Benutzer
Benutzername: 
Klara

Bewertungen

Insgesamt 193 Bewertungen
Bewertung vom 04.03.2022
Vida, Vendela

Die Gezeiten gehören uns


sehr gut

Erwachsenwerden – eine manchmal schmerzliche Erfahrung
Eulabee und Maria Fabiola sind 13 Jahre alt und leben in Sea Cliff bei San Francisco. Sie besuchen eine Privatschule und sind eng befreundet. Auch Faith und Julia gehören zu der Gruppe. Maria Fabiola zieht stets die Blicke auf sich, weil sie wunderschön ist. Eines Tages fragt ein Autofahrer sie nach der Uhrzeit. Hinterher behauptet Maria Fabiola, er habe sich angefasst. Dabei bleibt sie auch gegenüber der Polizei und den Lehrern. Faith und Julia unterstützen sie. Nur Eulabee äußert sich abweichend. Sie hat eine solche Handlung nicht gesehen. Die anderen beschimpfen sie als Verräterin, und sie wird von allen ignoriert. Kurze Zeit später verschwindet Maria Fabiola spurlos. Als sie wiederauftaucht, behauptet sie, entführt worden zu sein. Eulabee glaubt ihr nicht. Einige Zeit später verschwindet Eulabee, aber dieser Fall liegt anders. Sie fürchtet eine Zeit lang, den Tod eines jungen Mannes verschuldet zu haben und versteckt sich. Einmal kommen sich Eulabee und die Freundin doch noch einmal näher, weil sie ihren Lehrern einen Streich spielen wollen. Mit Schulverweis bestraft wird am Ende nur Eulabee.
Der Roman erzählt von jungen Mädchen, deren Äußeres sich verändert, die sich verlieben, erwachsen werden. Das kann für die Betroffenen eine schwere Zeit sein, vor allem, wenn einige sich so grausam verhalten wie die Figuren im Roman. Für Eulabee ist es besonders schwer, weil sie ausgegrenzt wird, ihre Freundschaft von einem Tag zum anderen zerbricht und sie von allen gemieden wird. Maria Fabiola mit ihrer Ich-Bezogenheit und ihrem übertriebenen Geltungsbedürfnis wirkt auf den Leser sehr unsympathisch. Vendela Vidas Roman ist eine Coming-of-Age-Geschichte, die sicherlich auch junge Leser anspricht.

Bewertung vom 04.03.2022
Crimp, Imogen

Unser wirkliches Leben


gut

Ungleiche Partner
Die junge Anna ist dabei, ihren Traum zu verwirklichen. Sie hat ein Stipendium für eine Ausbildung an einem Londoner Konservatorium und teilt sich ein Zimmer mit ihrer besten Freundin Laurie in einem schäbigen Haus mit übergriffigen, neugierigen Vermietern. Um finanziell über die Runden zu kommen, kellnert Laurie in einer Hotelbar, und Anna singt dort an mehreren Abenden der Woche Jazz. Eines Abends lernt sie dort den gutaussehenden, deutlich älteren Max kennen, einen reichen Banker aus der City. Er lädt sie in teure Restaurants und in sein schickes Loft ein. Anna ist beeindruckt, aber sie ist auch verliebt, will ihn unbedingt für sich gewinnen. Max manipuliert sie, genießt seine Macht, wenn sie ihm erlaubt, mit ihr zu machen, was er will. Sie erfährt fast nichts über sein Privatleben, weiß nicht, ob ihre ungleiche Beziehung überhaupt eine Zukunft hat oder ob er nicht vielmehr zu seiner Familie zurückkehrt, wenn er behauptet, beruflich unterwegs zu sein. Gleichzeitig wird der Druck, stimmlich und schauspielerisch Höchstleistungen zu erbringen, immer größer. Anna wird von Selbstzweifeln und Panikattacken geplagt, und ihre Stimme versagt ihr den Dienst. Der Leser sieht, dass nicht nur Erkältungen und verqualmte Räume eine Gefahr für die Stimmen der Sänger darstellen, sondern auch psychische Probleme und Konflikte aller Art wie die mit den Rivalinnen im Konservatorium. Anna muss sich Geld von Max leihen, um sich die Teilnahme an diversen Vorsingen leisten zu können und wird dadurch nicht nur immer abhängiger von Max, sondern in den Augen der anderen zu einer Frau, die sich von ihrem Liebhaber aushalten lässt.
Der Roman ist interessant von der Thematik her, vor allem wegen der kenntnisreichen Einbeziehung der Musik, aber er hat durchaus Längen, weil sowohl die musikalische Ausbildung als auch Annas schwierige Beziehung in großer epischer Breite dargestellt werden. Wer daran keinen Anstoß nimmt, kann dennoch Freude an dem Buch haben.

