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Bewertungen

Insgesamt 206 Bewertungen
Bewertung vom 07.11.2022
Stille blutet / Mordgruppe Bd.1
Poznanski, Ursula

Stille blutet / Mordgruppe Bd.1


ausgezeichnet

Ein spannender Thriller, der fesselnd erzählt wird

Inhalt: Die junge Ermittlerin Fina Plank steht vor einem schwierigen Fall: Eine Nachrichtensprecherin kündigt live ihre eigene Ermordung an – und ist kurze Zeit später tot. Als ein (mehr oder weniger) bekannter Blogger ein ähnliches Schicksal erleidet, geht plötzlich der Hashtag „inkürzetot“ viral – mit schwerwiegenden Konsequenzen: Für Fina und ihre Kollegen wird es nahezu unmöglich, zwischen geschmacklosem Scherz und tatsächlich angekündigtem Mord zu unterschieden…

Persönliche Meinung: „Stille blutet“ ist ein Thriller von Ursula Poznanski und bildet den Auftakt einer neuen Reihe. Erzählt wird der Thriller hauptsächlich aus zwei (personalen) Perspektiven von Fina Plank und Tibor Glaser, dem Ex-Freund der ermordeten Nachrichtensprecherin. In Finas Handlungsstrang spielen sowohl die Ermittlungen im Fall als auch ihre persönlichen Probleme, die u.a. auch mit einem sexistischen Kollegen zusammenhängen, eine Rolle (auf die Probleme hätte man vielleicht noch ausführlicher eingehen können, aber möglicherweise wurde dies auch für den nächsten Band aufgespart). Tibor hingegen gerät – durch unglückliche Umstände – immer mehr in den Verdacht, für die Morde verantwortlich zu sein. Dies versucht er zu widerlegen, allerdings verstrickt er sich sukzessiv weiter in Widersprüche, was wirklich spannend erzählt wird. Neben Fina und Tibor existiert noch eine weitere, spannende Erzählinstanz, die sich – unerkannt von allen anderen Figuren – in die Handlung schleicht: Ein namenloser Ich-Erzähler, der eine Liste potentieller Opfer abarbeitet. Dabei redet er permanent monologisierend zu einem anonymen „Du“, wodurch die Lesenden gewissermaßen zu Komplizen des Ichs werden. Der Spannungsgrad von „Stille blutet“ ist konstant hoch: So werden (auch durch den anonymen Ich-Erzähler) viele falsche Fährten gelegt, es existieren einige unerwartete Wendungen und die Identität der Täterfigur ist bis zuletzt offen. Dementsprechend unvorhersehbar und überraschend ist auch die Auflösung des Falls. Der Schreibstil von Ursula Poznanski ist fesselnd und lässt sich sehr flüssig lesen. Insgesamt ist „Stille blutet“ ein spannender und temporeich erzählter Thriller, auf dessen Fortsetzung ich mich schon sehr freue.

Bewertung vom 04.11.2022
Die Filiale / Laura Jacobs Bd.1
Etzold, Veit

Die Filiale / Laura Jacobs Bd.1


ausgezeichnet

Ein realistischer Thriller, der auf subtile Weise zu fesseln weiß

Inhalt: Innerhalb weniger Stunden steht das Leben von Laura Jacobs, die als Angestellte bei der BWG Bank arbeitet, Kopf: Zunächst erhält sie aus dem Nichts die Kündigung für den Mietvertrag ihres Hauses. Dann kommt es in der BWG-Filiale, in der Laura arbeitet, zu einem Banküberfall, der nur durch Lauras beherztes eingreifen glimpflich verläuft. Kurz nach dem Banküberfall erhält sie plötzlich einen Anruf des neuen Abteilungsleiters: Er plant, Laura zu befördern, sodass sie zur stellvertretenden Leiterin ihrer Filiale aufsteigt. Kann das alles nur Zufall sein? Oder steckt mehr hinter den scheinbar voneinander losgelösten Ereignissen?

