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hasirasi2
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Dresden

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Insgesamt 1229 Bewertungen
Bewertung vom 31.08.2019
Baumheier, Anja

Kastanienjahre


ausgezeichnet

Windflüchter

... sind Bäume (vor allem an der Küste), deren Wuchsform vom Wind bestimmt wird. Sie brechen nicht bei Sturm, sondern beugen sich, biegen sich, passen sich an.

Als Windflüchter könnte man auch einige Bewohner Peleroichs bezeichnen, ein kleines Dorf an der Ostseeküste an der Grenze zum „Westen“, dessen Geschichte Anja Baumheier in „Kastanienjahre“ erzählt.

Alles beginnt 1950, als Karl und Christa in der Dorfschule nebeneinander sitzen. Jahre später darf Karl, der den Wald und die Küste liebt, seinen Beruf als Förster nicht länger ausüben, da er sich weigert, an der neu erbauten Grenze für die Stasi zu spionieren. Seine Mutter wehrt sich jahrelang dagegen, in die LPG einzutreten, aber der Bürgermeister will nun mal ein Vorzeigedorf aus Peleroich machen. Und auch andere lehnen sich auf: der Bäcker will die Fahnen zum 1. Mai nicht raushängen und der Konsumbetreiber schreibt regelmäßig Eingaben an Walter Ulbricht, weil er nichts hat, was er verkaufen kann – etwas, was man sich wahrscheinlich nur vorstellen kann, wenn man es miterlebt hat. So wie ich. 1974 in Dresden geboren und aufgewachsen, habe ich viele Szenen wiedererkannt, die im Buch beschrieben werden. Den Mangel an alltäglichen Dingen und unseren Einfallsreichtum, um sie zu ersetzen, Angst vor Spitzelei und Denunziation, Berufswünsche, die Träume bleiben mussten, Freunde, die plötzlich verschwunden waren, weil sie „abgehauen“ sind oder die Ausreise genehmigt wurde.
Auf die Ausreise hofft auch Jakob jahrelang. Er ist Künstler und Elises Freund, aber nicht ihr Ehemann, das wiederum ist Henning, den sie von klein auf kennt. Aber als sich Henning und Elise nach dessen Armeezeit auseinander leben, wird Jakob immer wichtiger für sie. Sie träumen gemeinsam von Paris, doch eines Tages ist er plötzlich verschwunden.

Elise ist Karls und Christas Tochter. Sie arbeitet als Näherin in einem großen Betrieb und lebt ihre Kreativität zu Hause aus, wo sie aus Stoffresten eigene Modelle schneidert. Nach der Wende und Wiedervereinigung – die sich die Peleroicher wie so viele DDR-Bewohner eigentlich anders vorgestellt hatten )„Ich fühle mich überrumpelt und femdbestimmt. ... Was ist aus den Ideen geworden, die DDR demokratisch zu erneuern?“ (S. 340)) – geht Elise doch noch nach Paris und übernimmt eine Boutique, aber ihre Heimat kann sie nie vergessen, genau so wenig wie Jakob. Sie sucht jahrelang nach ihm, hofft, dass er noch lebt, obwohl die Vernunft dagegen spricht. Als sie 20 Jahre später einen Brief bekommt, in dem ihr ein „Freund“ schreibt, dass er Schuld am Tod ihres Vaters und Jakobs Verschwinden ist, kommt alles wieder hoch. Sie soll nach Peleroich kommen, dann erklärt er ihr alles. Wer steckt hinter den Briefen und was ist damals wirklich passiert?

Wie schon bei „Kranichland“, ist es Anja Baumheier auch in diesem Buch wieder gelungen, ein erschreckend authentisches und reales Bild der DDR zu zeichnen. Elises Geschichte und die ihrer Familie ist eng mit der des Dorfes verknüpft. Schon während der DDR spaltet sich Peleroich in 2 Lager, die Regimetreuen und die -gegner und nach der Wende zerfällt es immer mehr – am Ende bleibt ein Geisterdorf, dass eingeebnet werden soll.

Anja Baumheier schreibt über Hoffnungen und Sehnsüchte, über eine dörfliche Idylle, die keine ist, über Mangelwirtschaft und Nachbarschaftshilfe, offene Freund- und versteckte Feindschaft, über Fluchthelfer und die Stasi und dass man sich nie sicher sein kann, wer auf welcher Seite steht. Trotzdem malt sie nie schwarzweiß. Es war nicht alles schlecht, aber eben auch nicht alles gut. Ein sehr berührendes Buch, das meine Vergangenheit wieder lebendig gemacht hat. #gegendasvergessen

