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Bories vom Berg
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Bewertungen

Insgesamt 930 Bewertungen
Bewertung vom 08.08.2014
Laxness, Halldór

Am Gletscher


sehr gut

Deshalb lesen wir doch Romane

Island kann sich einer reichen literarischen Tradition rühmen, begründet durch bedeutende, in Prosa geschriebene Sagas und andere Dichtung. Als berühmtester, mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichneter Schriftsteller gilt Halldór Laxness, der den Preis 1955 verliehen bekam für die « lebendige epische Kraft seiner Prosa, die die großartige isländische Erzählkunst zu neuer Blüte geführt hat». Zu seinem Spätwerk, in dem er sich von gesellschaftlichen und sozialen Themen abwendete und wieder den einzelnen Menschen in seiner Sinn- und Glückssuche in den Mittelpunkt stellte, zählt der 1975 erstmals in der DDR auf deutsch erschienene Roman «Seelsorge am Gletscher», der in der neueren, vorliegenden Ausgabe «Am Gletscher» betitelt ist. Schon nach den ersten Zeilen dieses Romans findet sich der Leser erstaunt in einem Sog nach ‚mehr-davon’ wieder, der seine Erwartungshaltung angesichts der offensichtlich isländischen, mutmaßlich also unvertrauten und womöglich drögen Thematik auf das Schönste konterkariert, und das auch noch in amüsanter Form.

Handlungsort ist eine kleine evangelische Gemeinde am Snæfellsjökull, einem Gletschervulkan in der isländischen Provinz, und wie schnell klar wird, steht dieser wahrhaft gottverlassene Ort stellvertretend für die ganze Welt. Es beginnt ganz lapidar: «Der Bischoff ließ Unterzeichneten gestern Abend zu sich kommen. Er bot mir eine Prise an. ‚Danke, davon muss ich niesen’, sagte ich». Der höchste Geistliche in Reykjavik beauftragt den jungen, unerfahrenen Theologen, die Zustände in dieser weit abgelegenen Gemeinde zu untersuchen. Die Seelsorge am Gletscher sei in Gefahr, der dortige Pfarrer halte keinen Gottesdienst ab, taufe die Kinder nicht und beerdige nicht die Toten, er habe seit zwanzig Jahren sein Pfarrgehalt nicht abgeholt. Eher er sich versieht, ist Vebi, Vertrauter des Bischofs, Unterzeichneter, der Ich-Erzähler also, auf der Reise zum Gletscher. Mit seiner unbeholfen wirkenden Erzählhaltung, dem häufigen Wechsel zwischen nüchterner Berichtsform und personalem Erzähler, erzeugt der Autor eine harmlos naive Stimmung, die das ungläubige Staunen des jungen Theologen verdeutlicht und unterstreicht.

Denn was der erlebt auf seiner Erkundungsreise, ich will das hier bewusst nicht weiter ausbreiten, das sprengt alle Vorstellungskraft in seiner Absurdität. «Wer nicht in der Poesie lebt, überlebt hier auf der Erde nicht», davon ist der unbotmäßige Pfarrer überzeugt. Ironisch, witzig, bauernschlau werden nacheinander die verschiedenen Protagonisten eingeführt, jeder ein in metaphysischen Sphären schwebendes Unikum, rational nicht fassbar in seinem Wesen. In all den ebenso urigen wie skurrilen Gestalten aber steckt eine tief wurzelnde Botschaft, werden philosophische Thesen hinterfragt, ist zeitlose Lebensweisheit erkennbar. Gerade in seinen vielen spirituellen Aspekten steckt eine Stärke dieses Romans, und auch wenn Laxness seine manchmal fast ausufernd üppige Phantasie mit deutlicher Ironie und viel Humor gewürzt in Text umsetzt, erreicht den laut lachenden Leser doch immer wieder auch der subtile Hintersinn der seltsam grotesken Handlung.

Am Ende der Geschichte, die natürlich, wen wundert’s, ebenso irrwitzig endet wie sie begonnen hat, findet sich der Held des Romans, auf der Rückreise von seiner Mission, mutterseelenallein in einer weglosen Ödnis wieder: «Ich hoffte, die Straße wiederzufinden», lautet kurz und bündig der letzte Satz. Nach all den mysteriösen Vorfällen ist auch der Leser so tief in ein wundersames Geschehen einbezogen, dass er seinerseits ein wenig Zeit brauchen dürfte, die Realität wiederzufinden. Aber genau deshalb lesen wir doch Romane, oder?

