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Fornika
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Bewertungen

Insgesamt 395 Bewertungen
Bewertung vom 20.02.2022
Der Herzgräber
Williams, Jen

Der Herzgräber


sehr gut

Nach dem Tod ihrer Mutter muss Heather deren Nachlass regeln. Die beiden hatten sich vor Jahren entzweit, es kommen also nicht nur fröhliche Erinnerungen zurück ans Tageslicht. Doch ein Fund toppt alles andere: Heathers Mutter hatte einen Brieffreund. Niemand geringerem als Serienmörder Reave, der seit Jahren im Gefängnis sitzt, schrieb ihre Mutter regelmäßig. Genau dem Reave, dessen Modus Operandi gerade einen Nachahmer gefunden zu haben scheint. Heather steht schneller im Fokus der Ermittler als ihr lieb ist.
Jen Williams‘ Thriller hat mich schnell gepackt, auch wenn er nicht ganz so reißerisch daher kommt wie der Klappentext vermuten lässt. Ich mochte die Mischung aus actionreichen oder auch brutalen Szenen und den ruhigeren Rückblicken, dem Verweilen in der Natur. In Heathers Haut möchte man nicht stecken, denn ihr Leben wird gehörig auf den Kopf gestellt. Sie muss das Bild, welches sie von ihrer Mutter hatte, überdenken und kommt zu einigen schwierigen Erkenntnissen. Ihr zur Seite steht Ermittler Parker, der jedoch etwas nichtssagend bleibt. Reaves selbst ist natürlich eine spannende Figur, auch wenn das ein oder andere Serienmörderklischee durchlinst.
Der mörderische Teil lässt sich zunächst wirklich gut an, gegen Ende schwächelt er aber für meinen Geschmack etwas. Trotzdem hat die Autorin hier punkten können, im Großen und Ganzen geht die Geschichte auf. Der Thriller lässt sich gut lesen, überzeugt auch mit einer stimmigen Atmosphäre, die ab und an einen kleinen Grusel hervorruft. Ich habe den Herzgräber unterm Strich ganz gerne gelesen, lege ihn aber Fans von schnellen, brutalen Stories à la Chris Carter nur bedingt ans Herz, da hier das Tempo deutlich langsamer ist.

Bewertung vom 20.02.2022
Eine verdächtig wahre Geschichte
Laurain, Antoine

Eine verdächtig wahre Geschichte


ausgezeichnet

Lektorin LePage könnte eigentlich stolz auf sich und ihre Manuskriptabteilung sein: ihre neueste Entdeckung, der Autor des Romans „Die Zuckerblumen“ steht kurz davor, den renommierten Prix Goncourt zu gewinnen. Blöd nur, wenn man den Autor nicht kennt. Oder die Autorin. Die fieberhafte Suche nach dem Schöpfer des Meisterwerks wird umso dringlicher als Parallelen zwischen einer Mordserie und der Romanhandlung auftauchen.

Antoine Laurain hat einen mitreißenden Roman geschrieben, der irgendwie anders ist. Eine kleine, aber feine Geschichte, die mich von den ersten Seiten an gefesselt hat, auch wenn sie nicht „klassisch“ spannend ist. Violaine leitet ihre Abteilung mit großem Geschick und auch wenn ihre Arbeit nicht den Großteil der Handlung ausmacht, so bekommt man doch einen kleinen Einblick in die Verlagswelt. Ihre Art mochte ich sehr gerne, eine kluge Frau, die ihre Geheimnisse zu wahren weiß, aber trotzdem nicht verschlossen wirkt. Sie hat eine besondere Art mit ihren Mitmenschen umzugehen, gerade die freundschaftliche Beziehung zu ihrem Chef gibt dem Buch viel. Das Rätsel rund um Buch/Mord wird vorsichtig gelöst und bringt dabei die eine oder andere Überraschung zu Tage. „Eine verdächtig wahre Geschichte“ ist leider relativ kurz, aber in sich sehr rund. Trotzdem hätte ich gerne noch ein bisschen mehr gelesen, denn auch stilistisch hat der Autor mich mit seinem leichten poetischen Stil abgeholt. Ein wirklich schöner Roman.

