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yellowdog

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Insgesamt 2164 Bewertungen
Bewertung vom 09.03.2022
Kaiser-Mühlecker, Reinhard

Wilderer


sehr gut

Die Romanhandlung um den Landwirt Jakob ist eigentlich unspektakulär, aber gibt eine unterschwellige, innere Dramatik, die den Leser an den gut formulierten Text fesselt.
Jakob betreibt den nahezu bankrotten Hof seines Vaters praktisch alleine und wirkt ziemlich verbittert, auch wegen anderen Konflikten. Man ist als Leser streckenweise auf der Spur nachdem, was zu seiner Haltung geführt hat.
Eine wende könnte es geben, als er Katja trifft, mit der er sogar ein Kind bekommt.

Wilderer hat mir deutlich besser gefallen als Kaiser-Mühleckers letzter Roman Enteignung.

Der österreichische Schriftsteller Reinhard Kaiser-Mühlecker hat die zeitgenössische Literatur nicht neu erfunden, aber ein gutes Beispiel für ein niveauvolles Buch dieser Form vorgelegt.
Vielleicht ist es sogar ein Kandidat für die Longlist des Deutschen Buchpreises dieses Jahr!

Bewertung vom 09.03.2022
Schentke, Anna Yeliz

Kangal


ausgezeichnet

Schauplätze des kurzen Romans sind Istanbul und Frankfurt.
In der Türkei ist das Leben nach dem Putschversuch für die Oppositionellen gefährlich geworden. Verhaftungen drohen schon bei nur der Äußerung von Kritik.

Anna Yeliz Schentke schafft für ihren Debütroman drei Erzähler, die sich kapitelweise abwechseln.
Es sind die Türkin Dilek, die sich im Internet Kangal nennt und die Türkei verlässt, dann ihr Freund Tekin, der in Istanbul bleibt und schließlich Dileks Cousine Ayla, die in Frankfurt lebt.

Es ist der Autorin gelungen, ihren Figuren individuelle Stimmen zu geben.
Während bei Dilek ihre durch die politische Sitaution entstandene Getriebenheit spürbar ist, sind in den Tekin Passagen sogar fast poetische Stellen in den Beschreibungen Istanbuls.
Ayla hingegen hat als deutsche Türkin das Problem den Erwartungen ihrer konservativen Eltern nicht gerecht zu werden. Sie realisiert ihren Traum zu studieren und hat sich von ihrem Verlobten Yusuf getrennt, da er sie geschlagen hatte.

Die Kapitel sind kurz, dadurch wird der Roman umso dichter.
Ein bezwingend geschriebener Debütroman, der voll überzeugt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.03.2022
Singh, Vibhor Kumar

Wiedersehen im Shangri-La


sehr gut

Der Millionär und der Mönch

Vorbemerkung: Vor den Kapiteln sind immer wieder gut ausgewählte Zitate gesetzt, die ich für wirklich zutreffend halte.

Beispiele:
Erfolg ist nicht der Schlüssel zum Glück. Glück ist der Schlüssel zum Erfolg. Wenn Sie lieben, was Sie tun, werden sie erfolgreich sein.
Albert Schweitzer

Du kannst dich nicht auf deine Augen verlassen,
wenn deine Vorstellungskraft unscharf ist.
Mark Twain


Im Prolog wird dann die Prämisse des Buches aufgebaut: Die Frage „Sind Sie glücklich?“.
Diese Frage stellt sich zum einen einen Millionär, zum anderen einen Mönch, und sie arbeiten dann zusammen.
Sie sind gemeinsam in dem Hotel Shangri-La in Kathmandu.
Shangri-La selbst ist ein Ort des Friedens und der Harmonie. Also eher fiktiv.

Im Buch werden einige interessante Dinge thematisiert, z.B. Minimalismus, ToDo-Listen mit Zielen, Umgang mit Finanzen etc.

Man sollte auch nicht verpassen, wenn sich der Autor am Schluss noch einmal direkt an die Leser wendet.

Bewertung vom 07.03.2022
Park, Sang Young

Love in the Big City


ausgezeichnet

Lebensgefühl in einer Großstadt

Der Ich-Erzähler Young gibt sich überwiegend cool, erzählt direkt, ironisch und ungehemmt, fast wie ein junger Charles Bukowski
Der Roman besteht aus 4 Teilen. Das verleiht dem Roman etwas episodenhaftes.

