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TochterAlice
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Köln

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Insgesamt 1460 Bewertungen
Bewertung vom 26.06.2020
Voosen, Roman;Danielsson, Kerstin Signe

Die Taten der Toten / Ingrid Nyström & Stina Forss Bd.8


ausgezeichnet

In diesem in Schweden spielenden Kriminalroman - dem insgesamt achten der Reihe des Autorenpaares Roman Voosen und Signe Danielsson - steht einmal das ganze Team der Kripo Växjo im Fokus. Auch wenn die Chefin Ingrid Nyström und die deutsch-schwedische Kommissarin Stina Forss zentral agieren, nehmen alle anderen diesmal nicht nur Nebenrollen ein. Und es geht diesmal darum, das eigene Team, vor allem Stina Forss, aus der Schusslinie zu ziehen.

Diesmal hat mich ein bisschen gestört, dass der Mord am schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme im Jahr 1986 im Mittelpunkt stand und wie bereits bei der Lektüre des letzten Falles "Schneewittchenmord", wo diese Thematik eingeleitet wurde, befürchtet, ging es diesmal durchaus auch um eine mögliche Auflösung. Das war mir dann doch zu viel des Guten. Auch steht das Privatleben des gesamten Ermittlerteams immer stark im Fokus, diesmal teilweise auch in Verbindung mit dem alten Fall.

Doch wer könnte es sonst sein - wie auch immer, man ermittelt in alle Richtungen, auch wenn es nicht allzuviele Möglichkeiten zu geben scheint. Diesmal durfte der Leser dabei ausführlich einem jeden Teammitglied auf die Finger schauen - das war aus meiner Sicht ein wenig langatmig, stellenweise auch langweilig. Auch wenn es durchaus Passagen gibt, bei denen man den EIndruck hat, dass das schwedische Ermittlerteam Rambo oder Magnum, mindestens jedoch James Bond Konkurrenz machen will.

Dennoch habe ich diesen Band wie die Reihe insgesamt sehr gerne gelesen und kenne auch viele der vorherigen Fälle. Das deutsch-schwedische Autorenpaar versteht es, atmosphärisch und spannend zugleich zu schreiben, wodurch diese Reihe zu meinen Favoriten aus dem skandinavischen Raum gehört.

Was mich allerdings begeistert hat, war die überraschende Auflösung - logisch und absolut nicht vorhersehbar. Insgesamt also eine ausgesprochen lohnenswerte Lektüre für Freunde skandinavischer Kriminalliteratur!

Bewertung vom 24.06.2020
Abidi, Heike;Breidenbach, Ursi

Eine wahre Freundin ist wie ein BH


sehr gut

Ming eetste Fründin war nicht, wie im titelgebenden Lied der KölschRock Band "Bläck Föss" erwähnt, dat Meiers Kättche, sondern... nein, das verrate ich jetzt nicht. Nur, dass wir bereits im Kindergarten zusammen kölsche Martinslieder sangen und tüchtig Karneval feierten. Und wir sind auch heute noch, mehr als 50 Jahre später, eng befreundet, auch wenn unsere gemeinsamen Aktivitäten - die sich immer noch meistenteils im Rheinland abspielen - inzwischen ziemlich anders geartet sind.

Diese und viele andere Erinnerungen kamen in mir bei der Lektüre dieses Buches hoch, dass sich sozusagen chronogisch vorarbeitet. Sich quasi durch das Leben der Frau (und potentiellen Freundin) durchzieht. Es beginnt - wie in meinen Erinnerungen - in der frühesten Kindheit und setzt sich bis ins hohe Alter fort. Die beiden Autorinnen Heike Abidi und Ursi Breitenbach ziehen hier sowohl eigene Erinnerungen wie auch auf zahlreiche nicht nur im eigenen Freundeskreis geführte Interviews heran. Unterhaltsam und in stetigem Wechsel äußern sich Abidi und Breitenbach abschnittweise, was häufig höchst erquicklich. Nicht ganz so gut haben mir die dazwischengepackten Ausführungen von Beispielen zum Thema Freundinnen in Literatur und Film (die Idee war gut, aber irgendwie konnte ich nicht auf das Resultat anspringen) oder auch eine Bucket List zu Aktivitäten mit Freundinnen. Hier hätte etwas weniger Mut zu aktuellen Trends gut getan und ich hätte mich nicht über Vorschläge wie das Stechen eines gemeinsamen Freundinnen Tattoos (was aus meiner Sicht nicht nur im hohen, sondern in jedem Alter absolut bescheuert wirkt) ärgern müssen.