Bewertung vom 19.02.2022
Derndorfer, Eva;Fischer, Elisabeth

Alkoholfreie Drinks


ausgezeichnet

Trinken ohne Reue
„Alkoholfreie Drinks“ von Eva Derndorfer und Elisabeth Fischer ist im Brandstätter Verlag erschienen. Die beiden Autorinnen präsentieren eine umfassend neu bearbeitete zweite Ausgabe der erstmals im Jahr 2016 erschienenen „Alkoholfreien Drinks“. Willkommen in der Wunderbar! heißt es zu Beginn, und das stimmt. Endlich sind die Zeiten vorbei, wo man sich bei Alkoholverzicht für Mineralwasser mit oder ohne Kohlensäure oder Apfelschorle entscheiden musste. Jetzt können die Leser experimentieren. Das Buch ist aufgeteilt in fünf Kapitel: Sommerbar, Fruchtbar, Weinbar, Cocktailbar und Winterbar. Die Rezepte für die Drinks, die meistens mit wenigen Zutaten auskommen, sind kurz und knapp beschrieben und mit einem Standmixer oder einem Pürierstab schnell und leicht umsetzbar. Sie enthalten auch den Hinweis, zu welchen Speisen sie sich besonders gut eignen. Ich habe mit einer ganz einfachen Herstellung eines Drinks begonnen, nämlich dem Minutendrink Mango-Weiße. Das ist geschmacklich keine große Überraschung, da man gemischte alkoholfreie Biere kennt, die Kombination ist jedoch interessant. Da ich noch Mangonektar übrighatte, habe ich den Mango-Lassi ausprobiert, der sehr gut angekommen ist. Es gibt natürlich auch anspruchsvollere Rezepte, wo die Zutaten erst beschafft werden müssen. Das ist vielleicht nicht immer ganz einfach, allerdings lohnen sich Mühe und Kosten. Das Buch ist für mich eine unwahrscheinliche Bereicherung und wenn es wieder frisches Obst und Gemüse aus der Region gibt, können der Reihe nach Drinks wie Erdbeer-Holunderblüten-Cooler, Spritz Tropical mit Cassis & Kokos oder Rhabarber-Beeren-Limo zubereitet und genussvoll getrunken werden. Ich kann das Buch jedem empfehlen, der Wert auf einen überaus wohlschmeckenden Drink legt und der die Abwechslung liebt. Sollte ein Geschenk benötigt werden, ist der Kauf des Buches eine sehr gute Entscheidung. Prost!

