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Evoli

Bewertungen

Insgesamt 82 Bewertungen
Bewertung vom 21.07.2022
Penner, Sarah

Die versteckte Apotheke


sehr gut

Nach schlimmen Schicksalsschlägen nutzt die Apothekerin Nella Ende des achtzehnten Jahrhunderts ihr Wissen aus Kräuterkunde und Medizin, um im Auftrag anderer Frauen Mittel zu brauen, die deren böse Ehemänner oder andere Quälgeister um die Ecke bringen. Als eines Tages das zwölfjährige Dienstmädchen Eliza in Nellas verborgenem Raum auftaucht, wird eine gefährliche Abfolge von Ereignissen in Gang gesetzt.

Im London der Gegenwart versucht die Amerikanerin Caroline eine große Enttäuschung zu verarbeiten. Anstatt mit ihrem Mann gemeinsame Zeit anlässlich ihres zehnten Hochzeitstags zu verbringen, hat sie nach dessen Ehebruch die Reise kurzerhand allein angetreten. Durch Zufall stößt sie auf ein geheimnisvolles Fläschchen und der Entdeckerdrang der studierten Historikerin wird geweckt. Der Fund soll ihrem Leben eine ganz neue Wendung geben...

Geschickt lässt die Autorin die Handlungsstränge in Vergangenheit und Jetztzeit sich entwickeln und die Leser erfahren, wie Caroline mit detektivischem Gespür allein anhand des unscheinbaren Glasgefäßes die damaligen Geschehnisse zu rekonstruieren beginnt. Abwechselnd folgen die Kapitel neben Caroline auch Nella und Eliza, alle Protagonistinnen überzeugen durch interessante Charakterzüge und ihre eigenen Sorgen bis hin zu inneren Dämonen.

Die Geschichte ist spannend, denn vor allem die historischen Hauptfiguren geraten in arge Bedrängnis und man fiebert mit, ob sie aus dieser Bredouille wieder herausfinden werden. Besonders das London zu Nellas Zeit gefällt durch seine düstere Atmosphäre, passend zur Geschichte sind am Ende interessante Zusatzinformationen zu verschiedenen Giftstoffen zu finden. Abgerundet wird das Extra-Material durch einen altertümlichen Stadtplan, der in der Geschichte eine wichtige Rolle spielt.
Nebenbei bemerkt handelt es sich auch um ein ausgesprochen hübsches Buch.

Fazit: Ich habe dieses Buch gern gelesen und wurde bis zum durchdachten Schluss gut unterhalten, auch wenn es nicht ganz das Zeug zum absoluten Hit hat. Die Kapitel in der Vergangenheit konnten mich meist mehr fesseln als Carolines Part, auch wenn sie durchaus auch eine sympathische Protagonistin ist. Ein paar Abschnitte hätten vielleicht etwas gekürzt werden können. Insgesamt gilt aber: Nicht nur angehende Giftmischerinnen kommen hier auf ihre Kosten.

Bewertung vom 15.06.2022
Mai, Manfred

1:0 für Paul! Eine Fußballgeschichte - Leserabe ab 2. Klasse - Erstlesebuch für Kinder ab 7 Jahren


sehr gut

Fußball verbindet

In Pauls Nachbarschaft ist eine neue Familie eingezogen, auch ein gleichaltriger Junge gehört dazu. Zwar spricht Amir erst wenig Deutsch, doch durch ihr gemeinsames Hobby Fußball entwickelt sich schnell eine Freundschaft zwischen den beiden Nachwuchs-Kickern. Nach einer Weile beginnen sie zusammen im Verein zu spielen, es wird fleißig trainiert und schließlich steht das erste große Spiel an – doch wird Paul es in die Start-Elf schaffen?