Dennoch: insgesamt hatte ich viel Spaß mit diesem amüsanten Buch!

Bewertung vom 16.06.2020
Sánchez Vegara, María Isabel

Hannah Arendt


ausgezeichnet

Klein-Hannah war ein freches Ding
So hätte man das in den Jahren ihrer Kindheit gesagt: aufmüpfig und störrisch hätte man sie genannt! Denn es waren andere Zeiten als heute! Ein Mädchen hatte sich anzupassen, brav zu sein und nicht nach Wissen zu streben.

Nein, sie hatte eine gute Hausfrau zu sein und wenn sie unbedingt glänzen wollte, dann mit einem leckeren Sonntagsbraten oder einer sauberen Stickarbeit. Das alles war jedoch sowas von weit weg von Hannah Arendt, schon in den Jugendjahren ging sie ihren eigenen Weg. Sie hat sich echt was getraut, nämlich sich zu wehren: wenn sie etwas falsch fand, riskierte sie mal eben einen Aufstand. Und flog dafür von der Schule.

Damit nicht der Eindruck entsteht, ich wolle hier jemanden aufhetzen: das sollte man nur dann nachmachen, wenn man sich sicher ist, dass man auch so seinen Weg macht. War Hannah sicher nicht, aber sie hat das Abi auch so gemacht und auch ein Studium gewuppt.

Hannah war also immer eine, die bereit war, den schwereren Weg zu gehen, wenn nötig. Auch, als sie bereits die große Hannah war.

Ein Kinderbuch, das man den Kindern präsentieren sollte, denen man wünscht, dass sie sich zu eigenständigen Wesen mit einer eigenen Meinung entwickeln - also eigentlich allen, hoffe ich! Aber ich könnte mir vorstellen, dass auch Erwachsene Freude an diesem ganz besonderen Bilderbuch haben werden! Mit Zeichnungen, die Hannahs Lebensweg nachgehen, der vielleicht gar nicht sooo interessant ist für die ganz Kleinen. Aber das macht nichts, denn sie können mit dem Buch wachsen und es auch in späteren Jahren nochmal lesen. Das ist nämlich eines, das (zunächst) kleine Leser ihr Leben lang begleiten kann. Und auch ihren erwachsenen Verwandten jede Menge Freude bescheren wird! Einfach toll!

Bewertung vom 14.06.2020
Haruf, Kent

Kostbare Tage


sehr gut

"Kostbar", das bedeutet für jeden Akteur in diesem Roman etwas anderes: für die Familie Lewis: Vater Dad, Mutter Mary und Tochter Lorraine, die über ihre besten Jahre bereits hinaus ist, erleben ihre letzten Monate, Wochen oder auch nur Tage als Familie, denn bei Dad wurde Krebs im Endstadium festgestellt. Lorraine kehrt aus diesem Grund zurück ins Elternhaus - es ist ein warmherziger Umgang, den die Drei miteinanander pflegen, auch wenn nicht alles in der Familie eitel Sonnenschein war, denn Sohn Frank ist seit Jahrzehnten abgängig, niemand weiß, wo er sich befindet.

Dad Lewis ist ganz klar die Hauptperson in diesem Roman, er lässt sein Leben Revue passieren, zum Ende des Romans und seines Lebens hin wird der Leser auch Zeuge seiner Halluzinationen. Diese werden mit der Haruf eigenen Klarheit und einer gewissen Reduziertheit dargestellt, die diesen Vorgang zumindest aus meiner Sicht durchaus realistisch wirken lässt.

Doch gibt es weitere Handlungsstränge, den um die kleine Alice, die gerade ihre Mutter verloren hat - ebenfalls an den Krebs - und nun von ihrer Großmutter, der direkten Nachbarin der Lewis' aufgenommen wird. Für sie bedeutet Holt also einen Neubeginn. Lorraine kümmert sich ebenso wie zwei weitere Bürgerinnen der Stadt; Mutter und Tochter Johnson, intensiv um sie und schnell wird deutlich, dass alle drei Frauen durch den Umgang mit dem Kind eine große Bereicherung erfahren. Als absolutes Highlight habe ich eine Badeszene der vier weiblichen Wesen (Alice kann man ja noch nicht als Frau bezeichnen) in einem Wassertrog auf der Weide empfunden, die für alle vier etwas Neues, ein ganz besonderes Erlebnis darstellt. Ein anderer handelt vom neuen Pfarrer Reverend Lyle, der es nicht gerade leicht hat - vielmehr macht er es sich selbst unendlich schwer. Und all diese Figuren wie auch eine mehr finden sich im Hause Lewis zusammen.