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.08.2014
Némirovsky, Irène

Suite française


ausgezeichnet

Ein literarischer Live-Mitschnitt

Dieses posthum, mehr als sechzig Jahre nach dem Tode der jüdischen Autorin erstmals veröffentlichte Romanfragment wurde in Frankreich als literarische Sensation gefeiert, was erstaunlich ist, wird doch die «Grande Nation» darin alles andere als ruhmreich beschrieben. Irène Némirovsky lebte als russische Exilantin und Schriftstellerin in Paris, wo ihr 1929 mit dem Roman «David Golder» der Durchbruch als Autorin gelang. Ihr Opus magnum «Suite française» blieb unvollendet, fertig wurden nur die ersten beiden Teile des fünfteilig angelegten Epos über den Zweiten Weltkrieg aus französischer Sicht. Wie man ihren im umfangreichen Anhang des Buches abgedruckten Notizen entnehmen kann, hatte sie dabei durchaus auch Tolstois «Krieg und Frieden» im Blick, wobei sie ihren Roman allerdings als zeitnah entstehende und damit bestmöglich authentische Erzählung nicht im Nachhinein, sondern quasi als Live-Mitschnitt niederschreiben wollte. Sie arbeitete bis unmittelbar vor ihrer Verhaftung am 13. Juli 1942 an ihrem Manuskript, einen Monat später starb sie in Auschwitz.

Der erste Teil des Romans mit dem Titel «Sturm im Juni» behandelt den bevorstehenden Einmarsch der deutschen Truppen 1940 in Paris. In Panik fliehen viele Franzosen Richtung Süden, wobei auf den heillos verstopften Fluchtwegen schließlich niemand mehr voran kommt, alles im Chaos versinkt. Némirovsky baut hier ein umfangreiches Figurenkabinett auf mit den verschiedensten Charakteren, die sie kapitelweise abwechselnd in etlichen parallel verlaufenden Strängen der Handlung auftreten lässt. Sie schafft damit ein großformatiges Panorama der französischen Gesellschaft, dargestellt speziell unter den moralischen Aspekten einer Ausnahmesituation wie der des Krieges. Vom einfachen Bauern über die verschiedenen Schichten der Bourgeoisie bis in höchste Kreise der Regierung hinein zeigen die Menschen ihr wahres Ich, sind Feiglinge oder Helden, Aufrechte oder Lumpen, der Exodus entlarvt allenthalben böse charakterliche Mängel. Und auch historische Gesichtspunkte sind im Spiel, wie man ihren Notizen entnehmen kann: «Niemand wird wissen, wie es zugegangen ist, es wird um alles eine solche Verschwörung aus Lügen geben, dass man daraus wieder einmal eine glorreiche Episode der französischen Geschichte machen wird».

Unter dem Titel «Dolce» wird im zweiten Teil, ein Jahr später, im Sommer 1941, die Okkupation im Dörfchen Bussy beschrieben, wobei die von General de Gaulle denn auch prompt heroisch verklärte Résistance der Franzosen hier von der Autorin als kleinmütiges Wegducken, als bloßes Ignorieren und ängstlich verborgenes Verachten der deutschen Besatzer dargestellt wird, die man bauernschlau übervorteilt, wo immer es geht. Insgeheim, zuweilen auch offen, bewundert man aber die einquartierten Soldaten, sie werden als korrekte, nette und oft auch gebildete Männer geschildert, mit denen man bald schon gute Kontakte hat, mehr noch, es entstehen natürlich auch zarte Liebesbande. Mit der Kriegserklärung gegen Russland endet dieser Teil dann ziemlich abrupt, alle deutschen Soldaten werden an die neue Front verlegt.

Dieser unter allen literarischen Aspekten großartige Roman ist ebenso aufwühlend wie das Schicksal der Autorin selbst, die ihren Tod voraussah, obwohl sie das Thema Judenverfolgung mit keiner Silbe erwähnt. «Gefangenschaft», «Schlachten» und «Frieden» sollten die drei folgenden Teile betitelt werden, wie wir aus ihren Notizen wissen, und dort sind auch ihre Überlegungen nachzulesen, wie sie die Fäden der Handlung zu verknüpfen gedachte, alles natürlich unter dem Vorbehalt der realen Entwicklung. Ein grandioses Werk zweifellos, die ergänzenden Informationen über seine Entstehung, die abenteuerliche Wiederentdeckung und seine Schöpferin aber machen es einzigartig.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.07.2014
Heidenreich, Gert

Die andere Heimat


gut

Besser lewe wie sterwe

Im Nachwort dieses Buches, um mal ganz am Ende zu beginnen, erläutert der bekannte Filmregisseur Edgar Reitz seine Motive, warum er den Autor beauftragt hat, «unseren Recherchen, Gesprächen, Motivsuchen im Hunsrück und Spielen mit den Figuren der Schabbach-Geschichte in einer freien literarischen Erzählung, unabhängig von jeglicher Filmdramaturgie, Ausdruck zu verleihen». Herausgekommen ist dabei «Die andere Heimat», eine Erzählung aus dem Hunsrück, in welcher der vielseitig begabte Autor Gert Heidenreich, Ex-Mann der aus dem Fernsehen bekannten Literatur-Kritikerin Elke Heidenreich, das entbehrungsreiche ländliche Leben in der Mitte des 19ten Jahrhunderts beschreibt.

