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yellowdog

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Insgesamt 2106 Bewertungen
Bewertung vom 09.10.2021
Lynch, Paul

Grace


sehr gut

Intensive Sprache

Ein faszinierender, aber nahezu unerträglicher hoher Ton kennzeichnet und prägt den Roman Grace von Paul Lynch, der uns in das 19.Jahrhundert nach Irland führen. Es ist 1845, eine harte Zeit.
Die Hungersnot führt dazu, dass die junge Grace von ihrer Mutter als Junge gekleidet fortgetrieben wird. Es wird ein Überlebenskampf.
Begleitet wird die vierzehnjährige Grace von ihrem Bruder Colly. Oder ist er als Halluzination nur in ihren Gedanken dabei, was ich fast vermute. Andererseits bestimmt Colly durch seine zupackende, direkte und unbestechliche Art die Handlung mit. Seine Stimme führt sie auf ihren schweren Weg.
Der Roman ist kein typisch historischer Roman.
Paul Lynch bringt die Kraft seiner eigenwilligen, bildgewaltigen Sprache ganz und gar ein und erzeugt damit einen lyrischen Ton und eine tiefe Intensität.

Bewertung vom 08.10.2021
Ismail, Nermin

Hoffnung


ausgezeichnet

Das Buch Hoffnung der Wiener Journalistin und Autorin Nermin Ismail erscheint als Teil der Reihe übermorgen-Essays das Verlags Kreymayr&Scheriau, die ich für einen guten Ansatz halte, niveauvolle Essays zu präsentieren.
Interessant ist der zielführende Einsatz von treffenden Zitaten.
Schon das Cover mit der Brücke überzeugt, da die Brücke die Hoffnung symbolisieren kann. Hoffnung als Begriff ist etwas abstraktes.
Die Autorin untersucht den Begriff Hoffnung daher mit verschiedenen Aspekten: Hoffnung als Privileg, Hoffnung als Chance …, aber auch enttäuschte Hoffnung.
Die Tatsache, dass Nermin Ismail das Thema ernsthaft, übergreifend und ohne Pathos angeht, macht den wohltuenden Unterschied zu den ganzen esoterisch angehauchten Autoren aus.

Bewertung vom 08.10.2021
Kutscher, Volker

Mitte / Kat Menschiks Lieblingsbücher Bd.11


weniger gut

Mitte von Volker Kutscher ist ein Anhängsel der berühmten Gereon Rath-Reihe. Es ist kein umfangreiches Buch, dafür reich illustriert.

Überraschenderweise ist es ein Briefroman. Das habe ich in der heutigen Literatur schon lange nicht mehr gelesen. Es ist ein angemessenes Mittel um die Zeit der dreißiger Jahre auch sprachlich zu vermitteln. Die Briefe sind ein wenig altmodisch, doch der jugendliche Übermut des Protagonisten lässt sie frisch wirken.

Der 16jährige Fritze Thormann ist ein Produkt seiner Zeit, hat aber auch viel Pech. Doch er lässt sich nicht entmutigen und hat mehr Freiheitsdrang als der Gesellschaft dieser schrecklichen Zeit passt. Ganz begeistert ist er von der Olympiade 1936.

Briefe schreibt er regelmäßig an seine jüdische Freundin Hannah, die sich verstecken muss und an Charly, die wir aus den Gereon-Rath-Büchern gut kennen.

Das Buch ist nicht schlecht, aber eigentlich nur eine Beigabe zu den großen Gereon-Romanen und daher vielleicht auch nicht besonders wichtig.

Die herausragende Bebilderung des Buches stammt von der Illustratorin Kat Menschik, die auch schon bei Kutschers Moabit dabei war.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.10.2021
Hegemann, Helene

Helene Hegemann über Patti Smith, Christoph Schlingensief, Anarchie und Tradition


ausgezeichnet

Die Bücher der KIWI-Musikbibliothek sind häufig ungewöhnlich und das trifft auch auf diesen Teil (Band 13) zu, indem Helene Hegemann nicht nur über Patti Smith schreibt sondern auch viel über sich selbst. Das kann manchmal bestürzend sein, wenn z.B. der frühe Tod der Mutter und Helenes Zustand in der Zeit danach beschrieben wird.

