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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 04.09.2015
Reich, Anja; Osang, Alexander

Wo warst Du?


sehr gut

»Es soll ein schöner Tag werden, sagt die Wetterseite der Times, nicht mehr so schwül wie gestern, 79 Degree Fahrenheit und sonnig. Die Küche ist bereits in dieses wundervolle New Yorker Spätsommerlicht getaucht, klar und kühl und scharf wie ein Pfefferminzbonbon. Crisp, nennen sie das. Ein Skilicht, ein Winteralpenlicht.«
Alexander Osang, Spiegel-Korrespondent, lebt seinen Traum: Er wohnt und arbeitet in New York, in der Stadt, zu der es ihn schon immer hinzog. Anja Reich, seine Frau, ist eigentlich auch Journalistin, derzeit aber wegen der Betreuung der gemeinsamen Kinder meistens zuhause. Jeder weiß, was aus diesem schönen Tag wurde, aus diesem 11. September 2001. Dieses Buch erzählt, wie ein ganz normales Paar in New York diesen Tag erlebte.
Interessant ist schon die wechselnde Erzählperspektive. Alexander und Anja berichten immer abwechselnd, man folgt ihnen als Leser durch den Tag und erlebt mit, wie sich die Geschehnisse auf sie auswirkten, was sie mit ihnen als Paar machten.
Bereits zu Beginn des Tages nimmt man die Spannungen zwischen den Eheleuten wahr. Alexander ist eigentlich rundum glücklich, er liebt seinen Beruf und die Möglichkeit, ihn am Ort seiner Träume auszuüben. Und er liebt seine Familie, die immer da ist, wenn er von einer seiner vielen Reisen zurückkehrt. Anja fühlt sich im Grunde ebenfalls in New York wohl, liebt auch ihre Kinder, leidet aber unter ihrem erzwungenen Hausfrauendasein.
Für Alexander ist klar: Da gibt es eine Geschichte, er ist Korrespondent und wird diese Geschichte erzählen. Von ihrem Haus in Brooklyn aus kann man nur eine Rauchwolke sehen, daher macht er sich auf nach Manhattan. Anja wäre so gerne mitgefahren, bleibt aber zuhause, hütet die Kinder und wartet auf Nachrichten von ihrem Mann. Zu diesem Zeitpunkt ahnt noch keiner von ihnen, welche Katastrophe heraufzieht.
Wenn man heute die Geschichte liest, weiß man natürlich, was weiter geschah. Man fiebert mit, wenn Alex – ganz Journalist – sich durch Absperrungen hindurchkämpft, um möglichst nah ans World Trade Center heranzukommen. Und ist dabei, wenn Alex und Anja erleben, wie sich dieser Tag verändert.
»Vor unserem Haus ist es dunkel geworden. Die Sonne scheint nicht mehr. Der Himmel ist nicht mehr blau.«
Was machen die Geschehnisse mit den beiden? Alex muss nicht nur ums Überleben kämpfen, sondern denkt auch über das nach, was er eigentlich tut, stellt erstmals sein Handeln in Frage. Und Anja sorgt sich nicht nur um Alex, sie macht ihm auch Vorwürfe…
»Warum ist er so? Warum muss er immer weiter? Warum ist er nicht auf der Brooklyn-Bridge umgekehrt, als der erste Turm zusammenbrach, zurück nach Park Slope, zu uns? Warum ist ihm die Geschichte wichtiger als seine Familie, als sein Leben?«
Der 11. September wurde in vielen Berichten verarbeitet, jeder hat zahlreiche Reportagen darüber gesehen oder gelesen. Man kennt die Bilder und wer diesen Tag schon bewusst erlebt hat, kann vermutlich genau erzählen, wie er das genau getan hat. Dieses Buch legt seinen Schwerpunkt nicht auf die Geschehnisse am Ground Zero, sondern es geht rein in den ganz normalen Alltag einer Familie. Wer an das Buch mit dem Gedanken herantritt, von der ersten bis zur letzten Seite von Tod, Zerstörung und Überlebenskampf zu lesen, wird enttäuscht werden. Hier geht es auch um ganz banale Dinge, um die vielen Kleinigkeiten, die eine Beziehung belasten können und das alltägliche Leben ausmachen. Ich fand gerade das besonders beeindruckend, da es mir die Protagonisten unheimlich nah brachte, mir noch mal zeigte, wie gänzlich unerwartet eine Katastrophe ins Leben eintreten kann. Hinzu kam noch ein Suspense-Effekt, wie man ihn aus Hitchcock-Filmen kennt: Man weiß schließlich als Leser, was passieren wird. Und mit diesem Wissen sieht man den Charakteren dabei zu, wenn sie ahnungslos ihren Alltag leben. Ich fand das hoch spannend!

