind durch den Roman abgeschreckt. Hinzu kommt, dass die Ph. D. Anwärterin sich verhält wie eine Erstsemesterstudentin was wissenschaftliche Arbeitsweisen und typische Vorgänge an der Uni anbelangt. Gleichzeitig hat sie aber wohl super Noten – wie passt das zusammen?

Außerdem kam zwischen den beiden Protas, Allison und Colin, nie auch nur ein kleines bisschen Chemie rüber. Die Beziehung wirkte total unnatürlich und gewollt, das lange Hinauszögern der Erklärung Colins und ewige Missverständnisse taten ihr Übriges.

Ein sehr schwaches Debüt von einer Autorin, die immerhin an einer der amerikanischen Ivy-League Colleges Kreatives Schreiben unterrichtet.

Bewertung vom 06.02.2023
Gieselmann, Dirk

Der Inselmann


sehr gut

Melancholisch schön und grausam zugleich

Ein kleiner Roman, der oft gleichzeitig traurig und schön ist. Es ist die Geschichte von Hans, der Anfang der 1960er Jahre mit seinen Eltern auf eine Insel zieht. Eine Insel, mitten in einem See. Die Stadt, ihre Menschen und all die guten und bösen Dinge, für die sie stehen, sind irgendwie greifbar nah und dennoch Welten entfernt. Die Beweggründe des Vaters bleiben ungeklärt, doch für Hans gleicht der Umzug auf die Insel dem Gang in eine neue Welt. Er hilft dem Vater bei der Arbeit mit den Schafen und zieht auf der Insel umher mit seinem treuen vierbeinigen Begleiter. Die Insel ist sein Königreich und Hans ist der König. Bis eines Tages die Nachricht kommt, dass Hans zur Schule muss. Bildung ist hierbei scheinbar nie die Priorität; es geht einzig darum, dass die Eltern und vor allem Hans sich fügen müssen. Die Gesellschaft und ihre Institutionen zeigen sich hier von ihrer grausamsten Seite; Hans‘ Kindheit wird brutal geopfert. Endlich erwachsen begibt er sich auf die Reise zurück auf die Insel, zu seinen Eltern, seinem Hund, seinem Zuhause und sich selbst.
Mit der Metapher eines einzelnen Wals werden immer wieder Einsamkeit und Alleinsein gegenübergestellt. Hans, der als kleiner Junge weit weg von den meisten anderen Menschen ein für Außenstehende einsam wirkendes Leben auf der Insel führt vs. Hans, der als Jugendlicher in Institutionen in „Gemeinschaft“ leben muss.
Erzählt wird ganz wunderbar melancholisch.

Bewertung vom 24.01.2023
Cook, Elle

The Man I Never Met - Kann man lieben, ohne sich zu kennen?


