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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 02.10.2015
Sheridan, Peter

Die Fortsetzung der Liebe mit anderen Mitteln


sehr gut

»Die junge Nonne erwiderte Philos Blick und meinte eine Wikingerin vor sich zu haben. Die hatte breite Schultern, und der Kopf saß irgendwie eigenartig auf dem Körper. Dann bemerkte Schwester Rosaleen, dass die Frau keinen Hals hatte.«

Philo kann man getrost als „auffällig“ bezeichnen. Zu ihrem Körperumfang (240 Pfund bei 1,68 Meter Größe) und den Tätowierungen kommt ein Wesen, das mit Gefühlen und Meinungen noch nie hinterm Berg halten konnte. Was bringt eine solche Frau dazu, Zuflucht in einem Kloster zu suchen? Natürlich die Liebe, oder besser gesagt das, was aus der Liebe zwischen ihrem Mann Tommo und ihr geworden ist.
Schon nach kurzer Zeit hat Philo in das dem Kloster angeschlossene Seniorenzentrum richtig Leben gebracht, mit frischem Wind und Kreativität die lähmende Langeweile vertrieben. Um zwei der älteren Herrschaften will Philo sich noch besonders kümmern: Gemüsehändler Cap ist seit über 40 Jahren in Dina verliebt, aber Dina heiratete damals nicht ihn, sondern seinen besten Freund. Was folgte, ist als „Gemüsekrieg“ jedem Kind in der Gegend bestens bekannt. Aber nun ist Dinas Ehe schon lange Geschichte und Cap, das spürt Philo genau, liebt Dina noch immer. Da muss sich doch was machen lassen…

Dieses Buch hat mich wirklich positiv überrascht, denn ich hatte zunächst nur mit einer leichten Komödie gerechnet. Was dann auch in der Art von „Sister Act“ beginnt, bekommt im Laufe der Handlung erstaunlich viel Tiefgang. Thematisiert werden zum Beispiel der Niedergang bestimmter Stadtviertel (die Handlung spielt in Dublin, im Viertel North Wall), Alkoholismus und Jugendkriminalität.
Philo hat auf der Flucht vor ihrem Ehemann ihre Kinder zurückgelassen und kämpft sich nun, gehandicapt durch eine schlechte Schulbildung, in Sachen Wiedererlangung des Sorgerechts durch einen Behördendschungel. Frust, Angst und Kummer besänftigt sie mit äußerst fetthaltigen Fressattacken, um andererseits stark unter ihrem Übergewicht zu leiden.

Philo war mir als Charakter sehr sympathisch. Sie hat einige Fehler (wer nicht?) und hätte sicher eine Menge Dinge in ihrem Leben besser anders gemacht, trotzdem bangte ich mit ihr mit und hoffte auf ein gutes Ende. Manchmal war sie einfach rührend…
»Philo hatte in ihrem ganzen Leben noch kein vorbehaltloses Geschenk bekommen. Es war ein eigenartiges Gefühl, sich nicht revanchieren zu können. Es fühlte sich an, als sei sie wertvoll allein dadurch, wie sie war.«

Ein schöner Satz! Überhaupt gefiel mir der Stil gut, es gab herrliche Formulierungen, wie zum Beispiel die Beschreibung einiger Pflanzen, deren »prachtvolle Blätter glänzten, als ob sie lächelten« Wenn hingegen Philo sprach oder dachte, wirkte ihre Sprache sehr authentisch und passte perfekt.

Und die Geschichte zwischen Cap und Dina? Schwer romantisch einerseits ließ sie mich trotzdem nachdenken: Über Beziehungen, verpasste Chancen, die Möglichkeit, sich zu ändern und über Neuanfänge.

Fazit: Mal komisch, mal nachdenklich. Mal romantisch, mal traurig. Ein Buch, in dem überraschend viel drinsteckt.