Fazit: Die Geschichte eines ganz normalen Tages, an einem Dienstag in New York, der plötzlich gar kein normaler Tag mehr war.

Bewertung vom 28.08.2015
Leon, Donna

Lasset die Kinder zu mir kommen / Commissario Brunetti Bd.16


sehr gut

»Einer der Aspekte, die Brunetti insgeheim seit jeher an den antiken Dichtern und Denkern bewundert hatte - und derentwegen er sie wieder und wieder las -, war die scheinbare Leichtigkeit, mit der sie ihre moralischen Urteile fällten. Richtig oder falsch; schwarz und weiß. Ach, was für unbeschwerte Zeiten!«

Gerade hat Kinderarzt Gustavo Pedrolli noch seinen kleinen 18 Monate alten Sohn Alfredo gewickelt, mit ihm gespielt und ihn ins Bett gebracht. Gerade noch lag er selber wach und dachte glücklich daran, dass der Kleine ihn erstmals "Papa" genannt hat... Von einem Moment auf den anderen ist es mit diesem Idyll vorbei. Eine Einheit von Carabinieri stürmt die Wohnung, schlägt Pedrolli nieder und nimmt den kleinen Alfredo mit. Eine unglaubliche Tat, die sich einem zunächst nicht erschließt. Als Commissario Brunetti versucht, die Hintergründe zu erfahren, stößt er auf Schweigen, sowohl von Seiten der Carabinieri als auch bei dem krankenhausreif geprügelten Pedrolli, der seit dieser Nacht kein Wort mehr gesprochen hat. Brunetti bohrt tiefer und stößt auf ein Geflecht aus Bestechung, Korruption und illegalen Aktivitäten...

Dieser Krimi startet schon mal anders als die meisten anderen, nämlich nicht mit einem Mord. Das macht ihn aber nicht weniger spannend, denn der Vater, der seinen geliebten kleinen Sohn verloren hat, kann niemanden kalt lassen. Auch Brunetti und seine Kollegen reagieren höchst emotional auf diesen ungewöhnlichen Fall, Brunetti zeigt sich besonders dünnhäutig, da er ständig an seine eigenen Kinder denken muss. Recht und Unrecht sind hier alles andere als klar verteilt, ich ertappte mich dabei, dass ich noch nach Zuklappen des Buches darüber nachgrübelte. Beim Bohren in Medizinerkreisen werden weitere sensible Themen aufgedeckt, die betroffen machen und zum Nachdenken anregen.

Brunetti mag ich als Charakter sehr. Er hat eine wunderbar trockene Art, seinen eigenen Kopf und ist ansonsten herrlich normal. Weder hat er großartige psychische Probleme, noch ist er geschieden, gesundheitlich beeinträchtigt oder alkoholabhängig. Entsprechend beschäftigen ihn – abgesehen von seiner Arbeit – ganz normale und alltägliche Dinge, die jeder so oder so ähnlich kennt. Ich finde so einen „normalen“ Charakter zwischendurch sehr erholsam!

Das Szenario gefiel mir ebenfalls sehr - die Beschreibungen Venedigs verursachen bei mir regelmäßig spontane Reiselust - und die diversen eingestreuten italienischen Begriffe runden das Bild ab. Wer das Land und die Sprache liebt, bekommt beim Lesen häufig Grund zur Freude…
»In anderen Kulturen hätte man Giuliano Marcolini vielleicht einfach als dick bezeichnet. Den Italienern hingegen, deren Sprache so reich an Beschönigungen ist, galt ein Mann wie er als "robusto".«

Fazit: Gelungener Krimi der ruhigen Art. Sensible Themen und viel Stoff zum Nachdenken.

»Das Gesetz ist eine herzlose Bestie, Lorenzo.«

Bewertung vom 27.08.2015
Leon, Donna

Venezianisches Finale / Commissario Brunetti Bd.1


ausgezeichnet

»Der Tod hatte die Züge des Mannes verzerrt, der in dem Sessel mitten im Zimmer lag. Seine Augen waren starr ins Leere gerichtet und die Lippen zu einer häßlichen Grimasse verzogen. Der Körper hing schwer zur einen Seite, der Kopf war gegen den Sesselrücken gepreßt. Auf der gestärkten, blendendweißen Hemdbrust waren Spritzer einer dunklen Flüssigkeit. Einen Augenblick dachte die Ärztin, es sei Blut. Sie trat näher und roch mehr, als daß sie es sah, den Kaffee. Der andere Geruch, der sich mit dem des Kaffees vermischte, war ebenso eindeutig. Es war der durchdringende, säuerliche Geruch nach bitteren Mandeln, über den sie bislang nur gelesen hatte.«

