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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 05.06.2015
Rhodes, Pam

Ein kleines Stückchen Seligkeit


sehr gut

»Als er am Ende seines ersten Arbeitstages als Vikar endlich den Schlüssel im Schloss der Haustür des Hauses Nummer 96 umdrehte, herrschte in seinem Kopf ein großes Wirrwarr von Dingen, an die er sich erinnern musste und wollte, und solcher, die er am liebsten sofort vergessen hätte.
War es ein guter Einstand gewesen? In mancherlei Hinsicht schon, allerdings mit einer erheblichen Ausnahme…
Hatte es ihm Spaß gemacht? Insgesamt auf jeden Fall – aber war er wirklich für diese Art von Aufgabe geschaffen?«

Neil ist scheinbar ein ganz normaler junger Mann. Er ist sich noch unsicher, ob der angestrebte Beruf für ihn der richtige ist. Er hat erhebliche Zweifel, ob er die Anforderungen, die an ihn gestellt werden, erfüllen kann. Er weiß manchmal nicht, wie er reagieren soll, er errötet leicht, hat Scheu, vor vielen Menschen zu sprechen und leidet unter der Bevormundung seiner Mutter, der er sich auch schon mal mit Hilfe einer Notlüge versucht zu entziehen. Was die Geschichte außergewöhnlicher macht, ist die Tatsache, dass Neil Vikar ist und Pfarrer werden möchte.

Das Ganze findet statt in einem kleinen englischen Nest namens Dunbridge. Einer Kleinstadt, wie sie im Buche steht. Schon bald fühlt sich Neil rundum wohl, denn seine Begabung, ein guter Zuhörer zu sein, ist sehr gefragt. Es sind ganz alltägliche Sorgen und Probleme, mit denen die Menschen in Dunbridge zu kämpfen haben und Neil ist ein so sympathischer Mensch, dass selbst die, die mit Kirche eigentlich nichts am Hut haben, in ihm einen Freund oder Kumpel sehen können. Und dann gibt es auch noch eine junge Frau namens Wendy…

Dieser Roman ist in meinem Bücherregal eher ungewöhnlich, aber die Leseprobe hatte mich gleich so gepackt, dass ich ihn unbedingt lesen wollte. Es liegt vielleicht daran, dass ich – wie sicher nicht wenige andere Menschen – ein gewisses Bild von einem „typischen“ Pfarrer habe. Adjektive, die mir in diesem Zusammenhang einfallen, sind beispielsweise konservativ, spießig, altmodisch, streng, ein bisschen langweilig… Gut, ich habe mittlerweile auch andere kennengelernt. Trotzdem denke ich bei einem Pfarrer an einen Menschen, der problemlos vor Massen reden kann, der immer eine adäquate Antwort parat hat, den nichts so schnell aus der Ruhe bringt. Das ist vermutlich albern, aber wenn man sie nur vom Gottesdienst her kennt, fällt es nicht so leicht, sie als „normale Menschen“ zu betrachten. Daher mag ich diesen jungen Mann hier so, er ist mit all seinen Schwächen und Ängsten herrlich normal und menschlich.

Auch unter den Bewohnern von Dunbridge waren so einige, die mir während der Lektüre ans Herz gewachsen sind. Gemeinsam mit ihnen erlebte ich lustige Momente und tieftraurige, ernste und sentimentale, hoffnungsvolle und verzweifelte. Das pralle Leben eben. Das Buch liest sich zudem leicht und schnell und verspricht ein paar angenehme Lesestunden. Eine Einschränkung muss ich jedoch machen: Der Glaube an Gott hat natürlich für Neil eine zentrale Bedeutung und während der Gespräche mit seinen Gemeindemitgliedern werden immer mal wieder Glaubensfragen erläutert. Das passiert meiner Meinung nach in einem nicht übertriebenen Rahmen und wird auch nie zu tiefschürfend, aber man sollte kein grundsätzliches Problem mit dieser Thematik haben.

Fazit: Sehr kurzweilige Lektüre über einen jungen Mann, der ungewöhnlich ist – und auch wieder nicht.