»Er hatte keine Ahnung, was er singen sollte, bis er auf einmal Dina am anderen Ende des Raumes sah. Dies löste etwas Unerwartetes in ihm aus, eine unbezähmbare Herzensbotschaft. … Dieses Lied hatte er ihr vor vierzig Jahren vorsingen wollen, bevor der Gemüsekrieg dazwischengekommen war und sie getrennt hatte. Dieser Krieg hätte nie stattfinden dürfen. Er war aus Liebe entflammt und hatte dann seine Eigendynamik entwickelt. Krieg war eigentlich nicht das richtige Wort dafür. Es war Liebe mit anderen Mitteln gewesen, mehr nicht, und sie hatten es so weit getrieben, dass es kein Zurück mehr gab.«

Bewertung vom 02.10.2015
Albrecht, Susanne U. M.

Verdächtige und andere Katastrophen


sehr gut

»Vorfreude ist die beste Freude, so wie Ausdauer stets belohnt wird. Demnach, Maurus, müssen Sie sich noch etwas gedulden, bis Sie wieder einmal mehr in den Genuss meiner subtilen Verhörtaktik kommen. Und lassen Sie sich gesagt sein, dass diese Methode mich auf der Karriereleiter unaufhaltsam nach oben katapultieren wird! Ganz im Gegensatz zu Ihnen!«

Hauptkommissar Gregor Brandolf (genannt Kommissar „Eifer“), leidet nicht unter zu geringem Selbstbewusstsein, besonders nicht seinem Untergebenen Paul Maurus gegenüber. Dieser, vom Gemüt her mittelschwer neurotisch, hat seinen Weg gefunden, mit „Eifer“ klarzukommen: Er begegnet ihm stets mit einer ordentlichen Portion Ironie und Sarkasmus. Ihr aktueller Fall fordert die beiden bis an die Grenzen ihrer emotionalen Belastbarkeit: Die Klavierlehrerin Rosamunde Stichnote wurde ermordet in ihrem Musikzimmer aufgefunden, gleich neben ihrem kostbaren Konzertflügel. Und an Verdächtigen herrscht kein Mangel…

Schon nach der Inhaltsangabe sollte eins klar sein: Wer einen klassischen Krimi mit Hochspannung, Blut und Ernsthaftigkeit sucht, der sucht hier vergebens. Was aber nicht bedeutet, dass unsere Ermittler nicht ordentlich etwas zu ermitteln hätten. Es wird kombiniert und geschlussfolgert, ein Verhör folgt auf das andere. Verdächtige gibt es wie schon erwähnt reichlich, und der Grund dafür erschließt sich schnell, denn…
»Soviel steht fest: Jeder, der sie kennenlernte, trug sich anschließend mit Mordgedanken!«
Unter besagten möglichen Tätern befinden sich ein paar höchst interessante Charaktere, durch deren Anwesenheit sich das Polizeipräsidium »binnen weniger Stunden … in ein Auditorium Maximum für Wahnsinnige« verwandelt.

Es wird also sehr unterhaltsam und zu Ironie und Sarkasmus gesellt sich noch eine gute Portion schwarzer Humor. Ich erlebte auch eine ganz persönliche Premiere, denn wer jetzt tatsächlich der Täter war, war mir schon nach kurzer Zeit überhaupt nicht mehr wichtig. Bei diesem Buch ist im Grunde der Weg das Ziel, die Verhöre und die überaus scharfsinnigen Gedankengänge der Ermittler machen einfach Spaß und hätten gerne noch ein paar Verdächtige länger dauern können.
»Maurus! Ich flehe Sie an! ... Lassen Sie doch nur einmal, wenigstens für einen Augenblick, alle Ihre logischen Schlussfolgerungen außen vor!«

Fazit: Ziemlich schräger Spaß. Wer es satirisch mag und mal einen ganz anderen Krimi lesen möchte, ist hier genau richtig.