Auch über Christoph Schlingensief schreibt Hegemann einiges. Die Begegnung zwiscihen Schlingensief und Patti Smith lag nicht gerade auf der Hand.
Ganz am Ende schreibt Helene Hegemann dann auch über ihre eigene Begegnung mit Patti Smith.

Am Ende kann man bestätigen, dass Helene Hegemann mit ihren eigentümlichen Beschreibungen dem Phänomen Patti Smith Ausdruck geben kann.

Bewertung vom 07.10.2021
Hübner, Charly

Charly Hübner über Motörhead oder Warum ich James Last dankbar sein sollte


ausgezeichnet

Keine Ahnung, auf was für einen Trip der Schauspieler Carly Hübner war, als er dieses Buch schrieb, aber es wirkt wie auf einen Drogenrausch, in dem man zwischen Motörhead-Klassikern und Schlagern hin und her schwankt. Dabei auch noch im steten Dialog mit dem Teufel!

Charly Hübner zeigt viele seiner Jugenderfahrung mit der Musik, die prägte:
AC/DC, Black Sabbath, Deep Purple. Das alles mündete in Motörhead.

Immer wieder werden Motörhead-Songzeilen geqoutet und ich staune, wie großartig, sogar poetisch sie sind. Sie zeigen das pure Leben. Das hat echte Größe!

Und es werden nicht unbedingt nur die bekanntesten Motorhead-Songs erwähnt sondern auch ein paar spezielle wie Emergency, Back at the Funny Farm, I Dont believe a word, Love me Forever, Till the end, Love me like a reptile usw.

Das Buch ist Fun pur und ein großer Spaß für Motörköpfe und Snaggletooth, aber es zeigt auch einen Freiheitsdrang einer ostdeutschen Jugend und das hat mich beeindruckt.

Bewertung vom 03.10.2021
Mengiste, Maaza

Der Schattenkönig


sehr gut

Maaza Mengiste beschreibt ein Thema, dass den meisten deutschen Lesern vermutlich weitgehend nicht mehr so bekannt ist. Die Rolle der Frauen im Abessinienkrieg 1935-1936 gegen die italienischen Soldaten.
Im Vordergrund stehen Frauen, die auch in die Kriegsgeschehen einwirkten.
Da ist Hirut, die als Dienstmädchen bei Kidane und dessen Frau Aster lebt.

Es ist ein anspruchsvolles Buch. Stilistisch ist der Roman ungewöhnlich, er hat einen an Klassikern orientierten hohen Erzählton und gelegentlich wird sogar ein Chor eingesetzt. Auch offenbar dokumentarisches Material findet seinen Weg in das Buch.
Es gelingt Maaza Mengiste mit ihren sprachlichen Mitteln eindrucksvolle Bilder der Geschehnisse zu vermitteln und die Leser in die Vergangenheit und die Schrecken des Krieges eintauchen zu lassen.

Bewertung vom 03.10.2021
Stamm, Peter

Das Archiv der Gefühle (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die inneren Monologe

Ein neuer Roman des Schweizer Schriftsteller Peter Stamm weckte natürlich mein Interesse. Peter Stamms ruhiger Stil, sein lakonischer Tonfall und sein Erzählgeschick lassen Das Archiv der Liebe zu einem besonderen, wenn auch ungewöhnlichen Roman werden. Eigentlich ist es wie ein Ein-Mann-Stück.
Der Archivar ist halbfreiwillig ein Einsiedler, der sich in der Stille seines einsamen Hauses dem Sammeln und Ordnen widmet und sich seinen Erinnerungen hingibt. Dabei ist die melancholische Stimmung, die vom Protagonisten ausgeht, spürbar.
Diese Erinnerungen umfassen schließlich auch sein Kindheit und Jugend und vor allen seine Liebe zur Jugendfreundin Franziska.
Mit ihr, die ein bekannte Sängerin wurde, steht er fast durchgängig im inneren Monolog, obwohl sie sich seit mehr als 30 Jahren nicht mehr gesehen haben.
Es gibt einige bemerkenswert ausformulierte Sätze im Roman, die Peter Stamm gut gestaltet hat. Es wird ein Roman, den man nicht so schnell vergessen wird. Vielleicht sein bestes Buch!