Schabbach heißt das kleine Dorf, in dem der Schmied Johann Simon seine Familie recht und schlecht durchbringen muss, wobei Schicksalsschläge und Naturkatastrophen seine Mühen immer wieder zunichte machen, seine Existenz bedrohen. Geschildert wird das unglaublich karge Leben fast aller Menschen in dieser Dorfgemeinschaft, einzig der Großbauer und Bürgermeister muss wohl nicht hungern. Waldfrevel ist deshalb an der Tagesordnung, man sammelt Pilze, Beeren, Eicheln, Bucheckern, natürlich auch Holz und anderes mehr, obwohl strenge Strafen drohen, wenn man erwischt wird. Die Kindersterblichkeit ist hoch, die medizinische Versorgung rudimentär, mit vierzig Jahren ist man alt. Jakob, jüngster Sohn des Schmieds, träumt vom besseren Leben in Brasilien, verschlingt geradezu alle Bücher über Südamerika und ist fest entschlossen, bei sich bietender Gelegenheit auszuwandern, in «die andere Heimat» also, um dort sein Glück zu machen. Es kommt anders, mehr sei hier aber nicht verraten.

Natürlich gibt es auch allerlei Liebesleid, Verwirrungen zwischen den Geschlechtern, es finden nicht immer die zusammen, die eigentlich zusammen gehören, und oft ist die Vernunft und wirtschaftliches Kalkül der Ehestifter, den Gefühlen zum Trotz. Der Autor entwickelt seine Geschichte in etlichen Rückblenden, seine diversen Figuren sind anschaulich und glaubhaft beschrieben, genau so, wie sie das karge Landleben geformt hat. Für fast alle Dialoge benutzt er die heimische Mundart, - was mich aber nicht weiter gestört hat, zu meinem Erstaunen, muss ich hinzufügen. Denn Fontanes Roman «Unterm Birnbaum» zum Beispiel, mit vielen Passagen in Plattdeutsch, ist für mich schlichtweg unlesbar, obwohl ich bekennender Fontane-Fan bin, - ich bin deshalb übrigens auf die Hörbuchversion mit Westphal ausgewichen, aber das nur nebenbei. Hier bei Gert Heidenreich nun verstärken seine, für mich jedenfalls, deutlich leichter lesbaren Mundart-Dialoge das Lokalkolorit, die zu vermittelnde Atmosphäre wird wunderbar homogen dadurch und wirkt überaus authentisch. Sprachlich ist die detailreich erzählte Geschichte geradlinig und unprätentiös angelegt, insgesamt jedoch ziemlich holzschnittartig wirkend, fast naiv. Leicht lesbar mithin, wobei allenfalls die beachtliche Figurenfülle, zusätzlich erschwert noch durch einige Namensvarianten, zu erhöhter Aufmerksamkeit (oder zum Spickzettel) zwingt.

Zweifellos ist dieses Buch vor allem auch ein Zeitdokument, gut recherchiert offenbar und ebenso komprimiert wie stimmig über ein heute weitgehend unbekanntes Milieu informierend, in jenen Zeiten angesiedelte Literatur bewegt sich ja sonst zumeist in Adelskreisen oder in der Bourgeoisie. Der Leser begegnet immer wieder einer erstaunlichen Gottergebenheit, ein Fatalismus übrigens, der fast allen Protagonisten zueigen ist und uns Heutige nun doch einigermaßen überrascht. Aber man trifft eben auch auf Figuren wie die vom Schicksal gebeutelte Lotte, die weinselig ihre schlichte Devise verkündet: «Besser lewe wie sterwe». Dem ist nichts hinzuzufügen.

Bewertung vom 25.07.2014
Boyle, T. C.

Greasy Lake und andere Geschichten


gut

Amerikanisch, daran ist kein Zweifel

Der als Thomas John Boyle geborene US-amerikanische Schriftsteller änderte seinen Namen in jungen Jahren zu Ehren eines schottischen Vorfahren in Tom Coraghessan Boyle, bekannt geworden ist er dann jedoch unter dem Kürzel T. C. Boyle. Wie bei seinem Namen sind auch im Werk des Autors unbändige Kreativität und sprachliche Knappheit die entscheidenden gestalterischen Merkmale, der 1985 erstmals veröffentlichte Band «Greasy Lake und andere Geschichten» ist ein prägnantes Beispiel dafür. In ihm sind vierzehn seiner Kurzgeschichten zusammen gefasst, insgesamt gibt es mehr als sechzig davon, die von ihm in etlichen derartigen Bänden publiziert wurden, gleichwertig neben seinen Romanen.

