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Igelmanu
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Mülheim

Bewertungen

Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 10.12.2014
Heldt, Dora

Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen!


sehr gut

Papa Heinz und sein Schwager Walter leben als Rentner auf Sylt. Eines Tages erhält Walter eine Einladung zu einer tollen exklusiven Reise an die Schlei, nur für einen "ausgewählten Kreis gutsituierter Senioren". Walter und Heinz sind begeistert - das ist doch für sie genau das richtige! Beide brechen in Hochstimmung auf und müssen aber bald feststellen, dass wohl doch nicht alles so toll und exklusiv ist, wie sie erwartet hatten.

Wer Papa Heinz schon von den vorherigen Büchern kennt, weiß natürlich, worauf er sich freuen kann. Zuverlässig überbieten sich Heinz und Walter gegenseitig in ihren Schrulligkeiten. Der ehemalige Finanzbeamte Walter hat stets den gezückten Bleistift im Anschlag und Heinz wittert wieder überall ein Verbrechen und kittet in der übrigen Zeit Beziehungen. Und natürlich muss die leidgeprüfte Tochter Christine letztlich wieder anrücken, um Walter und Heinz zu "retten". Doch bis dahin haben es die beiden den Veranstaltern der Verkaufsfahrt schon ordentlich schwer gemacht.

Das Buch bot mir zwar keine sonderlichen Überraschungen, aber ein paar unterhaltsame Lesestunden an einem trüben Sonntagnachmittag.

Bewertung vom 10.12.2014
Santos, Care

Die Geister schweigen


sehr gut

Die junge Kunsthistorikerin Violeta Lax hat sich auf das Werk ihres berühmten Großvaters Amadeo Lax spezialisiert. Als der alte Familienbesitz in Barcelona in ein Amadeo-Lax-Museum umgewandelt werden soll, ist sie bei den Restaurierungsarbeiten in dem ehemaligen Palast zugegen und macht dabei eine furchtbare Entdeckung. Scheinbar ist vor langer Zeit in diesem Palast ein Verbrechen verübt worden - aber von wem und warum?
Violeta befasst sich mit der Geschichte des Hauses und ihrer Familie und stellt fest, dass sie - die Spezialistin - ihren Großvater doch nicht so kannte, wie sie dachte. Und bei den vielen Erkenntnissen über ihre Familie lernt sie auch so einiges über sich selbst.

Das Buch ist eine tolle Familiensaga, die sich vom Jahre 1889 bis in die Neuzeit erstreckt. Dabei stoßen wir auf einige sehr interessante Charaktere. Da ist zum einen der Maler Amadeo, der eben nicht nur ein bewunderswerter Künstler war. Dann gibt es seine Mutter, die einer spiritistischen Vereinigung angehört und einen Bruder, der überraschend Priester wird. Was hat es zudem mit der berühmten Sängerin Olympia auf sich und mit dem Brand des Warenhauses El Siglo? Und wie passen die Briefe, die Violeta von einer unbekannten Frau aus Italien erhält ins Bild? Überhaupt geht es immer wieder um die Frauen der Familie. Darum, was sie geleistet haben und um ihre Schicksale.

Zu den Nachforschungsarbeiten, die Violeta vornimmt, werden im Buch auch Auszüge aus Polizei- und Zeitungsberichten gebracht. Dazu gibt es immer wieder Beschreibungen der Bilder von Amadeo Lax. Das hat mir sehr gut gefallen. Und natürlich die ganze Atmosphäre Barcelonas, die wunderbar geschildert wird. Für mich ein tolles Buch!