weniger gut

Reinfall

Oh man. Es tut mir leid, aber das war einfach ein richtig großer Reinfall. Der Klappentext klang so vielversprechend. Ein Meet-Cute der besonderen Art wird versprochen, als Davey aus Texas durch einen Zahlendreher plötzlich Hannah anruft. Was darauf folgt, fühlt sich an wie der Anfang von Etwas ganz großem, dann mysteriöses Abtauchen von Davey.
Klingt gut, aber entspricht nicht dem, was ich gelesen habe. Das Meet-Cute wird dadurch entwertet, dass es bei Davey und Hannah Insta-Love ist. Dabei haben die beiden leider null Chemie und bleiben auch als Figuren unglaublich flach. Hannah, aus deren Perspektive alles beginnt, wirkt eher wie eine Karikatur und nicht wie die Protagonistin eines Romans. Ihr Verhalten, ihre Gedankengänge wirken so unrealistisch. Hier ein paar besondere Perlen: Davey lebt in Austin, sie wusste nicht, dass das in Texas ist (auch das Houston in Texas liegt, war ihr nicht klar); als die beiden (warum auch immer) über Ikea reden, stellt sie erstaunt fest, dass ihr nicht klar war, dass es in Texas auch Ikea gibt (????); in den Amerikaner, der sich verwählt, „verliebt“ sie sich nach gefühlt zwei kurzen Telefongesprächen; mit ihrem Fitnesstrainer trifft sie sich zum ersten Mal außerhalb des Studios zum Essen und bucht kurzerhand eine Reise nach Thailand mit ihm. Aber nicht, weil sie ein spontaner Mensch ist, sondern, so hatte ich das Gefühl, weil es der Autorin einfach nicht gelungen ist, ihre Geschichte und die darin agierenden Figuren authentisch rüberkommen zu lassen.
Fast forward: ein paar Videocalls und gemeinsame „Room with a View“ long distance Filmabende steht Daveys Ankunft, der in England einen Job bekommen hat, bevor. (Natürlich hat Hannah sich für den immer noch relativ Fremden die Wohnungen angeschaut und die passende für ihn ausgewählt; die erste Zeit wird er aber direkt mal bei ihr wohnen…okay.) Hannah wartet stundenlang am Flughafen auf ihn und er kommt einfach nicht. Man ahnt schon seit der Widmung der Autorin, dass das mysteriöse Abtauchen mit Krankheit zu tun hat. Und so ist es dann auch: bei Davey wurde plötzlich Hodenkrebs diagnostiziert. Er kann nicht nach England und möchte Hannah auch nicht belasten; bricht den Kontakt ab. Hannah ist erstmal fertig. In Thailand fängt sie dann etwas mit dem Fitnesstrainer an. Von der super toxischen Beziehung der beiden handelt dann auch der meiste Roman. Natürlich denkt sie immer wieder an Davey und zwischendurch gibt es total random plötzlich Kapitel aus Daveys Perspektive, der natürlich auch an Hannah denkt.
Ich hatte einerseits das Gefühl, dass die Autorin nicht wusste, was sie eigentlich will: eine Lovestory nach dem Meet-Cute, die Darstellung einer sehr toxischen Beziehung, oder eine dramatische Liebesgeschichte mit schlimmer Krankheit. Herausgekommen ist ein richtiges Kuddelmuddel, das keinem der drei Aspekte gerecht wird.
Und dann – und das tut mir am meisten leid – war die ganze Krankheitsgeschichte so schlecht erzählt, dass ich einfach nicht mitfühlen konnte. Vielleicht lag es an den flachen Figuren, an der fehlenden Chemie, vielleicht am Stil der Autorin. Im Nachwort berichtet sie jedenfalls über die Krebserkrankung ihres Mannes und diese paar Seiten waren emotionaler als der ganze Roman.
Zum Schluss gibt’s noch einen weiteren Minuspunkt: an Silvester, das Hannah mit ihren Eltern verbringt, wird zunächst erwähnt, dass der Familienhund große Angst vor Feuerwerk hat. Dann lassen sie ihn aber allein in der Wohnung, um sich eben dieses Feuerwerk anzusehen. Extra angeschaltete klassische Musik hin oder her – wenn mein Haustier Angst hat, lasse ich es nicht allein.

Bewertung vom 24.01.2023
Alaoui, Abla

Bissle Spätzle, Habibi?


sehr gut

Tolle romantische Komödie

Der Debütroman von Abla Alaoui hat mich zu Beginn dieses Jahres richtig gut unterhalten! Als großer Musicalfan war ich erstmal über mich selbst erstaunt, dass ich von Alaoui noch nicht gehört hatte: als Musicaldarstellerin ist die gebürtige Hamburgerin mit marokkanischen Wurzeln auf deutschsprachigen Bühnen in tollen Produktionen unterwegs. Als Autorin hat sie allerdings ebenfalls großes Talent, vor allem komödiantisches. Die Pointen sitzen und ich musste mehrmals beim Lesen laut lachen. (Mein absoluter Favorit: die Protagonistin Amaya ist als Schauspielerin Teil einer Telenovela – „Turm der Liebe“ :D ) Trotz des mitreißenden Humors kommt die Ernsthaftigkeit nicht zu kurz, vor allem in den Rückblicken. Amayas Aufwachsen in Deutschland in einer marokkanischen Familie: dazu gehören Diskriminierungserfahrungen, die sie bereits in der Schule macht, aber auch Konfrontationen mit den Eltern, die mit Amayas westlichem Lebensstil hadern. Die Liebesgeschichte, die in „Bissle Spätzle, Habibi?“ erzählt wird, ist nicht nur die von Amaya und Daniel, sondern auch die Geschichte von der Liebe zu ihrer Familie, der marokkanischen Kultur, aber auch ihrem freien Leben in Hamburg.
Mein einziger Kritikpunkt, ja tatsächlich der einzige Grund, warum ich keine 5 Sterne vergebe, ist das Ende. Denn das kommt viel zu abrupt. Die Geschichte war noch in vollem Gange, das große Geheimnis noch nicht gelüftet, da waren nur noch ein paar Seiten übrig. Es gibt zwar einen Epilog, aber da hätte ich mir ein bisschen mehr gewünscht.
Aber auf jeden Fall ist „Bissle Spätzle, Habibi?“ eine große Empfehlung von mir.