Und es geht gleich richtig zu Sache in der titelgebenden ersten Geschichte «Greasy Lake», eine durchaus schockierende Erzählung über eine Gruppe Jugendlicher, von der es da im ersten Absatz heißt: «Wir waren neunzehn. Wir waren böse. Wir lasen André Gide und nahmen ausgeklügelte Posen ein, um zu zeigen, dass wir auf alles schissen. Abends fuhren wir meistens zum Greasy Lake rauf». Es folgt ein von Alkohol und Drogen geförderter, völlig sinnloser Gewaltexzess. Wie hier sind auch in den anderen Kurzgeschichten zumeist Außenseiter der Gesellschaft als Protagonisten vertreten, oft komische Sonderlinge, die Boyle mit wenigen Worten glaubhaft und treffend skizziert. Er tut dies mit einer unterschwelligen Ironie, die aus dem ernstesten Geschehen eine amüsante Story entstehen lässt. Sprachlich ist all das brillant umgesetzt durch einen metaphernreichen, gleichwohl aber eher nüchternen, knappen und pointierten Schreibstil, der mich zuweilen an Hemingway erinnert hat.

Boyles Themen sind nicht nur originell, sie verblüffen den Leser auch durch ihre Vielfalt. Da geht es um eine verhängnisvolle Leihmutterschaft, eine heimliche Liaison des amerikanischen Präsidenten Eisenhower mit der Frau des KPdSU-Generalsekretärs Chruschtschow, einen grausamen indischen Bettlerkönig, um üble Geschäfte mit naiven Überlebensängsten, fanatische Walschützer, den Erfolg der Neumondpartei in den USA, einen gescheiterten Elvis-Presley-Imitator, die Einbürgerung der Stare 1890 mit ihren unerwünschten Folgen 1980, es geht um den grotesken materiellen Mangel im kommunistischen Russland und anderes mehr. Detailreich geschildert und immer wieder überraschende Wendungen nehmend, wobei wie gesagt auch der Humor nicht zu kurz kommt, sind diese wahrhaft abenteuerlichen Geschichten eine gleichermaßen abwechslungsreiche wie kurzweilige Lektüre.

«Literatur kann in jeder Hinsicht großartig sein, aber sie ist nur Unterhaltung». Wie stimmig dieses Zitat von T. C. Boyle ist, speziell für ihn persönlich, das zeigt sich für mich recht deutlich in der vorliegenden Sammlung von Geschichten. Der Autor hinterlässt mit ihnen beim Leser keine nachhaltige Wirkung, man hat sie vergessen, kaum dass man sie gelesen hat, mithin eine ziemlich belanglose Lektüre, für die U-Bahn oder den Badestrand geeignet. Gut und Böse sind da immer klar getrennt, Zwischentöne fehlen weitgehend, Philosophisches gar ist nirgendwo zu finden, obwohl die interessanten Themen ja bestens dazu geeignet wären, die Dinge etwas tiefer auszuloten, ihnen auf den Grund zu gehen, auch andere Facetten zu beleuchten. Man wird also nicht gerade bereichert durch dieses Buch, aber immerhin sehr gut unterhalten, amerikanisch eben, daran ist kein Zweifel.

Bewertung vom 27.06.2014
Neruda, Pablo

Ich bekenne, ich habe gelebt


gut

Faszinierende Vita eines Polit-Lyrikers

Als Memoiren bezeichnet der als lyrischer Politiker oder, ebenso stimmig, als kommunistischer Poet einzuordnende chilenische Dichter Pablo Neruda seinen Band mit dem selbstbewussten Titel «Ich bekenne, ich habe gelebt». Er hat daran bis unmittelbar vor seinem Tode 1973 gearbeitet. «Ich schreibe diese raschen Zeilen drei Tage nach den empörenden Ereignissen, die zum Tode meines großen Gefährten, des Präsidenten Allende, führten» heißt es auf der letzen Seite. Nur neun Tage später erlag er seinem Krebsleiden. Für ihn war der Militärputsch von Pinochet eine persönliche Katastrophe, die er in den allerletzten Zeilen seiner Erinnerungen desillusioniert, fast zynisch beschreibt und resignierend kommentiert. Hier am Ende wie auch im ganzen Buch zeigt sich, dass der Nobelpreisträger von 1971 ein ebenso leidenschaftlicher Dichter wie Politiker war. Für ihn gehörten Poesie und Politik zusammen, es waren zwei Seiten der gleichen Medaille, er setzte seine Lyrik ganz bewusst und wirkungsvoll immer wieder auch politisch ein.