Bewertung vom 10.12.2014
Bluhm, Annette

Die hässlichste Tanne der Welt


sehr gut

„Und der…“ Sie zeigt mit spitzen Fingern auf das arme Bäumchen. „Ist erstens viel zu klein, denn ein richtiger Christbaum reicht bis zur Decke. Und zweitens lasse ich keine Nordmanntannen in mein Wohnzimmer! So einen Allerweltsbaum, den jeder hat.“ Sie redet sich in Rage. „Mit etwas gutem Willen lasse ich die Krücke als Edelfichte durchgehen. Der Verkäufer hatte keinen blassen Schimmer von Weihnachtsbäumen. Coloradotannen sind etwas ganz Besonderes. Sie wachsen pyramidenförmig, haben lange silberne Nadeln und duften nach Zitrone. Im Übrigen hast du mir immer noch nicht verraten, welches Schlitzohr dir dieses … dieses Dingsda aufgeschwatzt hat.“
„Unten, auf der Theresienwiese“, antwortet Bernd grummelnd, während er uns zurück ins Zimmer schiebt und die Balkontür wieder schließt. „Aber ich kapiere nicht, was du für einen Bohei machst. Die Dinger sehen doch alle gleich aus. Wir hängen einfach eine Überdosis Kugeln und den andern Schmuck dran, und gut is.“
Katja ignoriert seine Argumente. „Nicht wo, sondern wer ihn dir verkauft hat, würde ich gern wissen. War es vielleicht ein arabischer Wüstenprinz, der unsere Bräuche nicht kennt und natürlich auch keine Ahnung hat, wie eine Coloradotanne aussieht? Dann rede ich mit ihm, vielleicht tauscht er den Baum um.“

In diesem Jahr will sich bei Ursel irgendwie keine Weihnachtsstimmung einstellen. Tagsüber schuftet sie als „Packengel“ in einem Kaufhaus, um ihre Rente ein wenig aufzubessern und die Enkel zum Fest beschenken zu können. Und in ihrer Freizeit passt sie auf besagte Enkel auf oder besucht ihren viel zu früh verstorbenen Herrmann auf dem Friedhof. Bei einem dieser Besuche trifft sie einen alten Bekannten wieder. Friedrich, mit dem sie schon früher gut befreundet war, ist mittlerweile ebenfalls Witwer. Die beiden erkennen sich als Schicksalsgenossen und kommen sich beim Glühwein schnell näher. Wie schön wäre es, diesem Weihnachtstrubel zu entfliehen – zum Beispiel gemeinsam nach Paris! Doch ihre Kinder haben ganz andere Pläne zum Fest. Vor allem Ursels Tochter Katja stellt jedes Jahr ein Familienweihnachtsfest auf die Beine, das vor Traditionen nur so strotzt. Und daran wird nicht gerüttelt, das fängt schon bei der Wahl des richtigen Weihnachtsbaums an…

Dies ist eine Weihnachtsgeschichte nach altbekannten Grundmustern. Sie kombiniert den auswelchengründenauchimmer Weihnachtsmuffel mit dem Weihnachtsjunkie und lässt beide Parteien fröhlich aufeinander prallen. Zündstoff gibt es aber so gut wie keinen, denn sowohl Ursel als auch Friedrich sind zwei ausgesprochen sympathische und harmoniebedürftige Menschen, die bereit sind, sich um des lieben Friedens willen und der Familie zuliebe in ihr Schicksal zu fügen. Gut gefiel mir, dass die durchgängige Stimmung in der Geschichte trotzdem sehr fröhlich ist und die große weihnachtliche Sentimentalität geschickt umschifft wird – wie folgendes Zitat zeigt:
„Meine heimliche Angst könnte aber auch die Summe an Erfahrungen sein. Hermanns vorzeitiger Tod, beispielsweise. Er hatte sich so sehr auf einen gemütlichen Lebensabend gefreut. Auch über die Hausmeisterstelle, die unsere Haushaltskasse aufgebessert hat und uns so manchen Luxus ermöglicht hätte. Aber dann … Bei diesen trüben Gedanken erinnere ich mich, dass ich ihm ein neues Grablicht vorbeibringen wollte. Dummerweise muss ich es erst noch im Drogeriemarkt besorgen. Aber das schaffe ich auch noch irgendwie, und Herrmann läuft mir ja nicht weg.“

So kann sich der Leser also entspannt zurücklehnen, sich über Katjas unglaublichen und auf die Spitze getriebenen Weihnachtsstress amüsieren und darauf warten, dass am Ende alles gut und rundum weihnachtlich ist. (Anmerkung: Bei einem solchen Buch betrachte ich den Hinweis auf ein gutes Ende nicht als Spoiler ;-)

Fazit: Nette Weihnachtsgeschichte, flott zu lesen und ideal zu Punsch (alternativ Tee) und Plätzchen.