Persönliche Meinung: „Die Filiale“ ist ein Thriller von Veit Etzold. Es handelt sich um den ersten Band einer neuen Thrillerreihe, die sich um die Bankangestellte Laura Jacobs dreht. Erzählt wird die Handlung hauptsächlich aus der personalen Perspektive von Laura; zwischendurch gibt es einzelne Perspektivwechsel zu Figuren, deren Identität hier nicht verraten werden soll. Die Handlung des Thrillers baut sich eher langsam auf: Besonders im ersten Viertel des Thrillers erhält man viele Einsichten in das Bankwesen, die Börse und das Thema Kryptowährung. Dies bremst die Handlung etwas aus, allerdings sind diese Hintergrundinformationen absolut notwendig, um der Handlung im Fortgang folgen zu können. Daher ist der eher langsame Beginn für mich kein großer Kritikpunkt (außerdem sind die Infos zu Geldanlage, Aktien, Kryptowährung und Co. recht interessant). Nach dem ersten Viertel nimmt die Handlung stetig an Fahrt auf. Sehr gut haben mir dabei die subtilen Thrill-Momente gefallen, die sich über die Handlung verteilen: Fast ohne ihr Zutun gerät Laura unfreiwillig immer weiter in die Fänge des Systems „Finanzsektor“, sodass „Die Filiale“ stellenweise kafkaeske Züge erhält. Dadurch finden sich auch einige schöne Wendungen innerhalb der Handlung. Der Schreibstil von Veit Etzold ist eingängig und lässt sich sehr flüssig lesen. Insgesamt ist „Die Filiale“ ein realistischer, dadurch auch erschreckender Thriller, der auf subtile Weise zu fesseln weiß.

Bewertung vom 25.10.2022
Die Welt kippt
Tschischwitz, Heiko von

Die Welt kippt


ausgezeichnet

Ein interessanter und informativer Klimaroman

Inhalt: Tessa Hansen und Shannon O’Reilly trennen Welten. Während Tessa bereits seit ihrem 14. Lebensjahr gegen die Klimakatastrophe kämpft, ist Shannon eine erfolgreiche Investorin im Silicon Valley. Als die beiden sich auf einer Konferenz treffen, merken sie aber, dass ihre Ansichten gar nicht so verschieden sind – bis auf eine Grundsatzfrage, die ihre sich bald entwickelnde Beziehung auf die Probe stellen wird. Im Hintergrund, vom Rest der Welt unerkannt, setzt China seine eigene Klimapolitik durch, deren Folgen für die Welt unkalkulierbar sind.

Persönliche Meinung: „Die Welt kippt“ von Heiko von Tschischwitz ist ein politischer Roman/Klimaroman, der die Bekämpfung des Klimawandels thematisiert. Der Roman spielt in der nahen Zukunft, hauptsächlich in den Jahren 2026 bis 2028. Erzählt wird der Roman aus vielen verschiedenen personalen Perspektiven. Die Figuren, aus deren Sichtweisen erzählt wird, sind dabei auf unterschiedlichsten Teilen der Welt beheimatet. Dadurch werden einerseits die Folgen des Klimawandels auf der ganzen Welt beleuchtet, andererseits werden unterschiedliche (politische) Umgangsformen mit dem Klimawandel aufgezeigt. So spielen neben den Perspektiven der Hauptfiguren Shannon und Tessa u.a. auch diejenigen des deutschen Bundeskanzlers Carsten Pahl und des chinesischen Wirtschaftskoordinators für Klimaschutz Zāng Li eine wichtige Rolle. „Die Welt kippt“ ist ein sehr diskursiver Roman. So werden von den Figuren viele Ansätze diskutiert, wie man den Klimawandel stoppen bzw. sogar rückgängig machen kann. Die Meinungen der Figuren werden dabei nicht nach einem Gut-Böse-Schema sortiert, sondern ergebnisoffen dargestellt. Es tritt auch keine (be)wertende Erzählinstanz auf, sodass den Lesenden selbst überlassen wird, wie sie die Meinungen der Figuren beurteilen. Durch die vielen Fakten und Prognosen zum Klimawandel kommt es innerhalb der Handlung manchmal zu einer kleinen „Informationsflut“. Die Informationen sind aber immer verständlich geschrieben, interessant und besitzen einen hohen informativen Grad, sodass sie für mich nicht störend waren. Neben der Thematik des Klimawandels finden sich in „Die Welt kippt“ außerdem dystopische Züge, Elemente eines politischen Thrillers und eine Liebesgeschichte. Spannung wird innerhalb der Handlung besonders dadurch erzeugt, dass man lange Zeit nicht genau weiß, was die chinesische Regierung plant. Insgesamt ist „Die Welt kippt“ ein informativer, realistischer und diskursiv angelegter Klimaroman, der in seiner Handlung Elemente verschiedener Genres vermischt.