Was für ein außergewöhnliches Leben, das der unter Pseudonym schreibende Sohn eines Lokomotivführers aus der Stadt Temuco im Süden Chiles da stolz vor dem Leser ausbreitet! Nicht in Form einer Autobiografie geschrieben allerdings, sondern als eine riesige Sammlung von Berichten über Erlebnisse und Begegnungen, von geistreichen Reflexionen, von feinfühligen Beobachtungen, dazu viele amüsante Anekdoten aus einem wahrhaft bunten Leben. Wo der Mann überall war und wen er alles kannte! Es ist eine riesige Schar an Menschen, denen er als Poet wie auch als Politiker begegnet ist, von ihm häufig als Freunde bezeichnet oder auch nur, als Mitstreiter, Kollegen, Gegenüber bei diversen Begegnungen, namentlich erwähnt. Während die genannten Politiker mir meistens bekannt waren, hatte ich mit den Poeten, insbesondere den vielen Lateinamerikanern, so meine Probleme, die meisten der illustren Namen hatte ich noch nie gehört. Das mag daran liegen, dass ich ausschließlich Epik lese, keine Lyrik, mein Brockhaus allerdings kannte manche der Namen ebenfalls nicht.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Autobiografisches geschönt und idealisiert wird, der Mensch ist nun mal gefallsüchtig, auch Pablo Neruda bekennt sich offen dazu. Und so fliegen ihm in seinen Jugendjahre die Frauen mühelos zu, kriechen nächtens in sein Strohlager, ohne dass er überhaupt weiß, wen er da in Armen hält. Ein Macho braucht wohl solche verbalen Trophäen. Bei seinen sicherlich hochverdienten Ehrungen drückt der schwedische König gerade ihm die Hand ein wenig länger als allen anderen, berichtet er von der Nobelpreis-Verleihung. Das und Ähnliches mehr mag ja alles wahr sein, es wirkt aber im selbstverfassten Bericht überaus eitel und damit peinlich, auf mich jedenfalls.

Sprachlich präzise und klar, zuweilen schwärmerisch und blumig werdend, wenn es um Heimat und Natur geht, sind diese Memoiren sehr angenehm und flüssig zu lesen. Dass hier ein Lyriker schreibt, merkt man schon an den gelegentlichen, vom übrigen Text kursiv abgesetzten, kontemplativen Einschüben, alleinstehende Einzelsätze zumeist mit poetischer Anmutung. Pablo Neruda entführt den Leser in seine ganz eigene, exotische Welt und lässt ihn teilhaben an einer wahrlich außergewöhnlichen Karriere. Man kann ihm vorwerfen, er habe viele Fragen offen gelassen, politisch einäugig den Kommunismus verherrlicht, Privates weitgehend ausgeklammert. Gleichwohl ist seine Vita faszinierend, und das, was er darüber preisgibt, ist allemal die Lektüre wert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.06.2014
Camus, Albert

Der Mensch in der Revolte


sehr gut

Ein intellektuelles Abenteuer

In der 1951 erschienenen Essay-Sammlung «Der Mensch in der Revolte» befasst sich Albert Camus mit dem Kampf des Menschen gegen die Unterdrückung. Als Autor setzt er sich mit seiner Thematik aber nicht nur in Essayform auseinander, die Revolte wurde von ihm als Stoff auch in seinem berühmten Roman «Die Pest» und im Bühnenwerk «Die Gerechten» bearbeitet, ein Triptychon literarischer Formen. Bei seinem Thema, das man vereinfacht als klassische Herr/Knecht-Problematik bezeichnen könnte, distanziert sich Camus strikt vom autoritären Sozialismus, insbesondere dem Kommunismus stalinscher Prägung, was denn auch prompt zum Bruch mit seinem Freund Jean Paul Sartre führte. Das Nobelkomitee zeichnete Camus 1957 aus für ein «wichtiges literarisches Werk, das mit klarsichtigem Ernst die Probleme des menschlichen Bewusstseins unserer Zeit erhellt». Das vorliegende Buch leistete dafür einen nicht unerheblichen Beitrag.

«Zwei Jahrhunderte metaphysischer und historischer Revolte laden … zum Nachdenken ein» heißt es in der Einleitung. Der folgende Abschnitt beginnt mit der Frage «Was ist ein Mensch in der Revolte?» und der lapidaren Antwort: «Ein Mensch, der nein sagt». In den zwei großen Essays der Sammlung widmet sich Camus kenntnisreich zunächst der metaphysischen und dann der historischen Revolte, wobei er sich intensiv mit der Gedankenwelt vieler bedeutender Philosophen und den Werken berühmter Dichter auseinandersetzt, deren Figuren er zuweilen zur Verdeutlichung heranzieht, als Beispiel sei Iwan Karamasow aus Dostojewskis großem Roman genannt. Als Moralist ist Camus an der Frage interessiert, wie man in einer Welt ohne Gott überhaupt weiterleben kann und was den Menschen erwartet, wenn seine Revolte einen spannungslosen Endzustand erreicht hat. Aber weder die außerweltliche noch die innerweltliche Erlösung als Ergebnis der Revolte sind erreichbar, lautet sein deprimierendes Fazit.

Den Gedankengängen des Autors zu folgen setzt beim Leser volle Aufmerksamkeit voraus, macht bei nicht einschlägig vorinformierten Lesern umfangreiche Recherchen erforderlich und fordert darüber hinaus sehr viel Zeit und Muße. Alle diese Essays sind inhaltsschwere und hoch komprimierte Texte, so dass man als Leser, von philosophischen Insidern mal abgesehen, sich von Satz zu Satz vorantastet und zu verstehen sucht, welche Aussage, welche Anspielung, welcher Bezug darin enthalten ist. Wer sich dieser Mühe unterzieht, findet ein Füllhorn elegant und treffend formulierter Gedanken, an denen er sich abarbeiten kann bei einem wahnwitzigen Parforceritt durch zweihundert Jahre Geistesgeschichte. Vor allem aber wird er sich am Ende bereichert fühlen durch originelle Ideen und kluge Einsichten, denen man in diesem Buch so überaus reichhaltig begegnet.