Bewertung vom 09.12.2014
Meter, Peer

Vasmers Bruder


sehr gut

Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn,
dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird.
Und wenn du lange in einen Abgrund blickst,
blickt der Abgrund auch in dich hinein.
(Friedrich Nietzsche)

In der polnischen Stadt Ziebice sitzt ein Mann namens Martin Vasmer in einem Polizeirevier. Er gibt an, seinen Bruder zu suchen, der für eine Recherche über den Serienmörder Karl Denke nach Ziebice gereist war, aber seit einigen Tagen verschwunden ist. Im Gespräch mit dem Polizeibeamten erzählt Vasmer, was er schon alles unternommen hat, um seinen Bruder zu finden. Und was er dabei gleichzeitig über Karl Denke erfuhr…

Ein paar Infos über Karl Denke zu Beginn: Er lebte zwischen 1860 und 1924 im kleinen schlesischen Städtchen Münsterberg (heute Ziebice). Er ermordete wenigstens dreißig Menschen und es wird vermutet, dass er sie auch verspeiste. In seiner Wohnung fanden sich große Mengen von Leichenteilen, teilweise gekocht, sowie Hosenträger, Riemen und Schnürsenkel, die aus Menschenhaut gefertigt waren. Die näheren Umstände der Taten konnten nie umfassend aufgeklärt werden, da Denke noch am Tag seiner Verhaftung Selbstmord beging.

Die Handlung dieses Buches spielt in der Gegenwart und erscheint zunächst unspektakulär. Gut, ein Mann ist verschwunden, der über Karl Denke recherchierte. Aber dieser ist ja nun lange tot und ein polnisches Städtchen für gewöhnlich kein lebensgefährliches Pflaster. Und doch merkt der Leser gleich, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist, dass irgendetwas vor sich geht…

Es liegt an den Bildern in dieser Graphic Novel, dass dieser Eindruck entsteht. Die durchgängig schwarzweiß gehaltenen Zeichnungen wirken häufig unscharf, verschwommen, voller Lichtreflektionen. Das Gesicht des Polizeibeamten ist kaum zu erkennen, erscheint manchmal nur als heller Fleck. Dazu die Sprache… Auf den ersten Seiten dringt nur polnisch an Vasmers Ohr. Er versteht kein Wort davon. Ich übrigens auch nicht, aber mir wird klar, dass ich als Leser nachvollziehen soll, wie Vasmer sich fühlt, was er empfindet. Er fühlt sich hilflos, kann sich nicht verständigen. Die unscharfen Bilder stellen seine Verwirrung dar, seine Desorientierung. Sie wirken wie in einer Traumwelt – oder aus Vasmers Sicht besser einer Alptraumwelt.

Je weiter die Erzählung kommt, desto klarer wird, dass der Grund für Vasmers Desorientierung in dem liegen muss, was er erlebt hat. Der Leser begleitet ihn bei seinen Erinnerungen, ist ganz nah an seinen Empfindungen und blickt gemeinsam mit ihm in einen Abgrund…
Was geschieht mit einem Menschen, der sich intensiv mit einem Mörder wie Denke befasst? Was kann das in ihm auslösen?
Das obige Nietzsche-Zitat steht übrigens einleitend im Buch und ich habe es in diese Rezi mit aufgenommen, da es wirklich sehr passend ist!

Diese Graphic Novel erfordert ein bisschen Zeit, man liest sie nicht so schnell wie andere. Diese Zeit sollte man sich nehmen, um sich ganz auf die Zeichnungen einzulassen. Das ist nicht immer einfach, manche Bilder musste ich eine Weile studieren, um zu erkennen, was auf ihnen geschieht. Genauso wie Vasmer, der versucht zu erkennen, was um ihn herum und mit ihm selbst vorgeht! Ich ziehe hier einen Punkt ab, denn obwohl ich mir sicher bin, was Unschärfe und Dunkelheit aussagen sollen, hätte vielleicht ein bisschen mehr Deutlichkeit an der ein oder anderen Stelle nicht geschadet.

Ansonsten war ich von diesem Psychotrip sehr fasziniert! Im Anhang hat Peer Meter – wie er es eigentlich immer tut – einen historischen Überblick über Karl Denke geschrieben. Dort finden sich auf mehreren Seiten die wichtigsten Daten sowie einige Fotos. Diese Infos sollte man sich auch nicht entgehen lassen – ich komme, vor allem wenn es um die „Blindheit“ der Nachbarn geht, aus dem Kopfschütteln nicht heraus.

Fazit: Faszinierender Psychotrip in die Abgründe der menschlichen Seele mit anspruchsvollen Zeichnungen.