In fünf Kapiteln erzählt dieser Leserabe-Band kindgerecht eine schöne Freundschaftsgeschichte, besonders (aber nicht nur) für Fußballfans. Die deutliche, große Druckschrift erleichtert das Lesen, die Sätze sind nicht zu kompliziert formuliert, so dass Zweitklässler (oder gute Leser gegen Ende des ersten Schuljahrs) problemlos damit zurechtkommen dürften.
Man erfährt, wie die Freundschaft mit Amir entsteht, wie Paul anfängliche Unsicherheiten ablegt und wie mit vereinten Kräften gelungene Spielzüge gelingen.

Die Geschichte ist ansprechend und wurde mit sympathischen Bildern bunt illustriert. Nach jedem Kapitel gibt es eine Verständnisfrage beziehungsweise nach dem letzten ein paar nette Rätsel wie versteckte Wörter.
Etwas verbesserungsfähig finde ich lediglich den Schluss – das Buch endet zwar mit einem schönen Moment, aber doch etwas abrupt. Meiner Meinung nach wird das manches Kind ein bisschen irritieren.

Bewertung vom 24.05.2022
Mueller, Dagmar H.

Der kleine Raubdrache


ausgezeichnet

Ein kleiner Raubdrache, der nicht rauben will

Habt ihr euch schon mal gefragt, warum Drachen eigentlich Prinzessinnen rauben, wenn sie die dann gar nicht fressen? Dagmar H. Mueller findet für diese Frage in ihrem Buch eine charmante Antwort – durch das ganze Abenteuer sollen Prinzen und Prinzessinnen erkennen, wie sehr sie doch aneinander hängen. Eine durchaus ehrenvolle und traditionsreiche Aufgabe also.
Der kleine Held unserer Geschichte, ein Raubdrachen-Schulkind, sieht aber nicht ganz ein, warum er sich im Zuge dessen zeitlebens von tapferen Recken mit spitzen Schwertern pieksen lassen soll, ohne andere, friedlichere Karrieremöglichkeiten zu haben. Die jüngst geraubte Prinzessin, die ebenfalls nicht so recht den gängigen Klischees entsprechen will, bringt zusätzlich Unruhe in das seit Generationen ausgeklügelte System. Nicht nur der große Raubdrachen-Lehrer stößt da an seine Grenzen...

Die Autorin hat nicht nur eine interessante Grundidee, sondern auch einige sympathische Charaktere erschaffen, vom liebenswerten Drachenkind, über Prinzessinnen mit komplizierten Namen und einen etwas mickrigen (aber nicht zu unterschätzenden) Prinzen bis zu witzigen kleinen Nebenfiguren (meine Lieblinge). Deren Geschichte erzählt sie mit Wortwitz und spürbarer Liebe zu ihrer etwas anderen Märchenwelt.
Details wie die schrägen Nahrungsvorlieben der Drachen machen das Szenario lebendig und zu einem Spaß für große und kleine Leser bzw. Zuhörer.

Abgerundet wird das inhaltlich wie optisch schöne Gesamtpaket durch viele lustige Illustrationen, auf denen es einiges zu entdecken gibt – kleine Tierchen mit einem Blatt als Badehandtuch, das erschrockene Gesicht eines prinzlichen Pferdes, Drachenkinder in allen Regenbogenfarben...
Darüber hinaus bringen farbig hervorgehobene und in unterschiedlichen Schriftarten gedruckte Textpassagen weitere Dynamik ins Geschehen.

Am Ende kommt dieser Band zu einem gelungenen Abschluss, eine Fortsetzung wird aber bereits angedeutet. Da habe ich nichts dagegen, denn es hat Spaß gemacht, den kleinen Raubdrachen und seine Freunde zu begleiten.

Bewertung vom 27.04.2022
Vallejo, Irene

Papyrus


ausgezeichnet

Wie die Bücher geboren wurden

Hinter einem schlichten und doch hübschen Einband verbirgt sich hier ein kluges und besonderes Buch. Die spanische Autorin Irene Vallejo entführt uns dabei auf eine vielschichtige und abenteuerliche Reise zurück zu den Anfängen schriftlicher Aufzeichnungen, schildert wie die Bücher zum dem wurden, was sie heute sind, und warum sie uns aller technischen Entwicklungen zum Trotz wohl noch lange erhalten bleiben werden.