Kent Haruf erzählt mit einer gewissen Distanz, dennoch mit Wärme von seinen Helden des Alltags und immer wieder ist es ganz schön starker Tobak, den sie da durchmachen müssen. Doch immer wieder sind es Momente des Zusammenhalts, der Hilfsbereitschaft, der gegenseitigen Wertschätzung, die eine Wendung bringen und so klappt der Leser - zumindest ich - am Ende das Buch mit einem sehr warmen, wohligen Gefühl im Bauch zu.

Es ist ein leises Buch, aber dennoch eines mit Schwung, eines, in dem ordentlich Handlung drin vorkommt, man sollte nur bereit sein, sich darauf einzulassen. Mit seinem Roman über Helden des Alltags in Nordamerika stellte sich der Autor Kent Haruf - leider bereits 2014 verstorben - in eine Reihe mit Autorinnnen wie Anne Tyler, deren Romane alle in Baltimore spielen oder auch der kanadischen Nobelpreisträgerin Alice Munro, deren Erzählungen ebenfalls an einem Ort angesiedelt sind. Ein Schriftsteller, der etwas zu sagen hat und den es sich kennenzulernen lohnt!

Bewertung vom 13.06.2020
Lambert, Karine

Der unsichtbare Garten


sehr gut

Der Tennisspieler und -lehrer Vincent erfährt von seiner Augenärztin, dass er aufgrund einer selten Krankheit erblinden wird. Und das nicht irgendwann, sondern bereits in wenigen Wochen.

Im Erzählverlauf wird der Leser Zeuge seiner Überlegungen, Ängste und Handlungen sowie auch der Reaktionen seines Umfeldes. Ich habe mich überhaupt nicht gewundert, dass es in vielen Fällen (so zunächst auch von seiner Braut Émilie) überhaupt gar keine gab, denn ich kenne es auch, dass sich die Menschen nach einem Unglücksfall egal welcher Art zunächst einmal zurückziehen - sei es aus Verunsicherung oder aus anderen Gründen. Andere wie Arnaud, sein Kumpel, der bisher eher unter "ferner liefen" rangierte, wachsen hingegen über sich hinaus.

Und Vincent selbst? Nun, er bleibt nicht verschont von der harten Prognose, so viel erlaube ich mir zu verraten. Und er wächst an ihr, wenn auch nicht sofort.

Aber doch sehr schnell und genau das ist mein hauptsächlicher Kritikpunkt an diesem Roman. Bestimmte Prozesse, seien es gedankliche oder aktive Handlungen, schreiten hier ausgesprochen zackig voran, was mich aus zwei Gründen abstieß. Erstens empfand ich dies vielfach als unrealistisch, zweitens wurde die Entwicklung dadurch stark verkürzt dargestellt, was für aus meiner Sicht die Tiefgründigkeit erheblich beeinträchtigte.

Dagegen möchte ich die Darstellung der Figuren, ja der Charaktere, denn das sind sie bei der Autorin Karine Lambert in jedem Fall, äußerst positiv hervorheben: sie verfügt über die seltene Fertigkeit, eine Figur mit wenigen Worten lebendig werden zu lassen. Somit ist dieser eher kurze Roman prall gefüllt mit lebendigen Akteuren, die nur so aus den Seiten heraus- und in das Bewusstsein des Lesenden quellen wollen!

Insgesamt ein eindringlicher Roman mit einer klaren Botschaft, die jedoch ein wenig zu glatt, zu gefällig vermittelt wird. Ich lege ihn trotzdem den Lesern ans Herz, für die Unterhaltungsliteratur nicht nur Geplänkel ist, sondern durchaus auch schwerere, tragischere Themen ansprechen darf. Dennoch: wenn möglich, hätte ich hier aufgrund der erwähnten Punkte dreieinhalb Sterne vergeben - so aber geht mein Daumen ganz automatisch nach oben...

Bewertung vom 12.06.2020
Holenstein, Alexandra

Auszeit bei den Abendrots


ausgezeichnet

Abendrot ist aller Laster Anfang - Zumindest, wenn man Josef mit Vornamen heißt. Der Gatte von Helene Abendrot setzt sich auf einer Reise nämlich so mir nichts, Dir nichts einfach ab und teilt seiner Frau lediglich mit, dass er eine Zeit für sich brauche.

Die arme Helene - ein paar Jahre jünger als Josef und damit eine Endvierzigerin - ist zunächst fertig mit sich und der Welt. Doch dann beginnt sie zu handeln und erhält von ihrer Freundin Adrienne tatkräftige Unterstützung.