Bewertung vom 05.12.2014
Geschke, Linus

Die Lichtung / Jan Römer Bd.1


sehr gut

Der Journalist Jan Römer soll für ein Kölner Magazin einen Bericht über einen unaufgeklärten Mordfall schreiben. Im Jahr 1986 wurden auf einer Lichtung im Bergischen Land zwei Teenager ermordet aufgefunden. Das Mädchen wurde vergewaltigt und danach erstochen, der Junge erschlagen. Jan Römer braucht nur das Jahr und den Ort zu lesen um zu wissen, dass er sich genau mit dem Fall beschäftigen soll, den er seit 28 Jahren verdrängt. Denn er war damals dabei, war Mitglied der Clique, die sich zu einem schönen Sommerwochenende zusammengefunden hatte. Einem Wochenende, das traumhaft begann und in einem Alptraum endete.
Jan erkennt, dass er sich endlich mit dem Thema auseinandersetzen muss und nimmt den Auftrag an. Seine Reise in die Vergangenheit wird so einiges auslösen…

Dieses Buch fesselte mich von der ersten Seite an. Vermutlich lag das zu einem nicht unerheblichen Teil daran, dass ich mich so gut in die Hauptcharaktere hineinversetzen konnte. Eine Jugend in den 80er Jahren, ein Sommerwochenende mit der Clique… Die Jungs fuhren alle Moped, im Radio lief die Neue Deutsche Welle und von Aids hatte noch niemand was gehört. Speziell die Kapitel, die in der Vergangenheit spielten, waren so geschrieben, dass bei mir ständig eigene Erinnerungen wach wurden.

Die Kapitel wechseln zwischen 1986 und 2014. Jan sucht im Rahmen seiner Ermittlungen die alten Freunde auf, liest Akten und besucht Gräber. Und stößt schon bald auf einen Punkt, der alles, was er bislang glaubte, ins Wanken bringt. Wie mag das sein, an alte Freunde zurückzudenken und sich dann einzugestehen, dass einer von ihnen vermutlich ein Mörder ist? Jan tut sich nicht leicht damit, schwankt zwischen schönen Erinnerungen und solchen, die einen rückblickend nachdenklich machen. Und auch in der Gegenwart ist einiges los: Kaum hat Jan mit den Nachforschungen begonnen, wird er bedroht. Als es in seinem Umkreis einen Mord gibt, kann er sicher sein, dass er die Drohung ernst nehmen muss.
An diesem Punkt erschien mir Jan allerdings ein bisschen unglaubwürdig. Gut, er ist ein Kerl, der das Maul aufreißt und sich zu wehren weiß. Aber auch einem solchen Kerl sollte es heftiger zu schaffen machen, wenn Frau und Kind bedroht werden. Für meinen Geschmack reagierte er da ein wenig zu „cool“.

Ansonsten ist das Buch spannend und so geschrieben, dass man gerne dranbleibt. Einen Verdacht, wer der Täter sein könnte, hatte ich schon relativ früh. Das machte aber nichts, denn aus Jans Sicht heraus – die ja keine so außenstehende ist, wie man sie als Leser hat – war das sicher nicht so leicht erkennbar. Einzig der Schluss wurde für meinen Geschmack ein bisschen zu schnell abgewickelt, da hätte ich mir ein paar Seiten mehr gewünscht.

Eine Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit führt zwangsläufig zu Fragen wie: „Wie war ich so, was wollte ich, wovon träumte ich?“ aus denen regelmäßig Fragen wie: „Und was ist jetzt aus mir geworden, hätte ich etwas anders oder besser machen können?“ werden. In diesem Buch wird nicht nur die eigene Vergangenheit beleuchtet, sondern auch die der damaligen Freunde. Und das alles vor dem Hintergrund eines grausamen Verbrechens.

Fazit: Packende Konfrontation mit einer lange verdrängten Vergangenheit. Lesenswert für jeden, der mal 16 war ;-)

Bewertung vom 05.12.2014
Löhnig, Inge

Mörderkind


sehr gut

„Sagen Sie Fiona, dass ich sie immer geliebt habe. Es tut mir so leid. Ich bin kein Mörder. Sagen Sie ihr das? Sie müssen es mir versprechen.“