Bewertung vom 23.10.2022
Schlangen im Garten
vor Schulte, Stefanie

Schlangen im Garten


ausgezeichnet

Ein poetisch geschriebener Roman, der sich empathisch mit dem Thema "Trauer" auseinandersetzt

Inhalt: Seitdem Johanne Mohn gestorben ist, ist für die Familie Mohn nichts mehr so, wie es mal war. Vater Adam ist schlichtweg überfordert mit der Situation, der jüngere Sohn Micha zieht sich in sich selbst zurück, die Tochter Linne beginnt, sich mit anderen Kindern zu prügeln, und der älteste Sohn Steve versucht irgendwie, die Familie durchzubringen. Erschwerend kommt hinzu, dass alle den Mitgliedern der Familie Mohn vorschreiben, wie diese zu trauern (oder besser: nicht zu trauern) haben. Doch dann treffen die Mohns auf drei Personen, die nicht unterschiedlicher sein könnten: einen schweigsamen Riesen, der auf dem Friedhof sitzt, eine Obdachlose, die einen Ball Gassi führt, und eine Handwerkerin, die Besonderes herstellt – Begegnungen, die das Leben der Mohns verändern werden.

Persönliche Meinung: „Schlangen im Garten“ ist ein Gegenwartsroman von Stefanie vor Schulte. Erzählt wird der Roman hauptsächlich aus den personalen Erzählperspektiven von Adam, Linne, Micha und Steve (später treten noch weitere Erzählinstanzen/-situationen hinzu, die ich aber hier nicht spoilern möchte). Inhaltlich dreht sich der Roman um das Thema „Trauer“ und den Verlust eines geliebten Menschen: So werden in emphatischer Weise einerseits die Trauerrituale der Mohns ausgeführt, andererseits die individuellen Bewältigungsstrategien der einzelnen Familienmitglieder erzählt. In diesen Trauerprozess treten immer wieder weitere, empathielose Figuren ein, die den Mohns vorwerfen, sie würden falsch trauern. Besonders die Nachbarn der Mohns bombardieren diese mit (scheinbar) weisen Ratschlägen, obwohl sie die Mohns wenig bis gar nicht kennen. Je weiter die Handlung voranschreitet, desto stärker häufen sich phantastische Elemente, sodass die Handlung immer mehr in Richtung magischer Realismus tendiert. So entsteht bei „Schlangen im Garten“ ein schönes Wechselspiel zwischen erzählter Wirklichkeit und dem Wunderbaren, bei dem man letztlich nicht eindeutig zuordnen kann, was tatsächlich die erzählte Wirklichkeit und was das Wunderbare ist. Dadurch zieht sich eine latente Spannung durch die Handlung. Nicht alles wird innerhalb der Handlung von „Schlangen im Garten“ geklärt, vieles bleibt offen. Diese Offenheit des Romans passt aber sehr gut zu seinem Inhalt: Auch auf die im Roman aufgeworfene Frage, wie man „richtig“ trauert, kann es keine allgemeingültige Antwort geben; jede*r muss einen für sich passenden Weg finden. In diesem Sinne spiegelt sich die Offenheit der Frage nach dem „richtigen“ Trauern gewissermaßen im offenen Ende des Romans. Der Schreibstil von Stefanie vor Schulte ist sehr poetisch und metaphernreich, sodass man – obschon man ein Prosawerk liest – oft den Eindruck hat, Lyrik vor sich zu haben. Durch diesen lyrischen Ton entstehen während der Lektüre einige schöne und eindrückliche Bilder. Insgesamt ist „Schlangen im Garten“ ein poetisch geschriebener, z.T. surreale Bilder erzeugender Roman, der empathisch mit dem Thema „Trauer“ umgeht, allerdings auch Fragen offenlässt. Diese Offenheit hat mich aber weniger gestört, da sie zum Inhalt des Romans passte.

