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Bellis-Perennis
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Wien

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Insgesamt 1098 Bewertungen
Bewertung vom 23.10.2022
Inokai, Yael

Ein simpler Eingriff


sehr gut

Meret ist Krankenschwester in einer psychiatrischen Abteilung eines nicht näher definierten Krankenhaus in dem ebenso nicht näher definierte Gehirnoperationen durchgeführt werden. Der medizinisch interessierte Leser wird hier gleich die Lobotomie erkennen, jene Operation, die in den 1940er und 1950er Jahren überdurchschnittlich oft angewendet worden ist, um gesellschaftlich unerwünschtes Verhalten zu eliminieren. Prominentestes Opfer dieser brutalen Verstümmelung ist Rosemary Kennedy.

Warum gerade in dieser Zeit?

Der Zweite Weltkrieg hat eine große Zahl an traumatisierten Menschen hinterlassen und Psychopharmaka waren noch nicht erfunden. Deshalb glaubte man, mit dieser Operation „helfen“ zu können. Dass dabei auch einiges schief gehen kann, hat Meret erst viel später erkannt.

Meine Meinung:

Der Charakter der Meret ist empathisch dargestellt. Interessant ist die Schilderung der Lebensumstände der Krankenschwestern. Die zärtliche Liebesbeziehung zwischen Meret und ihrer Mitbewohnerin wird dezent beschrieben.

Diese Anhäufung von Andeutungen ist vielleicht die größte Stärke und auch größte Schwäche des Buches gleichzeitig. Stärke, weil die Leser selbst Gedanken machen können (und vermutlich sollen), Schwäche, weil einiges ungesagt bzw. hinter einer Art Nebelwand diffus bleibt. Wenig wird beim Namen genannt, bestenfalls umschrieben. Das passt allerdings in die Zeit in der der Roman spielt. Man ist sich damals in zahlreichen Andeutungen ergangen, was naturgemäß auch zu Missverständnissen geführt hat.

Yael Inokai beschreibt mit großem Feingefühl Unaussprechliches.

Fazit:

Ein nachdenklich stimmender Roman, in dem man als Leser auch mit Wut kämpft, wenn an Gehirnen von Personen herumoperiert wird, wenn sie nicht oder nur unzureichend in die gerade gültige Gesellschaftsnormen passen. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.

Bewertung vom 23.10.2022
Hardinghaus, Christian

Das Wolfsmädchen


ausgezeichnet

Christian Hardinghaus, bekannt durch seine Sachbücher, die sich mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges beschäftigen, hat sich in diesem, seinem neuen Buch, mit einer kleinen Gruppe von Betroffenen der NS-Diktatur beschäftigt. Nämlich mit jenen Kindern, die 1945/46 aus dem ehemaligen Ostpreußen vor den sowjetischen Truppen nach Litauen geflohen sind, dort anfangs freundlich aufgenommen worden sind und letztlich zwischen die Fronten rivalisierender Gruppen geraten sind, und sich in die Wälder geflüchtet haben: Die Wolfskinder. Stellvertretend für die kleine Gruppe erzählt Ursula Dorn ihre Geschichte.

Ursula ist 10 Jahre als Königsberg 1945 von den Alliierten in Schutt und Asche gelegt wird. Doch die größte Gefahr droht von der sowjetischen Armee, die durch die zerstörte Stadt zieht, und Rache an der deutschen Bevölkerung nimmt. Während ihre Mutter Martha sich weigert die Stadt mit Ursulas anderen Geschwistern die Stadt zu verlassen, ergreift Ursula die nächstbeste Gelegenheit und springt auf einen Güterzug auf, ohne zu wissen wohin die Reise geht. Sie landet in Litauen, schlägt sich durch und wird aufgepäppelt.

Verantwortungsbewusstsein und Sehnsucht nach der Familie lässt sie im Hungerwinter 1946 nach Königsberg zurückkehren. Sie findet die lethargische Mutter und die fast verhungerten Geschwister an. Auf Grund des schlechten Gesundheitszustandes bleiben die Geschwister in der Obhut der Nachbarin zurück. Erst später wird Ursula erfahren, dass nur ihr Bruder Heinz überlebt haben wird. Zurück in Litauen ist das Leben schwieriger geworden, zumal Martha sich weigert zu arbeiten und Ursula Nahrung für zwei herbeischaffen muss.