Bleibt die Frage zu klären, ob dieser Essayband mehr als sechzig Jahre nach seinem Erscheinen nicht überholtes Gedankengut enthält. Was die metaphysische Revolte anbelangt kann man dies absolut verneinen, historisch allerdings ist der Erkenntnisstand inzwischen natürlich ein anderer, vor allem in Hinblick auf den Sozialismus, dem Camus nahe stand und dessen Niedergang er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nicht hat voraussehen können. Hinzu kommen die Entwicklungen der neueren Geschichte, vor allem die des Terrors als aggressivster Form der Revolte, gleichwohl sind in seinen Ausführungen bereits dessen Keime zu entdecken. In diesem Buch wartet also ein intellektuelles Abenteuer auf wissbegierige Leser.

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Bewertung vom 30.05.2014
Silone, Ignazio

Das Geheimnis des Luca


gut

Vierzig Jahre Schweigen

Unter dem Pseudonym Ignazio Silone hat der italienische Politiker und Autor Secondino Tranquilli ein relativ kleines Œeuvre geschaffen, wobei einige seiner Werke eine liebevolle Hommage an seine Heimat in der Provinz L’Aquila der Region Abruzzen darstellen. Und dazu gehört zweifellos auch der Roman «Das Geheimnis des Luca», ein bedeutendes Werk der italienischen Literatur, das im Jahre 1956 im Original erstmals erschien, ein Jahr später dann schon in deutscher Übersetzung vorlag und den Autor auch hier bekannt machte.

Silone hatte ein bewegtes politisches Leben in verschiedensten Funktionen, er war für die Sozialisten und eine Zeit lang auch für die Kommunisten Italiens vor allem journalistisch tätig. Wegen seiner politischen Gesinnung wurde er mehrmals interniert und musste während der Zeit des Faschismus dann ins Schweizer Exil gehen. Als Mitglied des Komintern für die Kommunistische Partei Italiens erlebte er aus nächster Nähe den Aufstieg Stalins zum verabscheuungswürdigen Diktator, eine Erfahrung, die ihn mit dem Kommunismus brechen ließ, er trat aus der Partei aus und wandte sich wieder den Sozialisten zu. Seine politische Orientierung ist Ergebnis seiner Erfahrungen in der Jugend, das Leben in einer kargen, rauen Bergregion, die ihre Bewohner in besonderer Weise prägt. Schon als Fünfzehnjähriger verlor er seine Mutter und fünf Geschwister bei einem schweren Erdbeben, kämpfte mit den Landarbeitern gegen die feudalen Großgrundbesitzer und engagierte sich beim Protest gegen die Tatenlosigkeit der Politiker bei der Aufarbeitung der Erdbebenschäden. Ein Unvermögen übrigens, an dem sich auch Jahrzehnte später rein gar nichts geändert hat, wie jeder erstaunt feststellen wird, der nach dem Erdbeben vor fünf Jahren die besonders stark betroffene Stadt L’Aquila heute mal besucht.

Der vorliegende Roman erinnert mit seiner scheinbar zeitlosen, ebenso weltentrückten wie unbeirrbaren Liebesbindung an Gabriel Garcia Marquez, nur dass Florentino dort nach fast lebenslanger Wartezeit am Ende seine Hermina doch noch bekommen hat in dem berühmten Roman «Die Liebe in den Zeiten der Cholera». Solch ein spätes Happyend ist Luca aber nicht beschieden, so viel kann hier gesagt werden, ohne der Geschichte, die allein mit dem Wort «Geheimnis» im Titel ja schon neugierig macht, ihre Spannung zu nehmen. Denn man ahnt gleich zu Beginn, als ein alter Mann nach vierzig Jahren, die er unschuldig im Zuchthaus verbracht hat, in sein Heimatdorf in den Abruzzen zurückkehrt, dass hinter den vielen Rätseln eine Frau stecken dürfte. Luca wird von fast allen Dorfbewohnern argwöhnisch beäugt und gemieden, nur der alte Pfarrer Don Serafino und der ehemalige Dorflehrer Andrea Cipriani, der vom Schuldienst in die Politik übergewechselt ist, halten zu ihm. Letzterer ist es dann auch, dem das Geheimnis keine Ruhe lässt, ganz besonders nämlich treibt ihn die Frage um, warum Luca sich im Prozess einst nicht verteidigt hat und ihm auch jetzt, nach seiner Begnadigung, immer noch kein Sterbenswörtchen zu entlocken ist. Denn dass er den ihm zur Last gelegten Raubmord nicht begangen hat, ist inzwischen längst belegt, mehr will ich aber hier nicht verraten.