Bewertung vom 16.09.2022
Die rätselhaften Honjin-Morde / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.1
Yokomizo, Seishi

Die rätselhaften Honjin-Morde / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.1


ausgezeichnet

Ein unaufgeregt erzähltes und dadurch fesselndes Locked Room Mystery

Inhalt: Das Dorf O. in Japan, 1937. Die Familie Ichiyanagi feiert die Hochzeit des ältesten Sohnes Kenzo und seiner Verlobten Katsuko. In der Nacht nach der Feier werden die Gäste plötzlich von markerschütternden Schreien geweckt, denen der Klang einer Koto folgt. Beide Geräusche scheinen aus dem Schlafzimmer Kenzos und Katsukos zu kommen, doch das Zimmer ist verschlossen und muss erst offengebrochen werden. Als dies gelingt, kann nur noch der Tod der frisch Vermählten festgestellt werden. Dem Onkel der Braut kommt der Fall seltsam vor, sodass er den Privatdetektiv Kosuke Kindaichi einschaltet.

Persönliche Meinung: „Die rätselhaften Honjin-Morde“ ist ein Kriminalroman von Seishi Yokomizo. Die japanische Originalausgabe des Romans erschien bereits 1946 und ist nun erstmals bei Blumenbar auf Deutsch erschienen. Erzählt wird die Handlung von einem namenlosen Ich-Erzähler, der sich als Autor von Kriminalromanen vorstellt (vielleicht baut sich Seishi Yokomizo hier auch selbst in die Handlung ein). Eigentlich ist dieser Ich-Erzähler aber ein allwissender Erzähler: Er schreibt 9 Jahre nach den Honjin-Morden, der Fall ist längst aufgeklärt und ihm liegen alle Dokumente zum Fall vor. Daher weiß er bereits zu Beginn der Handlung wie diese enden wird. Durch seine Allwissenheit steht dem Erzähler die Möglichkeit offen, die vierte Wand zu durchbrechen, was er auch mehrmals tut, um mit den Lesenden über den Fall zu diskutieren. Die Handlung des Romans beginnt gemächlich: So werden zunächst der Handlungsort, die auftretenden Figuren und seltsame Begebenheiten, die sich kurz vor den Morden ereignet haben, vorgestellt/erzählt. Nach ca. einem Viertel des Romans beginnen die Ermittlungen, die zunächst von Kommissar Isokawa angeführt werden, ehe Kosuke Kindaichi den Fall übernimmt. Der Fall selbst ist ein klassisches, schön konstruiertes Locked Room Mystery mit einigen falschen Fährten und einer wirklich überraschenden, nicht zu erahnenden Auflösung. Was mir ebenfalls sehr gut gefallen hat, ist, dass in „Die rätselhaften Honjin-Morde“ mehrmals reale Kriminalromane referenziert werden (z.B. Romane von Agatha Christie und Artur Conan Doyle; eine besondere Rolle spielt „Das Geheimnis des gelben Zimmers“ von Gaston Leroux). Der Ton der Erzählung ist unaufgeregt und sacht, sodass sich der Roman angenehm lesen lässt. Am Ende des Romans findet sich außerdem ein Glossar, in dem einige für die Handlung wichtige japanische Begriffe erklärt werden. Insgesamt ist „Die rätselhaften Honjin-Morde“ ein interessant erzählter, gerade durch seine Unaufgeregtheit fesselnder Kriminalroman mit einem klug durchdachten Fall.