So ein Ehe-Lockdown hat nämlich durchaus etwas Positives, kann sie sich doch nun auch auf sich besinnen. Das gelingt am besten mithilfe ein paar netter kleiner Workshops an idyllischen Orten wie Südfrankreich, Österreich und Italien.

Doch ich will nicht zu viel verraten, sonst bringe ich Sie um den Genuss der literarischen Eloquenz von Autorin Alexandra Holenstein, die mit Humor, aber durchaus auch mit Einfühlsamkeit, besonders was ihre weiblichen Charaktere anbelangt, nicht zuletzt jedoch mit viel Kreativität und einer wunderbaren Beobachtungsgabe eine Story gesponnen hat, die Ihnen sicher den Sommer versüßen wird.

Ein Eheroman der besonderen Art: locker-flockig, aber dennoch mit jeder Menge Tiefgang. Keine flachen Gags, sondern gut durchdachte, die gewisse Bereiche unserer Gesellschaft spiegeln. Eine empfehlenswerte Urlaubslektüre. Nicht nur für Reisen nach Italien, Frankreich und Österreich!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.06.2020
Lüpkes, Sandra

Die Schule am Meer


sehr gut

Eine ungewöhnliche Familie Ist die Familie Reiner, die 1925 nach Juist zieht - gänzlich unkonventionell, wie es scheint. Die neue Schule, die dort entstehen soll, geht eigene Wege, sie folgt nämlich neuen Ansätzen. Ebenso wie das angegliederte Internat.

Ein historischer Roman über ein Modell der Reformpädagogik - ein spannendes und interessantes Thema. Und vor allem: Es geht nicht nur darum, sondern auch um die Akzeptanz dieser neuen Schulform. Und damit können die Ureinwohner von Juist so gar nichts anfangen. Auch die zwei Welten, die hier aufeinander treffen, bilden einen wichtigen Bestandteil der Handlung: Hier trifft Modernes auf Althergebrachtes und das ist noch nie ohne Reibereien abgelaufen.

Sorgfältig, mit Liebe zum Detail, ganz, wie man es von ihr gewohnt ist, beschreibt Autorin Sandra Lüpkes dieses Szenario - eine Thematik, die ich sehr genossen habe! Es sind nämlich nicht nur die genannten zwei, sondern es sind gleich mehrere neue Welten, die man als Leser hier betritt. Und die ich viel zu früh wieder verlassen musste - fast wünsche ich, es gäbe einen zweiten Teil!

Bewertung vom 07.06.2020
Strout, Elizabeth

Die langen Abende


ausgezeichnet

Angst vor dem Tod: Das ist ein wichtiges Thema in diesem Roman, was nicht verwunderlich ist, da die Protagonistin Olive Kitteridge nun ins (hohe) Alter gekommen ist. Wer den ersten Teil kennt, der in der deutschen Übersetzung nicht nach Olive benannt ist, sondern "Blick aufs Meer" heißt, ist ein wenig im Vorteil, die Kenntnis ist jedoch nicht unabdingbar.

Olive muss nun ohne ihren Gatten Henry auskommen, der nach langer und schwerer Krankheit verstarb. Sie bleibt dennoch die Alte und nimmt auf die ihr eigene Art am Leben teil. Diese ist für ihre Mitmenschen ebenso wie für sie selbst nicht immer leicht zu ertragen, doch gibt es Menschen, die sie zu schätzen wissen.

Ebenso wie solche, die sie abgrundtief hassen, doch sind es deutlich weniger geworden - nicht nur wegen der natürlichen Ausdünnung im Alter, nein, Olive lebt nun, nachdem sie schon längst ihre Tätigkeit als Mathematiklehrerin aufgegeben hat, auch ziemlich zurückhaltend und kommt nicht mehr mit ganz so vielen Menschen in Berührung.

Wie auch "Blick aufs Meer" besteht dieser Roman aus einer Aneinandereihung von Kapiteln, die alle an Olives Wohnort, der fiktiven Kleinstadt Crosby in Maine spielen; sie steht jedoch nicht in jeder davon im Mittelpunkt. Nein, wir Leser folgen auch dem Leben anderer Bürger der Stadt, nicht selten nimmt Olive dabei eine Nebenrolle ein, die kleiner oder größer sein kann. Doch immer wieder steht sie im Mittelpunkt der chronologisch aufeinander folgenden Erzählungen, die quasi das Gerüst der Handlung bilden.

Obwohl der Roman rund 350 Seiten umfasst, hatte ich ihn in wenigen Stunden ausgelesen - ich konnte ihn einfach nicht aus der Hand legen, mich nicht von Olive und ihren Mitbürgern trennen.