Der Reiz dieses Romans liegt in der klug erdachten, spannenden Geschichte, die der Autor ruhig und gelassen erzählt, ohne jede dramatische Effekthascherei, die karge Landschaft gibt also auch sprachlich die Richtung vor. Alle Figuren sind sehr liebevoll gezeichnet, sie wirken glaubwürdig und oft auch sympathisch, besonders in den vielen, durchweg lebensechten Dialogen, die den Leser häufig mal schmunzeln lassen. Eine solch angenehme, in schnörkelloser Sprache verfasste Lektüre legt man ungern zur Seite, ehe man nicht den letzten Satz gelesen hat, ehe nicht alles geklärt ist in dieser emotional anrührenden Geschichte.

Bewertung vom 30.05.2014
Gaarder, Jostein

Sofies Welt


sehr gut

Gegen den Dornröschenschlaf des Alltagslebens

Der Roman «Sofies Welt» bringt seine Leser ziemlich listig, quasi durch die Hintertür dazu, sich intensiv mit einem Sachbuch über die Geschichte der Philosophie zu beschäftigen. Man könnte dem norwegischen Autor Jostein Gaarder also mit Recht einen Etikettenschwindel vorwerfen, denn welcher andere Roman noch, und als ein solcher ist dieses Buch ja deklariert, hat denn ein derart umfangreiches Sach- und Namensregister, 16 engbedruckte Seiten? Pädagogen, und Gaarder ist einer, müssen manchmal eben notgedrungen zu derartigen Tricks greifen, um Interesse für ihr spezielles Thema zu erwecken. In diesem Fall also, um Menschen aus dem «Dornröschenschlaf des Alltagslebens» zu reißen, wie es gleich am Anfang dieses Buches mal so schön und treffend heißt, um sie für Philosophie zu interessieren, vielleicht sogar zu begeistern. Und das ist ihm grandios gelungen, sein 1991 erschienenes Buch hat, inzwischen übersetzt in viele Sprachen, schnell absoluten Bestsellerstatus erreicht mit mehr als 40 Millionen verkauften Exemplaren. Ganz so dröge und denkfaul scheint das Publikum also doch nicht zu sein, - das lesende zumindest!

Bestimmt hat noch ein zweiter Kniff des Autors nicht unwesentlich zur Popularität seines Buches beigetragen, denn es orientiert sich in Sprache und wissenschaftlichem Gehalt am erwartbaren Verständnis-Horizont jugendlicher Leser, für diese Zielgruppe wurde es eigentlich auch geschrieben. Es tauchen auch immer wieder mal altbekannte Gestalten in der Geschichte auf, so werden beispielsweise Rotkäppchen, die Gans von Nils Holgerson oder das Mädchen mit den Schwefelhölzchen in die Geschehnisse mit einbezogen. Dadurch wird die eigentliche Thematik kein bisschen geschmälert, es geht knallhart um Philosophie auf Hunderten von Seiten dieses dicken Buches, die Märchenelemente lockern den zu vermittelnden Stoff aber gehörig auf, sie dienen zuweilen sogar modellhaft der Verdeutlichung bei verzwickten Fragen. Und die gibt es reichlich, immer nach dem Motto: Wer nicht fragt bleibt dumm!

Ein Blick ins umfangreiche Inhaltsverzeichnis zeigt, dass von den frühen Mystikern und Naturphilosophen bis hin zum Existentialismus alle wichtigen philosophischen Strömungen und deren bedeutendste Vertreter in chronologischer Folge abgehandelt werden, immer im Kontext der historischen Gegebenheiten. Vom Leser wird da volle Aufmerksamkeit gefordert. Hoch anzurechnen ist dem Autor, dass er sein Thema immer auch mit Seitenblicken auf andere Disziplinen wie Astrophysik, Biologie oder Psychologie, schließlich aber auch auf soziologische und technologische Entwicklungen der Neuzeit abhandelt. Die Rahmengeschichte hingegen, das Romanhafte also, ist an sich banal und würde allein den Leser nicht fesseln, mich haben speziell die langen Dialoge von Lehrer und altkluger, nur als Stichwortgeber fungierenden Schülerin als total unrealistisch gestört. Gleichwohl, damit wird die komplexe Fülle von Informationen und Fakten aufgelockert, was einen nicht unwesentlichen Beitrag zur wahrhaft erfreulichen Rezeption dieses Werkes geleistet haben dürfte.

Literarisch raffiniert allerdings ist der Aufbau des Plots mit zwei ineinander verschachtelten Handlungsebenen, in deren äußerer es um ein Buch mit dem Titel «Sophies Welt» geht, geschrieben von einem UN-Major im Libanon als Geburtstagsgeschenk für seine Tochter Hilde, deren innere Ebene aber eben jener Philosophie-Kursus von Sofie ist, der als Kern des Ganzen ja der eigentliche Inhalt des Buches ist. Diesen informativen Kurs hat man übrigens en passant komplett gelesen am Ende. Gaarder treibt seine Fiktion auf die Spitze, wenn er, nachdem Hilde «Sophies Welt» ganz gelesen hat, deren beide Protagonisten Alfredo und Sofie gleichwohl weiter agieren lässt, dem «inneren» Buch und seinem Ende quasi entsprungen, als Geister sozusagen, die natürlich unsichtbar sind für alle anderen Menschen. Schön, dass es solche Bücher gibt, kann ich abschließend nur sagen!

