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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 2164 Bewertungen
Bewertung vom 05.03.2022
Haig, Matt

Der fürsorgliche Mr Cave


gut

Besessenheit eines Vaters

Matt Haigs Romane „Ich und die Menschen“ und „Wie man die Zeit anhält“ hatten mich beeindruckt und Der fürsorgliche Mr Cave hat ein ähnliches Niveau, ohne ganz daran zu kommen. Schließlich ist es ein Frühwerk des Autors.

Die Story eines Mannes, der seine 14jährige Tochter kontrolliert, mit seiner Fürsorge erdrückt und praktisch gefangen hält. Anlass ist der Unfalltod seines Sohnes und die Angst, dass auch Byrony etwas passieren könnte. Er will sie vor der Umwelt schützen, um jeden Preis.
Terence Caves Motive mögen aus seiner Sicht begründet sein, aber er ist ein Täter.
Der Clou des Romans ist, dass die Erzählperspektive aus der Sicht des Vaters ist. Dadurch werden seine Emotionen dem Leser nahe gebracht, ohne das man sich unbedingt mit ihm identifiziert.
Terence Gedanken werden immer wirrer, seine Besessenheit nimmt zu. Manchmal geht mir das zu weit, es wir erzählerisch konfus und ich kann ihn trotz Matt Haigs psychologischen Bemühungen nicht ganz verstehen. Seine Trauer aber schon.
Ich denke es liegt daran, dass der 2008 geschriebene Roman schon älter ist. Matt Haig hat sich seitdem handwerklich gesteigert.

Bewertung vom 03.03.2022
Werner, Kathrin

Niu


sehr gut

Begegnung in New York

Niu ist ein Debütroman.Carmen und Thomas sind nach New York gezogen. Dort wird eine Frau mit dem ungewöhnlichen Namen Niu hinzukommen.
Der kurze, dicht erzählte Roman ist in einer Weltstadt angesiedelt und hat durch die Konzentration auf nur drei Figuren streckenweise doch kammerspielartige Elemente.
Dennoch werden viele Schauplätze in Manhattan abgelaufen und New York ist wichtig für das Buch. Am meisten lebt das Buch aber von dem rätselhaften Charakter Niu, die ein Sphinxartige Figur ist.

Bewertung vom 03.03.2022
Mariani, Selene

Ellis


ausgezeichnet

Selena Mariani erzählt in ihrem Debütroman empathisch und sensibel von der tiefen, aber wechselhaften Freundschaft zweier Mädchen, Grace und Ellis. Nach den Jugendszenen treffen die beiden sich auch als junge Frauen wieder.
Die Perspektive ist durchgängig die von Ells, die halb Italienerin, halb Deutsche ist. So spielen auch so einige Passagen in Italien. Diese Konflikt mit der Herkunft ist ein wichtiges Thema im Buch.
Die Kapitel springen zeitlich viel.Das ergibt einen eigentümlichen Erzählfluss.

Ich habe den Roman sehr gerne gelesen.

Bewertung vom 02.03.2022
Politycki, Matthias

Mein Abschied von Deutschland


gut

Dieser Essay, den ich nie hatte schreiben wollen


Matthias Polityckis Romanen bin ich gewogen, z.B. zuletzt 2020 Das kann uns keiner nehmen.

Dass er plötzlich ausgewandert ist, hat mich überrascht. In diesem Essay „Mein Abschied von Deutschland“ schreibt er ausführlich über seine Probleme mit Sprach- und Denkverbote.

Auch nachdem ich dieses Buch beendet habe,verstehe ich Poltyckis drastische Reaktion nicht. Die meisten von uns können froh sein, in Deutschland leben zu dürfen.

Jeder Satz des Essays zeigt Polityckis Wut und der kompletten Ablehnung. Meiner Meinung nach verhindert das, der Problematik wirklich auf den Grund zu gehen.

Seinen Einwänden kann man entgegensetzen, dass sprachlicher Wandel unvermeidbar, oft auch nützlich ist. Die Sprache, die wir in früheren Jahrzehnten benutzt haben, kann man durchaus kritisieren. Political correctness ist nicht per se schlecht. Eine Sprache, die Menschen nicht herabsetzt, ist zu begrüßen.

Dennoch, Matthias Politycki bringt zahlreiche Beispiele, wo das ganze zu weit geht. Wo die Sprache lächerlich wird, wo es zur Zensur und Selbstzensur kommt. Diese Passagen in dem Essay unterstütze ich.

Bewertung vom 02.03.2022
M'Barek, Yasmine

Radikale Kompromisse


sehr gut

Das Wesen der Demokratie ist der Kompromiss

Gleich zu Beginn des Buches zeigt Yasmine M´Barek an der Gendern-Debatte, wie wenig Konsens von den verhärteten Fronten angestrebt wird..
Dieses Buch aber plädiert für Kompromisse und das liegt auf meiner Linie, ob radikale Kompromisse immer das richtige sind, ist die Frage.
Yasmine M´Barek beklagt, wenn Diskussionen über wichtige Themen abgewürgt werden, als Beispiel nennt sie den Ausstieg aus der Atomenergie.

M´Barek gibt immer wieder Beispiele, wie Sprache die Diskussionen verhärten und Kompromisse verhindern, z.B. die Begriffe Schwarze Null oder die Phrase „OK Boomer“.