Elizabeth Strout hat mit Olive Kitteridge eine faszinierende Figur geschaffen, die es in ihrer Vielschichtigkeit locker mit Harry Angstrom aus den "Rabbit"-Romanen von John Updike ebenso wie mit anderen bekannten Figuren der Literaturgeschichte aufnehmen kann - ganz zugespitzt formuliert ist sie quasi ein erwachsenes, differenziert zu betrachtendes Pendant zu Pippi Langstrumpf, die polarisiert und dennoch stets konsequent und unbeirrt ihren eigenen Stiefel durchzieht. Auch wenn sie ihr Tun nicht selten bereut, sie kann es aber trotzdem nicht sein lassen.

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.05.2020
Miller, Hanna

Denn das Leben ist eine Reise


gut

Gypsies, Tramps and Thieves
Obwohl in Europa und nicht in den Vereinigten Staaten angesiedelt, klang mir das alte Lied von Cher während der Lektüre dieses Buches wieder und wieder in den Ohren.

Die Atmosphäre kam mir ein bisschen so vor - die in der Aimée, inzwischen 30 und längst selbst Mutter, aufgewachsen ist, nämlich in einem Wohnmobil, zeitweise auch in einem alten Bulli. Auch wenn sie meist an einem Stellplatz in einer Art Kommune mit Gesinnungsgenossen hausten, waren sie so etwas wie fahrendes Volk, abgelehnt von vielen Mitmenschen, ja, sogar von den eigenen Großeltern.

Inzwischen lebt Aimée schon seit Jahren mit ihrem Lebensgefährten Per, einem Architekten, in dessen stylishen Haus, bis sie irgendwann die Nase voll hat: ihn stört so viel an ihr und am gemeinsamen Sohn Len, dass sie ihren alten Bulli aus der Garage holt und mit Len wegfährt. Zu Daniel, einem Gefährten und zeitweiligem Liebhaber aus ihrem früheren Leben. Dessen Mutter, die ihr oft viel näher stand, ist gerade gestorben.

Doch auch hier erlebt Aimée zunächst Distanz, ja Ablehnung und dann taucht noch ihre eigene Mutter auf, mit der sie gar nicht kann. Dafür gibt es Gründe.

Doch peu à peu finden Aimée und Len in ihr neues Leben, ja: sie finden sich selbst. Dem konnte ich an vielen Stellen nicht so recht folgen, es kam mir nicht so logisch vor. Auch ist der Stil von Autorin Hanna Miller nicht so eloquent und eindringlich, dass er mich auf Dauer packen kann. Dennoch werden es manche Leser sicher als unterhaltsame Lektüre zu schätzen wissen

Bewertung vom 31.05.2020
Enright, Anne

Die Schauspielerin


sehr gut

Schein statt Sein - Man könnte es auch als ein Leben im Schein bezeichnen, das Leben von Norahs Mutter Katherine O'Dell, DER irischen Schauspielerin schlechthin. Nur war sie überhaupt keine Irin, sondern Engländerin. Aber das braucht niemand zu wissen. Wie so vieles andere nicht. Dass Katherine überhaupt nicht so liebreizend und gesellig und damenhaft ist wie sie rüberkommt. Nein, sie ist schon seit Jahren alkoholabhängig und das kann manchmal total heftig sein, gerade auch, wenn man ihre Tochter ist.

Und eigentlich meist nur Kälte erfährt. Besonders, wenn man etwas über seinen Vater erfahren will, der überhaupt nie in Erscheinung tritt.

Man könnte meinen dies sei ein trauriges Buch einer Tochter, die nie richtig angenommen wurde, aber dafür schreibt die Autorin Anne Enright viel zu gut, viel zu eindringlich und viel zu wortgewaltig. Das kommt auch in der Übersetzung von Eva Bonné gut rüber. Und so breitet sich eine facettenreiche, dichte Darstellung von Katherine nicht nur zu ihrer Tochter Norah, nein, auch zu ihrem weiteren Umfeld vor dem Leser aus. Wobei: die Dichte wird ihr manchmal fast ein bisschen zum Verhängnis, die Geschichte kommt zu detailverliebt, zu kleinteilig rüber. Ich bin eher ein Typ für die größeren Zusammenhänge und wurde von Zeit zu Zeit ein bisschen ungeduldig. Aber andererseits ließ ich mich immer vom Fluß der Handlung, von der Sprache der Autorin tragen und tat gut daran. Insgesamt eine empfehlenswerte Lektüre für geduldige Rezipienten!