Bewertung vom 28.08.2019
Götz, Andreas

Die im Dunkeln sieht man nicht / Karl Wiener Bd.1


ausgezeichnet

Karl Wieners war Schriftsteller und ist vor Jahren von München nach Berlin gegangen. Jetzt, 5 Jahre nach Kriegsende, lockt ihn ein ehemaliger Freund zurück in die Heimat. Georg Borgmann hat gerade eine neue Zeitschrift gegründet, das „Blitzlicht“, und Karl soll als Reporter für ihn arbeiten. Eine Idee für den ersten Artikel hat Georg auch schon: Raubkunst. Die Münchner haben nach Kriegsende den Führerbunker geplündert, alles ist verschwunden, auch die unzähligen Kunstwerke, die darin gelagert wurden. Jetzt ist bei einem Mord an einem Geschäftsmann ein Bild verschwunden, das dazugehört haben könnte.
Doch Karl ist nicht nur wegen der Zeitschrift zurückgekehrt. Er hat seine Frau und seine Töchter im Krieg verloren. In München leben noch seine Mutter, sein jüngerer Bruder und Magda – die Tochter seines älteren Bruders, die einzige Überlebende dieses Familienzweiges. Magda vergöttert Karl, seit sie ihn als Kind kennengelernt hat. Sie hofft, dass er ihre neue Familie wird, ihre Heimat, ihr Anker. Doch Karl will sich nicht mehr an andere binden, hat Angst vor erneuten Verlusten. „Der Karl passt nicht mehr zu uns. Alles, was er hatte und war, liegt unter den Trümmern von Berlin begraben. Also lass ihn seinen Weg gehen und geh du deinen.“ (S. 151)

„Die im Dunkeln sieht man nicht“ ist ein sehr spannender historischer Krimi, der sich mit der Raubkunstszene im Westen Deutschlands zu Beginn der 50er Jahre beschäftigt. Die Wirtschaft stagniert noch, doch erste Aufbruchsstimmung liegt in der Luft. Der Krieg ist zwar seit einem halben Jahrzehnt vorbei, aber noch immer in den Köpfen und Herzen der Menschen verankert. Fast alle haben Verluste erlitten, viele kämpfen täglich ums Überleben, Schwarzmarktgeschäfte sind an der Tagesordnung. Die Lebensumstände der verschiedenen Gesellschaftsschichten wurden sehr gut eingefangen.

Andreas Götz hat seine Protagonisten lebensnah und glaubwürdig gestaltet.
Karl ist von Selbstzweifeln geplagt, will mehrfach hinschmeißen, weil er nicht wirklich vorankommt. Bei kaum einem seiner Verdächtigen oder Informanten ist klar, auf welcher Seite er wirklich steht.
Magda ist sehr selbstbewusst und will unbedingt mit Karl zusammenarbeiten, ihm helfen. Sie kennt durch ihre Schwarzmarktgeschäfte die richtigen Leute und ihr Charme hilft ihr in brenzligen Situationen oft. Allerdings muss auch sie sehen, wo sie bleibt. Da macht ihr Schwarzmarktkönig Blohm ein unwiderstehliches Angebot: „Es gibt Bedürfnisse ... von denen ahnen Sie nicht mal, dass Sie sie haben. Aber sie sind da. Wie schlafende Hunde. Man muss sie nur wecken.“ (S. 226)
Die Ermittlungen sind gefährlich, sie treten den falschen Leuten auf die Füße, müssen sich u.a. mit Alt-Nazis auseinandersetzen und geraten dabei selbst in (Lebens-)Gefahr. „Wir waren alle nur Figuren in einem Spiel ... man hat uns hierhin geschoben oder dorthin, uns dies glauben lassen oder etwas anderes. Je nach Bedarf.“ (S. 423)
Auch die Nebendarsteller sind sehr interessante Charaktere. Da ist zum einen der amerikanische Jude Andrew Aldrich, der am „Collection Point“ (der Sammelstelle für Raubkunst) gearbeitet und angeblich einige Werke für sich selbst bzw. seine Chicagoer Auftraggeber (die Mafia?!) beiseite geschafft hat. Oder der Galerist Bernhard Mohnhaupt und dessen Tochter, die unter der Hand wohl auch mit Raubkunst handeln. Sehr spannend fand ich auch dem König des Schwarzmarktes, Walter Blohm, der endlich ein legaler Geschäftsmann werden möchte, aber seine Leute weiterhin mit unlauteren Mitteln fest im Griff hat.
Besonders schwer einzuschätzen ist der polizeiliche Sonderermittler Emil Brennicke. Er stellt sich mit allen Seiten gut, hat Schlag bei den Frauen und scheint sein eigenes Ding durchzuziehen, aber bisher gaben ihm die Ermittlungserfolge recht: „Bei mir geht‘s nicht immer nach Vorschrift. Hauptsache das Ergebnis stimmt.“ (S. 75)

Das Ende ist so gestaltet, dass Karl Wieners in Serie gehen könnte – ich würde gern weitere Bücher mit ihm (und Magda?) lesen.