Bewertung vom 13.02.2022
Minna. Kopf hoch, Schultern zurück / Mütter-Trilogie Bd.1
Fuchs, Felicitas

Minna. Kopf hoch, Schultern zurück / Mütter-Trilogie Bd.1


gut

1924 ist die junge Minna gerade in Düsseldorf angekommen, da schlägt schon die Liebe zu. Obwohl ihre Mutter sie immer vor den braunäugigen kleinen Männern gewarnt hat, scheint Fred Molitor schnell ihr Herz zu erobern. Dabei sollte die junge Frau sich ab und an doch besser auch mal um Familie und Freunde kümmern, denn dort wird ihre frische und durchsetzungsfreudige Art dringend gebraucht.
Minna ist der erste Teil einer dreiteiligen Familiensaga, die lose an die Familiengeschichte der Autorin erinnert. Der leicht lesbare Roman besticht durch seinen angenehmen Schreibstil, der lebendige Bilder für den Leser bereithält. Sowohl die Goldenen Zwanziger mit ihrem wilden Nachtleben als auch die harten Kriegsjahre werden plastisch dargestellt, auch wenn das ein oder andere heiklere Thema nicht gar so ausgebreitet wird. Mir war die Handlung oft zu oberflächlich, ebenso wie die Figur Minna selbst. Immer wieder wird thematisiert, dass sie sich weder für Politik noch für sonstiges Tagesgeschehen interessiert. Das merkt man ihrem oft blauäugigem Handeln an, mich nervte auch ihre sonstige Art irgendwann einfach nur noch. Natürlich hat sie sich durchgekämpft und ist in bester Steh-auf-Männchen-Manier durchs Leben gegangen, trotzdem hätte das nicht so überbetont werden müssen. Ihre Familienmitglieder werden etwas ungleich in den Fokus gerückt, beispielsweise über ihre Schwester Adele hätte ich doch sehr gerne mehr erfahren. Überhaupt lag der Schwerpunkt der Handlung oft leider auf den Dingen, die mich nicht so richtig interessiert haben, während andere nur kurz angerissen wurden. Natürlich muss in einer Trilogie das ein oder andere noch für die nächsten Bände geheim bleiben, trotzdem fand ich das Ende mehr als unbefriedigend. Mir ist klar, dass das Buch nicht unbedingt zu meinem üblichen Beuteschema gehört, trotzdem denke ich, dass ich mit anderen Romanen aus diesem Genre besser zurechtgekommen bin. Minna ist sicherlich kein schlechter Familienroman, aber wir zwei passten wohl nicht so recht zusammen, sodass ich die weiteren Teile nicht lesen werde.

Bewertung vom 26.12.2021
606
Fox, Candice

606


sehr gut

Ein entlaufener Häftling wäre schon ein Drama, doch was wenn das Gefängnis plötzlich wie leergefegt ist? Schließerin Celine erlebt diesen Albtraum eines Massenausbruchs hautnah, und ist besonders schockiert, dass auch die Insassen aus den Zellen im Todesblock entkommen sind. Die Verbrecher, die sie seit Jahren bewacht, sei es der irre Neonazi oder der Mann, der gleich seine ganze Familie abgeschlachtet hat. Natürlich gibt sie alles, um den Entlaufenen auf die Spur zu kommen.

606 ist eine eigenständige Geschichte, die man ohne Vorkenntnisse lesen kann. Gerade zu Beginn empfand ich die Geschichte als sehr 08/15, doch eher einfallslos im Vergleich zu anderen Büchern der Autorin. Dieser Eindruck verflog zum Glück irgendwann, trotzdem ist es für mich sicherlich nicht das beste Buch von Candice Fox. Ihren Schreibstil fand ich dagegen wieder sehr toll, ich mag die harschen Dialoge genauso wie die z.T. sehr feinfühligen Beschreibungen des Innenlebens ihrer Protagonisten. Celine war mir sympathisch, viel mehr aber auch nicht. Ich mag ihr entschlossenes Handeln, aber ansonsten hatte ich nicht das Gefühl sie wirklich gut kennenzulernen. Häftling Kradle dagegen ist der heimliche Star der Geschichte, den man nach und nach kennen und auch schätzen lernt. Seine Parts haben mich immer mehr fesseln können als die übrigen Szenen. Hier wäre weniger mehr gewesen, denn die Handlung verzettelt sich dann doch an zu vielen Schauplätzen, was der Spannung und dem Fortgang der Gesamthandlung nicht gut tut. Insgesamt hat man am Ende einen spannenden Thriller gelesen, der aber gerade gemessen an anderen Büchern der Autorin nach oben noch einiges an Luft hat.