An diesem Abend wird die Pause vor dem letzten Akt von „La Traviata“ in Venedigs Opernhaus „La Fenice“ ungewöhnlich lang, denn das Publikum wartet vergeblich auf die Rückkehr des deutschen Stardirigenten Helmut Wellauer, der tot in seiner Garderobe liegt. Der durchdringende Geruch von Zyankali lässt keinen Zweifel aufkommen, dass Wellauer ermordet wurde. Die Musikwelt trauert und Commissario Brunettis Vorgesetzter erklärt deutlich, dass sich die Stadt Venedig einen solchen Skandal – den Mord an einem der berühmtesten Künstler unserer Zeit – nicht erlauben kann!
Brunetti, der sich nicht nur „mit den üblichen Verdächtigen“ befassen will, erkennt schnell, dass der Maestro so einigen Leuten Grund gegeben hatte, ihn zu hassen…

Das war ein Krimi ganz nach meinem Geschmack! Brunetti ist mir als Charakter sehr sympathisch. Er gehört nicht zu der Sorte von Ermittlern, die sich – durch irgendein schreckliches Erlebnis traumatisiert oder völlig desillusioniert – durch den Tag quälen. Brunetti mag sein Leben, seine Stadt und seinen Beruf. Er liebt seine Familie, gute Bücher und guten Wein. Dabei geht er aber durchaus nicht unkritisch durch die Welt, bildet sich seine eigene Meinung und steht auch dazu. Ein intelligenter Mann, der mir mit seiner trockenen und oftmals ironischen Art ans Herz gewachsen ist.
»Brunetti? … Warum machen Sie keine Notizen?« Brunetti erlaubte sich die Andeutung eines Lächelns. »Oh, ich vergesse nie etwas von dem, was Sie sagen, Signore.«

Sehr gefielen mir auch die vielen Details und Beschreibungen, die Venedig deutlich vor meinen Augen erscheinen ließen. Zusammen mit der schillernden Welt der Opernbühne ergab das ein wunderschönes und verlockendes Szenario. Doch werden nicht nur die schönen Bilder Venedigs gezeigt, auch die dunklen Flecken kommen nicht zu kurz, die Makel, die es in der Stadt und auch in der Gesellschaft gibt. Den Fall fand ich hochinteressant und vielschichtig, die Auflösung schlüssig. Das Ende sagte mir sehr zu und begeisterte mich noch mehr für Commissario Brunetti.

Fazit: Intelligenter und anspruchsvoller Krimi mit einem sehr sympathischen Ermittler und vor toller Kulisse.

»Ich dachte, Sie wollen vielleicht mit den Sängern sprechen, Commissario. Da habe ich sie gebeten, oben zu warten. Es schien ihnen nicht zu gefallen…« Opernsänger, dachte Brunetti, und wiederholte es noch einmal: Opernsänger. …
»Wer war am ungeduldigsten, Follin?«, fragte Brunetti, als sie oben angelangt waren.
»Die Sopranistin, Signora Petrelli«, antwortete Follin und deutete rechts den Korridor hinunter auf eine Tür ganz am Ende.
»Gut«, sagte Brunetti und wandte sich nach links. »Dann heben wir uns Signora Petrelli bis zum Schluß auf.«

Bewertung vom 26.08.2015
Hooper, Emma

Etta und Otto und Russell und James


sehr gut

»Otto,
ich bin weggegangen. Ich habe noch nie das Meer gesehen und habe mich nun auf den Weg gemacht. Keine Sorge, den Laster lasse ich da. Ich gehe zu Fuß. Und ich werde versuchen, das Heimkommen nicht zu vergessen.
(Immer) deine Etta.«

Die 83jährige Etta hat sich auf eine weite Wanderung begeben. Allein. Nach einem langen gemeinsamen Leben hat sie sich entschlossen, eine Strecke von 3.232 Kilometern von der heimischen Farm bis an die Ostküste Kanadas - ans Meer - zu laufen. Nur mit ein wenig Proviant im Rucksack und Ottos Gewehr. Und einem Zettel in der Tasche, auf dem ihr Name steht - weil sie den hin und wieder vergisst. Schon bald hat sie einen vierbeinigen Reisebegleiter, einen Kojoten, den Etta James nennt.
Otto lässt sie gehen, fährt ihr auch nicht nach. Stattdessen beschäftigt er sich mit Dingen, die er zuvor noch nie im Leben getan hatte. Und auch Russell, ein alter Freund und Nachbar von Etta und Otto, wagt etwas völlig Neues: Er, der noch nie von zuhause fort war, bricht auf, um Etta zu suchen...