Alles wird lebendig und flüssig erzählt, mit allerlei Abschnitten, die man in einer Dokumentation wahrscheinlich "Spielszenen" nennen würde - Momente aus dem Leben historischer Persönlichkeiten, aber auch ganz normaler Menschen, ob bei der Papyrus-Ernte, während einer Schlacht oder bei der Erfindung bahnbrechender Neuerungen rund um die Welt der Bücher.
Man merkt, wie gebildet und belesen die Autorin ist, ohne dass sie dabei überheblich wirkt. Sie zeigt durchaus auch Humor und Lockerheit in ihren Schilderungen, und das Buch ist trotz seines erheblichen Informationsgehalts und der vielen komplexen Themen nie trocken.

Von Urheberrecht, Zensur und antiken Bestseller-Listen

Immer wieder zeigen sich faszinierende Paralleln und sich wiederholende Motive über die Menschheitsgeschichte hinweg. Irene Vallejo streut viele Verknüpfungen zu späteren Werken der Weltliteratur und Filmen ein, von Shakespeares Dramen über Huckleberry Finn und 1984 bis zu modernen Bestsellern wie Der Vorleser.
Außerdem trifft man, etwa bezogen auf die Gefahren für Bücher und ihre Schöpfer oder Besitzer, auch auf sinnvolle Vergleiche zwischen damaligen Vorkommnissen und etwa Ereignissen aus dem Zweiten Weltkrieg, dem Jugoslawien-Krieg, dem Franco-Regime bis hin zum Internet-Zeitalter.
So wird, obwohl es schwerpunktmäßig um die antiken Ursprünge geht, immer wieder ein gelungener Bezug zur jüngeren Vergangenheit hergestellt.
Darüber hinaus lässt die Autorin auch eigene Erfahrungen einfließen - Mobbing als „Streberin“ in der Schule, Buchhandlungsbesuche mit ihrem Vater, das Aufeinandertreffen mit Gelehrten...

Angenehmer Stil

Begeisterte Leser und Buchliebhaber kommen voll auf ihre Kosten, besonders wenn sie außerdem ein gewisses Faible für die Antike haben.
Papyrus regt dazu an, sich Gedanken über vermeintlich alltägliche Dinge wie die Schrift, das stille Lesen und die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Literatur zu machen, die man heutzutage meist für selbstverständlich hält, bis zu deren Entstehung es aber ein teils Jahrhunderte währender und steiniger Weg war. Von diesem erzählt die Autorin sehr angenehm und ganz nebenbei konnte ich hier einiges lernen.
Zwar hatte ich schon von Alexander dem Großen, dem Rosetta-Stein, Herodot oder Homers Ilias gehört, viele Details und Erkenntnisse waren mir aber unbekannt. So etwa die Wortherkunft von "Pergament", die Tatsache, dass das griechische Alphabet wahrscheinlich auf einen einzigen kreativen Kopf zurückgeht oder die Entstehungsgeschichte der legendären Bibliothek von Alexandria, um nur ein paar zu nennen.

Daneben finden sich hier meiner Meinung nach zahlreiche zitierungswürdige Stellen – der Schreibstil gefällt mir ausgesprochen gut.
Ein umfangreiches Quellenverzeichnis, weiterführende Literatur und ein Personenregister runden das Buch ab.

Fazit: Wie wunderbar, dass die Menschen vergangener Epochen durch ihre Werke über die Jahrtausende hinweg zu uns sprechen können.

Bewertung vom 21.03.2022
Jemisin, N. K.