»Chef, nachdem wir jetzt schon gemeinsam so viel durchgemacht haben, möchte ich nicht darauf verzichten, Ihnen vertrauensvoll zu eröffnen, dass ich mir mit Weitblick folgendes Urteil gebildet habe: Alles und jeder, der in diesen Mordfall verstrickt ist, ist durchgeknallt!«

Bewertung vom 25.09.2015
Gerbert, Frank

Die Kriege der Viktoria Savs


sehr gut

»Für vorzügliche Dienstleistung vor dem Feinde. Viktoria Savs stand seit dem 1. Dez. 1916 als Ordonnanz des KA. Kommandos „Zinnen“ in Verwendung und hat ihren Dienst stets mit grösstem Eifer und Arbeitsfreude versehen. Sie meldete sich immer wieder freiwillig ... und wollte auch an der Erstürmung des Sextensteins aktiv teilnehmen. Obgleich ihren Bitten ... nicht entsprochen wurde, hatte sie bei Artilleriebeschießungen des Zinnenplateaus und bei Frontbegehungen im Infanterie-Feuer oft Gelegenheit, ihren für ein Weib ganz ungewöhnlichen Mut zu beweisen. Bei der Sextenstein-Aktion am 21./22. April 1917 hat sie ohne Befehl die italienischen Gefangenen im schweren Artilleriefeuer eskortiert. Ihr frisches Wesen, ihr ideal-patriotischer Geist, ihr steter Diensteifer und ihre bewundernswerte Unerschrockenheit bot für die Mannschaft immer ein gutes und sichtlich eindrucksvolles Beispiel. Als ihr am 27. Mai 1917 durch einen Felssturz der rechte Fuss abgerissen wurde, gab sie durch ihr stummes Ertragen der heftigen Schmerzen und durch ihre naive Klage „nun kann ich nicht mehr an die Bergfront gehen“ einen Beweis ihrer Seelenstärke, der auf die ganze Mannschaft erschütternd und erhebend wirkte.«

Das einleitende Zitat stammt aus dem Belohnungsantrag zur Verleihung der Silbernen Tapferkeitsmedaille an Viktoria Savs. Im Laufe ihres Lebens kamen noch diverse weitere Auszeichnungen hinzu, mit denen sie sich stolz und gerne zeigte.

Wer war diese Frau, die im 1. Weltkrieg unbedingt für ihr Land kämpfen wollte? Zu einer Zeit, in der der Aufgabenbereich einer Frau sich gemeinhin auf typisch „weibliche“ Tätigkeiten zu beschränken hatte? Wer war diese Frau, die im Jahr 1938 dann nicht nur der NSDAP beitrat, sondern auch in den Dienst der Wehrmacht trat?

Der Autor Frank Gerbert hat mit der Sammlung von Fakten, Berichten, Fotos und Zeugenaussagen rund um das Leben der Viktoria Savs eine regelrechte Detektivarbeit betrieben. Das Ergebnis lässt sich sehen! Chronologisch arbeitet er sich vor, präsentiert für beinahe jeden Zeitraum in Viktorias Leben belegbare Fakten, die er mit Berichten aus unterschiedlichen Quellen ergänzt. Recht häufig ergeben sich dabei widersprüchliche Angaben, die verdeutlichen, dass die Frage nach der Wahrheit hier keine einfache ist. Die Akribie, mit der der Autor sich um Vollständigkeit bemüht, hat mich wirklich beeindruckt!

Die Ergebnisse sind nicht nur hochinteressant zu lesen, sondern reizen zum Nachdenken über Viktorias Antrieb, ihre Einstellung, ihre Motivation. Manche Fragen lassen sich auch nach Auswertung aller Indizien nicht abschließend beantworten, man kann sich nur, genau wie der Autor es auch tut, eine Meinung bilden. War sie ein Transgender? Gefangen im „falschen“ Körper? Versuchte sie vielleicht nur, ihrem eigenen Gefühl entsprechend zu leben – und später, in der Nazizeit zu überleben? Wollte sie womöglich für die Gleichberechtigung der Frau eintreten? Oder war sie eine überzeugte Anhängerin des NS-Regimes? War sie nicht nur eine Mitläuferin sondern eine aktive Nationalsozialistin?