Bewertung vom 27.08.2019
Popescu, Adriana

Goldene Zeiten im Gepäck


ausgezeichnet

Bestzeiten und Glücklichsein

Olympische Spiele 1956 in Melbourne: Elli ist die westdeutsche Schwimm-Hoffnung auf Gold in 150 m Freistil – genau wie Florin für Rumänien. Seit Jahren hat sie auf diesen Wettkampf hingearbeitet, ihre ganze Freizeit in der Schwimmhalle verbracht. Doch ein Blick in Florins grüne Augen und die Medaille ist ihr egal. Sie ist zum ersten Mal verliebt, wie eine ganz normale 17jährige. „Manche Menschen müssen sich erst ein ganzes Leben kennen, um zu wissen, ob sie zusammengehören. Bei anderen reicht ein einziger Augenblick.“ (S. 199) Aber Beziehungen zwischen Ost und West sind unerwünscht.

Stuttgart, 60 Jahre später: „Karla Metuschke, unausgebildete Pflegekraft und Teilzeitdealerin“ (S. 9) arbeitet seit einem Jahr in der „schattigen Pinie“ (Wer kenn die Fernsehserie „Golden Girls“ noch?!) als Patientenbetreuerin und Hüterin des Gewächshauses, in dem sie neben Obst und Gemüse verbotenerweise auch Marihuana anbaut und an die Bewohner verkauft. Frau Kaiser ist schon über 70 und neu im Heim. Sie beobachtet Karla und erpresst sie dann mit ihrem Wissen. Karla muss sie mit ihrem uralten Renault „Lola“ und der Pflanze Selena quer durchs Land fahren, denn „Sie haben keine Familie, keinen Partner, kein Haustiere. Niemand wird sie vermissen.“ (S. 36). Das genaue Ziel verrät sie ihr allerdings nicht.

Ihre Reise führt sie quer durch Europa und schweißt sie zusammen. Sie erleben echte Abenteuer, leben endlich auf, lernen dabei sehr verschiedene Menschen kennen und sich und anderen wieder zu vertrauen.

Zuerst widerwillig und ängstlich, blüht Karla auf diesem ungewöhnlichen Roadtrip immer mehr auf und stellt fest, dass sie die Kaiser eigentlich mag, obwohl sie so verschieden sind. Karla ist unsicher, leicht zu beeinflussen und einzuschüchtern, die Kaiser hingegen die geborene Anführerin, eine Kämpferin – dabei aber warmherzig und erfahren – und gibt Karla genau die Denkanstöße und Tipps, die sie schon lange braucht, um ihr Leben neu zu ordnen und wieder in den Griff zu bekommen. „Glaubst du, man kann sich selbst verlieren und dann wiederfinden?“ (S. 359)
Doch auch die Kaiser hat neben einer geheimnisvollen Schachtel und einer alten Postkarte viel emotionales Gepäck dabei. Sie macht Karla klar, das sie zwar schon alt ist, aber noch nicht zu alt, um nicht noch eine wichtige Sache zu tun, jemand Wichtigen nicht noch einmal wiederzusehen „... mein Leben ist kein Roman. Mein Leben ist mein Leben. Und das ist noch lange nicht zu Ende.“ (S. 54) Nach und nach enthüllt sie die Geschichte ihrer ganz großen Liebe, die nicht sein durfte: „Ich hätte so vieles in meinem Leben anders machen können. Aber das habe ich nicht, und damit muss ich jetzt leben. ... Ich bereue diese eine Entscheidung bis heute.“ (S. 191)

„Goldene Zeiten im Gepäck“ ist schräg, gefühlvoll, romantisch, ein Buch zum Lachen und Weinen. Es macht Mut und Hoffnung und zeigt, dass es nie zu spät ist, alles für seine Liebe zu riskieren. Definitiv ein Jahreshighlight!

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.08.2019
Fohl, Dagmar

Frieda


ausgezeichnet

Genie oder Wahnsinn?

Elfriede Wächtler hält die Gewalttätigkeit ihres Vaters und die Erwartungen ihrer Mutter nicht mehr aus: „Ich bin 16 Jahre alt, das Leben liegt vor mir, ein Leben, wie ich es mir erträume, und nicht, wie der Vater es von mir erwartet und in mich hineinzuprügeln versucht.“ (S. 12) Sie will keine Kostümschneiderin werden und ein bürgerliches Leben führen, sondern Künstlerin sein. Wenn sie malt, kann sie sich ausdrücken, kann die Sorgen und Probleme vergessen, den Hunger, den Krieg. „Ein Bild zu malen ist das größte Abenteuer. Wenn es zu leben beginnt und sich in die Lüfte erhebt, wenn es sich von meiner Absicht löst und das zu Tage fördert, was ich zuvor nicht geahnt habe, vergesse ich völlig, dass Krieg herrscht und jeden Tag unzählige Menschen ihr Leben verlieren.“ (S. 16/17)
Sie besucht die Kunstgewerbeschule, bis sie sich auch dort eingeschränkt und unverstanden fühlt, ist u.a. mit Dix, Griebel und Felixmüller befreundet, lernt über sie den Maler und Opernsänger Kurt Lohse kennen und verliebt sich in ihn. Die Beziehung zu ihm ist nicht unproblematisch. Er nutzt sie aus, stiehlt ihr Geld, verkauft ihre Sachen, schlägt sie, nimmt sie als Künstlerin nicht ernst – trotzdem unterstützt und heiratet sie ihn.