Bewertung vom 18.02.2022
Manke, Matthias;Rose, Tarik

Einfach genial gesund


sehr gut

Es ist nie zu spät, sein Leben zu ändern
„Einfach genial gesund“ ist eine Gemeinschaftsproduktion der beiden Autoren Dr. Matthias Manke (dem Doc aus dem Revier) und Tarik Rose (dem Koch von der Elbe). Beide haben es sich zum Ziel gemacht, den Leser in kleinen Schritten zu Veränderungen zu bewegen. Wenn nur ein paar Dinge im Leben geändert werden, kann man ansonsten genussvoll weiterleben. Das ist die Idee hinter dem Buch. Um sie umsetzen zu können, wurde eine To-do-Liste mit 10 goldenen Regeln aufgestellt, die in einer Challenge näher erläutert werden. Zum einen muss Stress abgebaut werden, mehr Power auf den Teller, was bedeutet, Hände weg von gefährlichem Fast Food oder Alkohol. Je weniger wir davon konsumieren, je länger bleiben wir gesund. Wichtig ist auch, dass wir uns mehr bewegen, nicht hungern oder einseitige Diäten machen. Dem Leser wird nach den ersten 45 Seiten klar, dass ihm vieles nicht fremd ist, es allerdings bisher an der Umsetzung scheiterte. Danach folgen diverse Rezepte, vom gesunden Frühstück über herzhafte Sattmacher bis hin zu raffinierten Salaten und Snacks. Die Rezepte sind für mich persönlich etwas zu anspruchsvoll, um sie nach einem anstrengenden Arbeitstag auf den Teller zu bringen. Ich kann mir deren Umsetzung am Wochenende vorstellen, wobei ein gut angerichteter Salat eigentlich immer geht. In dem letzten Kapitel des Buches ist Schluss mit Ausreden und Aufschieben. Hier werden diverse Fitnessübungen vorgestellt, die man zu Hause oder am Arbeitsplatz in seinen Tagesablauf einbauen kann. Alles in allem hat mich das Buch motiviert, mich mehr zu bewegen und zu versuchen, alles etwas ruhiger angehen zu lassen. Ob es klappt wird sich mit der Zeit zeigen.

Bewertung vom 14.02.2022
Grund, Maria

Fuchsmädchen / Berling und Pedersen Bd.1


gut

Die Suche nach einem grausamen Serienmörder
In einem Kalksteinbruch auf einer schwedischen Insel wird eines Tages die Leiche eines schwangeren jungen Mädchens gefunden. An ihrem Suizid besteht schon bald kein Zweifel mehr, denn eine Überwachungskamera hat die letzten Augenblicke ihres Lebens aufgezeichnet. Dann werden in kurzen Abständen weitere Leichen gefunden. Diese Menschen sind alle auf die gleiche Weise brutal mit einem Jagdmesser ermordet worden. Sanna Berling und ihre neue Kollegin Eir Peddersen ermitteln in alle Richtungen. Sanna glaubt an einen Zusammenhang zwischen dem Selbstmord und den Morden – ihr Vorgesetzter nicht. Das Mädchen hatte eine grausige Fuchsmaske getragen. Als die Ermittler in der Wohnung einer Ermordeten ein Foto finden, das sieben Kinder mit unterschiedlichen Tiermasken zeigt, unter anderem der Fuchsmaske, ist der Zusammenhang nicht mehr zu leugnen. Ganz verschiedene Menschen werden verdächtigt, weil sie Jahre zuvor mit einem Ferienlager für Kinder zu tun hatten. Im Lauf der Geschichte gibt es Hinweise, dass nicht nur die sieben Tiere für die sieben Todsünden stehen, sondern dass es im Lager seltsame Praktiken, Teufelsaustreibungen, Scheinhinrichtungen und unappetitliche Schlacht- und Blutspiele gegeben hat. Die Auflösung kann man schon wegen zahlreicher Handlungsumschwünge nicht erraten, auch wenn man vielleicht irgendwann ahnt, wer die Morde begangen hat.
Nach dem überschwänglichen Lob auf dem Cover war ich sehr gespannt auf den Roman. Er ist spannend, gar keine Frage, aber mir gefällt die blutige Gewaltorgie nicht, die der Geschichte um Bestrafung für schwere Schuld und Rache zugrunde liegt. Die Charakterisierung der Figuren, vor allem der beiden Ermittlerinnen ist dagegen gelungen. Beide sind wie so oft in skandinavischen Krimis und Thrillern beschädigte Persönlichkeiten: Sanna kämpft mit den Dämonen der Vergangenheit und wird nicht mit ihrem großen Verlust fertig, Eir hat Schwierigkeiten, ihre Wut zu kontrollieren und wird schnell gewalttätig. Außerdem kümmert sie sich um ihre drogenabhängige Schwester. Was mich noch stört, sind die sprachlichen Fehler, die das Lesevergnügen beeinträchtigen.
Fazit: Maria Grund erzählt eine düstere Geschichte mit zahlreichen Grausamkeiten. Der Roman ist für sensible Leser eher nicht geeignet.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.02.2022
Assor, Abigail