Bewertung vom 07.01.2023
Tallack, Malachy

60° Nord


gut

„… ich mag die Kälte. Nicht die böige, beißende Kälte (Shetlands), sondern die stillen, frostigen Grade unter null; die Kälte, die die Luft ganz ausfüllt und das Tragen ‚vernünftiger Kleidung‘ verlangt. Sie hat eine Reinheit und eine Befreiung, die aus dem Wissen kommt, dass man sie in Schach halten kann.“
Es sind Beschreibungen wie diese, die ich mitfühlen kann, die atmosphärisch wirken, die ich mit dem schottischen Autor Malachy Tallack verbinde. Seinen Roman „Das Tal in der Mitte der Welt“, das in seiner Heimat, den Shetland Inseln, spielt, habe ich 2021 sehr gerne gelesen. Mit Shetland als Ausgangspunkt beginnt nun auch dieser recht spezielle Reisebericht „60° Nord“. Entlang dieses 60. nördlichen Breitengrades bereist Tallack Ziele, die ebenfalls auf dieser Höhe liegen. Das sind Orte in Grönland, Kanada, Alaska, Russland, Finnland, Schweden und Norwegen – bevor es wieder nach Hause geht nach Shetland.
Obwohl natürlich der 60. Breitengrad eine Art roter Faden durch das Buch ist hat mir irgendetwas gefehlt, dass dem Ganzen etwas mehr Struktur gibt. Tallack bereist super spannende Orte und trifft interessante Menschen, doch auch manchmal fehlte mir inhaltlich etwas, das ich nicht genauer beschreiben kann. Reiseberichte sind natürlich sehr persönlich. Manchmal hatte ich auch den Eindruck, dass seine atmosphärische Prosa besser geeignet ist für fiktionale Texte als für nonfiktionale. Vielleicht hätten auch mehr Fotografien geholfen? (Zu jedem besuchten Ort gibt es genau ein Foto).
Auch wenn ich das Buch nicht uneingeschränkt weiterempfehlen würde, habe ich es doch gerne gelesen. Ich durfte etwas erfahren über mir bisher ungekannte Orte der Welt. Gleichzeitig hoffe ich aber auch, dass Tallacks nächstes Buch wieder eine fiktionale Erzählung ist.

Bewertung vom 22.12.2022

Die Wissenschaft von Mittelerde


sehr gut

Wenn ein begnadeter Wissenschaftler wie John Ronald Reuel Tolkien eine Welt erschafft, kommt man gar nicht umhin, dass auch diese Fantasy-Welt auf wissenschaftlichen Grundlagen aufbaut.
Eine Gruppe französischer Autor:innen hat sich mit „Die Wissenschaft von Mittelerde“ genau unter diesem Aspekt Tolkiens Werk angeschaut. Herausgekommen ist ein wunderbarer Querschnitt, der interdisziplinär Mittelerde wissenschaftlich analysiert. Von Sprachwissenschaften (ohnehin klar bei Tolkien) über Geologie, Soziologie, Mineralogie, Medizin und vielen weiteren Disziplinen ist für alle Fans Spannendes zu entdecken. Es ist natürlich sicher hilfreich, viele von Tolkiens Büchern gelesen zu haben (was bei mir leider nicht der Fall ist), aber auch, wer nur den Hobbit oder die Ring-Trilogie oder gar nur die Filme kennt, kann den Essays folgen. Auf jeder Seite spürt man die Begeisterung der Geistes- und Naturwissenschaftler:innen für Mittelerde, aber auch Tolkiens Liebe zu den Wissenschaften ist unübersehbar. Ich war erstaunt, mit welcher Kohärenz er jedes Detail seiner Welt erschaffen hat. Er war so vielseitig interessiert und belesen, dass viele Elemente von Mittelerde mit Beispielen unserer Erde belegbar sind.
Ganz klar muss man jedoch sagen: die Texte sind zwar sicher nicht ausschließlich für ein Fachpublikum geschrieben, aber sie sind eben wissenschaftlich und daher auch durchaus komplexer. Genau das hatte ich erwartet, zumal das Buch „Die Wissenschaft von Mittelerde“ heißt und von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft herausgegeben wurde. Ich schreibe das bewusst in meine Rezension, da viele der Teilnehmer:innen der Leserunde zum Buch von der Komplexität doch überrascht waren. Von der Sprache sollte man sich aber nicht abschrecken lassen, denn die Essays enthalten wunderbare Reflexionen über Mittelerde und die Geschöpfe, die Tolkien erschaffen hat.
Zunächst gibt es das Buch zum Einführungspreis von 50€, danach wird es 70€ kosten. Wer also großer Fan von Mittelerde sowie wissenschaftlich interessiert ist, sollte den Einführungspreis nicht verpassen 😉