Dagmar Fohl schreibt auf 246 Seiten so einfühlsam und eindringlich über das dramatische Schicksal der Dresdner Ausnahmekünstlerin Elfriede Lohse-Wächtler, dass ich das Buch nicht einmal aus der Hand gelegt habe.
Frieda hatte kein leichtes Los. Ich habe mich gefragt, warum sie sich nicht gegen Lohse gewehrt hat, sich so an ihn klammerte, auch als er fremdging und mit einer anderen Frau Kinder bekam. Vielleicht, weil sie die Gewalt von Kindheit an kannte? Lieber lässt sie sich von ihm in den Wahnsinn treiben, Diagnose Schizophrenie ... Doch auch in den verschiedenen Anstalten malt sie weiter, hat ihre größten Schaffensphasen – endlich gelingt ihr der Durchbruch als Künstlerin. Nur leben kann sie davon nicht, rutscht anscheinend sogar in die Prostitution ab („Ich habe keine Bleibe mehr, lebe auf der Straße und in den Kneipen. Meine Kleider, Wäsche, Schuhe werden löchrig. Auch von innen zerfalle ich mehr und mehr.“ (S. 137)) und wird in Arnsdorf eingewiesen.
Als die Nazis an die Macht kommen, lässt sich Lohse aufgrund des Erbgesundheitsgesetzes scheiden. Frieda kommt nie wieder aus der Anstalt frei, obwohl sie zu dem Zeitpunkt gesund ist. 1940 wird sie nach Pirna-Sonnenstein „verlegt“ - das hat mich als Dresdnerin am meisten geschockt. Ich habe bis zu diesem Buch nicht gewusst, dass die Nazis 1940/41 vor den Stadttoren Dresdens fast 14.000 geistig oder körperlich behinderte Menschen vergast haben.

Friedas Schicksal hat mich sehr berührt. Ich habe mit ihr gelitten und gehofft, meine Heimatstadt Dresden und ihre Künstler neu kennengelernt. „Frieda“ ist ein wichtiges Buch, ein Buch #gegendasvergessen.

Bewertung vom 21.08.2019
Wood, Naomi

Diese goldenen Jahre


sehr gut

Meister Ittens Jünger

1922 begegnen sich 6 junge Menschen im ersten Semester am Bauhaus in Weimar: Walter, Kenö, Kaspar, Irmi, Charlotte und Paul. Sie wollen sich hier weiterentwickeln und verwirklichen, wollen zur neuen Moderne gehören und von berühmten Künstlern wie Itten, Kandinsky, Klee oder Albers lernen. Der Unterricht bringt sie an ihre Grenzen – körperlich und seelisch „Wir lernten das gesamte Wesen eines Objektes kennen ... Vor allem aber lernten wir zu fasten und wie das Fasten in unserem hungrigen Ich eine ganze Welt aus Glanz, Chaos und Genuss entstehen lassen konnte.“ (S. 15) Aber sie sind jung – und verliebt, in das Leben und auch ineinander. „Wir alle liebten einander. Gott, waren wir glücklich.“ (S. 30) Doch die Idylle zerbricht, als Charlotte und Kenö ein Paar werden, denn Paul ist schon lange in Charlotte verliebt und Walter in Kenö. „Das Schlimmste dabei war, dass nicht nur die Zukunft tot war, sondern auch die Vergangenheit ein neues Gesicht bekam.“ (S. 128) Paul und Walter sehen die Beziehung der Beiden als Verrat, trotzdem hält die Gruppe irgendwie zusammen, sie bleiben auch nach ihrem Abschluss als Jungmeister am Bauhaus. Inzwischen wurde die Schule von den Nationalsozialisten aus Weimar vertrieben und hat sich in Dessau niedergelassen. Das neue Haus ist noch modernen und futuristischer, das Lebenskonzept noch mehr auf die totale Reduktion ausgerichtet: „Tagsüber reflektierte es das Licht wie ein riesiger Spiegel, Abend leuchtete es wie ein Raumschiff.“ (S. 163) Auch die Ansprüche haben sich gewandelt: die Entwürfe sollen jetzt nützlich, massentauglich und zeitlos sein. Der Zusammenhalt der Gruppe bröckelt weiter, als Walter regelmäßig und freizügig Heroin verteilt. Während für ihn, Charlotte und Paul das Leben ein dauernder Drogenrausch wird, distanziert sich Kenö immer mehr ...

