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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 2106 Bewertungen
Bewertung vom 11.03.2025
McCann, Colum

Twist


sehr gut

Komplex und vielschichtig

Der Erzähler ist ein Schriftsteller, der einen Artikel über Unterseekabel schreiben will und daher an Bord eines Kabelreparaturschiffes im Einsatz ist.
Meisterhaft beschreibt McCann den Moment als es zum großen Kabelbruch kommt. Anthony Fennell, der Protagonist ist gerade in Kapstadt und beobachtet, wie alles ins Schlingern gerät, wenn das Internet ausfällt, Geldautomaten nicht mehr funktionieren etc.
Der Kabelbruch ist im Meer vor dem Kongo. Passend dazu gibt es eine Anspielung auf Herz der Finsternis von Joseph Conrad.
Auch die Schifffahrt beschreibt der Autor sehr atmosphärisch, wobei der Blick des Protagonisten manchmal ein eigenwilliger ist. Ein Teil des Romans ist ein Reisebericht, mit vielen Details vom Leben an Schiff und der Arbeit.
Eine zentrale, rätselhafte Figur des Buch ist John A.Conway, der Ingenieur an Bord, der nach der Rückkehr spurlos verschwindet und anscheinend an Anschlägen beteiligt ist.
Ein außergewöhnlicher Roman, ruhig aber konzentriert erzählt, erzeugt er eine spürbare Energie.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.03.2025
Morrison, Ewan

Überleben ist alles


weniger gut

Der Survival-Guide
Bei diesem Buch ist neben der Handlung vor allen die Form entscheidend. Es ist geschrieben als eine Art Survival Guide. Das ist schon ungewöhnlich, kann nach einer Weile aber auch leicht nerven.
Erzählerin ist die sechzehnjährige Haley, die zusammen mit ihren jüngeren Bruder vom Vater in eine abgelegene Gegend gebracht wurde. Dort leben ein paar Menschen zusammen, die an eine angebliche neue Pandemie glauben.
Haley ist hin- und hergerissen. Das Buch ist zwar alles andere als subtil, aber man kann ihren Gedankengängen und ihrer Verwirrung folgen. Gibt es die neue Pandemie und Verschwörung oder ist alles eingebildet?
Leicht übertrieben wird es, als auch Haleys Mutter entführt wird. Haley steht bald zwischen den Stühlen, denn die Mutter wirkt kalt und der Vater psychisch krank.
Haley als Erzählerin ist interessant. Sie ist zwar Jugendliche, doch der Autor Ewan Morrison macht nicht den Fehler zu sehr auf Jugendsprache zu setzen. Dennoch bekommt der Roman einen Touch von Young adult. Das Hauptproblem dabei ist, dass sich der Autor nur unzureichend und zu klischeebeladen in einen weiblichen Teenager hineinversetzen kann. Haley ist als Figur nicht ganz glaubhaft. Die anderen Figuren sind noch schlimmer gestaltet, keine wirkt echt.

Hinzu kommt, dass der Roman aus zu vielen guten Ansätzen viel zu wenig macht.

Bewertung vom 07.03.2025
Politi, Marco

Der Unvollendete. Franziskus' Erbe und der Kampf um seine Nachfolge


sehr gut

Hochkonzentriertes Sachbuch über die Kirche in der Krise

Auf dem Buchcover sieht man Papst Franziskus mit ernsten Gesicht vor dunklem Hintergrund. Das gibt schon ganz gut die Stimmung des Buches wieder. Es ist ein ernsthaftes Buch, das sich an Leser wendet, die schon etwas mit der Materie vertraut sind. Wer einen leichteren, unterhaltenden Einstieg sucht, sollte Andreas Englisch lesen.

Es werden die aktuellen Probleme der Kirche der letzten Jahre aufgezeigt und wie sich Bergoglio dazu aufgestellt hat. Immer schwingt die Frage mit, wie die Entwicklung nach Bergoglio sein wird.

Das Buch ist detailliert und konzentriert geschrieben.