»Das ist also Ihr Rat als Pfarrer. Und was raten Sie mir als mein Freund?«

Bewertung vom 05.06.2015
Polanski, Paula; Nesser, Hakan

STRAFE (Restauflage)


sehr gut

»Lieber Max,
ich bin’s, Tibor, der dir diese Zeilen schreibt. Du erinnerst dich doch sicher? Immerhin habe ich dir zwei Mal das Leben gerettet, und deshalb denke ich, dass du mir einen Gefallen schuldest. Die Sache ist die, dass es mir ziemlich schlecht geht, ich habe nicht mehr lange zu leben, aber es gibt da etwas, was ich noch in Angriff nehmen muss. Und dabei brauche ich deine Hilfe.
Das Leben hat sich nicht so entwickelt, wie wir es uns einst vorgestellt haben.
Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du dich so schnell wie möglich bei mir meldest.
Freundliche Grüße,
Tibor Schittkowski«

Der erfolgreiche Schriftsteller Max Schmeling denkt sich nichts Böses, als er den Brief öffnet, den sein Verlag an ihn weitergeleitet hat. Doch die vermeintliche Bitte um ein Autogramm entpuppt sich als ein Schreiben, das ihn mehr als irritiert. Seit Jahrzehnten hat er seinen damaligen Mitschüler Tibor Schittkowski nicht mehr gesehen und ebenso lange gab es keinen Kontakt. Und obwohl er ihm wohl sein Leben zu verdanken hat, mochte er ihn nie. Aber kann man einem todkranken Menschen guten Gewissens einen Wunsch abschlagen? Max begibt sich auf die Reise zu Tibor, auf eine Reise in seine alte Heimatstadt. Und er hat nicht die geringste Ahnung, auf was er sich da eingelassen hat…

Das erste, was mir am Text auffiel, war natürlich der Name des Schriftstellers. Tatsächlich verdankt er seinen Namen seinem boxbegeisterten Vater – diese Info und viele weitere erfährt der Leser, der mit Max zusammen dessen Vergangenheit erforscht. Die Ausgangslage lässt einen lange im Unklaren, was eigentlich abläuft. Tibor, der krankheitsbedingt nicht mehr gut und lange reden kann, hat sein Anliegen aufgeschrieben. Der Text ist etwas umfangreicher und während sich Max hindurcharbeitet, werden immer mehr Erinnerungen bei ihm wach. Hat er so manches einfach vergessen oder verdrängt?

Man könnte meinen oder befürchten, dass dies nach einer nicht so einfachen Lektüre klingt. Das Gegenteil ist der Fall, das Buch liest sich sehr gut und hatte für mich einen Stil, der mich absolut fesselte. Es gab für mich keine einzige Länge und manches Mal musste ich zudem über Formulierungen lachen. Beispiel?
»… und selbst wenn der Text, an dem er momentan schreibt, die Absicht hat zu havarieren oder zu implodieren (oder was sich sonst abspielen mag, wenn Romane sich das Leben nehmen), …«

Das Buch bleibt spannend, auch wenn es mehr oder weniger unblutig bleibt. Es ist eine unterschwellige Spannung, die das Buch ausmacht. Das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt, dass irgendetwas Böses droht, aber was nur? Lange teilt man Max Ratlosigkeit, fühlt sich gemeinsam mit ihm unwohl und ungerecht behandelt – um kurz danach wieder zu zweifeln, ob da nicht doch etwas sein kann… Irgendetwas?

Der Autor Håkan Nesser wird schon mal als der „Philosoph unter den Krimiautoren Skandinaviens“ bezeichnet. Laut Klappentext begegnete ihm während einer seiner Lesereisen in Deutschland Paula Polanski und erzählte ihm ihre Geschichte. Paula Polanski ist das Pseudonym einer deutschen Publizistin. Der Grund für ihre Anonymität erschließt sich aus der Lektüre des Buchs. Und daraus folgt: Lesen und überraschen lassen ;-)

Fazit: Ein spannendes Verwirrspiel, das mich richtig gut unterhalten hat.