Bewertung vom 26.12.2021
Im Bann der Bilder / Der Traumpalast Bd.1
Prange, Peter

Im Bann der Bilder / Der Traumpalast Bd.1


sehr gut

Tino hätte als Bankierssohn eigentlich ausgesorgt haben können, doch ihm hat es das Kino angetan. Er will Filme machen, Hollywood nach Deutschland bringen, und so steckt er all sein Herzblut in die Ufa. An seiner Seite Erich Pommer, der seine großen Visionen auf die Leinwand werfen will. Auch Rahel hat Visionen, sie möchte als Journalistin groß rauskommen. Doch im Leben kommt es doch immer anders als man plant und so warten sehr turbulente Zeiten auf die drei.
Peter Prange lässt den Leser im ersten von zwei Bänden die Anfänge des deutschen Kinos miterleben. Es macht großen Spaß zu lesen wie hier Filme produziert werden, die sich zum Kult entwickelten, bekannte Schauspieler in ihren Anfängen zu sehen oder auch Premieren mit all ihren Pleiten und Pannen mitzuerleben. Auch Pommer bei der Arbeit zu beobachten war wirklich interessant. Das Lebensgefühl der 20er Jahre wird sehr greifbar und authentisch dargestellt. Viele genießen eine neue Freiheit, gleichzeitig wird aber auch die Bedrohung durch Inflation und die Unzufriedenheit über die Niederlage im ersten Weltkrieg spürbar. Die Mischung glaubhaft darzustellen, ohne allzu sehr nach Geschichtslehrbuch zu klingen, das alle wichtigen historischen Ereignisse abhakt, war sicherlich nicht ganz leicht, aber dem Autor ist es hervorragend gelungen. Auch die Figuren sind bis ins kleinste Detail durchdacht, sodass selbst kleine Nebenrollen doch auch ihren Charme haben. Tino gefiel mir von den beiden Hauptfiguren deutlich besser. Er ist sicherlich nicht ohne Fehler und Schwächen (ganz im Gegenteil), aber er arbeitet trotz allem an sich und macht im Roman eine Reifung durch. Rahel ist nicht unsympathisch, aber trotzdem ging sie mir mit ihrer Naivität, ihrem Dickkopf und ihrer Art über Leichen zu gehen bald auf den Keks. Sie steht sich mit ihrer Sturheit oft selbst im Weg, und es fällt mir schwer diese Eigenschaft bei einer Erwachsenen durchgehen zu lassen. Natürlich sind die beiden in Kombination spannend zu beobachten, trotzdem zögert Rahel das Geschehen oft heraus, was das Fortkommen der Handlung behindert. Insgesamt habe ich mich aber doch sehr gerne in die Roaring Twenties entführen lassen, der Roman lässt zwar einige Fragen für den zweiten Band offen, findet aber trotzdem ein für den Leser gelungenes vorläufiges Ende.