Bewertung vom 02.10.2021
Powers, Richard

Erstaunen


ausgezeichnet

Erstaunen ist ein Roman von hoher Qualität, der eine besondere Vater-Sohn-Beziehung zeigt. Theo ist Astrobiologe, der seine Frau bei einem Autounfall verloren hat. Sein 9jähriger Sohn Robin zeigt Züge von Asberger.
Beide sind natürlich schwer in Trauer.
Aber Robin hat auch Angst um die Welt, insbesondere um die gefährdeten Tiere und will am Beispiel von Greta Thunberg mit einem warnenden Plakat vor dem Kapitol protestieren.
Aber es sind die Trump-Jahre und wissenschaftliche Erkenntnisse und Umweltschutz sind für die Gesellschaft und Regierung bedeutungslos.

Der Roman wird durchgängig aus der Sicht des Vaters erzählt, der sich um seinen Sohn sorgt und versucht, ihn in jeder Art zu fördern. Robin ist ein Junge, der fähig ist, genau in die Natur zu sehen und sie in all ihrer Schönheit zu erkennen.
Ihre enge Beziehung hat Richard Powers liebevoll geschildert.
Umso kritischer sieht er die amerikanische Gesellschaft, die so egoistisch und gleichgültig ist.

Richard Powers ist ein bedeutender US-Amerikanische Schriftsteller, der gesellschaftliche Zustände zeigen kann und der zu Recht Pulitzer-Preisträger ist. Erstaunen steht dieses Jahr auf der Shortlist des renommierten Booker-Prize und ich wünsche dem Buch viel Erfolg.

Bewertung vom 30.09.2021
Franzobel

Die Eroberung Amerikas


sehr gut

Die Eroberung Amerikas von Franzobel ist ein ungewöhnliches Buch, fast schon ein Ereignis.
Es verbindet historische Geschehnisse mit heutigen Ereignissen, verknüpft Ursachen und Folgen.
Es beginnt mit einem überraschenden Einfall, eine Klage, wie sie noch nicht vorgekommen ist.
Dann geht es in die Vergangenheit. Diesen spanischen Eroberer kannte ich bisher nicht. Desoto ist wirklich eine ambivalente Figur.
 
Es ist ein sehr farbenfrohes und detailreiches Buch. Beim Lesen kann man sich alles immer sehr gut vorstellen, selbst wenn das 16 Jahrhundert einem fremd erscheint und es viele Härten und Grausamkeiten gibt. Diese Passagen sind aber auch nicht immer leicht durchzuhalten.
Franzobel prägt den Roman mit seiner überbordenden Sprache, di einem beim Lesen auf die Dauer etwas viel werden kann, die aber doch zu beeindrucken vermag.
Das bietet der durchschnittliche historische Roman üblicherweise nicht.

Bewertung vom 29.09.2021
Balzano, Marco

Wenn ich wiederkomme


sehr gut

von der Familie getrennt

Ein ansprechender Roman über eine Familie aus Osteuropa. Da ist der anfangs 12jährige Manuell, seine 8 Jahre ältere Schwester Angelica und sein Vater Filip Matei.
Die Mutter Daniela hat die Familie verlassen. Sie ist zum Arbeiten und Geld verdienen nach Mailand gegangen. So will sie ihren Kindern das Studieren ermöglichen.
Im zweiten Teil des Romans wird aus ihrer Perspektive erzählt. Sie hat es als Migrantin nicht leicht und dann hat ihr Sohn auch noch einen schweren Unfall. Man leidet ls Leser sehr mit ihr mit, das schafft natürlich nur ein Buch, das einen packt.

Man gewinnt einen Blick in das Leben einer Familie der unteren Mittelschicht und der Migration. Das ist sehr gut gemacht. Aber an Marco Balzanos bedeutenden letzten Roman „Ich bleibe hier“ reicht dieses Buch nicht ganz ran. Dennoch ist es natürlich ein wichtiges Thema und unbedingt lesenswert.