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Forti

Bewertungen

Insgesamt 211 Bewertungen
Bewertung vom 26.09.2020
Paar, Tanja

Die zitternde Welt (eBook, ePUB)


gut

Tanja Paar hat die Geschichte einer ungewöhnlichen Familie aufgeschrieben. Offenbar ist es die Geschichte ihrer eigenen Familie – oder zumindest von dieser inspiriert –, denn die Familie trägt den gleichen Nachnamen wie die Autorin.

Das österreichische Paar Maria und Wilhelm lebt um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Anatolien. Dort erleben sie die Umbrüche rund um das Ende des Osmanischen Reiches. Das war durchaus interessant und spannend zu lesen. Anlässlich des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges kehrt die Familie mit ihren drei Kindern nach Österreich zurück. Auch die Identitätssuche zwischen den Kulturen, die alle Familienmitglieder prägt, fand ich sehr interessant.

Insgesamt konnte mich das Buch dennoch nicht restlos überzeugen. Erzählt wird manchmal sehr sprunghaft, sodass ich das Gefühl hatte, dass manches auf der Strecke blieb.

Bewertung vom 17.09.2020
Gaige, Amity

Unter uns das Meer


gut

Amity Gaige nimmt den Leser in "Unter uns das Meer" mit auf einen Segeltörn in die Karibik. Das Ehepaar Juliet und Michael steigt für ein Jahr aus vom gewohnten Alltag in Connecticut. Südsee, Unabhängigkeit, Zeit für die Familie – das klingt wie ein Traum, offenbart aber auch bald seine Schattenseiten in Gegenwart und Vergangenheit.
Die Autorin lässt die beiden Protagonisten Juliet und Michael die Geschichte im Wechsel erzählen und zwar so, dass sich trotzdem eine flüssige Story entwickelt. Während Juliet die Geschichte rückblickend erzählt, erfahren wir Michaels Sichtweise anhand des Logbuchs, das er während des Segeltörns geführt hat. Dieser Blick auf die Geschichte von zwei Seiten ist abwechslungsreich und durch die teils rasanten Perspektivwechsel baut sich ein richtiger Sog auf, der den Leser mitzieht. Auf diese Art und Weise bereiten Juliet und Michael jeder für sich ihre Ehe auf. Nach und nach wird einiges an gemeinsamen oder persönlichen Problemen aufgedeckt.

Zwischendurch etwas langatmige Beschreibungen der Segeltechnik und auch den "Anhang" nach dem eigentlichen Schluss hätte ich nicht gebraucht, ansonsten aber sehr gut erzählt.

Bewertung vom 09.09.2020
Murata, Sayaka

Das Seidenraupenzimmer


sehr gut

Wie schon in "Die Ladenhüterin" zeichnet die japanische Autorin Sayaka Murata wieder liebevoll eine Außenseiterin, die mit der modernen Welt, den gesellschaftlichen Normen nicht zurecht kommt. Auch wenn "Das Seidenraupenzimmer" in Japan spielt und sich auf eine Gesellschaft bezieht, die noch mehr auf Normen und Konformität basiert, als in anderen Ländern, ist das, was die Protagonistin beschreibt, auch für westliche Leser gut nachvollziehbar – und auf europäische Lebenswelten beziehbar.
Natsuki, die der Leser als 12-Jährige kennenlernt, ist auf eine sympathische Art so naiv und unbedarft, dass sie einem sofort ans Herz wächst und ihre von Lieblosigkeit und Missbrauch geprägte Kindheit umso mehr schockiert. Teilweise mag das von der Autorin überzeichnet sein, aber Natsukis Schicksal blieb für mich immer glaubhaft.
Nachdem sich der erste Teil auf Natsukis Kindheit bezieht, macht der zweite Teil einen Sprung in ihr Erwachsenenleben. Immer noch besteht bei ihr der innere Konflikt zwischen Konformität und einem Leben nach eigenen Vorstellungen – in ihrem Cousin und ihrem Ehemann findet sie zwei Schicksalsgenossen. Das ganze gipfelt in einer skurrilen Szenerie.

Während ich bei "Die Ladenhüterhin" zwischendurch auch mal grinsen musste, blieb mir das Lachen bei "Das Seidenraupenzimmer" im Halse stecken, auch wenn manche Szenen mit der naiven Natsuki komisch wirken mögen. Ich fand es düsterer als den vorherigen Roman.