»Warum passiert mir so etwas, fragt er sich. Was ist das nur für eine Partitur, in der ich hier gelandet bin? An den Rollstuhl gefesselte Hohlköpfe, die unverständliche Forderungen an mich stellen, und Frauen, die sich vor meinen Augen das Leben nehmen wollen? Ist das zumutbar?«

Bewertung vom 22.05.2015
Wohlfeil, Ellinor

Im Bann der Vergangenheit (Band 2)


ausgezeichnet

»Tief in ihre Seele hatte sich damals das Gefühl eingegraben, einen Makel zu haben, minderwertig zu sein, der Willkür anderer preisgegeben zu sein. Es lebte immer noch in ihr.«

1945. Die Halbjüdin Anna hat die Schrecken der Nazizeit überlebt, aber die Jahre haben Spuren auf ihrer Seele hinterlassen. Wie soll das Leben nun für sie weitergehen? Gegen den Widerstand ihrer Mutter Gertrud arbeitet sie an der Erfüllung ihres Lebenstraums, Schauspielerin zu werden. Aber letztlich lässt sie sich doch in eine Ehe drängen, wird das, was sie eigentlich nie werden wollte: Hausfrau und Mutter.
Nach außen hin wirkt sie wie eine zufriedene Frau, tatsächlich jedoch wird sie von Depressionen gequält. Erst in den 60er Jahren erhält ihr Leben eine neue Perspektive: Sie wird Lehrerin. Doch schon tauchen neue Probleme auf, denn ihr Ehemann Ralf verfällt dem Alkohol…

In diesem Buch begleiten wir Anna durch die Jahre 1945 – 1975. Die ersten Nachkriegsjahre sind noch von großer Not geprägt, zeitgleich jedoch entsteht der Wunsch nach einem Neuanfang, nach einer Rückkehr zum normalen Leben. Deutlich wird gezeigt, wie stark das Erlebte weiter in Anna wirkt, wie sehr es sie noch Jahrzehnte später belastet.

Ein weiteres Thema des Buchs ist der Wunsch einer jungen Frau, aus dem sie umgebenden Geflecht aus Regeln und veralteten Ansichten auszubrechen. Anna tut sich damit sehr schwer, denn ihre Mutter Gertrud ist fest davon überzeugt, dass der beste Weg einer Frau der in die Ehe ist.
»Will sie mich nicht verstehen, oder kann sie es nicht? Als ob den Frauen schon bei ihrer Geburt ihr Lebensweg vorgezeichnet würde; als ob sie keine Wahl hätten, kein Recht auf eine persönliche Lebensgestaltung; als ob dies nur ein Privileg der Männer sei.«
Wer schon den ersten Band dieser Familiensaga „Im Zwielicht der Zeit“ gelesen hat, den werden die Konflikte zwischen Anna und Gertrud stark an die zwischen Gertrud und ihrem Vater erinnern. Ich fand es ungemein interessant, dies zu verfolgen.

Auch dieser Band hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gepackt. Es ist erschütternd zu lesen, wie eine junge Frau einerseits Glück hatte, weil sie die Nazi-Zeit überlebt hat und andererseits noch Jahrzehnte später von dem Erlittenen gequält wird. All dies ist wieder so eindringlich und realistisch beschrieben, dass ich die ganze Zeit dachte: Das klingt nicht nach etwas, das man sich ausgedacht hat oder das einem berichtet wurde. Das klingt nach etwas, das man selbst erlebt oder gesehen hat.

Erlittene Schäden an der Seele, Depressionen, Alkoholismus – viele ernste Themen stehen im Vordergrund. Trotzdem kann auch dieses Buch Mut machen, sich den Herausforderungen zu stellen, die das Leben manchmal bereithält.

Die Geschichte der Familie während der Jahre 1912 – 1945 wird im ersten Band der Saga „Im Zwielicht der Zeit“ beschrieben. Ich würde empfehlen, mit der Lektüre „vorne“ anzufangen. Allerdings gibt es dank Rückblenden auch keine Verständnisschwierigkeiten, wenn der erste Band nicht gelesen wurde.

Fazit: Aufwühlend, packend, realistisch. Auch für dieses Buch gebe ich wieder eine volle Leseempfehlung.