Bewertung vom 06.09.2022
Wir Verstoßenen
Taysen, Jana

Wir Verstoßenen


ausgezeichnet

Eine spannende Dystopie mit lebendig ausgestalteten Figuren

Inhalt: Nach den Ereignissen von „Wir Verlorenen“ (Band 1) möchte Smilla weg aus der Eifel und begibt sich gen Brüssel. Dort hat sich – schenkt man den Gerüchten glauben – nach der „Plage“ eine neue, zivilisierte Gesellschaft gebildet. Noch am Anfang ihrer Reise trifft Smilla auf Giorgio, der mit ihr in Wollseifen gelebt hat und eigentlich – gemeinsam mit Smillas kleiner Schwester Jera – schon längst irgendwo auf dem Weg nach Brüssel sein sollte. Doch Jera ist vor Kurzem nachts verschwunden; um sie zu finden, ist Giorgio in der Eifel geblieben. Gemeinsam begeben sich die beiden auf die Suche nach Jera – und bald stellt sich heraus, dass die mysteriöse Sekte, die in der Eifel für Menschenopfer bekannt ist, etwas mit Jeras Verschwinden zu tun hat…

Persönliche Meinung: „Wir Verstoßenen“ ist ein dystopischer Roman von Jana Taysen. Es handelt sich um den zweiten Band der „Wir Verlorenen“-Trilogie. Da alle wichtigen Begebenheiten aus dem ersten Band zu Beginn des zweiten Bandes aufgegriffen werden, kann man „Wir Verstoßenen“ auch ohne Kenntnis von „Wir Verlorenen“ lesen (für ein tiefergehendes Verständnis der Figurenbeziehungen ist es aber natürlich sinnvoll, die Reihe chronologisch zu lesen). Erzählt wird der Roman aus der personalen Perspektive Smillas (im Pro- und Epilog wird kurz die personale Sicht Jeras eingenommen). Die Handlung von „Wir Verlorenen“ spielt – wie auch der Vorgänger – in der Eifel. Neben der Wüstung Wollseifen und Monschau ist im zweiten Band besonders das Hohe Venn ein wichtiger Handlungsort. Die Handlungsorte sind sehr schön beschrieben: plastisch, atmosphärisch und anschaulich. Eine weitere Stärke des Romans ist die lebendige Ausgestaltung der Figuren und ihrer Beziehungen. Mit all ihren Ängsten, Sorgen, Hoffnungen und Ambivalenzen sind die Figuren dreidimensional und lebendig dargestellt, sodass man unweigerlich mit ihnen fiebert. Dabei besitzen die Figuren häufig Schattierungen, folgen nicht dem einfachen Gut-Böse-Muster, sondern sind immer irgendwo dazwischen – mal eher der hellen, mal eher der dunklen Seite zugewandt. Viele der auftretenden Figuren sind außerdem unberechenbar: Ihre wahren Absichten sind häufig verdeckt, sodass man nicht vorhersehen kann, wie sie handeln werden. Tief sind auch die Beziehungen der Figuren – je nach Fall sowohl hinsichtlich ihrer liebevollen Wärme als auch ihrer berechnenden Kälte. Für Spannung sorgt – neben der Unberechenbarkeit mehrerer Figuren – die Sekte, die von einer geheimnisvollen Atmosphäre umwabert wird und deren genaue Absichten lange offenbleiben. Die Handlung von „Wir Verstoßenen“ ist nicht vorhersehbar und darüber hinaus voller tiefsinniger Gedanken und Überlegungen. Der Schreibstil von Jana Taysen ist sehr eingängig und lässt sich flüssig lesen. Insgesamt ist „Wir Verstoßenen“ eine spannende Dystopie mit plastisch beschriebenen Handlungsorten, lebendig ausgestalteten Figuren und einer nicht vorhersehbaren Handlung.