Als ich begann, dieses Buch zu lesen, erwartete ich eine Geschichte à la Harold Fry, eine Roadstory, bei der es um all die Dinge geht, die Etta auf ihrem langen Weg wohl begegnen werden. Und stellte überrascht fest, dass diese Geschichte doch noch einiges mehr bietet. Die drängendste Frage war für mich, wieso sich eine 83jährige einen solchen Marsch vornimmt. Das Meer sehen zu wollen, ist ein verständlicher Wunsch. Aber sie hätte doch auch "normal" reisen können, mit vernünftigem Gepäck, Hotelübernachtungen und ordentlicher Verpflegung. Stattdessen läuft sie sich die Füße blutig, leidet Hunger und Durst und schläft unter freiem Himmel. Die Erklärung hierfür erschließt sich im Lauf der Handlung, die mal Ettas Weg beschreibt, mal das, was Otto und Russell erleben, mal in der Gegenwart spielt und mal in der Vergangenheit.

In Rückblenden lernen wir die drei Protagonisten kennen und erfahren, wie sie sich kennenlernten und was ihr Leben entscheidend geprägt hat. Otto und Russell wuchsen wie Brüder auf, Etta war ihre nur wenige Jahre ältere Lehrerin. Alle drei waren mir sofort sympathisch! So vieles unterschied die Freunde - aber so vieles verband sie auch. Der 2. Weltkrieg trennte ihre Wege, Otto wurde Soldat während der dienstuntaugliche Russell zuhause blieb und Farmer wurde. Sehr anschaulich wird gezeigt, wie der junge Otto, dem der Griff zur Waffe zuvor wie ein Abenteuer vorkam, wie ein Schritt in die Freiheit, in die weite Welt hinaus, von der Wirklichkeit des Krieges desillusioniert wird. Ein stetiger Briefwechsel mit Etta half ihm, diese Zeit durchzustehen. Und nun, Jahrzehnte später, werden wieder Briefe geschrieben.

Ich möchte gar nicht mehr verraten. Die ganze Geschichte ist unheimlich berührend und lädt zum Nachdenken ein. Es ist eine Geschichte über Liebe und Freundschaft, über Erinnerungen und das Vergessen, über neue Wege und den Weg zu sich. Sehr schön zu lesen und sehr poetisch geschrieben. Lediglich der Schluss war für mich nicht ganz rund und hinterließ bei mir das Gefühl, dass irgendetwas fehlte.

Fazit: Sehr schöne und poetische Geschichte über alte Freunde, Erinnerungen und den Weg zu sich.

»Hoffentlich geht es dir gut. Bleib immer im Schatten und schreib mir, wenn du Zeit hast. Ich lese deine Briefe laut, damit im Haus eine Stimme zu hören ist.
Dein, vergiss es nicht, Otto.«

Bewertung vom 07.08.2015
Montejano, Katja

Das große Schweigen


sehr gut

Puh, nach diesem Buch muss man erst mal kurz durchschnaufen. Dieses Buch möchte in einem Rutsch gelesen werden, es packt seinen Leser und lässt ihn bis zum Ende nicht mehr los. Schon nach kurzer Zeit hielt ich alles für möglich: dass am Schluss alle tot sind, dass der Täter davonkommt… Auflösung und Ende passen gut dazu, sie sind schlüssig und wirken realistisch – das mag ich sehr. Vom „Heile-Welt-Gedanken“ kann sich der Leser hier ohnehin schnell verabschieden. Der Killer zeigt einen unglaublichen Sadismus und eine enorme „Kreativität“ bei seinen grausamen Aktivitäten. Wenn man es als Leser blutig mag, ist man hier genau richtig. Umgekehrt gilt: Wer da empfindlich ist, sollte besser ein anderes Buch wählen ;-)

Eine ganz und gar nicht „Heile Welt“ wird zudem thematisiert, wenn die Autorin ein übles Kapitel in der Geschichte der Schweiz angeht – die „administrativ Versorgten“. Bis 1981 konnten die dortigen Behörden Jugendliche einsperren lassen, ohne dass ein Verbrechen vorlag. Es reichte, wenn man irgendwie „negativ aufgefallen“ war, einen „liederlichen“ oder „unsittlichen“ Lebenswandel führte oder als „arbeitsscheu“ galt. Weitere Gründe waren beispielsweise „Vaganterei“, Drogensucht oder Prostitution. Tausende Menschen wurden so unschuldig weggesperrt, allein im Kanton Bern wurden zwischen 1952 und 1981 2.700 Menschen „administrativ versorgt“.