»Was ist die Summe von allem? Was wird bleiben?«

Bewertung vom 22.05.2015
Wohlfeil, Ellinor

Im Zwielicht der Zeit


ausgezeichnet

»Das war das Leben, das war mein Leben! Wie wird es weitergehen?«

Im Jahr 1912 trifft das Schicksal erstmalig die gerade 17jährige Gertrud mit ganzer Härte – ihre Mutter stirbt. Von nun an ist sie allein mit dem Vater und ihrem jüngeren Bruder Paul. Sehr oft wird die Mutter ihr in den folgenden Jahren fehlen, denn der Vater, ein Patriarch, wie er im Buche steht, weiß ganz genau, was sich für ein junges Mädchen aus gutem Haus gehört und was nicht. Und er ist es gewohnt, dass seinen Wünschen und Anordnungen gefolgt wird.
Mit dem Beginn des 1. Weltkrieges folgen die nächsten Schicksalsschläge. Gertruds Verlobter fällt an der Front und aus dem wohlbehüteten und an einen gewissen Wohlstand gewöhnten Mädchen wird eine junge Frau, die vom Hunger getrieben versuchen muss, bei Bauern Wertgegenstände gegen Lebensmittel einzutauschen.
Nach dem Krieg sucht sie einen neuen Weg für ihr Leben, doch der Vater untersagt ihr eine Berufstätigkeit und drängt sie stattdessen zu einer Ehe, die ihr für die Zukunft Wohlstand und Sicherheit bieten soll. Einer Ehe mit dem jüdischen Kaufmannssohn Philipp Goltstein…

Aus heutiger Sicht weiß jeder Leser natürlich sofort, dass die Heirat mit einem Juden in den 1920er Jahren alles andere als ein Garant für eine gesicherte Zukunft war. Wir erleben mit, wie Gertrud und Philipp mit ihren beiden Kindern Anna und Paul eine kurze Zeit des Glücks gegeben ist, bevor sich ab 1933 das Blatt für alle grausam wenden wird. Durch Repressalien, Angst und Bedrohungen hindurch begleiten wir die Familie bis zum Ende des 2. Weltkriegs.

Eine Familiengeschichte ist das hier – aber was für eine! Ich war so gefesselt von der Handlung, dass ich es nicht aus der Hand legen mochte. Die Geschichte bietet einen präzisen Eindruck des täglichen Wahnsinns, den ein Jude oder Halbjude während dieser furchtbaren Zeit erleiden musste. Dadurch, dass man als Leser die Personen schon vorher kannte und sie (weil allesamt sympathisch) in sein Herz geschlossen hatte, ist man geradezu mitschockiert, verfolgt fassungslos die Ereignisse. Stets ist man ganz nah an der Handlung, was sicher auch an den intensiven Schilderungen der Autorin liegt. Deutlich merkt man mit jedem Satz, dass er von einer Zeitzeugin geschrieben wurde.

Die Geschichte bietet aber noch mehr, denn die Probleme, die zwischen Eltern und Kindern geschildert werden, lassen sich in ähnlicher Form vermutlich auf jede Zeit, jedes Land und jede Gesellschaftsschicht übertragen. Vereinfacht könnte man sagen, dass Eltern das Beste für ihr Kind wollen und überzeugt sind zu wissen, was dieses Beste genau ist - aber trotzdem irren können. Und dass sie sich mit der Durchsetzung des Willens beim Kind nicht gerade beliebt machen. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang zu beobachten, wie ein solches Kind, sobald es selber Kinder hat, handelt. Konkret kann man im Buch verfolgen, was Gertrud sich als junges Mädchen wünscht und wie sie unter den Anordnungen und Ansichten des Vaters leidet. Und eine Generation später verhält sie sich ihrer Tochter Anna gegenüber praktisch in gleicher Weise. Sollte das nicht helfen, Verständnis füreinander zu entwickeln?

Wer sich für Zeitgeschichte und Familienchroniken interessiert, sollte sich dieses Buch nicht entgehen lassen. Zugegeben: Das Gelesene tut oftmals richtig weh, mich hat es noch lange beschäftigt. Aber trotz aller Schrecken ist dies ein lebensbejahendes Buch, das sogar ein wenig Mut machen kann.
»Bäume blühen, und Äpfel reifen, so wie sie es seit Tausenden von Jahren getan haben, trotz der sinnlosen Zerstörung, von der die Welt heimgesucht wurde. Das Leben hat überlebt.«

Die Geschichte der Familie in den Jahren 1945 – 1975 wird im 2. Teil dieser Saga „Im Bann der Vergangenheit“ beschrieben.

Fazit: Sehr intensiv, berührend und realistisch. Unbedingt empfehlenswert!