Am liebsten hätte Fiona dem Rettungssanitäter, der ihr die letzten Worte ihres Vaters übermittelt, überhaupt nicht die Tür geöffnet. Zu groß ist ihre Wut auf den Vater, den sie mal so geliebt hatte und der ihr Leben zerstört hat…
Was war geschehen? Bis Fiona 7 Jahre alt war, war sie ein glückliches Kind. Vor allem die Beziehung zu ihrem Vater war eine besonders innige. Von einem Tag auf den anderen änderte sich dann ihr komplettes Leben. Da wurde ihr Vater nämlich verhaftet und später wegen des Mordes an seiner schwangeren Freundin zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Und als wenn das noch nicht schlimm genug gewesen wäre, hatte ihre Mutter kurz darauf einen tödlichen Autounfall. Von da an lebte Fiona in einem Alptraum, denn sie musste nicht nur mit dem Verlust der Eltern klarkommen, sondern auch mit der Tatsache, dass sie als „Mörderkind“ ausgegrenzt wurde.
Über all die Jahre war Wut ihr vorherrschendes Gefühl. Und nun kommt dieser Sanitäter und erklärt ihr, dass ihr Vater unschuldig gewesen wäre!
„Ich arbeite seit zehn Jahren im Rettungswesen und habe einiges erlebt. Auch letzte Worte von Sterbenden. Niemand verschwendet seinen letzten Atem an eine Lüge. Auch Ihr Vater nicht. Sie sollten ihm glauben.“
Äußerst widerwillig beginnt Fiona mit Nachforschungen. Sie wird auf Ungeheuerliches stoßen…

Dies ist eine Rachestory. Und was für eine! Ich habe ja schon einige gelesen, aber die hier gefiel mir besonders! Die Handlung wechselt zwischen 1995 und 2014, so dass ich lesen konnte, was um den Mord herum geschah. Wobei die Tat selber lange unerwähnt bleibt, so dass ich schön miträtseln konnte, wer denn nun der Täter war. Und auch in 2014 wird noch so einiges passieren, denn ein Herumstochern in lang gehüteten Geheimnissen wird meist nicht gerne gesehen. Es wird also spannend! Der Schreibstil unterstützt die Spannung und lädt ein zum „Dranbleiben“.

Sehr viel dreht sich natürlich auch um den Charakter der Fiona. Sie wird mit all ihren Macken, Fehlern und Schwächen sehr gut herausgearbeitet, war mir auch an mancher Stelle nicht wirklich sympathisch. Deutlich wird aber, wie sie zu dem Menschen wurde, der sie ist. Der Leser hat Teil an ihren Gedanken und Erinnerungen. Das alles ist so intensiv geschrieben, dass ich das kleine verletzte Mädchen in ihr richtig vor mir sah. Als Erwachsene ist sie wütend, aggressiv, glaubt und vertraut nichts und niemandem und wäre eine Fundgrube für jeden Psychotherapeuten.

Einen Punkt ziehe ich ab, weil ich doch schon recht früh ahnte, wer denn nun der Täter ist. Trotzdem ist die Rachestory sehr lesenswert und es lässt mir förmlich die Haare zu Berge stehen, wenn ich mir vorstelle, von welchen Gedanken sich Menschen beherrschen lassen! Schön wird wieder herausgearbeitet, wie es dazu kommen konnte, dass ein Mensch sich so dem Rachegedanken hingibt. Und ebenfalls, wie es sich denn so mit einer verübten Rache lebt.

Fazit: Tolle Rachestory, faszinierende Charaktere. Einfach gut!

Bewertung vom 22.11.2014
Roger, Marie-Sabine

Das Leben ist ein listiger Kater


ausgezeichnet

„Vielleicht ist es die Aussicht auf das nahende Ende, die den Drang in mir weckt, den Weg noch einmal rückwärts zu beschreiten. Ich sage das nur so dahin, letztlich weiß ich es nicht, ich habe da keine Erfahrung. Ich werde zum ersten Mal alt.“

Als Jean-Pierre im Krankenhaus erwacht, kann er sich nicht erinnern, wie er überhaupt dorthin gekommen ist. Scheinbar hat sich der 67jährige schwer verletzt, als er in die Seine stürzte und nur einem jungen Mann ist zu verdanken, dass er dabei nicht ertrunken ist.
So richtig glücklich schätzt er sich aber nicht. Wie auch? Ans Bett gefesselt zu sein und ohne jede Privatsphäre ist schließlich kein Vergnügen. Mürrisch und mit viel Sarkasmus fügt der Eigenbrötler sich in sein Schicksal und beginnt vor lauter Langeweile, seine Memoiren zu schreiben. Viel erwartet der kinderlose Witwer nicht mehr vom Leben und die Menschen, die in seinem Krankenzimmer ein- und ausgehen sind - mit Ausnahme einer netten Krankenschwester - alle nervig. Aber so nach und nach wird er sie besser kennenlernen, die 14jährige Maeve, die ständig seinen Laptop leihen oder den jungen Polizisten, der unbedingt herausbekommen will, wieso Jean-Pierre ins Wasser stürzte…