„Diese goldenen Jahre“ von Naomi Wood zeigt die Sonnen- und Schattenseiten einer Gruppe junger Menschen, die eigentlich fortschrittlich und modern, großzügig und frei sein wollen, und sich dabei in Geheinisse, Verrat, Intrigen und Beziehungsdramen verrennen. Was hell und leicht beginnt „...im sanften Schein des Nachmittages schimmerte unser Leben wie Gold.“ (S. 18), wird bald dunkel und schwer. Die Ausbildung bringt vor allem Paul an seine Grenzen. In Dresden haben ihn seine Lehrer gelobt und ihm eine große Zukunft vorausgesagt, in Weimar ist seine Art zu malen längst unmodern und altbacken. Walter ist homosexuell und Jenö zumindest zu Beginn noch unentschlossen, für welches Geschlecht er sich interessiert. Und Charlotte, die aus Prag stammt, gehört bald zu den unerwünschten Ausländern, die abgeschoben werden sollen – die Parallelen zur heutigen Zeit sind unverkennbar und erschreckend. Der Nationalsozialismus breitet sich aus und nimmt auch auf ihren Alltag Einfluss – wie lange wird es noch gut gehen, werden sie noch in Deutschland bleiben können?

Naomi Wood hat ihren Roman fast wie ein Kammerspiel aufgebaut. Die Handlung konzentriert sich auf nur wenige Personen, trotzdem hat sie die Entwicklung des Bauhauses und seiner Lehren sehr geschickt eingebunden. Das Geschehen wird durch die Gruppendynamik bestimmt, die Schicksale sind eng miteinander verflochten. Aber letztendlich ist nichts so, wie es scheint. Es gibt zu viele Lügen und Geheimnisse.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.08.2019
Fielstedde, Kerstin

Katerminator


ausgezeichnet

MacGyver lässt grüßen

Indy und die iCats haben das Abenteuer „Kamikatze“ gerade überstanden und sind auf der Flucht vor Maulwurf Professor Sumo, dem König der Unterwelt, und den Jägern der Tierversuchsanstalt. Es wird knapp, da kaum einer von ihnen unverletzt entkommen ist. Zum Glück kennt der Luftaufklärer-Spatz Kilo Foxtrott das Geheimversteck der Freimaunzer – einer strenggläubigen Katzen-Sekte, welche die Verletzten widerwillig aufnimmt und pflegt. Als Gegenleistung verpflichtet sich Indy, ihnen bei einer Aktion zu helfen, ohne Fragen zu stellen – dass sie wieder in die Tierversuchsanstalt einbrechen und die dort gefangenen Katzen befreien soll, erfährt sie erst danach. Leider geraten sie bei der Aktion in die Fänge der NSA (nachtragendsten Schnüffler Amerikas / eine Hundemeute) ...

Wer hier einen gemütlichen Katzenkrimi erwartet, ist bei den iCats falsch – es geht um Leben und Tod. Die Reihe um Indy und ihre tierischen Verbündeten ist ziemlich abgedreht und setzt sich mit der aktuellen Tagespolitik auseinander. Es geht um die Weltherrschaft und Tierversuche, neustes biologische und chemische Waffen, technische Spielereien, Götterverehrung, Aberglauben, Freundschaft, Familie und Zusammenhalt.

Die tierischen Agenten haben alle ihre kleinen Eigenheiten, die sie (zumindest meist ;-)) so liebenswert machen, trotzdem hat die Autorin sie nicht vermenschlicht, was mir sehr gut gefällt. Ich mochte diesmal besonders Faultier Marley mit seinem Motto: „Wenn ihr es eilig habt, geht langsamer.“ (S. 126). Hinten im Buch gibt es übrigens eine tolle Zeichnung und Beschreibung jedes Tieres.

Die Geschichte ist wieder sehr spannend und explosiv und fesselt den Leser bis zur letzten Seite – wobei auch hier das Ende so gestaltet ist, dass man dem Erscheinen des nächsten Bandes entgegenfiebert. Den Showdown erleben Kerstin Fielsteddes tierischen Agenten im Olympiastadion, der Heimstatt von Hertha BSC, was für einen besonderen Kick beim Lesen sorgt.

Noch ein kleiner Tipp: Die Abenteuerlustigen unter Euch können unter https://icats.de/geocaching/ mal schauen, ob sie nicht ganz in der Nähe auch ein Abenteuer erleben können.

Bewertung vom 18.08.2019
Kürthy, Ildikó von

Es wird Zeit


ausgezeichnet

Try before you die

„Die Mutter tot, die Kinder weg, die Ehe am Ende ...“ (S. 353) treffender als ihre Freundin Martina könnte Judith ihr Leben auch nicht beschreiben. Sie ist seit 20 Jahren mit Joachim verheiratet, er war ihre Notlösung. Jetzt haben sie drei erwachsene Kinder, die sie nicht mehr brauchen, und ein Haus, das nach seinen Bedürfnissen ausgesucht und eingerichtet ist und ihr nicht gefällt. Judith hadert mit ihrem Mann, ihrem Aussehen und ihrem Gewicht, will sich endlich wieder gebraucht und begehrt fühlen. Als dann auch noch ihre Mutter stirbt, gibt ihr das den Rest. Ist sie jetzt die nächste? Soll das schon alles gewesen sein?