Bewertung vom 10.05.2014
Faulkner, William

Licht im August


ausgezeichnet

Erzählkunst auf allerhöchstem Niveau

Von den Werken des Nobelpreisträgers William Faulkners gilt «Licht im August» als der in Deutschland meistgelesene Roman, er hat ihn 1931/32 in nur wenigen Monaten geschrieben. Etwa zur selben Zeit ereignet sich auch dessen Handlung, Ort des Geschehens ist die Kleinstadt Jefferson des Bundesstaates Mississippi in den USA. Ein Südstaaten-Roman mithin, dessen spezielle Problematik bei den meisten Romanen dieses dort geborenen Autors den erzählerischen Hintergrund bildet und auch die Thematik des Plots mit beeinflusst.

Der Handlungsrahmen des in 21 Kapitel aufgeteilten schwermütigen Romans ist die im Wesentlichen im ersten und letzten Kapitel erzählte Geschichte von Lena Grove. Sie dauert nur wenige Tage im August, einer Zeit, die dem Roman seinen Titel gab und von der Faulkner schreibt: «Das Licht ist anders als sonst, es hat auf einmal eine seltsam leuchtende Eigenschaft». Lena ist von dem Taugenichts Lucas Burch geschwängert und sitzengelassen worden, kurz vor ihrer Niederkunft macht sie sich naiv zuversichtlich auf die Suche nach ihm, findet ihn schließlich und muss erleben, wie er sich wieder aus dem Staube macht. Von diesem Rahmen ausgehend schildert Faulkner in vielen Rückblenden die Vorgeschichten seiner diversen, von ihm nach und nach eingeführten Protagonisten, deren gemeinsames Merkmal entweder Schrulligkeit oder Stumpfsinn ist, der sich bei einigen aber auch als eine deutlich ausgeprägte geistige Verwirrung zeigt. Diese einzelnen Geschichten sind unglaublich kunstvoll ineinander verschachtelt, bauen aufeinander auf, ergänzen sich schrittweise in ihren Zusammenhängen und lösen sich erst nach vielen eingeschobenen Begebenheiten in einen vollständig erzählten Handlungsstrang auf.

Im Zentrum steht dabei die Geschichte des Findelkindes Joe Christmas - sie macht allein gut die Hälfte des Romans aus - der zum Mörder wird und am Ende einem Lynchmob zum Opfer fällt. Sein Kumpan ist jener Taugenichts Lucas Burch, mit dem zusammen er, der Prohibition zum Trotz, Whiskey verkauft. Der gutmütige Byron Bunch hat sich in Lena verliebt, er hilft ihr aber trotzdem, den liederlichen Kindsvater zu finden. Bei Gail Hightower, einem ehemaliger Pastor, dessen Frau unter dubiosen Umständen ihr Leben verlor und der völlig zurückgezogen lebt, sucht Byron immer wieder Rat. Auch das Mordopfer Joanna Burden, die mit Joe ein Verhältnis hat, lebt einsam in ihrem Haus, sie berät Farbige und hilft ihnen, womit sie sich aus ihrer Gemeinde ausgrenzt, für die «Nigger» trotz verlorenem Sezessionskrieg und Abschaffung der Sklaverei immer noch Menschen zweiter Klasse sind. Gegen Ende des Romans tauchen dann die Großeltern von Joe auf, es klärt sich nun, wie es dazu kam, dass er Weihnachten vor dem Waisenhaus ausgesetzt wurde, um dann mit fünf Jahren zu einem unglaublich bigotten anglikanischen Ziehvater zu kommen, dessen brutale Methoden bei der Erziehung einiges erklären in seinem späteren Verhalten.

Faulkner erzählt seine komplexe, schwermütige Geschichte in einer unglaublich dichten, kompakten Sprache, die vom Leser stets volle Aufmerksamkeit fordert. Sehr häufig setzt er dabei virtuos Bewusstseinsstrom und inneren Monolog ein, nicht selten sogar kombiniert im gleichen Satz. Seine außergewöhnliche Sprachkunst vermag mit wenigen Worten so immens viel zu transportieren, dass man geneigt ist, nach einigen Seiten eine Lesepause einzulegen, um das Gesagte zu verarbeiten, die solcherart entstandenen Bilder auf sich wirken zu lassen, die Geschehnisse gebührend einzuordnen und zu bewerten. Andererseits wird trotz der ungewöhnlich ruhigen, ebenso gemächlichen wie suggestiven Erzählweise Faulkners beim Leser eine Spannung erzeugt, die ihn immer weiter in die Geschichte hineinzieht und dann nicht mehr ruhen lässt, bis er die letzte Seite erreicht hat. Das ist Erzählkunst auf allerhöchstem Niveau.