Dass mit einer solchen „Versorgung“ junge Menschen nachhaltig traumatisiert werden können, ist unzweifelhaft. Will sich hier jemand für erlittenes Leid rächen? Aber Primrose, eine Frau von 37 Jahren, kann mit diesen alten Vorfällen nichts zu tun haben. Wo sind die Zusammenhänge? Es bleibt rätselhaft, es bleibt spannend.

Ich ziehe einen Punkt ab, weil ich mit Primrose einfach nicht warm werden konnte. (Ihr Kollege Luc war dafür umso sympathischer ;-) Außerdem hatte ich schon recht früh eine Ahnung, was den Täter angeht. Der Spannung tat das aber keinen Abbruch.

Fazit: Mehr Thriller als Krimi. Sehr blutig und packend mit einem interessanten Einblick in ein übles Kapitel Schweizer Geschichte.

»GEFÄLLT DIR MEIN GESCHENK, FOTZE? ICH WERDE DICH FRESSEN UND ZUSEHEN, WIE DU LANGSAM VERRECKST!«

Bewertung vom 07.08.2015
Pistor, Elke

Treuetat / Verena Irlenbusch Bd.2


gut

»Das Mädchen liegt mit offenen Augen in den Armen seiner Mutter auf dem Boden und schaut unverwandt auf das Kind vor dem Fenster. Das Kind starrt zurück, wartet auf ein Blinzeln, eine Regung. Nichts. Nur die dunkelrote Lache neben dem Ohr des Mädchens breitet sich aus. Wird größer und größer. Der Mann und die Frau liegen so still wie das Mädchen. Das Lachen ist aus ihren Gesichtern verschwunden. Das Kind öffnet den Mund, will schreien, aber es bleibt stumm. Gebannt von dem Rot, den stillen Augen, der dunklen Flecken auf dem Holzboden, die sich immer weiter ausbreiten und ineinanderfließen.«

Kommissarin Verena Irlenbusch und ihre Kollegen Christoph Todt und Leonie Ritter können sich über mangelnde Arbeit nicht beklagen: Zuerst stirbt ein Journalist, der zuvor eine Morddrohung erhalten hatte, bei einem mysteriösen Autounfall. Kurz danach wird eine Fußpflegerin in ihrer Praxis ermordet aufgefunden und eine Archivarin in der Bibliothek. Drei Fälle, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben – oder vielleicht doch? Bei seinen Ermittlungen wird das Team auf ein überraschendes Geflecht von Verbindungen stoßen und einem gehüteten Familiengeheimnis in die Vergangenheit folgen.

Dieser Krimi hatte mich von der Anlage des Falls her sehr interessiert. Beim Lesen hatte ich aber das Gefühl, dass die Krimihandlung zu kurz kommt und dass es sich vorrangig um die diversen Sorgen und Probleme der Ermittler dreht. Ich mag es ja, wenn die Charaktere menschlich wirken und mit menschlichen Problemen zu kämpfen haben, aber hier empfand ich diesen Kampf als zu umfangreich. Ich fasse mal zusammen:
Verena kümmert sich um ihre Großmutter, die unter Alzheimer leidet. Mittlerweile ist sie mit der Betreuung hoffnungslos überfordert. Zudem entdeckt sie, dass ihr Großvater im Nazi-Deutschland eine ganz andere Rolle spielte als die, von der ihr ihre Großmutter immer erzählt hatte.
Christoph erlitt ein Trauma nach dem Suizid seiner Ehefrau. Noch immer hat er dieses nicht überwunden, soll sich aber nun um seine kleine Tochter kümmern und fürchtet, damit nicht zurechtzukommen.
Und Leonie lag nach einem Motorradunfall im Koma. Die Linkshänderin hat immer noch mit Bewegungseinschränkungen zu kämpfen, muss auf rechts umschulen, lernen, mit rechts zu schießen. Stundenweise soll sie nach langer Krankheitspause nun die Arbeit wieder aufnehmen. Kann sie es mit ihren Einschränkungen schaffen?

Ständig zweifeln alle an sich und sorgen sich, den privaten Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Ihre Gedanken sind sehr häufig bei privaten Dingen. Das ist verständlich, aber der verbleibende Raum für die Ermittlungen wird immer geringer. Der Autorin lag womöglich sehr daran, den dauernden Zwiespalt zu zeigen, den jeder kennt, der sich neben der Arbeit noch um Kinder, alte Eltern oder manchmal sogar um beides kümmern muss. Das kam auch richtig gut raus, der Krimi wurde aber dadurch zur Rahmenhandlung.