Judith fährt wegen der Beerdigung ihrer Mutter zurück in die Heimat und stolpert dort über ihre ehemals beste Freundin Anne und Jugendliebe Heiko. Sie spricht sich mit Anne aus nur um zu erfahren, dass sie sie wahrscheinlich bald wieder verlieren wird. Und Heiko, der sie damals verlassen hat, macht ihr jetzt wieder Avancen. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch fliegen – aber meint er es auch ehrlich? Sie erlebt endlich wieder echte Abenteuer und macht Dinge zum ersten Mal. „Es war, als hätte ich mir eine Auszeit von meinem echten Leben genommen. Ich machte eine Zeitreise, war mir aber selber nicht mehr ganz sicher, in welche Richtung. In die Vergangenheit? Oder in die Zukunft?“ (S. 229) Doch wie soll es jetzt weitergehen? Soll sie einen echten Neuanfang wagen oder nur eine kleine Veränderung? „Alle um mich herum erfüllen sich einen Traum. Und ich? Ich hab nicht mal einen!“ (S. 302)

In Judith habe ich mich oft wiedergefunden. Sie hat Angst vor allem und jedem und steigert sich da auch noch rein. Therapie zwecklos. Sie traut ihrer eigenen Courage nicht, ihr Selbstwertgefühl geht gegen Null. Aber wenn es drauf ankommt, können ihre Freunde auf sie zählen.

Ich bin seit ihrem ersten Buch ein Fan von Ildikó von Kürthy und habe mich sehr gefreut, dass auch Erdal Küppers und sein Mann Karsten wieder mit dabei sind. Auch sie sind älter geworden – in Erdals Fall aber nicht unbedingt weiser oder taktvoller: „Er ist das fleischgewordene Drama ... mein bester Freund, meine beste Freundin, mein Seelenverwandter, Patenonkel meiner Zwillinge, mein gnadenlosester Kritiker, egoistisch, selbstlos und stets aufgewühlt und zu allem bereit.“ (S. 98/99).

Das Buch hat mich zum Nachdenken, Lachen und Weinen gebracht und immer wieder überrascht. Es ist ein Buch voller Abschiede – von Menschen, von unrealistischen Erwartungen und Träumen. Aber es macht auch Mut, sein Leben zu überdenken, im Moment glücklich zu sein und sich vielleicht doch noch mal zu verändern. Schlimmer kann es ja meist eh nicht mehr werden.

Mein Fazit: „Es wird Zeit“ von Ildikó von Kürthy ist ein Buch übers Älterwerden und endlich Ankommen – oder doch lieber neu Durchstarten? Perfekt zum Abtauchen, Auftauchen, Innehalten und Weiterlesen. Ich schließe es mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.08.2019
Breen, Sarah;McLysaght, Emer

OMG, diese Aisling!


gut

Die Landpomeranze

Aisling ist 28 und wohnt wieder bei ihren Eltern in einer irischen Kleinstadt. Sie arbeitet in Dublin bei der Rentenversicherung und ist schon 7 Jahre mit ihrem Freund John zusammen. Als er ihr weder bei der x-ten Hochzeit von Freunden noch im darauf folgenden Urlaub endlich den ersehnten Antrag macht, reißt ihr Geduldsfaden und sie macht mit ihm Schluss – sie will nicht nochmal 7 Jahre warten, bis er vielleicht endlich bereit für die Ehe ist. Zumal auch der Druck von ihren Eltern, Freunden und Kollegen immer größer wird: „... wenn ihr in dem Tempo weitermacht, seid ihr mit einem Fuß im Grab, bevor ihr zum Altar schreitet.“ (S. 67)
Und wo sie schon nun mal dabei ist, sich neu zu erfinden, mistet sie endlich ihren Kleiderschrank aus und nimmt das Angebot ihrer hippen Kollegin an, mit in deren WG zu ziehen – vom Bauernhof in ein luxuriöses Penthouse. Ihr Leben dreht sich um 180 Grad, aber wird es auch besser?!

Ich hatte Probleme, mit Aisling warm zu werden. Sie ist die typische Landpomeranze, etwas unbeholfen, robust, praktisch veranlagt (auch was ihren Kleidungsstil und die Schuhe angeht) und eigentlich ständig auf Diät. Uneigentlich rechnet sie zwar bei jedem Essen die Weight-Watchers-Punkte nach, stopft sich dann aber trotzdem mit Chips und Pommes voll. Außerdem hat mich gestört, dass sie ihre Kolleginnen ständig um deren schicke Klamotten beneidet um im gleich Atemzug zu denken, dass sie die ja eigentlich hässlich findet. Auch das ständige Nachrechnen, was wieviel gekostet hat, nervt – man versteht es erst als ihre Mutter erzählt, dass sie lange am Existenzminimum gelebt haben. Und nicht zuletzt lässt sich Aisling von ihrer Umgebung einreden, dass sie und John doch endlich eine Familie gründen müssen ...
Vielleicht verstehe ich ihre Probleme nicht, weil ich älter bin als sie. Aber mit 28 sollte man doch einen eigenen Lebensentwurf gefunden haben und sich nicht mehr reinreden lassen, oder? Es hat mir etwas zu lange gedauert, bis sie endlich begriffen hat: „Es wird Zeit, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffe, dass ich mein Schicksal selbst lenke, dass ich herausfinde, was ich will – für mich selbst und nicht für jemand anderen.“ (S. 313)