Bewertung vom 01.09.2022
Leinwand ohne Gesicht
Wiesenbach, Doris

Leinwand ohne Gesicht


ausgezeichnet

Ein spannender Roman mit einer außergewöhnlichen Erzählkonstellation

Inhalt: Seit einem fatalen Unfall, der sich vor zwei Jahren zugetragen hat, lebt die 22-jährige Lea in der Privatklinik für Gedächtnislose in Berlin. An ihre Vergangenheit kann sie sich nicht mehr erinnern. Auch das Spüren von Gefühlen ist verloren gegangen. Trotz der Bemühungen des Klinikpersonals sind die Fortschritte von Lea gering. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse: Golo, Leas Ehemann, der durch den Gedächtnisverlust ein Fremder für sie geworden ist, will nicht mehr, dass Lea in der Klinik behandelt wird. Gleichzeitig zieht ein neuer Patient in die Klinik ein, zu dem sich Lea hingezogen fühlt…

Persönliche Meinung: „Leinwand ohne Gesicht“ ist ein Spannungsroman von Doris Wiesenbach. Eine Besonderheit des Romans ist seine Erzählsituation: Die Handlung wird nicht nur aus unterschiedlichen Figurenperspektiven erzählt, sondern auch aus verschiedenen Erzählperspektiven. So spricht die Zentralfigur Lea aus der Ich-Perspektive; bei anderen Figuren (Finn, ein ehemaliger Patient, Tom, der neue Patient, und Kalle, der Therapiefuchs (ja, richtig gelesen

Bewertung vom 26.08.2022
Poppy. Dein Kind verschwindet. Und die ganze Welt sieht zu. / Emer Murphy Bd.1
Getz, Kristine

Poppy. Dein Kind verschwindet. Und die ganze Welt sieht zu. / Emer Murphy Bd.1


ausgezeichnet

Ein wendungsreicher Thriller mit einer hohen Spannungskurve

Inhalt: Gemeinsam mit ihrem Mann Jens betreibt Lotte Wiig einen erfolgreichen Blog. Hier zeigen die beiden ihren Follower*innen nicht nur die neusten Modetrends, sondern lassen sie auch am Familienleben mit ihrer zweijährigen Tochter Poppy teilhaben. Regelmäßig gibt es Updates, besonders Bilder mit Poppy generieren Likes, alles läuft gut. Bis Poppy entführt wird – nur kurz, nachdem Lotte auf Instagram ein neues Bild von ihr gepostet hat. Ist der Entführer der Stalker, der es schon länger auf Lotte und Poppy abgesehen hat? Gibt es einen Zusammenhang zu der Entführung eines anderen Kindes, das nach 12 Stunden plötzlich wieder aufgetaucht ist? Obwohl Kommissarin Emer Murphy momentan nicht arbeiten darf, steht für sie fest: Sie will Poppy finden. Doch ist Emer wirklich schon so weit, wieder in den Dienst einzutreten?

Persönliche Meinung: „Poppy. Dein Kind verschwindet und die ganze Welt sieht zu“ ist ein Thriller von Kristine Getz. Erzählt wir der Thriller aus verschiedenen personalen Erzählperspektiven (u.a. Emer Murphy, Jens und Lotte Wiig). Zusätzlich dazu werden häufig Kommentare von User*innen unterschiedlicher Foren (z.B. Lottes MamaForum) eingestreut, die sich über das Verschwinden von Lotte austauschen, wodurch sich eine besondere Dynamik ergibt. Die Spannungskurve des Thrillers ist sehr hoch: Viele Figuren sind undurchsichtig und verbergen Geheimnisse, die erst nach und nach offenbart werden. Dadurch ist fast jede Figur verdächtig und man weiß nicht, wem man wirklich trauen kann (Die Geheimnisse führen zwar dazu, dass die Figuren distanziert wirken, aber das fand ich nicht weiter schlimm. Die Spannung gleicht die Distanz allemal aus.). Gleichzeitig ist die Handlung gespickt mit falschen Fährten und unerwarteten Wendungen: Wie die Dinge in Wahrheit liegen, offenbart sich hier oftmals erst rückblickend, was für einige schöne „Aha“-Momente sorgt. Dementsprechend ist auch das Ende des Thrillers sehr überraschend. Interessant an dem Thriller ist außerdem, dass er aktuelle Themen aufgreift: das Bloggen bzw. Social Media im Allgemeinen, wobei besonders die Gefährdung der Privatsphäre, der Druck der Öffentlichkeit und das Verstellen vor der Kamera eine Rolle spielen. Der Schreibstil von Kristine Getz ist flüssig und angenehm zu lesen, sodass man nur so durch die Seiten fliegt. Insgesamt ist „Poppy“ ein fesselnder, wendungsreicher und ein aktuelles Thema behandelter Thriller mit einer hohen Spannungskurve.