Die Spannung hielt sich für meinen Geschmack in Grenzen. Die Auflösung war stimmig, überraschte mich aber nicht. Was das Privatleben der Ermittler angeht, wird am Ende ein fieser Cliffhanger aufgebaut, der nahelegt, dass sich ein weiterer Band anschließen wird.

Fazit: Interessant, aber der Schwerpunkt liegt auf den persönlichen Problemen der Ermittler, der Krimi wird zur Rahmenhandlung.

Bewertung vom 30.07.2015

Noch mehr Lächeln auf vier Beinen


ausgezeichnet

»In diesem Buch finden Sie »pralles« Akita-Leben: Alltägliches, Verblüffendes, Amüsantes, Trauriges … Achtzehn Autoren und Autorinnen aus vier Ländern … erzählen von ihren Akitas. Jeder aus seiner Sicht und auf seine Art und Weise. Allen gemeinsam ist die Freude und auch der Frust über unsere liebenswerten, aber auch sturen Akitas. So ist ein lebendiges Buch entstanden, das Ihnen einen umfassenden Eindruck über die Rasse vermittelt.«

Akitas, die lächelnden Hunde aus Japan, wurden dem breiten westlichen Publikum durch den 2009 erschienenen Film „Hachiko, eine wunderbare Freundschaft“ mit Richard Gere, bekannt. Leider vermittelt der Film ein völlig falsches Bild vom Akita. In diesem Buch erzählen Akita-Besitzer Geschichten über ihre vierbeinigen Lebensgefährten, die dieses Bild zwar geraderücken, aber trotzdem klar erkennen lassen, was für wundervolle Hunde Akitas doch sind.

»Sie sind musikalisch, selbstbewusst, gute Beobachter und Genießer, die sich ihre Zeit nehmen für alles, was ihnen wichtig ist. Noch dazu ziehen sie durch ihre Ausstrahlung alle Blicke auf sich.«

Aber: Akitas sind in mancher Hinsicht anders als andere Hunde. Nach jüngsten Forschungsergebnissen gehören sie zu den Hunderassen, die mit dem Wolf genetisch am engsten verwandt sind. Sie haben einen starken Charakter, sind unabhängig und intelligent. Ihre Erziehung verlangt ihren Menschen einiges ab, so mancher Hundetrainer kam schon mit einem Akita an seine Grenzen. Daher muss man klar sagen: Der Akita ist…
»Kein Hund für jedermann. … Kein Hund für nebenbei.«

In den 61 Geschichten dieses Buchs lernt der Leser eine ganze Reihe von Akitas kennen und bekommt dabei einen schönen Überblick über die Besonderheiten der Rasse und wie sich diese bei den charakterlich teils sehr verschiedenen Tieren zeigen. Über viele der Geschichten konnte ich herzhaft lachen, andere waren sehr gefühlvoll, manchmal auch traurig. Wie das Leben halt. Aber jede einzelne Geschichte ließ mich erkennen, mit wieviel Herz sie geschrieben war und wieviel Liebe dahinter steckt. Ich glaube, Akita-Halter besitzen die Fähigkeit, ihr Zusammenleben mit diesen ganz besonderen Hunden mit einem Augenzwinkern zu gestalten. Beispiel? Apportieren ist unter Akita-Haltern als der »Hol’s-dir-selber«-Trick bekannt.

Die Geschichten lesen sich leicht und schnell. Ergänzt werden sie durch insgesamt 62 Farbfotos und ein einleitendes Kapitel mit Rassebeschreibungen und Infos zu einem Austauschforum für Akita-Besitzer und der Initiative „Akita in Not“. Im Anhang werden die Autoren und Autorinnen zusammen mit ihren Akitas kurz vorgestellt. Sehr hübsch sind auch die jedem Kapitel vorangestellten „Elfchen“.

Ich kann dieses Buch jedem empfehlen, der Tiere mag und neugierig auf diese ganz besondere Rasse ist. Wer schon einen Akita besitzt, wird ebenfalls viel Freude an dem Buch haben. Und für jeden, der darüber nachdenkt, sich einen Akita zuzulegen, möchte ich das Buch fast schon als Pflichtlektüre bezeichnen.

Fazit: Unterhaltsam und informativ. Ein sehr schöner Überblick über diese ganz besondere Hunderasse.