Was habe ich dieses Buch wieder geliebt! Ich hatte große Erwartungen, nach „Das Labyrinth der Wörter“ und „Der Poet der kleinen Dinge“ – und die wurden nicht enttäuscht.
Jean-Pierre, so griesgrämig er auch erscheint, eroberte gleich mein Herz. Gemeinsam mit ihm blickt der Leser zurück auf sein Leben, erfährt Gutes und Schlechtes, teilt schöne und weniger schöne Erinnerungen. Den Stil, in dem er berichtet, finde ich wunderbar! Er ist zugleich leicht, humorvoll, sarkastisch, selbstkritisch und poetisch. Immer wieder las ich Sätze oder ganze Abschnitte mehrfach, einfach, weil ich sie so schön fand oder dabei loslachen musste. Ein paar Beispiele:
„Ich will ja nicht angeben, aber so mit sechs, sieben Jahren hatte ich in Sachen gesetzlich verbotene Straftaten schon einiges ausprobiert. Raubüberfall, Nötigung, Erpressung…“
„Nein: Ich hatte nicht versucht, mir das Leben zu nehmen. Ich bin nicht selbstmordgefährdet. Das erledigt sich mit der Zeit von selbst.“
„Denken ist eine ungesunde Beschäftigung, die ich in der Regel lieber vermeide.“
„Ich hätte es besser trotzdem getan, auch auf die Gefahr hin, Blödsinn zu reden. Eine Dummheit, die von Herzen kommt, ist leichter zu verzeihen als ein bequemes Schweigen.“

Aber das Buch befasst sich ja nicht nur mit Erinnerungen. Jean-Pierre lernt – gezwungenermaßen – eine Reihe von Menschen kennen und erfährt, dass jenseits von seinem Tellerrand auch noch andere Schicksale existieren. Und dass es wirklich nicht schaden kann, sich auch im Alter noch mal zu ändern.
„Ich kritisiere die Idioten, wo ich nur kann, aber selber könnte ich in ihrer Mannschaft als Mittelstürmer spielen.“

Im Grunde, fällt mir gerade auf, passt das Buch hervorragend zur nahenden Weihnachtszeit (obwohl es kein Weihnachtsbuch ist). Ein mürrischer alter Einzelgänger, der andere Menschen schätzen lernt und für sich eine neue Perspektive findet – das kommt einem doch bekannt vor? Die Entwicklung, die die Handlung nimmt, ist somit nicht überraschend, aber das Buch ist so schön und liebevoll geschrieben, dass man einfach eintauchen und sich wohlfühlen kann.

Fazit: Wunderschön, poetisch, humorvoll und voller Herzenswärme. Das ideale Buch für einen nasskalten Tag, zu genießen mit einer kuscheligen Decke und einer schönen Tasse Tee.

Bewertung vom 21.11.2014
Spörrle, Mark

Weg da, das ist mein Handtuch!


sehr gut

Willkommen im Urlaub – erholen können Sie sich woanders! Bestsellerautor Mark Spörrle schickt seine Helden in den Kampf gegen überbuchte All-inclusive-Hotels, dauerreservierte Liegen und die Konkurrenz am Kinderbüfett. Gegen Schwimmnudeln, Poolbars in urinwarmen Gewässern, welkes Essen aus der Resteküche, nervende Zimmernachbarn und Animateure, die rund um die Uhr gut drauf sind… (Klappentext)

Diesmal begleiten wir Mark Spörrle „Auf der Suche nach dem perfekten Urlaub“. Schauplatz der Handlung ist ein typisches Clubhotel auf einer „ziemlich deutschen spanischen Insel“. Mit unseren verschiedenen Protagonisten verbringen wir dort einen mehr oder weniger erholsamen achttägigen Urlaub. Eigentlich haben sie außer dem gemeinsamen Hotel nichts gemeinsam...