Bewertung vom 03.03.2025
Piontek, Sia

Der Wolf im dunklen Wald / Ein Carla-Seidel-Krimi Bd.2


ausgezeichnet

Carla Seidel, Polizeistation Dannenberg

Sia Piontek ist eine Autorin, die im Krimigenre zur Zeit angesagt ist und das liegt an ihrem guten Schreibstil und einer gelungenen Hauptfigur.
Carla Seidel. Sie ermittelt in einem Mordfall. Jemand wurde im Wald ermordet.
Eine große Rolle spielt Lana, ihre hochsensible, jugendliche Tochter, die in Fabian verliebt ist. Und Fabian könnte Zeuge im Wald in der Mordnacht sein.
Das Privatleben Carlas nimmt genauso viel Raum ein, wie der Fall. Ihr Ex-Mann Sören war gewalttätig und sie hatte früher getrunken. Ihr Alkoholproblem ist latent noch da. Lana steht zwischen den Stühlen.
Es ist geschickt gemacht, wie die Perspektiven in den Kapiteln wechseln. Mal Carla, mal Lana, wobei deren Abschnitte meist kürzer sind.
Die Zerrissenheit der Figuren macht sie so interessant. Sia Piontek hat ein Talent für psychologisch dramatische Szenen.

Der Wolf im dunklen Wald ist der zweite Teil der Reihe. Einen dritten wird es vermutlich auch noch geben.

Bewertung vom 03.03.2025
Shehadeh, Raja

Wir hätten Freunde sein können, mein Vater und ich


sehr gut

Raja Shehadeh schafft mit diesem Memoir ein Porträt seines Vaters Aziz und gleichzeitig eine Analyse der politischen Ereignisse rund um Palästina, Westjordanland und Israel seit den fünfziger Jahren.
Das Buch ist sachlich gehalten, manchmal etwas trocken, aber sehr informativ.
Der Titel deutet an, dass das Verhältnis zwischen Vater und Sohn teilweise distanziert war. Aziz Shehadeh war Anwalt und Aktivist, auch sein Sohn Raja wurde Anwalt und arbeitete sogar mit seinem Vater zusammen. Aber sie hatten unterschiedlichen Ansichten. Während Aziz für Frieden und eine Zweistaatenlösung war und auf juristischen Weg Erfolge erzielte, war Raja Menschenrechtsaktivist und als junger Mann sehr kritisch gegenüber Israel.
1985 wurde der Vater ermordet. Jahrzehnte später betrachtet der Sohn das Leben des Vaters voller Anteilnahme und Respekt.
Es ist Memoir von Relevanz, da es über das rein private hinausgeht und das Leben eines Mannes würdigt.

Bewertung vom 01.03.2025
Hay, Elizabeth

Wie Zugvögel


ausgezeichnet

Elizabeth Hay ist eine großartige Autorin aus Kanada, die auch lange fürs Radio arbeitete, und das spielt in diesem Roman eine Rolle.
In einer Radiostation arbeiten die zentralen Figuren des Romans zusammen.
Der Originaltitel Late Night on airs gefällt mir noch besser als der deutsche.
Es ist ca. 1975 als die junge, selbstbewusste Dido Paris in dieser Radiostation anfängt
Weitere wichtige Figuren sind der Sendeleiter Harry Boyd, die Mitarbeiterinnen Eleanor Dew und Gwen Symon, der Fotograf Ralph u.a.
Aber auch der Schauplatz, die Stadt Yellowknife und Umgebung, hoch gelegen in Kanada, prägt das Buch mit. Und das weniger durch Naturbeschreibung als durch Ersichtlich machen des Lebensgefühls.
Die Autorin gestaltet ihren Roman unspektakulär, aber geschickt und gibt ihren Figuren Profil, gerade auch durch die Dialoge.
Es ist lange her, seit ich Elizabeth Hay zuletzt gelesen habe, aber sofort erkennt man sie als Schriftstellerin mit einem guten Stil wieder, der Atmosphäre erzeugt.