Die Wächterinnen von New York


sehr gut

Die Grundidee von N.K. Jemisins neustem Werk ist so ungewöhnlich wie interessant: Wenn Städte lange genug bevölkert und ihren Bewohnern zur Heimat gemacht wurden, können sie quasi ein Eigenleben beziehungsweise eine Art Bewusstsein entwickeln. Als „Geburtshelfer“ oder Avatare dienen dabei besondere Menschen, welche die Stadt oder auch deren einzelne Teile verkörpern. Für New York steht nun dieser spannende Prozess an, während dessen die Stadt besonders angreifbar und verletzlich ist. Denn längst nicht jeder Metropole ist der entscheidende Schritt bisher gelungen – irgendjemand oder irgendetwas scheint es darauf abgesehen zu haben, die Geburt mit allen Mitteln zu verhindern...

Auftritt für die namensgebenden Wächterinnen von New York

Eine bunt gemischte kleine Truppe von Bewohnern, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, muss die jeweils anderen Avatare finden und sich vor allem ordentlich zusammenraufen. Denn so divers wie die Stadt und ihre Viertel sind, so verschieden präsentieren sich auch die Persönlichkeiten, Interessen und Hintergründe ihrer Verkörperungen. Zum Glück können die Protagonisten auch entsprechende Stärken in die Gruppe einbringen und sie finden außerdem ein paar geheimnisvolle Unterstützer.
Das ist auch bitter nötig, denn der Feind droht immer mehr, in New York Fuß zu fassen und seine Tentakel buchstäblich nach allem auszustrecken, was den Hauptfiguren lieb und teuer ist.

Die Perspektive wechselt kapitelweise zwischen den einzelnen Hauptfiguren sowie gelegentlich den Unterstützern. Die Autorin hat es sehr gut geschafft, deren unterschiedliche Ansichten und Persönlichkeiten in die Geschichte einfließen zu lassen. In den Dialogen kommen oft Umgangssprache sowie Slang zum Einsatz, was bestimmt nicht ganz einfach zu übersetzen war. Meiner Meinung nach ist das Unterfangen aber gelungen.
Zu gefallen wissen außerdem auch die ganz eigenen Ideen der Geschichte und die lebendigen Beschreibungen der Schauplätze sowie Ereignisse. Zwischendurch dürfen dabei auch ein paar actionreiche Szenen nicht fehlen, die ich mir gut in einer Verfilmung vorstellen könnte.

Urbaner kann Fantasy wohl kaum sein

Trotz aller Qualitäten konnte mich dieses Buch der Autorin nicht ganz so abholen wie ihre vorherigen Werke. Das liegt aber wahrscheinlich hauptsächlich auch daran, dass ich Fantasy aus fremden Welten Geschichten aus unser eigenen meist vorziehe. Außerdem liegt mir als Landei das städtische Szenario nicht so richtig am Herzen. Für Menschen, die sich in und mit New York auskennen, ist das Lesevergnügen sicherlich noch mal eine Ecke größer.
Nichtsdestotrotz habe ich das Buch gern gelesen und ich möchte gern wissen, wie die Story weitergeht. Es handelt sich nämlich um den ersten Band einer geplanten Trilogie und am Ende ist lediglich eine Art Etappenziel erreicht.

Bewertung vom 16.03.2022
Isermeyer, Jörg;Schüttler, Kai

Dachs und Rakete. Ab in die Stadt!


ausgezeichnet

Ein sympathisches Duo mit Herz und Humor

Eines Morgens wird Herr Dachs sehr unvermittelt von einer Baggerschaufel aus dem Schlaf gerissen – wo er bisher noch in einer freundschaftlichen Wohngemeinschaft mit seiner Weggefährtin, der Schnecke Rakete, gelebt hat, soll nun ein Freizeitpark entstehen. Gutmütig wie der schwarz-weiß gestreifte Geselle nun mal ist, fängt er keine größeren Diskussionen an, sondern wagt einen Neubeginn und macht sich zusammen mit Rakete auf den Weg ins Blaue. Der Weg führt sie in die große Stadt, die einige Überraschungen und neue Erfahrungen für das Duo bereithält...