Youngs beste Freundin und Mitbewohnerin ist Jaehee, die seine Vorliebe für Männer und für das trinken teilt und sich ebenfalls abgeklärt gibt.
Doch ihr Zusammensein endet, als Jaehee überraschend heiratet und auch Youngs Leben ändert sich nun. Er kümmert sich um seine krebskranke Mutter, versucht sich als Schriftsteller und lässt sich auf Beziehungen ein, auch mit einem Mann, mit dem ihm Liebe verband. Ihre gemeinsame Zeit vor 5 Jahren wird in einem Rückblick erzählt.
Sang Young Park nutzt öfter die Methode der Rückblenden und des in den Zeiten springen und prägt seinen großen Seoul-Roman damit.

Die Stärke des Romans ist, dass hier auch unter die Oberfläche gegangen wird.
Trotz der vorgegebenen Coolness, die oft viel Witz versprüht, spürt man die Sensibilität des Protagonisten in vielen emotionalen Szenen.

Bewertung vom 07.03.2022
Schimmang, Jochen

Laborschläfer


sehr gut

Jochen Schimmang wirft in seinem zeitgenössischen Roman Laborschläfer einen Blick auf die Zeit der Bundesrepublik Deutschland.
Das sollte man jetzt nicht so verstehen, dass alle möglichen Ereignisse dieser Zeit erwähnt werden. es ist vielmehr eine eigenwillige Sichtweise der Hauptfigur.
Der Protagonist Rainer Roloff ist wie der Autor ein Jahr älter als die Bundesrepublik. Früher war er Lehrer und Privatgelehrter.
Während seiner Zeit als Proband in einem Schlaglabor in einer Langzeitstudie erzählt er dem Arzt Dr. Meissner von diversen Ereignissen dieser Zeit.
Einige Merkmale aus Zeitgeschehen, Musik und Literatur benennt er. So ganz finde ich mich bis auf ein paar Ausnahmen darin nicht wieder, da mich
anderes prägte. Aber eine Identifizierung mit der Hauptfigur ist auch nicht unbedingt erforderlich, um der Handlung mit Interesse zu folgen.
Der Stil ist ruhig, relativ locker und leicht ironisch.

Bewertung vom 07.03.2022
Malcovati, Marie

Als hätte jemals ein Vogel verlangt, dass man ihm ein Haus baut


gut

zwiegespalten

Wie der Klappentext bereits verrät, ist dies ein Roman einer Suche.
Bestimmend sind dabei die entstehenden Beziehungen der Frauen.
Die unterschiedliche Emotionalität der Frauen wird gut herausgearbeitet, dazu dienen auch die Dialoge.

Marie Malcovati hat eine ruhigen, stellenweise poetischen Stil, bei dem viel mitklingt. Dadurch entstehen starke Bilder vor dem inneren Auge des Lesers.
Mir gefällt auch gut, dass so sensibel erzählt wird.Marie Malcovati hat ein erzählerisch dichten Roman komponiert.
Bei all dem Aufwand wundert mich doch, wie sehr mein Interesse im Verlaufe der Handlung abnimmt. Die Autorin hat versäumt, die Relevanz ihres Buches herauszuarbeiten. Daher bleibe ich am Ende zwiegespalten.

Bewertung vom 06.03.2022
Leo, Maxim

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße (eBook, ePUB)


sehr gut

Was passierte wirklich?

Maxim Leo hat mit Der Held von Bahnhof Friedrichstraße eine ausgezeichnete und treffende Satire auf die Verklärung ostdeutscher Zustände zur Zeiten der DDR geschrieben.
1983 ist eine S-Bahn aus der DDR in den Westen gelangt, so jedenfalls in diesem Roman.
Michael Hartung, ein ehemaliger Bahnarbeiter wird 30 Jahre nach der Wende unversehens zum Helden, weil er einem Journalisten ein Interview über dieses Ereignis gibt. Dadurch wird über Nacht berühmt und sein Leben ändert sich.
Das es so gekommen ist, lag auch darin, dass der Journalist seine Story praktisch schon vorab fertig hatte, und damit Erwartungen erfüllt.
Dabei hat Hartung die Weichenstellung damals nur aus Versehen ausgelöst.
Das halte ich für realistisch. Man spürt beim Lesen ja auch, das man sich fast wünscht, Michael Hartung wäre wirklich der Held gewesen.

Über die DDR humorvoll zu schreiben ist riskant. Auch der Erfolgsfilm Goodbye Lenin war amüsant, entbehrte jedoch nicht der Ostalgie.