Da ist zunächst einmal Pete, der sich versehentlich in seinem Badezimmer eingeschlossen hat und nun auf Hilfe wartet. Dumm nur, dass er vorher ein „Bitte nicht stören“-Schild rausgehängt hatte…

Oliver bräuchte dringend ein wenig Erholung von seiner Arbeit und seinem Chef. Er hofft auf ein paar schöne gemeinsame Tage mit seiner Ehefrau. Leider gab es gewisse Fehler bei der Buchung und die eigentlich zur Betreuung der Kinder mitgereisten Schwiegereltern sorgen stattdessen für eine Krisensituation nach der anderen…

Jessica ist eine Top-Karrierefrau. Für Urlaub hat sie überhaupt keine Zeit. Die Reise hat sie nur angetreten, da ein wichtiger Geschäftskunde sie ihr geschenkt hat. Vor Ort wird weitergearbeitet, um ja keinen Termin zu verpassen. Aber ein Clubhotel ist nun doch kein Büro und ihr passiert ein gewaltiger Fehler…

Mario hat nur zwei Ziele: Zum einen so viele Bräute wie möglich aufzureißen und zum anderen so viel zu essen und zu trinken, dass er die Reisekosten für den all-inclusive-Aufenthalt wieder reinholt. Dabei übertreibt er es allerdings und gerät in ziemliche Schwierigkeiten…

Susan hat schwersten Liebeskummer und sitzt schon mit Selbstmordabsichten im Flugzeug. Da dies dummerweise nicht abstürzt, versucht sie es vor Ort weiter…

Moritz ist ein Star. Jeder kennt ihn, den berühmten Schauspieler. In der Hoffnung, einmal in Ruhe Urlaub machen zu können, gibt er sich als sein eigener Doppelgänger aus…

In diesem Buch haben wir das Vergnügen mit sämtlichen Vorurteilen (oder Wahrheiten?) über deutsche all-inclusive-Reisende und Clubhotels. Aber wie immer bei Mark Spörrle nicht böse sondern mit einem Augenzwinkern geschrieben, so dass man sich auch dann herrlich amüsieren kann, wenn man es liest, während man selber im Liegestuhl auf den Beginn der nächsten Club-Animation wartet.

Bewertung vom 21.11.2014
Lenz, Siegfried

Die Erzählungen, Jubiläumsausgabe


ausgezeichnet

„Denn was sind Geschichten? Man kann sagen, zierliche Nötigungen der Wirklichkeit, Farbe zu bekennen. Man kann aber auch sagen: Versuche, die Wirklichkeit da zu verstehen, wo sie nichts preisgeben möchte. In jedem Fall sind mir Geschichten immer wie Tellereisen vorgekommen, die man zur Vergeltung auslegt: weil die Wirklichkeit sich selbst unaufhörlich bestreitet, sucht man sie in kleiner Falle zu fangen und zur Offenbarung ihrer Identität zu zwingen.“ – Siegfried Lenz

Dieser Sonderband erschien anlässlich des 80. Geburtstags von Siegfried Lenz und umfasst auf 1.536 Seiten sämtliche seiner Erzählungen. Insgesamt sind es mehr als 150, ein Drittel davon lag zuvor noch nie in Buchform vor. Es finden sich somit hier sowohl die ganz bekannten Veröffentlichungen, von „So zärtlich war Suleyken“ bis „Ludmilla“ als auch die vielen Erzählungen, die in Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind.

Meine erste Bekanntschaft mit Siegfried Lenz machte ich mit seinem Roman „Deutschstunde“. Danach las ich mehrere seiner Erzählungsbände und war mehr und mehr begeistert. Für mich hat er eine unnachahmliche Art, mit Sprache umzugehen – das bewundere ich sehr. Als dieser Band mit sämtlichen Erzählungen erschien, habe ich ihn mir gleich geleistet und es nicht bereut.