Letztlich werden Ursula und Martha aufgegriffen und in die neu entstandene DDR ausgewiesen. Das ist zwar besser als die drohende Deportation nach Sibirien, aber Ursula muss nach wie vor für sich und ihre Mutter sorgen, die nur von einer Zigaretten zur anderen denkt. Schnell erkennt Ursula, dass sie eine Diktatur gegen eine andere eingetauscht hat. Sie passt sich scheinbar an und nimmt die erste Gelegenheit zur Flucht zu ihrem Bruder Heinz in den Westen wahr.

Meine Meinung:

Wie schon in seinen anderen Sachbüchern wie z.B. „Die verlorene Generation“, „Die verratene Generation“ oder „Die verdammte Generation“ nimmt sich Christian Hardinghaus aller jener an, deren Geschichten niemand (mehr) hören mag.

Für dieses Buch hat er zahlreiche Interviews mit Ursula Dorn, die ihr Leben selbst in zwei Bücher gefasst hat und damit einige ihrer Traumata aufgearbeitet hat, geführt. Daneben wird Ursulas Geschichte in den historischen Kontext gestellt, ohne belehrend zu wirken. Das ist die große Stärke des Autors: Wissen vermitteln, Vorurteile ausräumen und die Kriegsgräuel sachlich darstellen, ohne Sensationslust oder zu werten. Manche Szenen lassen den Atem der Leser stocken, wenn sie von Kriegsverbrechen lesen, die damals verübt worden sind. Gleichzeitig weist der Autor in seinem Vorwort auf die Ähnlichkeiten, die aktuell in der Ukraine passieren, hin.

Ich muss Ursula Dorn mit Hochachtung begegnen und ihr Tribut zollen, dass sie ihre Lebensgeschichte erzählt. Es ist über viele Ereignisse beharrlich geschwiegen worden, weil sie erstens niemand hören wollte und zweitens, weil sie einfach so schrecklich waren.

Im Kapitel „Wolfskindschicksale“ beleuchtet Christian Hardinghaus noch weitere
Wolfskinder und den schändlichen Umgang der deutschen Behörden bis heute mit ihnen. Interessant ist das Wirken von Wolfgang von Stetten und seinem Verein „Edelweiß“, der ebenso wie Christian Hardinghaus jener Gruppe von Personen eine Stimme gibt.

Fazit:

Ein weiteres Buch wider das Vergessen, das noch lange nachhallt. Gerne gebe ich hier eine Leseempfehlung und 5 Sterne.

Bewertung vom 23.10.2022
Engelhorn, Marlene

Geld


gut

Autorin und Studentin Marlene Engelhorn (Jahrgang 1992) hat im Jahr 2021 mit der Ankündigung, 90% ihres zu erwartenden Vermögens in einem zweistelligen Millionenbetrag zu spenden, aufhorchen lassen.

Wer ist sie nun, die zukünftige Erbin, die eine Erbschaftssteuer für Reiche fordert?

Marlene Engelhorn ist die Enkelin der 94-jährigen Traudl Engelhorn-Vechiatto, deren verstorbener Mann ein Urenkel des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn und Mitgesellschafter der Boehringer-Mannheim-Gruppe war. Der Erlös nach dem Verkauf des Konzerns brachte einen zweistelligen Milliardenbetrag ein.

In diesem Buch, das in der Reihe Übermorgen im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen ist, legt sie ihre Gedanken zum Thema Geld und Vermögen dar.

Das Buch hat mich zwiegespalten zurück gelassen. Vor allem auch deswegen, weil sie das Fell des Bären verteilt, bevor er erlegt ist. Sprich, Großmutter Engelhor-Vechiatto lebt noch. Auf der anderen Seite kann ich mir schon vorstellen, dass die Vorstellung, ein solches Vermögen zu bekommen, Angst macht.

Manche der Gedanken von Marlene Engelhorn sind nachvollziehbar, manche lassen mich den Kopf schütteln.