So reich wie der König


gut

Keine Chance im Leben ohne Geld
Abigail Assors erster Roman “So reich wie der König“ hat sie in Frankreich sofort sehr bekannt gemacht. Im Mittelpunkt steht die bildschöne 16jährige Französin Sarah, deren Mutter einige Jahre vorher in Marokko gestrandet ist, nachdem ihr Partner mit ihrem Geld verschwunden ist. Seitdem kann sie nur überleben, indem sie sich prostituiert. Auch Sarah setzt ihre Schönheit in ihrem gutsituierten Bekanntenkreis ganz bewusst ein, um nicht zu hungern und anständige Kleidung zu besitzen. Sie besucht eine französische Schule, wo niemand von ihrer Armut wissen darf.
Eines Tages lernt sie Driss kennen, dessen Familie sehr reich ist. Obwohl sein Äußeres ausgesprochen unattraktiv ist, beschließt Sarah, dass sie ihn heiraten wird. Driss lässt sich von ihr verführen, und sie werden ein verliebtes Paar. Driss ist sogar bereit, die Autorität seines Vaters herauszufordern und sich den Wünschen seiner Familie zu widersetzen.
Assor zeigt ein Porträt von Marokko in den 90er Jahren, wo nur Geld zählt und Macht verleiht. Es ist ein autokratischer Polizeistaat mit einem starren, völlig undurchlässigen Sozialsystem. Die junge Sarah durchschaut sehr genau, wie diese Gesellschaft funktioniert und verfolgt dennoch ihren Plan, gesellschaftlich aufzusteigen. Der Roman ist keine leichte Kost, vor allem wegen der detaillierten Darstellung sozialer Ungerechtigkeit und der exzessiven Gewalt gegen jeden, vor allem gegenüber Frauen. Weitere Themen sind Homosexualität, Antisemitismus und Drogen. Mir hat das Buch nicht besonders gut gefallen, weil mir beide Charaktere vollkommen unsympathisch waren: Sarah, die es auf das Geld von Driss abgesehen hat und nicht begreift, dass Reichtum nicht automatisch glücklich macht, worauf sie ein Dienstmädchen aufmerksam macht. Driss gibt sich der Illusion hin, er könne die Autorität seines Vaters in Frage stellen und dennoch von seinem Geld profitieren. Der Leser ahnt früh, dass für sie eine bittere Erkenntnis unausweichlich ist und freut sich, in einer demokratischen, etwas gerechteren Gesellschaft zu leben.