Bewertung vom 09.08.2022
1622. Ein erbärmliches Unglück
Bracker, Jörgen

1622. Ein erbärmliches Unglück


ausgezeichnet

Ein wirklichkeitsnaher, toll recherchierter historischer Roman

Inhalt: Als im Mai 1618 drei Beamte des böhmischen Königs aus einem Fenster der Prager Burg gestoßen werden, ahnt der im Hamburger Umland wohnende Jonas noch nicht, welche Konsequenzen dies für ihn haben wird. Doch plötzlich ziehen marodierende Soldatenbanden durch das Land, die es auch auf den Hof von Jonas’ Bruder abgesehen haben. Nur dank der Raffinesse von Jonas können sie abgewehrt werden – wodurch Johan van Valckenburgh, der gerade den Bau der Hamburger Wallanlagen leitet, auf Jonas aufmerksam wird und ihn als Späher anstellen möchte. Ehe Jonas es sich versieht, ist er mitten in den konfessionellen Wirren des Krieges…

Persönliche Meinung: „2. Juli 1622 – Ein erbärmliches Unglück. Valkenburgh und die Waffenschmuggler“ ist ein historischer Roman von Jörgen Bracker. Erzählt wird die Handlung in Tagebuchform aus der Ich-Perspektive von Jonas, der es aufgrund seiner Vergangenheit nicht immer leicht hatte, jetzt aber – unter der schützenden Hand Valckenburghs – immer stärker sein Potential entfalten kann. Fluchtpunkt des Romans ist die Explosion eines Schiffes auf der Elbe am 2. Juli 1622, deren genaue Umstände bis heute nicht völlig geklärt werden konnten. Um diese offene Frage spinnt der Historiker und Archäologe Bracker eine Handlung, die literarisch zu beantworten sucht, was zur Explosion des Schiffes geführt haben könnte. Der Roman geht allerdings noch weit über die Behandlung der Explosion hinaus. So thematisiert „2. Juli 1622“ außerdem die Abenteuer, die Jonas mit seinen Freunden in Hamburg und Umfeld erlebt, mehrere Liebesgeschichten und die Anfangszeit des Dreißigjährigen Krieges. Hierbei spielen besonders die religiösen, auch intrakonfessionellen Konfliktpunkte des Krieges und die (politische) Situation Hamburgs im Krieg eine Rolle. Der historische Hintergrund wird authentisch und wirklichkeitsnah geschildert – ohne, dass der Autor in trockenes Dozieren abdriftet. Denn: Die Ereignisgeschichte hat immer direkte Konsequenzen für die Protagonisten, sodass der historische Hintergrund lebensnah veranschaulicht wird. Zudem finden sich in der Handlung häufig Politkrimi-Elemente, die das Historische auflockern: Mehrmals spioniert Jonas die politischen Feinde in brenzligen Situationen aus; welche Allianzen überdauern, wer die Seite wechselt, ist in der brisanten Kriegssituation offen. Der Schreibstil von Jörgen Bracker ist eher hypotaktisch, reich an Beschreibungen und stellenweise verschnörkelt. Anfangs ist dies etwas ungewohnt, aber man gewöhnt sich schnell daran (außerdem wirkt der Schreibstil archaisierend, wodurch der Text auch auf Sprachebene einen historischen Touch bekommt). Der Roman schließt mit einem Nachwort („Wahr oder wahrscheinlich“), in dem der Autor die gesicherten historischen Erkenntnisse zur Explosion des Schiffes festhält. Weiterhin existieren ein Index, in dem kurz historische Ereignisse, Örtlichkeiten und auftretende Personen erklärt werden, und ein Verzeichnis mit weiterführender Literatur zum Themenkomplex „Dreißigjähriger Krieg“. Insgesamt ist „2. Juli 1622 – Ein erbärmliches Unglück“ ein kurzweiliger, wirklichkeitsnaher und toll recherchierter historischer Roman.