Bewertung vom 01.12.2021
Gold und Ehre
Weiß, Sabine

Gold und Ehre


sehr gut

Seinen Vater hat Benjamin schwer enttäuscht und so darf er zwar weiter in dessen Namen als Architekt tätig sein, wird dafür aber von Amsterdam nach Hamburg geschickt. Auch sein Cousin Theo muss sein Glück in der Ferne suchen, denn dessen Vater sähe ihn gerne in die eigenen Seebärenfußstapfen treten. Ihr Verwandter Samuel setzt sich stattdessen selbst unter Druck: er möchte in allerhöchste politische Kreise aufsteigen.
Gold und Ehre ist bereits das zweite Buch, welches sich um die Architektenfamilie Aard aus Amsterdam dreht. Es ist nicht zwingend notwendig den Vorgänger zu kennen, auch wenn man so natürlich das ein oder andere Wiedersehen mit bekannten Figuren feiern kann. Die Handlung selbst ist aber unabhängig und auch für Neuleser absolut nachvollziehbar. Über niederländische Geschichte weiß ich recht wenig, über diese Epoche sowieso. Obwohl sehr viel verständlich erklärt wird, fiel es mir doch gerade zu Beginn schwer da den Überblick zu behalten. Das liegt aber nicht am Geschick der Autorin sondern an der Materie ; ) Schlauer bin ich nach der Lektüre allemal, denn historischen Fakten werden sehr gut aufbereitet und wie nebenbei in die fiktiven Handlung eingeflochten. Ich muss sagen, dass ich nach dem Klappentext etwas mehr Michelbau erwartet habe; der spielt natürlich eine Rolle, aber keine ganz soooo tragende. Doch auch die anderen Schauplätze machen viel Spaß und sind spannend, gerade Theos Part hat mir unerwartet gut gefallen. Die Figuren sind liebevoll ausgearbeitet, auch wenn ich z.B. Lucia überraschend anstrengend fand. Ihr Dickkopf und ihre fehlende Weitsicht konnte ich irgendwann nicht mehr nachvollziehen. Die Handlung wechselt gerade im letzten Drittel sehr kurzfristig zwischen Benjamin, Theo und Samuel; z.T. bleibt nur eine knappe Seite bevor der nächste Wechsel eintrat. Mir war das irgendwann zu abgehackt, zu kurz der Fokus auf der neuen Szene, der Lesefluss unterbrochen, weil man sich ständig neu sortieren musste. Zuvor hat mich der Erzählstil wirklich begeistert, nicht zuletzt deswegen, weil Stimmung und Bilder so gut transportiert wurden. Insgesamt mochte ich Gold und Ehre wirklich gerne, auch wenn für mich der Roman nun eben mit einem kleinen Dämpfer geendet hat. Ich empfehle ihn trotzdem gerne weiter, da ich meist wunderbar unterhalten wurde und dabei noch einiges gelernt habe. Ganz wie es bei einem guten historischen Roman sein sollte ; )

Bewertung vom 01.11.2021
Die Kampagne / Maggie Costello Bd.3
Bourne, Sam

Die Kampagne / Maggie Costello Bd.3


sehr gut

Maggie Costello hat gerade ein verlockendes Jobangebot vom (vielleicht) zukünftigen US-Präsidenten erhalten, da wird sie an anderer Stelle dringender gebraucht. Anwältin Natasha Winthrop tötet in Notwehr einen Eindringling, der sie in ihrem eigenen Haus überfallen und vergewaltigt hat. Doch schnell kommen Zweifel auf, hat sie ihn etwas absichtlich ermordet? Da Winthrop ebenfalls als Geheimtipp auf das höchste Amt gehandelt wird, muss Maggie schnell Licht ins Dunkle bringen.

Sam Bournes neuer Thriller hat es wirklich in sich, und das liegt nicht nur an seiner fiktiven Handlung, sondern am Umgang mit der Problematik an sich. Aufgeführte Statistiken und Fakten sorgen für Betroffenheit (milde ausgedrückt) oder auch eine Stinkwut (ehrlich ausgedrückt). Wenn von 100 angezeigten sexuellen Übergriffen (man denke sich die Dunkelziffer hinzu), wirklich nur 1 zu einer Verurteilung führt, ja dann folgert der Autor ganz richtig, wenn er eine Art geduldete Legalisierung anprangert. Immer wieder untermauert er das an Beispielen, und dem Leser geht dabei mindestens genauso die Hutschnur hoch wie dem Autor. Doch auch die Handlung an sich verspricht jede Menge Spannung und Unerwartetes, Spekulieren lässt sich reichlich. Natasha ist eine tolle Figur, sie birgt viele Geheimnisse und lässt sich von niemandem in die Karten schauen. Nicht einmal Maggie, die von ihr engagiert wurde und nun wahrlich nicht auf den Kopf gefallen ist, kann ihr 100%ig vertrauen. Dadurch wird enorme Spannung aufgebaut, weiß man doch nie, wann die nächste Informationsbombe platzt, Schwarz zu Weiß wird (oder umgekehrt). Natasha ist einfach unmöglich zu durchschauen. Bourne hält so die Spannung ständig auf einem hohen Niveau, seinen Erzählstil mochte ich sowieso schon in den vorherigen Bänden, und so fällt es sehr schwer das Buch aus den Händen zu legen. Die ein oder andere Kleinigkeit erschien mir nicht ganz so logisch, auch hätte ich die Zuhilfenahme des Standard USA-Feindes nicht gebraucht, doch insgesamt ist „Die Kampagne“ ein wirklich runder, mitreißender und thematisch wichtiger Thriller.