Bewertung vom 06.09.2020
Ferrante, Elena

Das lügenhafte Leben der Erwachsenen


sehr gut

Der neue Roman von Elena Ferrante nahm mich anfangs so gefangen wie die Neapolitanische Saga. Angesiedelt ist die Handlung dieser Coming-of-age-Geschichte im Neapel der 1990ˋer Jahre in einem gutbürgerlichen Lehrerhaushalt. Erzählt wird die Geschichte von der Teenagertochter Giovanna – ein behütetes, intelligentes Einzelkind, das Kontakt zur verstoßenen Tante aufnimmt, wodurch die weitere Handlung maßgeblich beeinflusst wird. Giovanna wuchs mir ans Herz, die pubertären Probleme mit den Eltern, der Umwelt und sich selbst waren für mich authentisch und nachvollziehbar. Mit Tante Vittoria kehrt der Leser in ein ähnliches Milieu, wie man aus der Neapolitanischen Saga kennt, zurück. Der Kontrast zwischen diesem von Armut und mafiösen Strukturen geprägte Leben und dem Elternhaus von Giovanna wird auch durch die Sprache (Italienisch oder Dialekt) und den Wohnort (oben auf einem Berg oder unten im Tal) verdeutlicht. Insgesamt war das vielleicht nicht unfassbar innovativ, aber doch intelligent unterhaltsam.
Im letzen Drittel wurde es dann aber etwas anstrengend: das Leben aller Protagonistinnen dreht sich nur noch um die jeweiligen Männer. Hier hatte die Handlung für mich Längen und die Protagonistinnen hätte ich gerne geschüttelt und ihnen zu etwas mehr Emanzipation und Unabhängigkeit geraten – von der Autorin vermutlich durchaus beabsichtigt dieses Gefühl, aber vielleicht etwas zu sehr auf die Spitze getrieben. Giovanna findet aus dieser Spirale schließlich einen ungewöhnlichen Ausweg und scheint sich am Ende zu emanzipieren. Trotz des etwas verstörenden Endes also auch Hoffnung am Horizont.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.08.2020
Wringham, Robert

Das gute Leben


gut

Das Buch „Das gute Leben“ des englischen Autors und Aussteigers Robert Wringham richtet sich vor allem an sogenannte "Lohnsklaven". Darunter versteht der Autor Menschen, die in einem eher sinnlosen Büro-Job arbeiten.
Gerade der erste Teil des Buches bezieht sich explizit auf diese Art von Job und den Ort Großraumbüro - ein frustrierter Verkäufer oder eine unzufriedene Handwerkerin wird mit dem Tipps hier nicht viel anfangen können.

Der zweite Teil bezieht sich dann auf das Leben außerhalb des Jobs. Hier kann vermutlich jeder ein paar Tipps mitnehmen - vielleicht sind die aber auch eher für Menschen umsetzbar, die keine Kinder oder ähnliche Verpflichtungen haben.

Es finden sich im Buch durchaus gute Denkanstöße. Manches kam mir allerdings aber kann mir allerdings als selbstverständlich bzw. offensichtlich vor.
Manch andere Vorschläge im Buch wollte ich vorschnell als unrealistisch abtun, aber vielleicht lohnt ja doch ein intensiveres Nachdenken oder Recherchieren, wenn eine der vorgestellten Ideen verlockend klingt. Z.B. ist in Deutschland für viele Arbeitnehmer die Reduzierung der Arbeitszeit aufgrund des Teilzeitgesetzes seit 2019 einfacher möglich als zuvor.

Durch die Konzentration auf kinderlose Büro-Angestellte in der Großstadt hat das Buch zwar eine nennenswerte Zielgruppe, aber richtet sich nun mal auch nicht an alle Menschen im Angestelltenverhältnis. Oft klingt es so, als müssten Menschen, die in „sinnvollen“ Jobs, wie Klempner oder Bibliothekar, arbeiten, automatisch glücklich sein - was wohl kaum immer der Fall ist.

Etwas störte mich auch die Zentrierung des Autors auf sich selbst und die Festlegung darauf, dass sein Weg der einzig richtige ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand das Buch eins zu eins auf sein Leben überträgt. Genau so wie Robert Wringham das gemacht hat, ist das wohl für die wenigsten möglich. Nicht jeder möchte überhaupt kreativ arbeiten - nicht jeder taugt für den minimalistischen Lebensstil.
Jeder muss seinen eigenen Weg finden, dabei kann man vielleicht manches aus dem Buch übernehmen. Wenn man sein Leben nach Lektüre des Buches auch nur um ein oder zwei Aspekte verbessert, hat man schon etwas gewonnen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.08.2020
Magnusson, Kristof

Ein Mann der Kunst


sehr gut

Kristof Magnusson hat mit "Ein Mann der Kunst" eine eingängliche Satire auf den Kunstbetrieb geschrieben. Kunstinteressiert sollte man als Leser also schon sein, aber auch für eher mittelmäßige Kunstkenner ist das Buch verständlich und unterhaltsam. Dabei wird es aber nie flach und auch nie zu böse bzw. verletzend.
Hier bekommt jeder sein Fett weg: die Künstler, die im Kunstbetrieb Tätigen und auch das Publikum. All diese treffen bei einer sommerlichen Wochenendreise im malerischen Rheingau zusammen – zusammen mit den Temperaturen erhitzen sich auch die Gemüter ...
Die Figuren blieben für mich etwas blass – bis zu letzt konnte ich sie alle, inkl. des Ich-Erzählers, nicht wirklich greifen. Vielleicht ist das auch Absicht des Autors.
Alles in allem ein intelligenter, satirischer Unterhaltungsroman.