Bewertung vom 15.12.2022
McFarlane, Mhairi

Fang jetzt bloß nicht an zu lieben


weniger gut

Gaslighting mit rosa Cover
Was würdet ihr von einem Roman erwarten, der in der typischen Rom-Com Aufmachung mit rosafarbenem Cover und dem Titel „Fang jetzt bloß nicht an zu lieben“ erwarten? Eine leichte, unterhaltsame romantische Gesichte, das hatte ich mir erhofft. Im Klappentext findet sich zwar etwas über einen Exfreund der Protagonistin, Harriet, und einer „Vergangenheit, der sie sich stellen muss“. Die Vergangenheit, beziehungsweise deren Bewältigung, nahm dann einen sehr großen Teil der Geschichte ein. Dagegen habe ich grundsätzlich nichts; wenn allerdings darin eine Thematik beschrieben wird, die bei (eventuell sogar betroffenen) Leser:innen traumatische Erinnerungen auslösen könnten, dann erschließt sich mir einfach nicht, warum Verlage und Autor:innen nirgends einen Hinweis auf diese inhaltliche Komponente geben. Deshalb von mir nun der Spoiler: es geht um Manipulation, emotionalen Missbrauch, psychische Gewalt in Beziehungen – heutzutage bekannt als Gaslighting. Die Protagonistin Harriet ist Opfer dieser Form von psychischer Gewalt und wird jäh darin erinnert, als sie den Täter, ihren Exfreund, plötzlich auf einer Hochzeit trifft, auf der sie als Fotografin arbeitet. Die Autorin zeigt gut auf, wie Harriets Trauma durch die Begegnung hochkommt; bringt den Leser:innen das Vergangene in einem Brief an die aktuelle Verlobte des Täters nah und zeigt, wie perfide Täter vorgehen, ihre Opfer systematisch fertigzumachen. Die Liebesgeschichte, mit der der Klappentext wirbt, zwischen Harriet und ihrem neuen Mitbewohner Cal spielt eine untergeordnete Rolle. Das stört mich nicht, das Marketing des Romans eben schon. Ansonsten hätte dem Roman weniger Nebenschauplätze gut getan: Cals frühere Beziehung, Cals Familiengeschichte, Lorna und ihr seltsamer Lover und ganz grundsätzlich Roxys Storyline wirkte Fehl am Platz. Stattdessen hätte McFarlane den Fokus mehr auf die Figuren Harriet und Cal legen sollen, denn trotz umfangreicher Vergangenheit bleiben beide irgendwie blass.

Bewertung vom 03.12.2022
Wulf, Andrea

Fabelhafte Rebellen


sehr gut

Wer ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert hat, kennt das „Ich“ als Zentrum des Denkens. Mir begegnete es bewusst zum 1. Mal in den Einführungsvorlesungen meines Soziologiestudiums; vertieft in den anschließenden kultur- und literaturwissenschaftlichen Inhalten. Der Höhepunkt war eine meiner liebsten Vorlesungen über die englischen Romantiker und die diskursive Konstruktion von Identität. Doch das, was die frühen Romantiker ab dem Ende der 1790er Jahre in Jena revolutionär entwickelten, betrifft alle Menschen (Nicht-Ichs) – egal ob sie von dieser Gruppe an Dichter*innen und Denker*innen gehört haben oder nicht.
In ihrem Buch stellt Autorin Andrea Wulf diese Jenaer Gruppe und ihr gemeinsames (mehr oder weniger) Leben vor: Goethe, Schiller, Novalis, Fichte, Schelling, Hegel, die Schlegel sowie die Humboldt Brüder, jedoch auch die Frauen in ihrem Leben – allen voran Caroline Schlegel –, die nicht minder beteiligt waren an den Werken der berühmten Männer.
Der Rechercheaufwand der Autorin muss immens gewesen sein; ebenso, das alles so anzuordnen, dass es für die Leser*innen wirkt, als würden sie dem Leben in Jena beiwohnen: philosophischer Diskurs, dichterisches Schaffen, geselliges Beisammensein, eifriger Briefwechsel sowie Klatsch und Tratsch gehören dazu wie auch die politischen Entwicklungen der Zeit. Trotz der vielen Protagonist*innen liest sich das Buch leicht, teilweise sogar amüsant; manchmal jedoch hatte ich das Gefühl, dass Wulf sich zu sehr in kleinen Details verliert und sich einiges wiederholt, gleichzeitig aber in der Menge untergeht.
Ich habe viel gelernt bei der Lektüre des sehr interessanten Buches, allerdings wird es seinem Titel nicht wirklich gerecht. Die titelgebende „Erfindung des Ichs“ wird nur beiläufig erwähnt und nicht weiter erörtert. Das ist schade, denn Wulf reißt vor allem im Prolog und im Epilog kurz an, wie wichtig die Idee des „Ichs“ gerade auch in der heutigen Zeit ist, beispielsweise im Kontext der Pandemie und des Klimawandels. Dennoch eine Leseempfehlung.