Bewertung vom 13.10.2021
Wie schön wir waren
Mbue, Imbolo

Wie schön wir waren


sehr gut

Kosawa ist ein kleines afrikanisches Dorf, das das zweifelhafte Glück hatte, über einem großen Ölvorkommen errichtet zu sein. Der amerikanische Konzern Pexton fördert das sehr gerne, um Schutz von Land und Leuten kümmert man sich dagegen nicht so begeistert. Das Land stirbt, und mit ihm bald auch seine Bewohner; doch welche Aussichten auf Erfolg haben die Dorfbewohner für ihre Gegenwehr?

Wie ist es wohl, wenn das eigene Leben so völlig auf den Kopf gestellt wird, man selbst kaum noch darüber bestimmen kann? In Imbolo Mbues Roman kann man das anhand gleich eines ganzen Dorfes erfahren. Von dem internationalen Konzern quasi überrannt, immer wieder angelogen und besänftigt, dauert es erschreckend lange, bis sich überhaupt auch nur ein Fünkchen Widerstand hegt. Das zu lesen ist hart und sehr bedrückend. Die Stimmung des Romans dementsprechend eher düster, auch wenn es kleine Hoffnungsschimmer gibt, und gerade die Schilderungen des „normalen“ Dorflebens die Handlung sehr bereichert haben. Die Geschichte wird aus ganz unterschiedlichen Perspektiven berichtet, verschiedenste Dorfbewohner kommen zu Wort; von den jungen Heranwachsenden bis zur Oma hat jeder eine Stimme. Manches hätte ich mir etwas emotionaler gewünscht, vielleicht hat mir auch der Stil der Autorin nicht 100%ig gelegen, aber komplett mitgerissen war ich bis zum Schluss nicht. Trotzdem mochte ich diesen Roman wirklich gerne, denn er vereint Einblicke in Traditionen und Gepflogenheiten mit Kritik an Ausbeutung und Skrupellosigkeit scheinbar mühelos. Kein leichtes Thema, aber wirklich ansprechend umgesetzt.