Nachvollziehbar ist für mich:

Geld bedeutet Macht, viel Geld bedeutet viel Macht
Geld per se ist nicht schlecht, der falsche Umgang damit schon
Über Geld spricht man nicht, über fehlendes Geld vielleicht schon
(Wieder)Einführung der Erbschaftssteuer ab einer bestimmten Höhe des Erbes (da geht es jetzt nicht um die Eigentumswohnung und/oder die 100.000 Euro auf diversen Sparbüchern sondern um richtig große Summen).

Nicht nachvollziehen kann ich jedoch, dass sie sich nicht mit der Herkunftsgeschichte ihres zukünftigen Vermögens beschäftigen will. Man erinnere sich, ein Großteil der Gewinne der BASF (vormals IG-Farben) wurde im Zweiten Weltkrieg mit Hilfe von Zwangsarbeitern erwirtschaftet.

So heißt es z. B. auf S. 122:

„Ich kenne keine Details und die Schuldfrage interessiert mich nicht, dafür sind Gerichte zuständig. Die Herkunft meines Geldes ist aber ebenso wichtig wie dessen zukünftige Verwendung.“

Da empfinde ich die Idee, das Vermögen (oder den überwiegenden Teil davon) zu spenden, fast ein wenig scheinheilig. Hier ließe sich wohl Wiedergutmachung betreiben.

Falsches Geschichtswissen orte ich auf Seite 111, wenn sie allen Ernstes behauptet

„Dass Geld als solches erst an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit aufkam, scheint mir passend. Die Versorgung wurde neu geregelt. Geld als neues Gut war der Schlüssel dazu.“ Da muss man sich schon fragen, ob die Autorin noch nie von griechischen Drachmen oder römischen Denaren gehört hat.

Auf mich macht die Autorin einen zutiefst verunsicherten Eindruck. Der eine oder andere Gedanke wirkt naiv, andere hingegen revolutionär. Unmittelbar auf die eingangs erwähnte Ankündigung, 90% des zu erwartenden Vermögens zu spenden, gab es in den sozialen Netzwerken eine Reihe von Anregungen und Ideen, was mit dem Geld geschehen könnte. Von der Aufforderung es auf die Konten diverser Poster zu verteilen bis hin zur Frage, warum nur 90% und nicht das gesamte Vermögen. Denn bis jetzt hat die Studentin Marlene Engelhorn ja auch nicht Notstandshilfe gelebt sondern von ihrer Herkunft profitiert.

Fazit:

Ein Buch, das mich zwiegespalten zurückgelassen hat, weshalb es nur 3 Sterne erhält.

Bewertung vom 23.10.2022
Wehrschütz, Christian

Mein Journalistenleben zwischen Darth Vader und Jungfrau Maria


ausgezeichnet

Wo immer etwas passiert in Osteuropa, ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz ist immer vor Ort und berichtet. Nun hat er ein weiteres Buch über seine Arbeit geschrieben.

Seit rund zwei Jahrzehnten ist Christian Wehrschütz als ORF-Korrespondent am Balkan und in der Ukraine unterwegs. Er ist sehr immer nahe am Geschehen und liefert seine Berichte in unsere Wohnzimmer. In seinem Buch erzählt er, wie seine Beiträge zu Stande kommen. Sehr wichtig ist ihm sein Team, das sich aus Menschen der jeweiligen Region zusammensetzt. Er holt dieses Team vor den Vorhang: Fahrer, Sekretärinnen, Kameraleute und Cutter – ohne sie könnte Christian Wehrschütz nicht auf diesem hohen, authentischen Niveau berichten. Seine außergewöhnlichen Einblicke in die oft verwirrenden Situationen in Kriegsgebieten verdanken wir seiner Fähigkeiten mit den Leuten vor Ort in Kontakt zu kommen. Christian Wehrschütz hat neben Jus auch Slawistik studiert und spricht mehrere slawische Sprachen. Das heißt, er kommt ohne Dolmetscher aus und erhält Informationen aus erster Hand.

Er ist oftmals gefährlichen Situationen ausgesetzt, die er ob seiner langen militärischen Ausbildung gut einschätzen kann und so gut überstanden hat. Ebenso kann er das momentane Geschehen in der Ukraine sehr gut analysieren.