Bewertung vom 31.01.2022
Khider, Abbas

Der Erinnerungsfälscher


ausgezeichnet

Der lange Weg in eine neue Heimat
Said Al-Wahid lebt schon lange in Deutschland, ist mit der Deutschen Monica verheiratet und hat mit ihr den Sohn Ilias. Eines Tages erfährt er durch einen Anruf seines Bruders Hakim, dass seine Mutter nicht mehr lange zu leben hat. Da er sie noch einmal sehen will, macht er sich auf den Weg nach Bagdad. Unterwegs erinnert er sich an seine Kindheit im Irak, seine Flucht und die erste schwierige Zeit in Deutschland. Er hat immer seine Geschichte aufschreiben wollen, scheitert aber an den großen Erinnerungslücken. Er vergisst nämlich nicht nur einzelne Namen und Daten, er kann auch nicht unterscheiden, ob sich das, woran er sich erinnert, wirklich ereignet hat oder nicht. Dieser Verlust von Erinnerungen dient auch dem Selbstschutz. Sonst könnten die alten Wunden niemals heilen. Wenn er dieses Buch eines Tages schreibt, muss er sehr kreativ werden und beträchtliche Teile selbst erfinden.
Nach seiner Flucht aus dem Irak braucht er Jahre, bis er in Deutschland ankommt, und dann wird es auch nicht leichter. Nicht nur, dass er wegen seines fremden Aussehens auffällig oft von der Polizei kontrolliert wird, über sein Leben bestimmen Gesetze: „die befristete und die unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die Abschiebungsandrohungen, das Widerrufsverfahren, die Duldung, die Einbürgerung.“ (S. 19) Nicht einmal eine Geburtsurkunde für seinen Sohn wird ihm ohne weiteres ausgestellt. Da sind erst einmal Saids „derzeitige staatsangehörigkeitsrechtliche Verhältnisse zu beurteilen.“ (S. 22)
Nach der Lektüre von Khiders in Anlehnung an die eigene Geschichte geschriebenem Roman müsste eigentlich auch der Letzte wissen, dass Flüchtlinge nicht ohne Not ihre Heimat verlassen, um sich in Deutschland ein schönes Leben zu machen. “Der Erinnerungsfälscher“ beeindruckt und erzeugt hoffentlich viel Empathie. Sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 31.01.2022
Calligarich, Gianfranco

Der letzte Sommer in der Stadt


gut

Porträt einer verlorenen Generation
Der junge Leo Gazzarra zieht von Mailand nach Rom, um bei einer Zeitung zu arbeiten. Bald wechselt er zum Corriere dello Sport. Er hat nie viel Geld, findet aber Freunde, die ihm eine Wohnung leihen und einen alten Alfa Romeo schenken. Vor allem zieht er mit ihnen durch die Bars, lernt jede Menge Frauen kennen und trinkt zu viel Alkohol. Er liebt Bücher, möchte selbst Schriftsteller werden oder einen Film drehen. Stattdessen lässt er sich ziellos treiben, statt seinen Tagen Struktur zu geben und sein Leben sinnvoll zu planen. Immer wieder macht er Versuche, sein Leben zu ändern, vor allem seinen Alkoholkonsum zu reduzieren, aber ohne nennenswerten Erfolg. Eines Tages lernt er bei einer Party die sehr attraktive, exzentrische Arianna kennen. Sie wird die Liebe seines Lebens, aber sie ist so wenig greifbar wie die Stadt, die er so sehr liebt.

Calligarichs 1973 erschienener Roman weist deutlich autobiografische Züge auf, denn sein Autor ging einen ähnlichen Weg wie der Ich-Erzähler Leo Gazzarra. Der Roman wurde gefeiert und zum Kultbuch ernannt, dann aber schnell wieder vergessen. Mich hat das Buch nicht begeistert, und es ist für mich schwer nachvollziehbar, was diesen Roman zum Meisterwerk macht. Die Identifikation mit den Figuren fällt schwer. Einzig das Porträt von Rom in den 70er Jahren mit seinen imposanten Bauwerken und der speziellen Atmosphäre bleibt mir positiv im Gedächtnis genauso wie die Beschreibungen des Meeres als Sehnsuchtsort des Protagonisten, aber das reicht mir nicht so ganz.