Bewertung vom 17.05.2015
Nyborg, Ernest

Lena Halberg - Paris '97


sehr gut

»Der Mercedes war nach diesem Manöver nicht mehr abzufangen. Kaum war er an Francos Fiat vorbeigezogen, prallte er auch schon ungebremst auf einen der Betonpfeiler des Tunnels auf. Das schwere Fahrzeug bäumte sich auf, wurde innerhalb kürzester Zeit förmlich zerrissen und mit einem ohrenbetäubenden Geräusch auf die Straße zurückgeschleudert.
Für Franco gab es keine Möglichkeit mehr anzuhalten, also blieb er weiter auf dem Gas, um von der Stelle wegzukommen. Instinktiv krümmte er sich zusammen, um den Stoß einer Kollision abzufangen. Der Mercedes – oder das, was von ihm noch übrig war – schlitterte vom Pfeiler zurück auf Francos Spur und verfehlte den Fiat nur um Zentimeter. Hinter ihm krachte etwas an die Wand der Unterführung. Franco trat in die Bremsen und blieb stehen. Ein Blechteil schepperte noch über sein Dach, dann war es still, nur die Hupe des Mercedes heulte gespenstisch in der Unterführung.«

Paris, am 31. Juli 1997, kurz nach Mitternacht. Bilder und Berichte über den verunglückten Mercedes und seine Insassen werden in Kürze um die ganze Welt gehen. Ein Land wird in Trauer verfallen und Spekulationen, wie es zu dem tragischen Unfall kommen konnte, bei dem Lady Diana verstarb, wird es reichlich geben.
Franco, der Fotograf, der auf der Jagd nach einem tollen Foto dem Mercedes gefolgt war, könnte erzählen, wie es wirklich war – nur wird auch er noch in der gleichen Nacht ebenfalls einen tödlichen Unfall haben…
London, in der Gegenwart. Die Journalistin Lena Halberg wurmen die diversen Unklarheiten rund um den Tod ihres damaligen Freundes Franco noch immer. Ein Zufall spielt ihr einen Hinweis in die Hände, der ihr bestätigt, was sie immer schon befürchtet hatte: Francos Tod war kein Unfall, sondern Mord. Ihre Suche nach dem „Warum“ und dem Schuldigen wird sie in ein dichtes Geflecht aus Politik, Geheimdiensten und Rüstungskonzernen führen…

Dieser Thriller nimmt nicht für sich in Anspruch, das Rätsel um die tatsächlichen Ereignisse rund um den Unfalltod von Lady Diana lösen zu wollen, sondern er greift ein paar der diversen existierenden Spekulationen auf und führt sie weiter. Das aber so schlüssig und umfassend, dass ich mehrfach dachte: Ja, so könnte es gewesen sein. Und dabei steht der Tod der Prinzessin eigentlich gar nicht im Mittelpunkt der Handlung, denn Lena will zunächst einfach nur wissen, was mit ihrem Freund passiert ist. Unglaublich, in was für ein Wespennest sie dabei stößt!
»Lassen Sie es genug sein, in Ihrem eigenen Interesse. Sie geraten sonst in Dinge, die unüberschaubar sind und sehr gefährlich werden können.«

Lena gefiel mir als Charakter sehr! Sie ist eine starke Frau, eine coole Frau. Natürlich bekommt sie Angst, als sie merkt, mit wem sie sich alles angelegt hat. Trotzdem zieht sie ihr Ding durch, gerne auch mal mit dem Kopf durch die Wand. Mir war das sehr sympathisch!
Der Schreibstil gefiel mir ebenfalls, das Buch las sich flott, war unterhaltsam und spannend. Und erschien mir häufig (leider, leider) sehr realistisch.
Realistisch erschienen mir auch die beschriebenen Schauplätze, angefangen bei der gewissen Nacht in Paris, über London, Italien und China. Egal ob es sich um heruntergekommene Stadtteile handelte oder um noble Gegenden, ich sah alles deutlich vor mir.

In der Summe ergibt das einen spannenden Politthriller, der alles aufbietet, was man sich wünschen kann: Korrupte Politiker, fiese Geheimdienste, skrupellose Rüstungskonzerne, Auftragskiller – und eine mutige Journalistin, die auch schon mal für Action sorgt, wenn sie sich eine nächtliche Verfolgungsjagd leistet: Schnelles Motorrad (Fahrerin Lena) gegen Porsche (Fahrer: Einer der Bösen).