Von Aisling abgesehen, mochte ich die Geschichte. Ihre Eltern sind hilfsbereit, bodenständig und wollen, dass es ihre Kinder besser haben als sie. Ihre Schicksalsschläge (über die ich hier nichts verraten will) haben mich sehr berührt. Auch John mochte ich sehr. Er hält sich an das, was Aisling verlangt, nämlich dass sie sich nicht mehr sehen, und sorgt damit bei ihr für viele Tränen und einige ungewollte Verwicklungen, das hat die Geschichte spannender gemacht.

Mein Fazit: Nicht ganz so komisch wie erwartet, aber eine schöne Selbstfindungsgeschichte.

Bewertung vom 15.08.2019
Rai, Edgar

Im Licht der Zeit


ausgezeichnet

Der Start in ein neues Zeitalter

Berlin 1917: „Dieses Kind war wie ein Wildpferd mit Federboa ...“ (S. 8) „Wenn die einmal aus der Box war, würde sie nicht mehr einzufangen sein.“ (S. 12) Marlene Dietrich ist 16 und hat jetzt schon die längsten Beine Berlins – die es noch weit bringen werden, meint ihre Tante Vally. Ihre Mutter hingegen hofft, dass sie klassische Konzertgeigerin wird. Marlene selbst experimentiert lieber mit ihrer Sexualität – vor allem mit Frauen – und träumt davon, ein Filmstar wie Henny Porten zu werden. Doch Henny ist erst seit kurzem Witwe und hat ihren Lebenswillen verloren.

12 Jahre später ist Henny Porten wieder groß im Geschäft, aber Marlene hat den Durchbruch als Schauspielerin immer noch nicht geschafft, sondern tingelt von einem Varieté zum nächsten. Sie ist verheiratet, hat eine Tochter und ist die Hauptverdienerin der Familie, aber ihr Mann und sie lieben sich nicht und ihre Tochter kann keine Beziehung zu ihr aufbauen. „Marlene war in ihrer eigenen Familie der Fremdkörper.“ (S. 191)

Die UFA hat in Babelsberg gerade das erste Tonfilm-Studio gebaut, um den Anschluss an Amerika nicht zu verpassen und Karl Vollmöller wird engagiert, um den ersten Film zu drehen. Der Hauptdarsteller ist schnell gefunden: Emil Jannings hat in Amerika gerade den ersten Oscar als bester Schauspieler bekommen, will aber zurück nach Deutschland kommen. Auch den Stoff hat Vollmöller schon – er konnte Heinrich Mann überzeugen, ihm die Rechte an „Professor Unrat“ zu verkaufen. Nur die weibliche Hauptdarstellerin fehlt ihm noch. Da entdeckt Regisseur Josef von Sternberg am Berliner Theater Marlene, die mit ihrer frivolen Show für Furore sorgt – sie ist perfekt für die Rosa Fröhlich. „Karl schätze Marlenes Vielseitigkeit, die scheinbar gelangweilte Art, mit der sie das Publikum bei der Stange hielt, und ja, sie hatte die längsten Beine der Stadt.“ (S. 177)

Edgar Rai erzählt in „Das Licht der Zeit“ vom Beginn des deutschen Tonfilms, von einer aufregenden Umbruchzeit, in der die Nationalsozialisten immer mehr erstarken und den Alltag bestimmen (wollen). Die goldenen 20er sind auf ihrem Höhepunkt. In Berlin werden rauschende Partys gefeiert, Heroin gilt als Stimmungsaufheller und Promiskuität ist an der Tagesordnung.

Vollmöller ist ein Macher, der genau weiß, wie er seinen Willen durchsetzen kann. Bei Jannings, der Marlene nicht ausstehen kann, setzt er auf Zuckerbrot und Peitsche (im wahrsten Sinne des Wortes!). Auch die UFA hat er fest im Griff und kann sie überzeugen, immer mehr Geld in den Film zu pumpen. Nur Marlene gibt er Raum, lässt sie sich neu erfinden und ist erstaunt, was sie aus sich rausholt, wie sehr sie sich zurücknehmen kann und trotzdem auf der Leinwand extrem präsent ist und Jannings damit aussticht. Der wird seiner Rolle (dem verzweifelten Professor) immer ähnlicher und ruiniert sich und den Film fast damit.

Parallel dazu muss auch Henny Porten entscheiden, wie sie ihre weitere Karriere gestalten soll. Sie ist inzwischen mit einem jüdischen Arzt verheiratet und Goebbels, der sie sehr verehrt, bedrängt sie, sich endlich scheiden zu lassen und die große deutsche Vorzeigefrau beim Film zu werden – sich vor Hitlers Karren spannen zu lassen.