Zusammen mit dem sympathischen Freundespaar geraten die Leser beziehungsweise Zuhörer in allerlei lustige Situationen, angefangen bei der Fahrt, die notgedrungen mit weit weniger Gepäck endet als sie begann, über erste Erfahrungen mit der Marktwirtschaft (Geld ist den Beiden z.B. noch völlig unbekannt) bis zur Begegnung mit diversen interessanten Nebencharakteren.
Die etwas naive, freundliche Art des Dachses lässt ihn schnell Sympathiepunkte sammeln, noch dazu ist er ein fleißiger Handwerker und Erfinder, der sich allerlei witzige Sachen einfallen lässt. Die freche Rakete ist eine gelungene Ergänzung, nicht nur durch den Running Gag, dass eine Schnecke nun mal keine Hände hat und deshalb z.B. schlecht Krocket spielen oder rudern kann.

Generell weiß das Buch durch viel Humor und Wortwitz kleine, aber auch große Leser/Vorleser zu begeistern, etwa durch Formulierungen wie „hausenge“ Klamotten für Rakete.
Abgerundet wird das charmante Gesamtpaket noch dazu durch liebevolle, farbenfrohe und ebenfalls lustige Illustrationen, auf denen es viele Details wie etwa ulkige Gesichtsausdrücke der Figuren zu entdecken gibt.

Ohne dass trocken der moralische Zeigefinger erhoben wird, kann man ganz nebenbei auch verschiedenes aus der Geschichte lernen – weniger ist mehr/ ohne unnötigen Ballast lebt es sich manchmal leichter, Freundlichkeit kann sehr hilfreich sein, Fremde sind manchmal Freunde, die man einfach noch nicht kennt...

Bewertung vom 18.02.2022
Givney, Rachel

Das verschlossene Zimmer


ausgezeichnet

Die Suche nach der verschwundenen Mutter

Krakau im Jahr 1939: Die siebzehnjährige Marie will endlich die Wahrheit erfahren – warum hat ihre Mutter sie verlassen, als sie noch ein Kleinkind war? Die Tochter kennt nicht einmal deren Namen, hat nur noch Ansätze verschwommener Erinnerungen an sie, und ihr Vater Dominik Karski, ein angesehener Chirurg am städtischen Krankenhaus, hüllt sich hartnäckig in Schweigen.
Marie sieht keine andere Lösung mehr, als in das titelgebende verschlossene Zimmer einzubrechen, was eine Kette von Entwicklungen in Gang setzt und ihr Leben für immer verändern wird.

Neben Maries Suche nach Antworten bilden einige weitere zentrale Themen die Grundlage für die Handlung dieses Romans. Zum einen die sich zuspitzende politische Lage rund um die Bedrohung Polens durch die Nazi-Diktatur, zum anderen Maries Wunsch, Medizin zu studieren und in die Fußstapfen ihres hochbegabten Vaters zu treten – die Verantwortlichen legen der wissbegierigen jungen Frau allerdings nichts als Steine in den Weg.
Und dann wäre da auch noch ihr Kindheitsfreund Ben, dem sie nach Jahren der Trennung wieder begegnet. Als Jude sieht er sich zunehmend rassistischen Anfeindungen ausgesetzt und die Liebe der Beiden wird auch für Marie zum Spiel mit dem Feuer.

Die Protagonistin ist eine sympathische und beeindruckende Hauptfigur, die mit Intelligenz und Hartnäckigkeit tapfer ihren Weg geht und sich auch von Rückschlägen nicht unterkriegen lässt.
Doch auch Dominik, der in manchen Kapiteln im Mittelpunkt steht, entpuppt sich zunehmend als liebenswerte Persönlichkeit. Der spröde und hundertprozentig korrekte Arzt verbirgt in der eher abweisenden Schale einen weichen Kern und versucht, seine Tochter vor allen Gefahren zu beschützen. Weitere interessante Punkte ergeben sich unter anderem durch Dominiks frühe Antibiotika-Forschungen, seinen fiesen Rivalen um den Chefarzt-Posten mit einem Faible für die menschenverachtende Ideologie der Nazis und einen neuen Kollegen, der trotz aller Abweisungen seine Freundschaft sucht. Dominik möchte niemanden zu nah an sich heranlassen, um nicht die im Raum stehenden dunklen Geheimnisse der Vergangenheit preiszugeben.