Eine meiner Lieblingserzählungen möchte ich kurz anreißen. Es ist die Erzählung „Ein geretteter Abend“. Sie ist Marcel Reich-Ranicki gewidmet, Siegfried Lenz schrieb sie zu dessen 70. Geburtstag. Bekannt ist sie auch unter ihrem Erstdrucktitel „Der große Zackenbarsch“.
Diese Erzählung spielt an einem Abend in einer VHS. Deren überaus engagierter Direktor hat eine neue Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen. Es ist nun der erste Abend und der Andrang ist enorm: Zehn Minuten vor Beginn ist der große Vortragssaal voll und das Publikum wartet gespannt auf den angekündigten Redner zum Thema „Scharfrichter oder Geburtshelfer – Über das Wesen literarischer Kritik“. Just in diesem Moment fällt der Referent wegen einer Nierenkolik aus, ein vernünftiger Ersatz kann natürlich so schnell nicht beschafft werden. Unser Erzähler ist verzweifelt auf dem Weg zum Vortragssaal, um die große Menge von Leuten notgedrungen nach Hause zu schicken, als ihm auf dem Flur „ein zartes, eisengraues Männchen“ entgegenkommt, sich als Referent vorstellt und „bescheiden“ nach dem Weg zu seinem Vortragssaal erkundigt. Gewissermaßen als Verzweiflungstat (besser irgendein Referent als gar kein Referent) verfrachtet der Erzähler ihn in den großen Hörsaal und überlässt ihn dort seinem Schicksal. Unser Männchen ist zunächst erstaunt und dann begeistert, wie viele Hörer ihm, dem Meereskundler, bei seinem enthusiastischen „Streifzug durch ein Seeaquarium“ folgen möchten. Auch das Auditorium ist verblüfft. Aber nur kurz, denn mehr und mehr macht sich Erheiterung breit ob der vermuteten Parabel. Und in der anschließenden Diskussionsrunde ergründet man gemeinsam das juristische Prinzip im Seeaquarium…
Allein diese Erzählung kann ich immer wieder lesen. Und sie macht mir auch beim wiederholten Lesen enorm Spaß.

Im Buch findet sich zudem ein Vorwort von Marcel Reich-Ranicki und im Anhang ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis, mit kompletten Angaben zu Erstdruck, Erstausgabe, Werksausgabe und Hörbuchausgabe jeder einzelnen Erzählung. Außerdem eine Bibliographie und eine Zeittafel zum Leben und Werk von Siegfried Lenz sowie eine Übersicht aller Auszeichnungen, Ehrungen und Preise.

Mein Fazit: Ein wunderbares Buch für jeden, der Siegfried Lenz liebt. Aber auch toll für jeden, der mal zwischendurch ein Häppchen guter Literatur möchte – denn dafür sind die Erzählungen wunderbar geeignet.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.11.2014
Bennett, Alan

Cosi fan tutte


sehr gut

Die Geschichte eines englischen Middleclass-Ehepaars, das vom Opernbesuch nach Hause kommt und seine Wohnung vollkommen leer vorfindet. Mit dem Verlust der Einrichtung aus 32 Ehejahren tun sich ungeahnte Möglichkeiten auf… (Klappentext)

Mr. und Mrs. Ransom kann man – vorsichtig ausgedrückt – als konservativ und spießig bezeichnen. Er ist Anwalt, sie Hausfrau. Kinder haben sie keine, ihr Leben verläuft in wohlgeordneten Bahnen - Abweichungen von der täglichen Norm sind nicht vorgesehen. Sie scheuen alles Unbekannte und meiden möglichst jeden Fremden. Sie haben sich nicht viel zu sagen, aber daran sind sie gewöhnt.

Als sie eines Abends von der Oper nach Hause kommen, finden sie ihre Wohnung komplett leergeräumt vor. Die Diebe haben nicht nur Fernseher und Stereoanlage, sondern auch Möbel, Teppiche, Lampen und sämtliche anderen Einrichtungsgegenstände mitgenommen. Selbst die Rolle Toilettenpapier ist samt Halter verschwunden.

Während Polizei und Versicherung arbeiten, müssen die Eheleute versuchen, mit der drastischen Änderung ihrer Lebensumstände klarzukommen. Mr. Ransom flieht davor in seine Anwaltskanzlei, Mrs. Ransom aber, die alleine in der leeren Wohnung zurückbleibt, beschließt nach anfänglichem Zögern, sich dem Leben und den neuen Herausforderungen zu stellen…

Da ist sie wieder: Die Frage, was man tun würde, wenn man noch mal ganz neu anfangen könnte. Würde man die Chance nutzen und versuchen, neue Wege zu beschreiten oder würde man, aus lauter Angst vor dem Unbekannten versuchen, die alten Zustände möglichst wieder herzustellen? Alan Bennett lässt hier keinen Zweifel offen, welcher der beiden Protagonisten die richtige Entscheidung getroffen hat – denn nur einer von beiden überlebt das Ende des Buchs.

Fazit für mich: Bitte nicht mit der "Souveränen Leserin" vergleichen. Aber ansonsten eine hübsche kleine Satire, die ich größtenteils sehr unterhaltsam fand.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.