Die gegensätzlichen Lebensentwürfe und Entwicklungen von Henny und Marlene machen für mich den besonderen Reiz des Buches aus. Henny ist sehr unsicher, hat aber in ihrem Mann einen guten Berater und eine eigene Produktionsfirma, will unabhängig bleiben. Marlene hingegen will endlich der Enge ihrer verkorksten Ehe und dem biederen Deutschland mit seinen immer strengeren Moralvorstellungen entfliehen.

Spannend, aufregend und prächtig inszeniert Edgar Rai den Dreh von „Der blaue Engel“ und schafft gleichzeitig ein Zeitzeugnis über die goldenen 20er und die Revolution der Tonfilmindustrie.

Bewertung vom 12.08.2019
Weng, Joan

Amalientöchter


ausgezeichnet

Zwischen Politik und endlich-Leben-wollen

Weimar 1918: Klara träumt davon, wie vormals Herzogin Anna Amalia durch die Welt zu reisen, aber der Krieg ist erst seit kurzem vorbei und die Friedensvertragsverhandlungen stehen noch aus. „Das Wissen, dass es da draußen noch so viel mehr Welt gab, als nur das kleine enge Weimar, hatte sie meistens trösten können.“ (S. 17)
Ihr Verlobter Fritz ist Arzt in Berlin und hilft denen, die bei den Straßenkämpfen verletzt werden. Da er nicht sobald in das kleinbürgerliche Weimar zurückkehren wird, überredet sie ihn, sie mit nach Berlin zu nehmen. Dort erwartet sie im Haus seines Onkel ein leeres Zimmer mit einer muffigen Matratze – aber eben auch die große weite Welt und Frauen wie ihre neue Freundin Kiki, die ihr Leben selbst bestimmen. Als erstes kürzt Klara ihre Röcke und Haare, dann stürzt sie sich ins rauschende Nachleben und die Partys der goldenen 20er. Aber sie sieht auch täglich die andere Seite der Medaille: Kriegsversehrte, halbverhungerte Kinder, eine zerstörte Stadt.
Klaras große Chance kommt, als ihr die Ex-Frau von Fritz’ Onkel eine Stelle bei ihrer Zeitung anbietet: „Eigenes Geld, niemanden um Erlaubnis bitten müssen – vor allem keinen Mann! Mehr Freiheit kann es nicht geben!“ (S. 210) Endlich kann Klara schreiben und damit vielleicht sogar etwas bewegen, davon hat sie ebenfalls schon immer geträumt. Durch ihre Arbeit wird sie sich bewusst, wie sehr sich Fritz und sie verändert haben, wie gern sie unabhängig ist. Sie kann es sich nicht mehr vorstellen, in Weimar die brave Arztgattin, Ehefrau und Mutter zu spielen. Er ist nicht mehr der Richtige für sie, trotzdem geht sie nach der Niederschlagung des Spartakusaufstandes mit ihm zurück. Als „Entschädigung“ versorgt er ihr Karten für die Nationalversammlung, so kann sie die politischen Umwälzungen vor Ort verfolgen.

Joan Weng schreibt in „Amalientöchter“ über die wenigen Monate zwischen Kriegsende und dem Beginn der Versailler Vertragsverhandlungen. Auf einmal scheint alles möglich zu sein, schließlich dürfen Frauen endlich wählen.
Nach dem biederen, kaisertreuen Weimar ist Berlin DAS große Abenteuer für Klara. Endlich ist sie dort, wo Geschichte geschrieben wird und kann dabei mitwirken. Sie emanzipiert sich und träumt von einem freien Leben z.B. als Reisejournalistin, will Frauen helfen, ihren eigenen Weg zu finden. Fritz, der bisher ähnlich dachte, ändert nach der Niederschlagung des Spartakusaufstands plötzlich seine Pläne. Er geht zurück nach Weimar, übernimmt die Praxis seines Vaters und erwartet, dass sie heiraten und schnell eine Familie gründen. Dass Klara längst über diese kleinbürgerlichen Vorstellungen hinausgewachsen ist, bemerkt er nicht.

Die Autorin hat es geschafft, ein sehr lebendiges und vielfältiges Bild der damaligen Ereignisse zu zeigen, die neu erwachte Sehnsucht nach Leben und Vergnügen, aber auch die schrecklichen Ereignisse der Umbruchzeit. Geschickt flicht sie historische Persönlichkeiten wie Anita Berber, Otto Dix, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in die Handlung ein. Leider ist ihr der Spagat zwischen politischem Geschehen und Klaras (Liebes-)Geschichte nicht ganz gelungen, gerade die Episoden mit Max kamen mir leider etwas zu kurz.

Fazit: Spannender Roman über eine aufregende, gefährliche Zeit und die Emanzipation einer jungen Frau.