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Bewertung vom 03.08.2022
Als das Böse kam
Menger, Ivar Leon

Als das Böse kam


ausgezeichnet

Ein kurzweiliger Spannungsroman mit einer tollen Atmosphäre

Inhalt: Die 16-jährige Juno lebt allein mit ihrem Bruder Boy und ihren Eltern auf einer waldbedeckten, einsamen Insel. Das Festland hat sie nie betreten, da dort – so ihre Eltern – das Böse lauern soll. Die Tage auf der Insel verlaufen gleichförmig, fast schon idyllisch – bis Juno einen Fehler macht und die Bedrohung durch das Böse plötzlich real wird…

Persönliche Meinung: „Als das Böse kam“ ist ein Spannungsroman von Ivar Leon Menger. Erzählt wird der Roman aus der Ich-Perspektive der 16-jährigen Juno. Wie im Inhaltsteaser oben schon angedeutet, ist sie bedingt durch die Isolation weltfremd großgeworden und teilweise naiv. Sie kennt allein die Regeln ihrer Familie, weiß nur die Dinge, die ihre Eltern ihr beigebracht haben. Dies hat Auswirkungen auf die Erzählsituation. Denn: Durch ihre sehr begrenzten Erfahrungen weist Juno Anzeichen einer unzuverlässigen Erzählfigur auf. Zwar gibt sie sich sichtlich Mühe, ihr Unbekanntes richtig einzuordnen – doch ob ihr das gelingt, bleibt für den Lesenden während der Handlung in mehreren Szenen offen/ambivalent, wodurch sich eine latente Spannung durch den Roman zieht. Permanent tauchen beim Lesen Fragen auf: Ist die Szene jetzt wirklich so, wie Juno sie versteht? Oder übersieht sie etwas und ist zu gutgläubig? Ist es naiv von ihr, Figur XY zu vertrauen oder ist die Figur tatsächlich vertrauenswürdig? Vieles erhält durch die Ich-Perspektivierung eine beunruhigende Note – ohne, dass man es zweifelsfrei als bedrohlich fixieren könnte. Bis zur Auflösung bleibt daher einiges in der Schwebe, wodurch eine schöne, die Nerven kitzelnde Atmosphäre entsteht. Die Handlung ist im Großen und Ganzen stimmig, allerdings blieben einzelne Fragen offen, deren Beantwortungen die Handlung für mich runder gemacht hätten (z.B. bleiben die Hintergrundgeschichten einzelner Figuren etwas vage, sodass ihre Handlungsmotivation für mich nicht so deutlich wurde). Innerhalb der Handlung gibt es auch die eine oder andere interessante Wendung, größere Twiste kommen aber nicht vor (aufgrund seiner Dramatik hat mir das Ende aber dennoch sehr gut gefallen). Der Schreibstil von Ivar Leon Menger lässt sich flüssig lesen und ist eingängig, sodass man durch die Handlung fliegt. Insgesamt ist „Als das Böse kam“ ein kurzweiliger Spannungsroman mit einer interessanten Perspektive und einer tollen Atmosphäre; die Handlung hätte für mich aber gerne noch etwas twistreicher sein können.