Bewertung vom 02.12.2021
Gesthuysen, Anne

Wir sind schließlich wer (eBook, ePUB)


sehr gut

Landadel am Niederrhein
Anne Gesthuysens neuer Roman spielt am Niederrhein, wo sich die Autorin sehr gut auskennt. Im Mittelpunkt steht die Familie von Betteray. Die Witwe Mechthild bildet sich sehr viel auf ihre Zugehörigkeit zum Landadel ein und verfolgt die Vorfahren bis ins englische Königshaus zurück. Sie hat sieben Kinder geboren, von denen sechs noch leben. Hier geht es weniger um die älteren Söhne als um die Töchter Anna und die vier Jahre ältere Schwester Maria. Maria hat alle Regeln der Mutter befolgt und den Adligen Gottfried von Moitzfeld geheiratet – man heiratet schließlich nicht nach unten. Die unkonventionelle Anna hat nicht nur den falschen Mann gewählt, sondern ist auch noch evangelische Pastorin geworden. Sie vertritt gerade einen erkrankten Pastor. Anna wird in ihrer Gemeinde nicht ernst genommen und Opfer von bösartigem Klatsch und Tratsch. Ihr Plädoyer für Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe in einer Sonntagspredigt macht die Sache nicht besser. Dann bricht alles zusammen. Marias perfekte Familie war nur Fassade. Ihr Mann sitzt wegen krimineller Finanzgeschäfte im Gefängnis und ist ruiniert, der 11jährige Sohn Sascha verschwindet, Erpresserbriefe treffen ein, und etliche Familiengeheimnisse kommen ans Licht.
Gesthuysen ist eine gut lesbare Familiengeschichte gelungen, die durch sorgfältig gezeichnete Charaktere, sprachliche Qualität und vor allem die beeindruckende Beschreibung einer Landschaft beeindruckt, die viele von uns nicht kennen werden. Die durch die Geschichte vermittelte Botschaft überzeugt genauso. Familien müssen gerade in schwierigen Situationen zusammenhalten und dürfen nicht einfach immer weiter dieselben Konflikte austragen. Sie sollten einander stattdessen mit Liebe und Mitgefühl helfen. Mir hat das Buch sehr gut gefallen und ich spreche eine klare Empfehlung aus.

Bewertung vom 27.11.2021
Merchant, Judith

SCHWEIG!


ausgezeichnet

Eine solche Schwester braucht niemand
Esther und Sue sind Schwestern, die schon seit der Kindheit Probleme miteinander haben. Esther ist mit Martin verheiratet, hat zwei Kinder und einen Job und lebt in einer Wohnung in der Stadt. Sue bewohnt seit ihrer Scheidung von Robert allein ein großes Haus im Wald. Am Tag vor Heiligabend besucht Esther die jüngere Schwester, um nach dem Rechten zu sehen, obwohl sie eigentlich genug mit ihren Weihnachtsvorbereitungen zu tun hat. Sie will die Schwester auch zu sich einladen, obwohl das ein Jahr zuvor völlig danebengegangen ist. Sue ist von Esthers Besuch alles andere als begeistert und reagiert sehr abweisend. Abwechselnd wird aus der Sicht beider Schwestern erzählt, später auch aus der Perspektive Martins und des Mädchens, das für Esther in der Kindheit spricht. Auf diese Weise wird deutlich, dass Esther nicht aus liebevoller Fürsorge handelt, sondern dass alles, was sie tut, der Demonstration ihrer Macht über andere dient. Schon immer war sie aggressiv, manipulativ und geradezu bösartig. Dennoch kommt es an diesem Tag erstmalig zu einem Gespräch, in dem Sue es wagt, ihren Standpunkt zu verdeutlichen und Esther sogar so etwas wie Einsicht zeigt. Diese Phase hält nicht lang an. Dann kommt wieder die alte Esther zum Vorschein, und beim Leser dominiert das Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren wird. Die Ankündigung, dass nicht alle diesen Abend überleben werden, bewahrheitet sich.
Der Roman liest sich trotz einiger Längen spannend, ist aber von der Grundstimmung her so düster und bedrohlich, dass man als Leser erst einmal etwas Abstand gewinnen muss. Dennoch ist es eine durchaus empfehlenswerte Lektüre.