Am Ende des Buches ist zwar einiges aufgeklärt, aber einiges auch nicht. Der Leser muss sich auf einen Cliffhanger gefasst machen! Paris ‘97 ist der erste Teil einer Trilogie, die im Frühjahr 2016 mit New York ’01 weitergeführt wird. Ich werde ganz sicher wieder dabei sein.

Bewertung vom 15.05.2015
Horowitz, Anthony

Das Geheimnis des weißen Bandes


ausgezeichnet

»Die Ereignisse, die ich im Folgenden beschreiben will, waren einfach zu ungeheuerlich und schockierend, um gedruckt zu werden. Und das sind sie noch immer. Es ist keine Übertreibung, wenn ich behaupte, dass sie das ganze Gefüge unserer Gesellschaft zerreißen könnten, wenn sie veröffentlich würden, und das ist, besonders in Zeiten des Krieges, ein Risiko, das ich nicht eingehen darf. Wenn ich die Kraft dafür aufbringe, die Niederschrift abzuschließen, werde ich das Manuskript versiegeln und in einem Schließfach im Tresor von Cox & Co am Charing Cross deponieren lassen, wo auch gewisse andere private Papiere von mir aufbewahrt werden. Ich werde Anweisung geben, dass dieses Päckchen erst in hundert Jahren geöffnet werden darf. Man kann zwar nicht wissen, wie die Welt dann aussehen und welche Fortschritte die Menschheit bis dahin gemacht haben wird, aber vielleicht sind künftige Leser im Hinblick auf Skandale und Korruption doch etwas besser gewappnet, als es die heutigen sind. Ihnen hinterlasse ich ein letztes Porträt meines Freundes Sherlock Holmes – und eine Perspektive, die bisher noch ganz unbekannt war.«

Wer diesen Absatz des ungemein neugierig machenden Prologs liest, weiß sofort: Niemand anderes als Dr. Watson hat mal wieder zu Feder und Papier gegriffen, um die ermittlungstechnische Meisterleistung seines Freundes Sherlock Holmes niederzuschreiben. Und der Leser dieses Buchs kann sich wirklich glücklich schätzen, dass hundert Jahre seit der Niederschrift vergangen sind – welch tolles Abenteuer würde sonst immer noch in diesem Schließfach vor sich hin schmoren!

Alles beginnt ganz harmlos. An einem kalten Novembertag des Jahres 1890 betritt ein besorgter Mann die Räume in der Baker Street 221b – er fühlt sich verfolgt und bedroht und bittet den berühmtesten aller Privatdetektive um Hilfe. Tatsächlich geschieht schon bald ein furchtbares Verbrechen, dem weitere folgen werden. Im Laufe seiner Ermittlungen wird Holmes in eine Verschwörung geraten und auf Dinge stoßen, die selbst er sich zuvor nicht vorstellen konnte…

Toll! Großartig! Ich bin total begeistert! Dieser neue Sherlock Holmes Roman hatte alles, was ich mir gewünscht hatte: Viele „Kernsätze“, für die der Detektiv sicher genauso geliebt wird wie für seine phantastische Kombinationsgabe…
»Alles eine Frage der Beobachtung und der entsprechenden Schlussfolgerungen.«
Einen verzwickten Fall, der reichlich Spielraum zum Mitraten lässt. Wobei Spekulationen ja auch nicht für jeden etwas sind…
»Sie wissen, dass ich Spekulationen verabscheue. Es ist zwar manchmal nötig, verschiedene Indizien mit Hilfe der Vorstellungskraft zu verknüpfen, aber das ist etwas völlig anderes.«
Der Leser muss auf nichts verzichten. Weder auf die kleinen Wortgefechte mit Dr. Watson…
»Sie vergeben mir hoffentlich, wenn ich Ihnen sage, dass Sie wie ein offenes Buch für mich sind, lieber Watson, und dass Sie mit jeder Lebensregung eine weitere Seite aufschlagen.«
… noch auf das Mitwirken von Inspektor Lestrade…
»Wenn Lestrade mit der Sache befasst ist, kann ich Ihnen versichern, dass er sehr bald zu einem Ergebnis kommt, auch wenn es vollkommen falsch ist.«
Der Fall wird ungemein spannend und für Holmes zu einer richtigen Herausforderung!
»Höchst sonderbar. … Dieser Fall wird immer komplizierter und merkwürdiger.«
Und am Ende dieser 353 Seiten freut man sich natürlich, dass Holmes auch diesen Fall geknackt hat, ist aber trotzdem traurig, dass das Buch schon aus ist.