Sein wichtigstes Arbeitsgerät ist das Mobiltelefon, das ihm Gedächtnisstütze, Telefonbuch und Kamera zugleich ist. Manchmal ist das Filmen mit einer Kamera untersagt, so dass ihm nur das eilige und heimliche Filmen mit dem Mobiltelefon übrig bleibt.

Neben dem Einblick in den Alltag des ORF-Korrespondenten dürfen wir auch ein kleines Stückchen der privaten Seite des Christian Wehrschütz kennenlernen.

Wie er auf den Titel kommt, erzählt er in seinem Buch. Zahlreiche Fotos aus diversen Krisengebieten ergänzen diese Gedankensplitter, wie er sein Buch nennt.

Fazit:

Gerne gebe ich diesen Gedankensplittern 5 Sterne.

Bewertung vom 23.10.2022
Zimmermann, Birgit

Die Wolkenstürmerin


gut

Worum geht’s?

Nach dem Unfalltod ihrer Eltern steht das Unternehmen kurz vor der Insolvenz. Tochter Marlene hält 50 Prozent der Firmenanteile, der Rest verteilt sich auf mehrere Verwandte. Bis auf einen Cousin stimmen alle Erben zu, das Unternehmen retten zu wollen. Marlen plant, ein Bedarfsflugunternehmen also ein Flugtaxi zu gründen.

“… unsere Träume können wir erst dann verwirklichen, wenn wir uns entschließen, daraus zu erwachen.” (S. 105)

Der zahlreichen Streitereien müde geworden, nimmt sie sich eine kurze Auszeit im Wochenendhaus an der Ostsee, lernt einen geheimnisvollen Mann kennen, verliebt sich augenblicklich und verliert ihr eigentliches Ziel beinahe aus den Augen....

Meine Meinung:

Der Klappentext suggeriert eine Geschichte der Fliegerei in Zusammenhang mit dem Luftfahrtpionier Otto von Lilienthal. Dabei hat sich Autorin Birgit Zimmermann diesen berühmten Namen nur ausgeliehen, um einen Roman rund um die Erbin einer Flugzeugbaufirma in den Jahren des Wirtschaftswunders zu schreiben.

Darüber bin ich schon sehr enttäuscht. Der Roman bleibt weit hinter meinen Erwartungen zurück, zumal es nicht ganz klar ist, welche Zielgruppe hier angesprochen werden bzw. welchem Genre das Buch zuzuordnen ist. Irgendwie ist von allem ein bisschen etwas enthalten. Mehrere Handlungsstränge versuchen einen spannenden Roman erstehen zu lassen. Doch leider tritt wegen der Liebesgeschichte und dem dritten Handlungsstrang, nämlich der Ost-West-Konflikt, der Aufhänger, nämlich die Rettung der Firma stark in den Hintergrund.

Der Schreibstil ist flüssig. Stellenweise sind die Charaktere ein wenig oberflächlich, was aber ein wenig zur Zeit passt. Weg mit den trüben Gedanken an Krieg, vorwärts mit dem Wiederaufbau. Die zaghaften Emanzipationsbestrebungen von Marlene sind nicht der Rede wert.

Fazit:

Wer eine Liebesgeschichte in den Jahren des Wirtschaftswunders rund um die Fliegerei lesen möchte, ist hier richtig. Ich bin von einer anderen Prämisse ausgegangen und wurde ein wenig enttäuscht, daher nur 3 Sterne.

Bewertung vom 21.10.2022
Fetz-Lugmayr, Dagmar

Sagenreiches Linz


ausgezeichnet

Sagen und Mythen aus Oberösterreich - beschwingt erzählt
In Linz beginnt’s - eine sagenreiche Stadt an der Donau

Viele Orte verfügen über einen reichen Schatz an Sagen und Mythen. Einer davon ist Oberösterreichs Landeshauptstadt Linz.

Wie schon in ihrem Buch „Sagenreiches Kremsmünster“ geht die Autorin dem Sagenschatz auf den Grund.