Bewertung vom 13.10.2021
Ritchie Girl
Pflüger, Andreas

Ritchie Girl


sehr gut

Halbamerikanerin Paula Bloom floh einst aus Nazideutschland in die USA, und wurde dort in der Army im Camp Ritchie ausgebildet. Jetzt kehrt sie in das kapitulierte Deutschland zurück, soll bei der Befragung eines vermeintlichen Spions helfen. Die Identität von „Sieben“ ist unklar, hat man den großen Spion festgesetzt oder doch nur einen Hochstapler? Während in Nürnberg der große Kriegsverbrecherprozess vorbereitet wird, versucht Paula Siebens, aber auch ihre ganz persönliche Vergangenheit aufzuarbeiten.
Pflügers Roman ist kein netter, seichter Roman über die Nachkriegszeit, sondern oft auch mal schwere Kost. Die Frage, wer sich etwas zuschulden hat kommen lassen, sei es als hochrangiger Funktionär in SS oder SA, oder als ganz normaler Bürger, der über das Verschwinden der Nachbarn hinweggesehen hat, tja diese Frage treibt Bloom und damit den Leser um. Paula ist eine wahnsinnig interessante Figur. Sie ist von Schuld und Hass zerfressen, ihr innerer moralischer Kompass durcheinander. Immer wieder hinterfragt sie sich selbst, ihr Handeln jetzt und vor Jahren, das ihrer Mitmenschen. Allzu schnell ist sie manchmal mit ihrem Urteil, geradezu selbstgerecht; das macht sie zutiefst menschlich, unvorstellbar wie man selbst in der entsprechenden Situation reagiert hätte. Ich fand auch das Zusammenspiel mit ihrem Freund Sam sehr gelungen, der sie immer wieder zu norden versucht. In Paulas Umfeld finden sich neben fiktiven Figuren immer wieder bekannte Persönlichkeiten: von Marlene Dietrich über Stan Lee bis hin zu Willy Brandt. Wie man auch dem Nachwort entnehmen kann, sind einige dieser Berühmtheiten wirklich im entsprechenden Umfeld zugange gewesen, bei anderen hatte ich mehr und mehr das Gefühl das der bekannte Name nur gefallen ist, damit er halt mal gefallen war. Kuriose Zufälle gibt es immer, aber hier wirkte es auf mich übertrieben gehäuft, weil jeder, aber auch wirklich jeder aufgeführt wurde. Der Handlung selbst lässt sich nicht immer ganz leicht folgen, auch aufgrund der vielen Beteiligten. Dranbleiben lohnt sich aber auf jeden Fall, denn der Leser bekommt einen vielschichtigen, hervorragend recherchierten Roman, der sich mit den Themen Schuld und Reue auf seine ganz spezielle Art und Weise auseinander setzt. Wer zeitgeschichtlich interessiert ist, sollte hier definitiv zugreifen.

Bewertung vom 29.09.2021
Die Rückkehr der Zwerge 1 / Die Zwerge Bd.6
Heitz, Markus

Die Rückkehr der Zwerge 1 / Die Zwerge Bd.6


gut

Der alte Glanz der Zwergenhochkultur hat sich in den letzten hundert Zyklen etwas abgenutzt. Aber die Erinnerungen daran sich noch lebendig, ob man jetzt angeschwemmte Funde früherer Zeiten aus dem Fluss fischt, oder wie Edelsteinschnitzer Goimron in alten Aufzeichnungen wühlt. Eines Tages gelangt ihm eine ganz besondere Schrift in die Hände: Tungdil Goldhands Tagebuch. Ein unvergleichlicher Fund, der Goimrons Leben schnell völlig auf den Kopf stellt.
Was habe ich sie vermisst! Die Gemmenschnitzer, Axtschwinger, die Dritten, die Vierten, ja sogar die Schweineschnauzen… Letztere nur ein bisschen. Aber die Zwerge und ich scheinen uns auseinandergelebt zu haben. Zwar brachten sie mich ab und an zum Schmunzeln (wo ich früher eher hellauf gelacht habe), doch ihre Abenteuer haben mich diesmal ziemlich kalt gelassen. Dabei ist ihr Held Goimron zunächst erst mal erfrischend unheldenhaft, in seinem Job als Gemmenschnitzer eher untalentiert, dafür umso interessierter an allem, was an den alten Glanz von Vraccas‘ Volk erinnert. Seine Weggefährten sind recht unterschiedlich gestaltet, nicht alle Figuren (egal ob Freund oder Feind) lernt man aber so gut kennen wie man vielleicht wollte. Der Erzählstil ist dafür wie gewohnt sehr bunt und fantasievoll, schon nach kurzer Zeit ist man im Geborgenen Land angekommen. Das hat mich auch über weite Strecken bei der Stange gehalten, denn die Handlung ist dann leider doch manchmal eher zäh, gerade die Hauptschauplätze fand ich nicht ganz so interessant. Auch Ende/Cliffhanger waren eher unbefriedigend, da die Lösung mir ein wenig aus dem Zwergenhelm gezaubert schien. Der nächste Teil erscheint schon in wenigen Monaten, ich bin gerade aber ehrlich unentschlossen, ob ich dem (gar nicht so) kleinen Volk noch mal eine Chance geben will, da der Funke aus der Esse diesmal nicht überspringen wollte. Vielleicht hatte ich zu hohe Erwartungen, aber für mich kann dieser Teil nicht an die vorherigen Teile der Zwergenreihe anknüpfen, auch wenn viele altbekannte Elemente wieder vorgekommen sind.