Der Autor ist seit seiner Jugend Sherlock-Holmes-Fan und erhielt für dieses Buch exklusiven Zugang zum Archiv von Arthur Conan Doyle. Das Ergebnis kann ich nur als absolut gelungen bezeichnen.

Fazit: Unterhaltsam, knifflig, spannend. Ein Holmes, wie er sein muss.

»Die Polizei ist schon da gewesen. Sie haben nichts gefunden.«
»Ich bin aber nicht die Polizei.«

Bewertung vom 08.05.2015
Jagusch, Rudolf

Amen


sehr gut

»Liebe Kölner … Der Kölner Dom. Ein Symbol des christlichen Abendlands, wie es nur wenige in Europa gibt. Ein gewaltiger Bau, ein Werk von Jahrhunderten. Ein Ort der Ruhe und Besinnung. Ein Raum der Begegnungen, mit Menschen und mit Gott. … Sitzt man hier im Kirchenschiff, fühlt man sich Gott so nah wie an keinem anderen Ort auf der Welt. … Leider könnte all das im Bruchteil einer Sekunde Geschichte sein.«

Dieser Mann, der da im Kölner Dom steht, mit einem Sprengstoffgürtel und dem Zünder in der Hand, hat klare Forderungen gestellt. 50 Millionen Dollar, ein Flugzeug zu seiner Verfügung und freien Abzug, sonst sprengt er den Dom in die Luft. Zusätzlich zu den von ihm in der Stadt versteckten Sprengsätzen, die die Stadt in ein Trümmerfeld verwandeln werden. Und zusätzlich zu seiner Stieftochter, die er lebendig begraben hat und deren Versteck er erst dann verraten wird, wenn alle seine Forderungen erfüllt sind.
Zu verlieren hat der Mann scheinbar nichts und stellt somit eine harte Nuss dar für Polizei, SEK, Psychologen und Vermittler. Und auch für Kriminalkommissar Martin Landgräf, der seit einem schweren Herzinfarkt dienstunfähig ist, eigentlich nur zum Beten in den Dom gekommen war und plötzlich mitten in einem Fall steckt, der ihn an die Grenzen seiner Belastbarkeit bringen wird.

Dieser Thriller war wieder einer von der Sorte, die man am liebsten in einem Rutsch und ohne Abzusetzen liest. Die Spannung war von der ersten Seite an da und blieb durchgängig erhalten. Dabei war mir eigentlich recht schnell klar, was da ablief und wer noch an der ganzen Angelegenheit beteiligt war. Trotzdem litt der Unterhaltungswert darunter nicht. Ich würde sagen, dieses Buch ist vergleichbar mit einem Action-Film. Man kann es zwischendurch genießen, braucht nicht um die Ecke zu denken, sondern kann sich einfach von der Handlung mitreißen lassen.

Es gibt diverse Rückblenden, die Einblicke in das Beziehungsgeflecht der Charaktere geben und veranschaulichen sollen, wieso die jeweiligen Personen zu genau den Menschen wurden, die sie sind. Da erwarten den Leser zwar keine großen Überraschungen, aber alles ist schlüssig und logisch. Erwähnenswert finde ich ein Kapitel, das sich mit den Skrupeln und Gedanken einer SEK-Beamtin befasst. Im Grunde hätte das noch mehr Tiefe verdient, aber dafür ist dieses Buch einfach zu rasant.

Fazit: Ein Buch wie ein Action-Film, rasant und explosiv. Perfekt für Zwischendurch.

Bewertung vom 08.05.2015
Büchle, Elisabeth

Skarabäus und Schmetterling


sehr gut

Ägypten, 1922. Im Tal der Könige verfolgen Lady Alison und ihre Ziehtochter Sarah gebannt die Ausgrabungen. Howard Carter hat endlich das Grab von Tutanchamun entdeckt und die Damen schätzen sich glücklich, das erleben zu dürfen! Alles könnte perfekt sein, wenn sich nicht rund um Sarah eigenartige Unfälle häufen würden. Kann es jemand auf sie abgesehen haben? Aber weshalb bloß?