Bewertung vom 29.07.2020
Geda, Fabio

Ein Sonntag mit Elena


sehr gut

"Ein Sonntag mit Elena" von Fabio Geda ist ein Buch, das oft anders ist, als man erwarten könnte. Die Geschichte ist ruhig erzählt, ohne viel handfeste Handlung und spektakuläre Wendungen. Ungewöhnlich die lange entfremdete Tochter als Erzählerin der Geschichte ihres Vaters. Manches blieb etwas unscharf: der Sonntag mit Elena als Wendepunkt, das Zerwürfnis und das Wiederannähern von Vater und Tochter. Vielleicht ist das aber auch im wahren Leben manchmal einfach so unspektakulär.

Das was ich geschrieben habe, hört sich vielleicht kritisch ab, aber das neue Buch von Fabio Geda ist eine gut geschriebene, nette, ruhige Familiengeschichte, die ich gerne gelesen habe. Kein Kitsch, keine Action, keine komplexe Handlung, sondern eine realistische, ruhige Beschreibung einer relativ normalen Familie.

Bewertung vom 18.06.2020
Achleitner, Hubert

flüchtig


gut

Hubert Achleitner, der mit "flüchtig" sein Roman-Debüt vorlegt, ist manchen auch als Liedermacher Hubert von Goisern bekannt. "Flüchtig" ist ein langsam erzählter Roadtrip, der immer wieder Abzweigungen nimmt. Für mich war das Buch ganz anders als der Begleittext vermuten lässt. So wird hier nicht stringent die Geschichte von Maria erzählt, sondern auch die einiger anderer Personen. Die Reise durch Europa treten Maria und Herwig getrennt an. Die Liebesgeschichte zwischen beiden wird in Rückblicken erzählt. Was die beiden aneinander fanden und finden wurde für mich immer rätselhafter.
Fast sämtliche Nebenpersonen werden ziemlich ausführlich beschrieben. Das hat seinen Reiz, da sie alle unterschiedlich sind. Es wird auch nie langweilig, aber so ganz rund fand ich den Roman nicht. Durch die Abschweifungen bleibt die eigentliche Handlung mit Maria und Herwig sehr überschaubar.
Für mich war das Buch wie gesagt ganz anders als erwartet und blieb in der Gesamtgeschichte hinter meinen Erwartungen zurück. Dennoch liest sich das Buch gut, flüssig und unterhaltsam. Ausgeschmückt ist der Roman immer wieder mit musikalischen Anspielungen.

Bewertung vom 07.05.2020
Dieudonné, Adeline

Das wirkliche Leben


sehr gut

Das Debüt der belgischen Schriftstellerin Adeline Dieudonné wird mit so viel Vorschusslorbeeren überschüttet, dass man nach dem Lesen leicht enttäuscht sein kann. Bitte nicht falsch verstehen: es ist ein gutes, intelligentes, lesenswertes Buch mit einer Hauptprotagonistin, die ans Herz wächst, aber für mich war es keine literarische Sensation.

Deshalb: Bitte nicht die Zeit damit verschwenden, Preisungen oder Inhaltsangaben zu dem Buch zu lesen, sondern einfach das Buch unvoreingenommen lesen! Es lohnt durchaus!

Doch noch ein paar mehr Infos? Na, gut!
In "Das wirkliche Leben" lernt der Leser eine namenlose jugendliche Ich-Erzählerin kennen, die ihre Träume nie aufgibt. Die Voraussetzungen sind denkbar schlecht, denn durch ihre lieblosen Eltern erfährt sie keinerlei Unterstützung. Stattdessen baut sich eine immer bedrohlichere Atmosphäre auf, die schließlich explodiert.
Das Buch lebt von seiner sympathischen Hauptprotagonistin, in die man sich sehr gut hineinversetzen kann und mit der man unwillkürlich um ein gutes Ende in diesem unheilvollen Szenario bangt. Für mich eine bewegende, subtil-spannende Geschichte.

Bewertung vom 19.04.2020
Götz, Andreas

Wir sind die Wahrheit


ausgezeichnet

In Andreas Götz‘ Jugendbuch "Wir sind die Wahrheit" geht es um die Vereinnahmung von Jugendliche durch Neo-Nazis. Dies setzt der Autor gut und ohne erhobenen Zeigefinger um. Die sympathische Ich-Erzählerin Leah hat gerade Abitur gemacht und möchte demnächst nach Berlin ziehen, als ihr Bruder zusammen geschlagen wird und im Koma liegt. Sie macht sich auf die Spurensuche und erfährt, dass ihr Bruder sich in Neo-Nazi-Kreisen bewegt hat, was aber überhaupt nicht zu dem Charakter ihres Bruders, wie sie ihn kannte, passt. Auf der Suche nach den Hintergründen erlebt sie am eigenen Leib, wie zumeist junge Neo-Nazis vorgehen, um neue Anhänger zu gewinnen. Auch sie wird immer mehr von der Gruppierung, die den Identitären zuzuordnen ist, vereinnahmt. Gut wird hier dargestellt, dass Nazis nicht immer Springerstiefel und glatze tragen, sondern oft sehr hip und nett daher kommen und dabei aber sehr perfide und strategisch bei der Werbung neuer Mitstreiter vorgehen.
Für mich ein sehr gelungenes Jugendbuch zu einem wichtigen Thema.