Bewertung vom 01.03.2025
Del Amo, Jean-Baptiste

Der Menschensohn


ausgezeichnet

Eine Sprache der schillernden Opaleszenz

Jean-Baptiste Del Amo ist ein preisgekrönter französischer Autor auf der Suche nach dem Essentiellen. Das spürt man schon im ersten Abschnitt, kursiv gehalten und besonders beeindruckend.
Die herausragende Sprache prägt das Buch. Es ist anspruchsvolle Literatur, doch die Sprache nimmt den Leser schnell gefangen.
Erst dann setzt die eigentliche Romanhandlung ein.
Ein Mann war 6 Jahre verschwunden und taucht plötzlich bei Frau und dem 9jährigen Sohn wieder auf. Der ist geschockt, dass der Vater wieder da ist und einfach so seinen Platz wieder einnehmen will. Der Mann nimmt die beiden mit in eine abgelegene Gegend in den Bergen. Der Versuch eines Neuanfangs, doch schließlich kippt die Stimmung um. Eine bedrohliche Atmosphäre durchzieht den Roman.
Alle 3 Figuren sind übrigens namenlos. Das macht das ganze abstrakt.
Die Übersetzung erfolgt aus dem Französischen von Karin Uttendörfer und mein Eindruck ist, auch das eine große Leistung.

Bewertung vom 27.02.2025
Heichelbech, Elizabeth

Chopin in Kentucky


ausgezeichnet

Marie
Chopin in Kentucky ist ein kleiner, amüsanter Roman, der durch die umwerfende 10jährige Icherzählerin Marie getragen wird. Ein quirliges, phantasiebegabtes Mädchen, dass ausgerechnet Chopin als unsichtbaren Freund hat und mit ihm schlagfertige Dialoge austauscht.
Das Buch spielt 1977 und das prägt das Buch mit.
Marie ist lebhaft, leidet aber durch de Gewalttätigkeit des cholerischen Vaters. Dennoch kann sie sich furchtlos ein Stück weit befreien und beginnt sogar mit Ballett, während ihre beste Freundin Misty eine Elvis-Imitatorin wird. Die Handlung streckt sich über ca. 4 Jahre. Wie sich Marie weiter entwickelt, ist interessant zu lesen.

Elizabeth Heichelbech legt Tempo vor und entwickelt viel Wortwitz.
Eine vielversprechende Autorin, die ich gerne wieder lesen würde.

Bewertung vom 27.02.2025
waldis, angelika

Hier. Dort. Fort


sehr gut

Eine zerbrechliche Gemeinschaft

Angelika Waldi ist eine erfahrene Schweizer Autorin mit einem ganz eigenen, eigenwilligen Stil, an den man sich erst gewöhnen muss. Es sind kurze Sätze, prägnant. Die Perspektivern wechseln. Am wichtigsten sind Mina und ihr Mann Rick sowie die Jugendliche Effi, die schließlich aufeinandertreffen. Denn Mon ist bereit die elternloseund orientungslose Effi bei sich aufzunehmen. Und dann ist da noch Tom, in den Effi sich verliebt.
Wie es mit dieser zerbrechlich wirkenden Gemeinschaft weitergeht, sei hier noch nicht verraten.
Es ist ein interessantes Buch.

Bewertung vom 27.02.2025
Carrère, Emmanuel

Ich lebe und ihr seid tot


sehr gut

Ein Kultautor

Ich lebe und ihr seid tot
Die Parallelwelten des Philip K.Dicks.

Philip K. Dick war lange Zeit ein überaus wichtiger Science Fiction-Autor und mehr. Seine Ideen und Theorien vermochten zu faszinieren.
Uwe Anton hat mal eine großartige Biografie über ihn geschrieben, aber da stand in erster Linie das Werk im Vordergrund. Emmanuel Carrere hat in diesem im Original schon 1993 erschienen Buch einen anderen Ansatz. Er verquickt Dicks Leben mit seinem Werk und findet eine Form dafür, die funktioniert.
Über seine Romane hinaus tritt Dick hier als agierende Person, als Mensch auf. Man erlebt ihn m it seinen Stärken und Schwächen.

Ein verdienstvolles Buch. Man kann froh sein, dass es jetzt in Deutsch vorliegt, denn Philip K.Dick ist immer noch ein Schriftsteller von Relevanz und einige Bücher von ihm sind unvergessen:
Das Orakel vom Berge, Do Android dream of electric sheep bekannt als Bladerunner, Ubik, Valis und A Scanner darkly.