Eine Erkenntnis drängt sich auf: Viktoria wurde – ganz nach Bedarf – für politische Zwecke eingesetzt. War sie sich dessen bewusst? Fühlte sie sich vielleicht ausgenutzt oder störte es sie nicht? Genoss sie es, immer wieder in Zeitungsberichten aufzutauchen?

Rund um Viktorias Schicksal herum gibt der Autor jeweils einen Abriss der geschichtlichen und politischen Situation. Ich habe dabei das ein oder andere erfahren, von dem ich zuvor noch nicht gehört hatte. Mein Punktabzug resultiert daraus, dass ich es passender empfunden hätte, wenn der Autor seine persönliche Wertung auf das Schlusskapitel beschränkt hätte. Ein Satz wie beispielsweise »Genug jetzt des braunen Schleims!« ist zwar für mein Empfinden eine absolut zutreffende Beschreibung eines – in dem Fall – zitierten Artikels aus einem Naziblatt, unterbricht aber unangenehm den ansonsten gründlichen Bericht.

Bewertung vom 20.09.2015
Haehnel, Gerd

Viktor im Schattenland


ausgezeichnet

Viktor fühlt sich wie der völlige Versager. Schon die fünfte Klasse musste er wiederholen und wenn er nun auch die sechste nicht schafft, fliegt er vom Gymnasium. Nicht nur sein Lehrer hält ihn für eine Doppelnull, auch sein Vater, promovierter Studiendirektor, ist schwer enttäuscht von ihm. Und seine Mutter hätte sicher auch nicht solche schlimmen Herzprobleme, wenn sie sich nicht unaufhörlich um Viktor sorgen müsste!
Mit seinem kaum vorhandenen Selbstbewusstsein ist er das perfekte Mobbing-Opfer seiner Mitschüler und auch außerhalb der Schule wird sein Leben von Ängsten beherrscht. Allein die gruseligen Schatten in der Dämmerung, die ein Eigenleben entwickeln und ihn verfolgen! Ein Glück, dass Viktor in den Osterferien seinen Opa besuchen darf. Der pensionierte Lehrer hat nicht nur so manchen tollen Pädagogentick (ja –tick, nicht trick ;-) drauf, er hilft Viktor, seine Stärken zu entdecken, Selbstvertrauen zu entwickeln und einen Weg zu finden, mit seinen Ängsten umzugehen. Wird Viktor das Schuljahr vielleicht doch noch schaffen?

Ein tolles Buch, es hat mir sehr gefallen und ich konnte es – dank eines freien Wochenendes – zum Glück in einem Rutsch lesen. Mit Viktor konnte ich sofort mitfühlen: Wie soll man noch irgendetwas vernünftig hinbekommen, wenn man unter einem solchen Druck steht? Wenn einem stetig vermittelt wird, dass man ein Versager und eine Enttäuschung ist?

Dabei drängten sich einige von Viktors (bislang ungenutzten) Stärken gleich auf: Zum Beispiel seine enorme Phantasie und Kreativität, die allerdings durch ein starres Regelkonstrukt ausgebremst wurde und bei ihm für Ängste und Panikattacken sorgte. Sein Großvater setzt genau an diesen Stellen an, indem er ihn für das Schattenspiel und das freie Schreiben begeistert. Die sich einstellenden Erfolge können sich sehen lassen! Ist eine Lösung wirklich so einfach? Und warum kann man dann nicht gleich so vorgehen?

Das Buch will nicht einfach Schuldzuweisungen verteilen. Im Gegenteil lautet einer von Opas Pädagogenticks, dass die Frage nach der Schuld bei Lernproblemen wenig hilfreich ist. Es gibt nun mal lange Schultage, es gibt überforderte Lehrer, ein nicht wirklich optimales Schulsystem und Eltern, die – warum auch immer – Fehler machen. Wichtig sind die Stärkung des Selbstbewusstseins und das Finden der eigenen Stärken. Ich glaube, hier kann das Buch wertvolle Tipps liefern!