In 25 Sagen berichtet nun die Autorin Mystisches und Gruseliges aus Linz. Die Wallfahrtskirche und Zahnradbahn auf dem Pöstlingberg spielen ebenso eine Rolle wie die Zwergenwelt in seinem Inneren. Natürlich dürfen auch andere Sagengestalten wie Feen, Drachen, Teufel und so manches Kräuterweiberl nicht fehlen.
Wer ein wenig Zeit und Muße hat, kann die beschriebenen Sehenswürdigkeit anhand von Stadtspaziergängen auch leicht selbst erkunden.

Wer gerne Sagen und Mythen liest und sie damit der Geschichte eines Ortes nähert, wird mit diesem Buch eine Freude haben. Als Mitbringsel ist diese A6 quer-formatige Buch bestens geeignet. Die gediegene Verarbeitung spricht für den Pustet-Verlag. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Bewertung vom 20.10.2022
Rekel, Gerhard J.

Monsieur Orient-Express


ausgezeichnet

Wenn man vom Orient-Express spricht, haben Eisenbahnfreunde ein verdächtiges Glitzern in den Augen. Doch nicht nur sie, sondern auch Krimifans und Cineasten, gilt doch der Zug als Inbegriff des Mythos. Selbst die Transsibirische Eisenbahn kommt an den Orient-Express nicht heran. Zum Ruhm des Orient-Expresses haben nicht nur die legendären Verfilmungen beigetragen. Maßgebliche Anteil an seiner Bekanntheit hat sein Erfinder Georges Lambert Casimir Nagelmackers (1845-1905).

Nagelmackers ist der Sohn eines belgischen Bankiers, nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten will, sondern seine eigenen Visionen verwirklichen will. Sein Ziel: in einer Zeit des Nationalismus und der streng gehüteten Landesgrenzen Europas eine schnelle und bequeme Möglichkeit vom Westen in den Osten zu reisen schaffen.

Dieses Buch erzählt die Geschichte des Orient-Expresses, die seines Schöpfers, die Höhen und Tiefen bis es Nagelmackers 1883 gelingt, seinen luxeriösen Zug von Paris bis Konstantinopel fahren zu lassen.

Nagelmackers gelingt das Kunststück, mit den zahlreichen teils privaten Bahngesellschaften Verträge über die Benützung der Bahnanlagen abzuschließen.
Beteiligte Bahnen waren:

die Chemins de fer de l’Est
die Reichseisenbahn in Elsass-Lothringen
die Großherzoglich Badischen Staatseisenbahnen
die Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahnen
die Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen
die k.k. Staatsbahnen
die priv. Österreichisch-ungarische Staateisenbahngesellschaft
die Căile Ferate Române

Erst ab 1890 besteht die durchgehende Eisenbahnstrecke. Neben seinem Luxuszug ließ Nagelmackers auch zahlreiche Hotels bauen, um seinen Fahrgästen den größmöglichen Luxus zu bieten.

Meine Meinung:

Autor Gehard J. Rekel, der für das TV-Magazin „Terra X“ das Drehbuch zu „Orient-Express - Ein Zug schreibt Geschichte“ geschrieben hat, bringt uns in diesem Buch diesen Traum des Georges Nagelmackers näher.

Rekel erzählt die Geschichte des Visionärs spannend. Seine akribische Recherche hat zahlreiche, bislang unbekannten Details über den Orient-Express zu Tage gefördert.

Zahlreiche Fotos und Faksimiles bereichern den interessanten Text. Mit Hilfe der Zeittafel am Ende des Buches kann man die Geschichte von Georges Nagelmacker und seiner Vision gut einordnen. Zahlreiche Anmerkungen vervollständigen dieses gelungene Sachbuch, das in gediegener Aufmachung im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen ist.

Fazit:

Ein Sachbuch über den Orient-Express, dass nicht nur die Herzen von Eisenbahn-Fans höher schlagen lässt. Gerne gebe ich diesem Buch 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 20.10.2022
Fitzharris, Lindsey