»Warum nur tut sich der Mensch Akitas an? Weil sie toll sind! Warum denn sonst?«

Bewertung vom 27.07.2015
Shaw, William

Kings of London / Detective Breen & Tozer Bd.2


sehr gut

»Er näherte sich dem Toten, holte tief Luft, ging in die Hocke und versuchte, ihm etwas Staub aus dem Gesicht zu wischen. In Verbindung mit dem Wasser, das die Feuerwehrleute überall verspritzt hatten, hatte sich daraus eine Kruste gebildet. Die Haut war in der Hitze des Feuers geröstet worden, aber nicht verkohlt wie bei der anderen Leiche. Dafür war sie von den Oberarmen bis zu den Handgelenken heruntergeschält. Nicht vorsichtig. Ganze Muskelfasern waren ausgerissen, und Reste davon hingen lose und verschmort herunter.«

London, November 1968. Die ganze Stadt ist in Bewegung. Zwischen Hippiekommunen, Hausbesetzern und den Beatles fühlt Detective Sergeant Cathal Breen sich mich seinen 32 Jahren schon mächtig alt. Und nun das! Der junge Mann, der dort verbrannt und verstümmelt vor ihm liegt, entpuppt sich nicht nur als Playboy und Kunstsammler, sondern auch als Sohn eines hochrangigen Labour-Politikers. Eine normale Ermittlungsarbeit ist kaum möglich und dabei hat Breen noch so viele andere Probleme: Sein Vater ist gestorben, irgendjemand schickt ihm anonyme Morddrohungen und seine Kollegin Helen Tozer hat gekündigt und wird London in wenigen Tagen verlassen.

Ich war gespannt auf dieses Buch, da mir schon der Vorgängerband „Abbey Road Murder Song“ gut gefallen hatte. Auch diesmal wurde ich nicht enttäuscht, ich erlebte einen tollen Krimi, eingebettet in eine Rahmenhandlung voller 60er Jahre Lebensgefühl. Breen ist im Grunde ein Außenstehender, der sich mit der „modernen Zeit“ schwer tut, daher viel beobachtet, schildert und hinterfragt. Das war für mich sehr interessant zu lesen und häufig auch unterhaltsam.

Detective Constable Helen Tozer ist einige Jahre jünger, liebt ihren Minirock, die Beatles und hat keine Probleme damit, in der Szene „mitzuswingen“. Dafür hat sie andere Probleme, die größtenteils daraus resultieren, wie die Rolle der Frau bei der Polizei angesehen wird. Immer noch darf sie nicht Auto fahren und soll ihre Tätigkeit darauf beschränken, mit Kindern und weiblichen Zeugen oder Verdächtigen zu reden. Von der „richtigen“ Polizeiarbeit soll sie sich fernhalten – ein unerträglicher Zustand für Tozer…
Tozer blieb an der Ecke stehen. »Und wenn ich noch mal alleine zurückgehe?« … »Wäre einen Versuch wert«, sagte Breen. »Du machst wohl Witze?«, sagte Jones. … »Die kann doch nicht verdeckt ermitteln.« »Macht sie ja auch nicht. Sie sieht sich nur um.« »Das ist eine Frau, du liebe Zeit, Paddy!«

Aber nicht nur in der Art, wie sie ihre Kolleginnen ansehen, bekommt die Polizei ihr Fett weg. Weitere Themen sind Korruption und Gewaltbereitschaft, so dass die Rollen von Gut und Böse wirklich nicht fest besetzt sind. Auch das war wieder ein Punkt, der mir sehr zusagte.

Die Krimihandlung gefiel mir ebenfalls sehr. Sie brachte Überraschungen, war schlüssig und erfreute mit einem richtig spannenden Ende. Ich könnte mir vorstellen, dass das, was ich als Rahmenhandlung bezeichnet habe, für den einen oder anderen Leser zu umfangreich ist. Für mich, die ich die damalige Zeit und ihr Lebensgefühl hochinteressant finde, war aber alles prima und ich habe mich mit diesem Buch keinen Moment gelangweilt. Die Kenntnis des vorherigen Bandes ist nicht notwendig, alle Dinge, auf die Bezug genommen wird, werden kurz erklärt, so dass es keine Verständnisschwierigkeiten geben sollte. Im Anhang gibt es noch einige Erklärungen und Hinweise zu den zeitgeschichtlichen Bezügen. Der Schluss lässt auf einen weiteren Band mit Breen und Tozer hoffen – ich werde sicher wieder dabei sein.