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Bewertung vom 24.11.2022
Mansfield, Katherine

Die Gartenparty


sehr gut

Die neuseeländische Autorin Katherine Mansfield gilt als eine der Begründer:innen und Meisterin der modernen Short Stories. In dieser Ausgabe der Manesse Bibliothek wird eine Auswahl von 27 Kurzgeschichten präsentiert. Wie immer bestechen die kleinen Büchlein durch ihre kunstvolle Gestaltung: hochwertige Materialien, ein eindrucksvolles Cover und – wie auch bereits bei Auszügen aus Katherine Mansfields Tagebüchern – sind die Innenseiten des Hardcovers mit Schriftstücken Mansfields geschmückt. Eine absolute Augenweide. Bei den Stories erging es mir wie bei den meisten Kurzgeschichtensammlungen: manche begeisterten mich, andere konnten mich gar nicht erreichen. Beeindruckt hat mich die Vielfalt der Figuren, der Situationen, der Themen, die Mansfield in ihren Stories erarbeitet hat. Wie sie vom ersten Satz an völlig in die abgebildete Realität eintaucht und die Protagonist:innen der einzelnen Erzählungen trotz des kurzen Moments, den man als Leser:in mit ihnen verbringt, wie komplett abgerundete Charaktere wirken, die Mansfield mit großem sprachlichen Geschick präsentiert. Auch ziemlich interessant fand ich den Aspekt, dass Mansfield häufig – aber nicht ausschließlich – sehr banale alltägliche Szenen für ihre Kurzgeschichten auswählte, obwohl ihr eigenen Leben alles andere als alltäglich war, weder für die damalige noch für die heutig Zeit. Kaum auszumalen, was sich noch alles hätte literarisch erschaffen können, wäre sie nicht 1923 im Alter von gerade einmal 34 Jahren verstorben.

Bewertung vom 18.11.2022
Turk, Mariko

So federleicht wie meine Träume


gut

Ein richtig toller Jugendroman, ein Must-Read für Ballett- und Musicalfans und eines meiner Jahreshighlights! Alinas Lebenstraum ist geplatzt: seit sie klein ist, tanzt sie Ballett. Die Profikarriere vor Augen verbrachte sie ihre ganze Zeit beim Training. Nach einem Sturz ist klar, dass sie nie wieder so tanzen kann wie zuvor. Eine Mitschülerin überredet sie, am Schulmusical teilzunehmen, wo Alina unerwartet wieder auflebt. Sie muss sich selbst neu kennenlernen und einen Weg finden mit ihrer Trauer um den Verlust des Lebens, für das sie so hart gearbeitet hat, umzugehen. Hinzu kommt der Konflikt mit ihrer jüngeren Schwester, durch den ihr die Schattenseiten des Balletts bewusst werden. Alina hat japanische Wurzeln, ihre beste Freundin beim Ballett, Colleen, ist schwarz. Beide versuchten – ihrem Traum zuliebe – zu verdrängen, dass sie – wie viele andere nicht weiße Tänzer:innen Diskriminierung erfahren. Die Thematik ist da und wichtig, dominiert aber die Geschichte nicht. Denn im Zentrum stehen Alina und ihre Freund:innen: das Ensemble ist so divers auf eine natürliche Art und Weise, wie es an einer typischen amerikanischen High School der Fall sein könnte. Die Jugendlichen wirken ihrem Alter entsprechend und führen keine hochphilosophischen Dialoge wie in manch anderem Young Adult Roman. Das fand ich sehr erfrischend und authentisch. Die Bande zwischen den Figuren entwickeln sich langsam: es geht um Freundschaft, erste Liebe aber auch die Beziehung zweier entfremdeter Schwestern. Alinas Entwicklung ist keine leichte; nicht immer wirkt sie dadurch nahbar, aber ihr Lernprozess und die Art, sich selbst, ihre Gefühle und ihr Verhalten zu reflektieren, werden von Autorin Mariko Turk einfühlsam und realistisch dargestellt. „So federleicht wie meine Träume“ ist zart und kraftvoll zugleich, wie eine Balletttänzerin, die anmutig und elegant über die Bühne schwebt, den Zuschauer:innen verborgen getragen von der Muskelkraft einer Hochleistungssportlerin.