Der Horror der frühen Chirurgie


ausgezeichnet

Dieses Buch ist das zweite von Lindsey Harris, das sich mit historischer Medizin und ihren Pionieren beschäftigt. Es nimmt sich eines Themas an, das alles andere als leicht zu lesen ist: Die Rekonstruktion von Gesichtern, die auf Grund von im Ersten Weltkrieg erlittenen Verletzungen zerstört worden sind.
Dabei kommt auch dem psychologische Druck, dem die Kriegsinvaliden ausgesetzt sind zur Sprache. Während Männern, denen Arme oder Beine amputiert werden mussten, eher als „Helden“ betrachtet werden, verstecken sich jene, deren Gesichter entstellt wurden oder einige begehen Selbstmord. Nur die sogenannten „Kriegszitterer“ werden noch weniger geschätzt: Körperlich nahezu unversehrt, gelten sie als Simulanten und werden oft ins Irrenhaus gesteckt, wo man sie mit Elektroschocks und ander „Therapien“ quält. Doch das ist eine andere Geschichte.

Chirurg Harold Gillies (1882-1960) hat hunderten von „Gueules cassées“ (zerhauene Visagen) in mühevoller Kleinarbeit neu Gesichter modelliert. Dazu bedient er sich alter und neuartiger Methoden, die ich jetzt nicht im Detail ausführen möchte. Er gilt als Vater der plastischen Chirurgie. Während die Feldchirurgen hauptsächlich das Überleben ihrer Patienten im Sinn haben, legt Gillies legt sehr viel Wert darauf, dass durch seine Arbeit auch die Funktionen wie Öffnen und Schließen des Mundes oder der Augenlider wieder möglich sind. Wenn man bedenkt, dass für so eine Gesichtsrekonstruktion, die ohne Narkose erfolgt ist, Dutzende Operationen notwendig gewesen sind, muss man sowohl Gillies und seinem Team als auch den Patienten selbst, vollen Respekt zollen.

Gillies lässt die Fortschritte seiner Arbeit dokumentieren. Einerseits werden „Vorher/Nachher-Fotos“ angefertigt und andererseits lässt er seine Operationsschritte durch einen Künstler festhalten, der detaillierte Skizzen anfertigt. Mit Hilfe seines Kollegen Bedford Russell und seines früheren Patienten und Sekretär Robert Seymour sammelt Gillies Krankenakten und Notizen, um eine Studie zur Gesichtsrekonstruktion zu schreiben

Neben seinem handwerklichen Geschick, setzt Gillies auf Betreuung der Psyche. Seine Patienten können sich in einem umgebauten Herrensitz von ihren Strapazen erholen.

Meine Meinung:

Dieses Buch ist nichts für Zartbesaitete, da zahlreiche Verletzungen und Operationen detailliert geschildert werden. Dabei geht die Autorin sehr sachlich vor und weidet sich nicht an den Schmerzen und Verletzungen der Patienten. Daneben zeichnet Fitzharris ein ganz anderes Bild von Harold Gillies: Er ist ein passionierter Sportler und verbringt viel Zeit auf dem Golfplatz, vermutlich auch deswegen, um die schrecklichen Wunden seiner Patienten zu vergessen.

Wer einen historischen Roman zu diesem Thema lesen will, dem sei „Die Maskenbildnerin von Paris“ von Tabea König empfohlen. Hier werden die Gesichter der Kriegsinvaliden mit kunstvoll gestalteten Gesichtsprothesen ausgestattet.

Fazit:

Ein bestens recherchiertes Sachbuch über die plastische Chirurgie, dem ich gerne eine Leseempfehlung und 5 Sterne gebe.

Bewertung vom 18.10.2022
Herrin, Judith

Ravenna


ausgezeichnet

Ravenna/Judith Herrin/5 Sterne

Mit der Teilung des riesigen Römischen Reiches um 395 in ein west- und ein oströmisches Reich beginnt der Niedergang des antiken Roms. Während das oströmische Reich mit der Hauptstadt Konstantinopel noch bis 1453 den anstürmenden Völkern die Stirn bieten kann, muss das weströmische Reich seine Hauptstadt Rom aufgeben um 400 n.Chr. und findet in Ravenna eine neue.

Ravenna, geschützt in der Emilia Romagna gelegen, ist vom 5. bis 8. Jahrhundert Treffpunkt der griechischen, lateinischen, christlichen und barbarischen Kulturen und Dreh- und Angelpunkt zwischen Ost und West. Ungewöhnlich detailreich erzählt Judith Herrin auch von den Menschen dieser Zeit: von Kaiserinnen und Königen, Bischöfen und Gelehrten, Ärzten und Handwerkern.