Bewertung vom 17.07.2015
Heimann, Klaus

Taxi zum Nordkap


sehr gut

Ein Blick nach hinten nahm mir den Atem. Im Koffer lagen, wie die Sardinen in der Büchse, lauter Geldscheine, sauber mit Banderolen zu kleinen Päckchen gebündelt. Wie viel Zaster mochte das sein? »Sind die echt?«, zweifelte ich an dem, was ich nicht glauben wollte. »Sicher sind die echt. Und nun fahren Sie bitte los.« »Wie viel ist das?« Ich ließ nicht locker. »Fünf Millionen Euro. Reicht das?«, blaffte der Kerl zurück. »Haben Sie eine Bank ausgeraubt?«, wurde ich ängstlich. »Ich versichere Ihnen, da steckt nichts Kriminelles dahinter.« »Na gut.« Ich gab mich dem Mann und dem Anblick des Geldes geschlagen und meldete meine Fahrt bei der Zentrale an: »Wagen einhundertfünf. Habe einen Fahrgast zum Nordkap aufgenommen. Werde ein paar Tage unterwegs sein.«

Taxifahrer Rainer, 57 Jahre alt, ist ein typisches Kind des Ruhrgebiets. Tag für Tag steht er mit seinem Taxi vor dem Hotel Handelshof in Essen und wartet auf Fahrgäste. So einiges hat er dabei schon erlebt, einen Fahrgast wie den, der an diesem Tag einsteigt, allerdings noch nicht. Einen Koffer voller Geld hat er dabei und sein Reiseziel ist das Nordkap. Für Rainer, der, von chronischem Fernweh geplagt, die Strecke zum Nordkap schon oft in Gedanken und mit dem Reiseführer vor der Nase absolviert hat und dem noch dazu für die Tour eine fette Prämie winkt, ist die Entscheidung, ob er die Tour annimmt, leicht. Allerdings wünscht er sich schon bald, er hätte es nicht getan...

Das war mal wieder ein Buch, das richtig Spaß gemacht hat! Eine Mischung aus Roadstory und Regionalkrimi, voll von skandinavischen Reiseimpressionen einerseits und Ruhrgebiets-Kolorit andererseits. Die Geschichte erscheint mehr als schräg und bis kurz vor Schluss war mir rätselhaft, wie sich alles bloß auflösen sollte. Tja, und die Auflösung hat mich noch mal total überrascht. Klasse!

Die Geschichte liest sich sehr flott, ein Nicht-Ruhri muss vielleicht mal den ein oder anderen Begriff googeln, das Gesamtverständnis leidet aber auch nicht, wenn man dies unterlässt. Der gute Rainer würde dem Leser vermutlich den Tipp geben, sich einfach entspannt zurückzulehnen und den Text zu genießen ;-)

Genießen kann man übrigens auch die Land- und Streckenbeschreibungen. Es wird zwar klar ausgedrückt, dass man dort oben einer von vielen, vielen Touristen wäre, Fernweh hab ich trotzdem bekommen.
»Am anderen Ende von Fünen erreichten wir die Brücke über den Großen Belt. Es ist ein imposantes Bauwerk, das an dieser Stelle die Verbindung zwischen Fünen und Seeland, dem nächsten Eiland, das die dänische Hauptstadt Kopenhagen trägt, hält. Zunächst fährt man über kleinere Inseln hinweg flach am Boden entlang, aber schon von Ferne sieht man die beiden gewaltigen Pylone aufragen, an denen die Brücke aufgehängt ist. Zwischen ihnen erreicht die Fahrbahn eine Höhe, dass die größten hier verkehrenden Schiffe darunter passieren können….
Als wir den flachen Auftakt der Belt-Querung hinter uns gelassen hatten und die Steigung erreichten, die zum Zenit der Fahrbahn hinaufführt, entstand für mich der Eindruck, in ein Himmelstor hineinzufahren, das durch die Brückenpfeiler gebildet wurde. Einzig die Tragseilkonstruktion und die kräftigen Leitplanken kanalisierten den Blick, erinnerten daran, dass man immer noch erdverbunden war. Dann flachte die Steigung ab und es ging wieder abwärts. Ich schaute von oben auf den Großen Belt hinab, auf dem die Schiffe neben dem gewaltigen Bauwerk und vor der Weite aus Meer und Landschaft wie Spielzeuge erschienen.«

Fazit: Schräger Roadstory-Regionalkrimi-Mix, der gleichermaßen für Fernweh wie für Unterhaltung sorgt.

»Ich erwischte mich dabei, dass ich im Kreis dachte, im ersten der vielen Kreise, die folgen sollten. Auf dieser Startetappe unserer gemeinsamen Reise waren die Gedanken unter meiner Schädeldecke noch nüchtern und abgeklärt.«
Das wird sich ändern.

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