Yasmine M´Barek vermag zu argumentieren.
Radikale Kompromisse ist ein unterhaltsames Polit-Buch.

Bewertung vom 02.03.2022
Roth, Charlotte

Ich bin ja heut so glücklich


ausgezeichnet

Eintauchen in die Welt des frühen deutschen Films

Charlotte Roth hat sich mit ihren Romanen schon öfter mit dem frühen 20.Jahrhundert beschäftigt und das kann sie sehr gut.

Dieser Roman ist eine Hommage an die Schauspielerin Renate Müller, die in den dreißiger Jahren Filme machte. Sie stand für sympathisch, positiv, optimistisch. Dabei sind es schwierige Zeiten zwischen den Weltkriegen.
Eine weitere wichtige Figur ist Renates Freund Werner, der sich schließlich in den Machenschaften Goebbels verstricken wird. Und dann verliebt sich Renate in einen Juden.
Schauplatz ist anfangs Danzig, später Berlin.

Charlotte Roth zeigt unaufdringlich die Probleme der Zeit und fängt die Stimmungen ein.

Der Roman ist nicht Charlotte Roths wichtiges Werk, aber das muss es ja auch nicht sein, um dennoch interessant zu sein und sehr gut zu unterhalten.

Bewertung vom 01.03.2022
Solà, Irene

Singe ich, tanzen die Berge


ausgezeichnet

Singe ich, tanzen die Berge ist ein ungewöhnliches Buch voller poetischer Sprache, bei der man merkt, dass die Autorin auch eine Dichterin ist.
Das Buch spielt in den Pyrenäen, lehnt sich an Mythen an und ist vielstimmig erzählt.
Es beginnt in den sechziger Jahren. Doménec, ein Bauer und gleichzeitig Dichter wird vom Blitz erschlagen. Sió, seine Frau sowie die Kinder Mia und Hilari bleiben zurück. Viele weitere Figuren kommen dazu, z.B. Jaume, der Mia liebt. 20 Jahre später wird die Familie wieder eine Tragödie erleben, die sie für lange Jahre trennen wird.

Mit den Kapiteln ändern auch die Erzählformen. Die Wolken, selbst der Berg erhalten eine Stimme und auch die Bären.
Das faszinierte mich!

Die katalanische Schriftstellerin Irene Solà wagt etwas und erreicht viel, da sie sprachlich sehr viel kann.

Bewertung vom 26.02.2022
Böhm, Nicole

Golden Hill Touches / Golden Hill Bd.1


sehr gut

Die Zeit auf der Golden Hill Ranch

Golden Hill Touches fällt durch sein helles, warmes Cover auf, dass den Stil des Romans wiedergibt. Warmherzig und emotional wird kapitelwechselnd aus zwei Perspektiven erzählt. Parker, der nach 11 Jahren aus Denver zurück zur Golden Hill Ranch kommt, in der er als Jugendlicher eine bewegende Zeit verbrachte, aber dann im Streit ging.
Die zweite Stimme ist die von Clay, die damals mit Parker zusammen war
Perler wird jetzt nicht gerade mit offenen Armen, dabei hat er vor auf der Farm seines verstorbenen Großvaters eine Therapiestation mit Pferden aufzumachen.Doch Konflikte zwischen Städter und Dorfleuten deuten sich an.
Diese Ausgangssituation ist interessant und immer wieder gibt es Rückblicke auf die damaligen Ereignisse. Montana als Schauplatz mit der Ranch und der Kleinstadt ist reizvoll.
Sowohl Parker als auch die widerspenstige, selbstbewusste Clay sind wunderbare Figuren, die die Handlung tragen. Die Autorin Nicole Böhm schafft es aber auch, das Kleinstadtmilieu in Boulder Creek mit eigenwilligen Figuren abzubilden.

Bewertung vom 24.02.2022
Seel, Tina

Der Tod der dreckigen Anna (eBook, ePUB)


gut

Der Tod der dreckigen Anna ist Dorfroman und Krimi zugleich. Er beginnt auch mit einer brutalen Ermordung.
Es herrscht ein derber Ton vor, an die man sich erst gewöhnen muss.
Das sprachliche der sechziger und siebziger Jahre in der Pfalz ist aber gut getroffen, wie ich glaube.
Mir persönlich ist die Gegend fremd, zu den Figuren fand ich keine Zugang.

Bewertung vom 24.02.2022
Bossong, Nora

Die Geschmeidigen


sehr gut

Bestandsaufnahme

Die Geschmeidigen ist ein intelligentes Buch von Nora Bossong über ihre Generation, die 1975 bis 1985 geborenen, in erster Linie aus politischer Sicht. Es sind die ca. 40jährigen, die jetzt mehr und mehr in die Verantwortung kommen.

Nora Bossong wirft einen Blick darauf, woher wir kommen, wo wir stehe und Wonach wir greifen.

Betrachtet werden die vielen wichtigen Ereignisse von damals bis heute. Dabei sind z.B. die Wende und auch schreckliche wie 9/11, Brexit, AfD, Trump, Corona etc.

Bossong versammelt immer wieder bemerkenswerte Zitate zu den Themen.
In der Summe entsteht eine politische Bestandsaufnahme der politischen Situation, mit der eine neue Generation umgehen muss, die ein besondere Verpflichtung haben.
Daher ist auch der Buch-Untertitel „Meine Generation und der neue Ernst des Lebens“ gut gewählt.