Der Schreibstil konnte mich überzeugen, besonders angetan haben es mir die Formulierungen, etwa in den Betrachtungen der Nebencharaktere und gesellschaftlichen Eigenarten bzw. des menschlichen Zusammenlebens. Die Leseprobe vermittelt davon schon einen guten Eindruck – Interessenten sollten also unbedingt mal hineinschnuppern. Sowohl Marie als auch Dominik sind gute Beobachter und die Autorin hat es geschafft, trotz der durchaus ernsten Themen zwischendurch immer wieder feinen Humor aufblitzen zu lassen, besonders in der ersten Hälfte. Im späteren Verlauf nehmen dann eher die düsteren Elemente etwas zu, die Liebe zu den Kuriositäten unseres Lebens und den Menschen bleibt aber immer spürbar.

Fazit: Das verschlossene Zimmer ist für mich durch seine interessanten Themen und die sympathischen Charaktere ein lesenswerter historischer Roman. Im Mittelteil verläuft die Handlung vielleicht ein klein wenig zu gemächlich, dafür ergeben sich am Ende aber noch diverse spannende Ereignisse und Wendungen. Das in sich abgeschlossen Buch kommt zu einem gelungenen Ende, mit dem ich so nicht gerechnet hatte.

Bewertung vom 06.02.2022
Hadler, Colin

Ancora


sehr gut

Ein Selbstfindungs-Trip wird zum Spiel mit dem Feuer

Die Nachwuchs-Poetin Romy begibt sich zusammen mit ihrem Freund Aurel und ihrem besten Freund Jannis in den Urlaub ins abgelegene Ancora, um ihrer Kreativität und auch der Partnerschaft neuen Auftrieb zu verleihen. In der abgelegenen Kommune inmitten unwegsamer Natur haben die Bewohner den Errungenschaften der modernen Zivilisation abgeschworen. Statt Internet, Smartphone und Fernsehen soll das harmonische Zusammenleben in der Gemeinschaft und im Einklang mit der Umwelt im Mittelpunkt stehen.
Schnell stellt sich jedoch heraus, dass hinter der idyllischen Fassade gefährliche Abgründe schlummern. Auf Romy kommen dramatische Prüfungen zu - sie beginnt, am eigenen Verstand und an den Beziehungen zu ihren Gefährten zu zweifeln...

Wie schon das schicke Cover mit seinem „Guckloch“ andeutet, spielt die junge Ich-Erzählerin mit dem Feuer und hat allerlei Geheimnisse zu lüften. Den Roman kann man am besten als Thriller kategorisieren, allerdings mit einer gewissen, für die Handlung vor allem im späteren Verlauf zunehmend relevanten, übersinnlichen Komponente (Mystery-Thriller). Wer damit nichts anfangen kann, sollte also vielleicht vom Lesen absehen.

Alle anderen Abenteurer dürfen sich über eine spannende Story mit einigen Wendungen freuen, die außerdem diverse interessante Charaktere zu bieten hat. Allen voran die Hauptfigur, in deren Lage man sich durch die (in der Gegenwartsform) anschaulich geschilderten Ereignisse und Gedankengänge gut hineinversetzen kann.
Auch die Handlungsorte werden lebendig beschrieben und ausgestaltet, ohne dass die Details zu sehr ausufern und langweilig werden. Der teils poetisch wirkende Schreibstil hat mir gut gefallen, lediglich ganz vereinzelt trübten kleine Grammatikpatzer den Gesamteindruck (ich bin da recht empfindlich). Beispiel: „Die Gestalt verhält sich wie ein Raubtier, das mit ihrer Beute spielt und sie langsam ausbluten lässt, bevor es dem geschwächten Tier den Gnadenstoß versetzt.“

Beim Buch handelt es sich um ein Standalone, also um einen Einzelband. Man erhält so eine in sich abgeschlossene Geschichte mit überzeugendem Ende (unter Berücksichtigung der oben erwähnten etwas unerklärlichen Elemente).
Den Weg dorthin bin ich gern zusammen mit Romy gegangen, auch wenn das Buch für mich nicht zu den absoluten Highlights seines Genres zählt.