In neun Kapiteln, die mit zahlreichen Farbfotos angereichert sind, lässt die Archäologin und Autorin diese Glanzzeit Revue passieren.

1. Galla Placidia
2. Der Aufstieg der Bischöfe
3. Theoderich der Gote
4. Justinian I und die Feldzüge in Nordafrika und Italien
5. König Alboin und die Eroberung durch die Langobarden
6. Die islamische Expansion
7. Die beiden Regierungszeiten von Justinian II
8. Ravennas allmählicher Abstieg
9. Karl der Große und Ravenna

Der Aufschwung und die Bautätigkeit, die Ravenna in der Zeit zwischen dem 6. und dem 8. Jahrhundert erlebt, ist gigantisch. Tausende Bauwerke mit feinsten Mosaiken entstehen. Jeder Herrscher, jeder Bischof möchte sich durch ein kunstvolles Bauwerk ein Denkmal setzen. Der Großteil der Gebäude ist Bestand, obwohl auch hier im Zweiten Weltkrieg einiges zerstört worden ist.

Imposant sind die vielen Informationen, die die Autorin aus diversen Archiven zusammengetragen hat! Das ist vielleicht auch der einzige kleine Kritikpunkt: Judith Herrin verzettelt sich manchmal in Details, die schon sehr speziell sind. Denn ob der oströmische Exarch auch noch in Rimini ein feudales Anwesen mit Innenhof und Garten anmietet, ist vielleicht für ihn bedeutend, für die Weltgeschichte jedoch nicht.

Leser, die in dieser Zeit nicht so bewandert sind, könnten die Zusammenfassung „Ravennas glanzvolles Erbe“ von S. 454 als Einstieg vorab lesen.

Fazit:

Ein Meisterwerk der Recherche, dem ich gerne 5 Sterne gebe.

Bewertung vom 17.10.2022
Hinzmann, Silvija

Tausend wogende Wellen


ausgezeichnet

Als der frühpensionierter Kriminalbeamte Joe Prohaska anlässlich der Beerdigung seiner alten Tante Olga in dem kleinen Ort in Slawonien eintrifft, begegnet er seiner Jugendliebe Lydia, die seinerzeit mit ihrer Mutter nach Kanada ausgewandert ist. Sie zeigt ihm einen geheimnisvollen Brief, den Olga ihr hinterlassen haben soll und recht bald wird Joe mit Gerücht, die alte Olga sei keines natürlichen Todes gestorben, konfrontiert. Doch wie recherchiert man ohne Befugnis und noch dazu im Verwandtenkreis?

Und was haben die seltsamen Andeutungen von Neven Popović Lydia gegenüber zu bedeuten?

Als Joe sich dann doch breitschlagen lässt, ein wenig nachzuforschen, kommen einige streng gehütete Familiengeheimnisse ans Tageslicht, die vermutlich besser ungedeckt geblieben wären.

Meine Meinung:

Dieser 5. Fall für Joe Prohaska ist eher das Psychogramm einer Sippe, denn ein Krimi. Ja, es wird zwar gemordet und irgendwie sind einige Familienmitglieder darin verstrickt, aber wer einen Krimi mit „Tat, Kriminaltechnik, Tätersuche und Fahndungserfolg“ erwartet, liegt hier nicht ganz richtig. Joe Prohaska ist nach einem missglückten Einsatz in Deutschland früh pensioniert worden und verbringt seinen Lebensabend in Kroatien. Ermitteln will er eigentlich nicht mehr. Dennoch stolpert er in den einen oder anderen Todesfall - wie eben jenen von Tante Olga. Obwohl der Krimi eher langsam daherkommt, ist es spannend Joe bei seinen Recherchen über die Schulter zu schauen. Die dabei entdeckten Familiengeheimnisse werfen ein nicht allzu schönes Bild auf so manches Familienmitglied.

Fazit:

Ein ruhiger Krimi, der ob der Verstrickungen diverser Familienmitglieder der Vergangenheit und Gegenwart, ein interessantes Psychogramm einer Sippe abgibt. Gerne bewerte ich diese Geschichte mit 5 Sternen.