Viktor schafft es dank Opas Pädagogentick Nummer 3 (Finde die Lernmethode, die zu dir passt!), sich sogar mit dem bislang verhassten Goethe anzufreunden. (Stichwort: Goethe reloaded) Wenn ich so zurückdenke: Das hätte mir auch gefallen!
An dieser Stelle: Das Buch bietet interessante Zugänge zu Goethes Balladen und seiner Farbenlehre und zu alten griechischen Sagen. Man kann also zudem auch noch entsprechendes Fachwissen erwerben und ganz nebenbei merken, dass scheinbar langweilige Themen doch nicht sooo schlimm sein müssen. Und einiges, was ich über die Farbschattenlehre erfahren habe, hatte ich zuvor noch nirgends gelesen. Ich bin richtig neugierig geworden, werde mal ein bisschen experimentieren und in der Natur die Augen aufhalten.

Neben dem Schattenspiel und dem kreativen Schreiben spielt auch die Musik und das Musizieren eine große Rolle. Nicht nur im Buch, auch tatsächlich weiß man, wie förderlich das Musizieren für das Lernen sein kann. Viktor quält sich bislang durch Nachmittage mit ungeliebtem Klavierunterricht, er hasst seinen unsensiblen Lehrer und das aufgezwungene Üben. Das ändert sich mit dem richtigen Instrument und einem coolen Lehrer, der es versteht, Freude am Musikmachen zu vermitteln.

Am Ende wird Viktor seine Stärken gefunden und seine Ängste besiegt haben, er wird Freunde gefunden und mit ihnen Abenteuer bestanden haben. Und auch die Erwachsenen werden das ein oder andere gelernt haben. Wenn das nicht Mut macht!

»Du wirst sehen: In dir steckt viel mehr, als du glaubst!«

Bewertung vom 18.09.2015
Charney, Noah

Original Meisterfälscher


ausgezeichnet

Fälschungen faszinieren – das merkte ich ganz deutlich bei der Lektüre dieses Buchs. Völlig überrascht war ich von der Fülle an Informationen, die ich hier bekam! Nie zuvor war mir bewusst gewesen, was Fälschungen eigentlich für eine lange Geschichte haben.
»Zu allen Zeiten wurde Kunst kopiert, falsch zugeschrieben und gefälscht. Echt oder nicht echt war bereits im antiken Rom ein Thema, da echte griechische Gefäße höher geschätzt wurden als römische Plagiate. Im Mittelalter florierte entlang der Pilgerwege der Handel mit falschen Reliquien. Die Geschichte der Kunstfälschung ist so alt wie der Kunsthandel.«

Das Buch eröffnet mit einem Zitat Dürers von 1511 – er litt sehr unter Fälschern. Was treibt diese Meisterfälscher eigentlich an? Geht es um Geld? Um Ruhm? Ich will hier nicht vorgreifen, aber es gibt weitaus mehr mögliche Motive und umfangreich und hochinteressant geschrieben werden sie hier abgehandelt.

Der Leser lernt berühmte Fälscher kennen, liest Geschichten, die manchmal so abenteuerlich klingen, als wären sie für einen Hollywood-Streifen erdacht worden. Ausführlich wird dargelegt, wie überaus kompliziert so eine richtig gute Fälschung ist und wie raffiniert Meisterfälscher vorgehen – und damit schon so manche Expertenkommissionen getäuscht haben. Eric Hebborn, einer dieser Meisterfälscher, veröffentlichte ein Buch namens „Kunstfälschers Handbuch“, das in vielen Fälscher-Werkstätten gefunden wurde und beispielsweise detaillierte Schritt-für-Schritt Rezepte enthält, wie man Bilder um Jahrhunderte altern lassen kann.

Auf der Gegenseite gibt es modernste Techniken zur Bestimmung und Untersuchung der Echtheit. Da stößt man dann auf Begriffe wie „Chromatografie“, „Massenspektrometrie“, „Dendrochronologie“ und viele andere. Angenehm für den Leser: Im Text wird nur eine kurze Erläuterung gegeben, die ausreicht, um den Sachverhalt zu verstehen. Detaillierte Informationen kann man, wenn man möchte, dem angehängten „Glossar wissenschaftlicher Testmethoden“ entnehmen.