Der erste Teil dieses Buches führt uns in eine spannende Vergangenheit. Ein Prolog, der im Jahre 1.327 v. Chr. spielt, leitet die Handlung ein und macht schon gleich neugierig auf das, was kommen wird. Die Beschreibungen der Ausgrabungsarbeiten im Tal der Könige haben mich dann schwer begeistert, alles war so lebendig beschrieben, dass ich mich fast wie vor Ort fühlte ;-) Wie mag den Menschen zumute gewesen sein, die auf diese seit Jahrtausenden verborgenen Zeugnisse einer faszinierenden Kultur stießen?
Und wer sich schon zuvor für diese Dinge interessierte, wird sich darüber freuen, dass auch Carters berühmtes Zitat im Buch nicht fehlt ;-)

Der zweite Teil des Buches spielt dann im Jahre 2011. In London bekommt Duke Taylor von Europol den Auftrag, einen illegalen Handel mit Artefakten aus der Pharaonenzeit aufzuklären. Seine Spur führt ihn nach Berlin, wo Rahel Höfling, eine junge angehende Archäologie-Studentin, im Neuen Museum als Praktikantin arbeitet. Hat sie oder ihre Familie tatsächlich etwas mit diesen illegalen Aktivitäten zu tun? Als Rahel von unbekannter Seite bedroht wird, spitzt sich die Situation zu und wird alle Beteiligten wieder an den Ort führen, an dem alles begann…

Ich gestehe, was mich am meisten an diesem Buch reizte, war das Thema Ägypten und seine Pharaonengräber. Was das angeht, wurde ich auch nicht enttäuscht. Sämtliche Kapitel, die in Ägypten spielen, sind reich an Eindrücken und die Autorin findet wunderbare Worte, um Natur, Menschen, Monumente und Kunstschätze zu beschreiben.

Spannung entsteht, wenn in beiden Teilen des Buches versucht wird, die Ursache der jeweiligen Bedrohung aufzudecken – und sie natürlich möglichst abzustellen. Dazu muss weit in Familiengeheimnisse eingetaucht werden, was dem Leser bis kurz vor Schluss immer neue Überraschungen beschert. Ich kann verraten, dass mehrfach lebensbedrohliche Situationen entstehen und es gerade zum Ende hin besonders spannend wird.
Hin und wieder konnte ich auch lachen, was an einigen wirklich sehr unterhaltsamen Charakteren liegt. Und auch Anspruch ist gegeben, denn quer durch das Buch zieht sich eine Frage: Was fängt man mit dem eigenen Leben an, wie lebt man mit der eigenen Vergangenheit und der seiner Familie? Und wie findet man seinen eigenen Weg, seine eigene Zukunft?
Besonders interessant ist dabei zu sehen, wie sich junge Frauen, die in völlig verschiedenen Zeiten leben, im Grunde mit dem gleichen Problem konfrontiert sehen. Selbst die Protagonistin im Prolog macht da keine Ausnahme.

Nach so viel Begeisterung komme ich nun zu dem Punkt, der mich von einer 5-Sterne-Wertung abgehalten hat. Dieses Buch ist gleichzeitig ein Liebesroman, in jedem Teil des Buches fliegt ein weibliches Herz einem männlichen zu. Und umgekehrt. Gut, zugegeben, ich lese Liebesromane nicht häufig, aber ich habe auch nichts gegen ein bisschen Liebesgeschichte und Romantik einzuwenden, gehört schließlich beides zum Leben dazu. Und das Ende (möchte ich betonen) fand ich ganz wunderbar romantisch! Aber ansonsten wurde mir an manchen Stellen doch zu viel geschmachtet, vor allem störte mich, dass auf gefühlt jeder dritten Seite beschrieben wurde, wie sagenhaft gutaussehend, groß, stark, muskulös und männlich „Er“ doch ist, wie das T-Shirt über seinem Oberkörper spannt und sich das Spiel seiner Muskeln abzeichnet. Und „Sie“ war stets zart, feingliedrig, zierlich und hatte sooo große Augen… Womöglich empfindet ein regelmäßiger Leser von Liebesgeschichten dies nicht als störend, für mich als gelegentliche Konsumentin wäre weniger da mehr gewesen.