Auch der Held von Bahnhof Friedrichstraße würde ich jetzt nicht überbewerten. Aber es ist ein unterhaltender, witziger Roman, den ich mir gut als Fernsehfilm (ähnlich wie letztes Jahr 3 ½ Stunden) vorstellen könnte.

Bewertung vom 06.03.2022
Thomas, Claire

Die Feuer


sehr gut

Glückliche Tage in Melbourne

Die australische Schriftstellerin Claire Thomas hat mit Die Feuer ihren dritten Roman geschrieben. Ins Deutsche übertragen hat ihn Eva Bonné.
In diesem sprachlich ansprechenden Roman sind drei Frauen an einem heißen Tag im Theater und sehen ein Stück von Samuel Beckett.
Es sind die siebzigjährige Margot, dann die ca.40jährige Ivy und die junge Platzanweiserin Summer. Sie sind sehr unterschiedlich. Die meiste Zeit zeigt die Autorin die inneren Gedanken der Frauen, die sich kapitelweise abwechseln und verschiedene Themen einkreisen. Dann wieder wird auch gezeigt, was auf der Bühne passiert.

Das aufgeführte Stück ist aber auch entscheidend. Glückliche Tage, bei der eine Frau bis zur Hälfte in der Erde steckt. Es scheint als versinnbildlicht das zum Teil, wie die Protagonistinnen sich fühlen.

Die Gedanken der 3 Frauen gehen auch in die Vergangenheit, manchmal sogar bis in die Kindheit und so ist man als Leser in verschiedenen Ebenen unterwegs. Das kann herausfordernd sein, da man doch sehr aufpassen muss.
Originell auch, wie sie die Pause, in der sich die drei treffen, in Szenen gestaltet
Und das, während es in der Umgebung von Melbourne aufgrund der Hitze brennt.

Claire Thomas Schreibweise ist geschickt gemacht, gerade weil sie einen einzigen Ort, das Theater, als Ausgangspunkt wählt.

Bewertung vom 05.03.2022
Klönne, Gisa

Für diesen Sommer


ausgezeichnet

Momente der Erinnerung

Gisa Klönne beschreibt in ihrem Roman eine Vater-Tochterbeziehung

Ein Vater, eine Tochter, ein Haus voller Erinnerungen. Dieser Text des Verlags zum Buch ist sehr zutreffend.

Franziska ist Anfang 50, als sei wieder nach Hause kommt, um sich um ihren kranken, verwitweten Vater zu kümmern. Aber ihre Beziehung zueinander ist seit langem gestört.
Schon die Eingangsszene, als Franziska vor der Haustür steht ist stark, sie wird überflutet von Erinnerungen.Auch die Gedanken des Vaters werden beschrieben. Das ist ausgezeichnet gemacht. So erfährt man die Emotionen hautnah.
Gisa Klönnes Stil ist wirklich aufregend. Immer wieder blitzen Momente der Erinnerungen hoch. Daraus bildet sich eine ganze Familiengeschichte.
Gemacht ist das sorgfältig, aber doch mit einer Leichtigkeit, die den Roman so gut lesbar macht.

Abschließend möchte ich noch das Cover erwähnen, das ein Gemälde der Malerin Kim Reuter zeigt und wirklich gelungen ist.

Bewertung vom 05.03.2022
Thorn, Ines

Die Macht der Worte / Die Buchhändlerin Bd.2


sehr gut

Der Wandel der Zeit

Die Buchhändlerin – Die Macht der Worte wirft einen Blick auf Deutschland in den fünfziger und sechziger Jahren und setzt Christa Hanfs Geschichte aus dem ersten Teil fort.
Im Deutschland dieser Zeit ist die Vergangenheit an die schlimme Zeit und Schuld noch sehr lebendig.
Jago und Christa trennen sich. Auch Christas Adoptivsohn Heinz geht fort, als überraschend sein Vater wieder auftaucht. Doch diese Trennungen sind nicht endgültig.
Interessant an dem Buch ist auch der literarische Hintergrund, der durch Bücher und die Literaturlandschaft dieser Zeit eingebunden wird. Da gibt es z.B.die Lesungen der Gruppe 47, Peter Handkes Publikumsbeschimpfung, die Frankfurter Bucmesse, manche bekannte Namen werden genannt. Und auch die geschäftlichen Abläufe in der Buchhandlung sind interessant.
Natürlich spielt auch der politische Wandel der Zeit eine Rolle.

Die Macht der Worte ist ein Roman, der mir anfangs etwas schematisch vorgekommen ist, mit der Zeit aber mehr und mehr an Profil gewinnt.