Bewertung vom 04.10.2021
Messenger, Shannon

Der Aufbruch / Keeper of the Lost Cities Bd.1


sehr gut

Die zwölfjährige Sophie gehört nirgendwo dazu. Als Hochbegabte unter Normalos, als zartes blondes Kind in ihrer kräftigen Familie, dazu noch die seltsame Fähigkeit des Gedankenlesens seit einigen Jahren – Sophie ist einfach anders als die Anderen. Wie sich im Verlauf des Buches schnell herausstellt, liegt das Mädchen mit dieser Selbsteinschätzung goldrichtig.

Die Protagonistin ist nämlich eigentlich gar kein Mensch, sondern ein Elf. Während die Heldin bei diesem Wort zuerst wahlweise an die Freunde der Hobbits oder die kleinen Helfer des Weihnachtsmanns denken muss, erfährt sie durch neue Verbündete bald, was es damit auf sich hat. Auch wenn Sophie so manche Erkenntnisse auch auf eigene Faust enthüllen muss...

Viel Licht...
Eine Stärke des Buches sind die liebenswerten Figuren. Neben der Heldin selbst und ihren sympathischen Kameraden habe ich dabei vor allem auch Nebenfiguren wie einen schrägen Heiler ins Herz geschlossen. Es macht einfach Spaß, mit diesen Leutchen zusammen eine ganz neue Welt zu entdecken, in die es Sophie schon bald verschlägt.

Trotz einiger Parallelen zu Harry Potter, schon bedingt durch das magische Setting und eine „Zauberschule“ als Schauplatz, zusammen mit Details wie Alchemie, „bösen“ Lehrern und einer dunklen Bedrohung, hat die Autorin es geschafft, sehr viele eigene und fantasievolle Ideen ins Buch fließen zu lassen. Ob Fortbewegung, Besonderheiten der Orte, fremdartige Lebewesen oder Bräuche (ich würde so gern dort abgeschlossene Prüfungen feiern...) - überall lernt man genau wie Sophie wieder etwas Neues kennen.

Das Tempo der Geschichte ist relativ hoch, es gibt keine wesentlichen Längen und viele Szenen könnte ich mir sehr gut in einer abenteuerlichen Verfilmung vorstellen.

... und ein wenig Schatten
Negativ aufgefallen ist mir außer ein paar zu vernachlässigenden Logiklücken, einem ab und zu dann doch schon ZU hohen Tempo und dem manchmal zu erwachsen wirkenden Verhalten der Hauptfigur das Thema Liebesgeschichte – muss man in eine solche Story rund um ein zwölfjähriges Kind unbedingt schon so viel Schmetterlinge im Bauch, eine drohende Dreiecksbeziehung und andere entsprechende Inhalte einbauen? Natürlich kann ein Mädchen in diesem Alter schon durchaus für coole Jungs schwärmen und es bleibt ja auch alles harmlos, aber nötig wäre dieser Teil der Handlung meiner Meinung nach nicht gewesen. Was natürlich Geschmackssache ist und auch den sonstigen Unterhaltungswert nicht übermäßig schmälert.

Das Ende ist erst der Anfang
Wie es sich für den Auftakt einer solchen Reihe gehört, ist die Heldin am Ende um viele Erfahrungen und Informationen reicher und es wird quasi ein erstes Unterabenteuer abgeschlossen, der übergreifende Handlungs- und Spannungsbogen vermittelt aber ganz klar die Botschaft „Fortsetzung folgt“. Und angesichts der überzeugenden Qualität des Erstlings werden die meisten Leser, mich eingeschlossen, dann wohl gern wieder mit an Bord sein.