Der Lesefluss wird also nicht gebremst, die Geschichte mancher Fälschungen war richtig spannend und das Buch hatte, trotz vieler Sachinfos, für mich keinerlei Längen. Neben Fälschungen von Gemälden und Skulpturen wird auch auf literarische Fälschungen oder auf wirklich ungewöhnliche Dinge wie Weinfälschungen eingegangen, reichlich Bildmaterial vervollständigt das Ganze.

Kritiker und Experten kommen so manches Mal nicht gut weg. Wer vor dem Lesen noch keine Zweifel an Expertenmeinungen hatte, wird dies mit ziemlicher Sicherheit hinterher haben! Überhaupt ist es interessant, wie verschieden doch im Vergleich zu anderen Verbrechen die öffentliche Meinung zur Kunstfälschung ist.

So mancher Fälscher hat von seiner Entlarvung regelrecht profitiert! Besonders faszinierend fand ich den Fall eines Fälschers namens Hans van Meegeren, der als Nazi-Kollaborateur galt, vor Gericht stand, weil er angeblich nationales Kulturgut der Niederlande (ein Gemälde von Jan Vermeer) an Hermann Göring verkauft hatte und der der Todesstrafe nur entgehen konnte, indem er vor Gericht gestand, den Vermeer selber gemalt zu haben. Da man ihm nicht glauben wollte, musste er den Beweis antreten und während des Prozesses ein Kunstwerk malen. Van Meegeren tat dies und entging nicht nur der Todesstrafe, sondern erlangte Ruhm als „Der Mann, der Göring hereinlegte“.

Fazit: Hochinteressanter Ausflug in die Welt der Meisterfälscher. So fesselnd kann ein Sachbuch sein!

»Kunstwerke müssen nicht wahr sein, sie müssen wahr scheinen. – Nach Aristoteles«

Bewertung vom 18.09.2015
Zander, Zoe

Nebelkerze


sehr gut

»Du bist gut«, steigt Hugo aus dem Wagen aus und kommt zu mir. Es ist für jedermann ersichtlich, dass er unter Schock steht. Er zittert mindestens so stark wie ich. »Echt gut! Hätte ich dir gar nicht zugetraut!«
Ich grinse und wische mir das Wasser von den Lippen.
»Aber«, er hebt den Finger hoch und fängt ebenfalls an zu grinsen. »Du musst selbst zugeben – sie ist um Welten besser.«

Nikola Jalak ist Polizist – und zwar ein guter. Noch vor einem Jahr war er Mitglied einer Sondereinheit und ständig auf Auslandseinsätzen. Vor einem Jahr bestand seine Aufgabe darin, international gesuchte Verbrecher zu jagen, heute ist er zu einem Schreibtischtäter geworden. Seine Schwäche sind Frauen und eine Affäre mit der falschen Frau bescherte ihm diesen Karriereknick. Ein bedeutender Kunstraub verschafft ihm die Chance auf ein Comeback, begeistert stürzt sich Nikola in die Arbeit - um schon bald festzustellen, dass ausgerechnet eine Frau im Zentrum der kriminellen Aktivitäten zu stehen scheint. Die Jagd nach den Dieben führt ihn kreuz und quer durch Europa, immer sind sie eine Spur besser und schneller als er. Zudem wird die Jagd immer gefährlicher, mehr als einmal ist Nikolas Leben in Gefahr. Und mehr und mehr stellt sich heraus, dass es um viel mehr geht, als nur um Kunstraub…

Interessant! Das war mal ein Krimi, der ganz und gar nicht bekannten Mustern folgt. Der Fall ist ungewöhnlich und verwirrend und nicht nur Nikola wird regelmäßig von neuen Entwicklungen überrascht. Der Leser muss gut auf Feinheiten und Details achten, das mag ich sehr. Auch, dass man sich – genau wie Nikola – lange fragt, um was es hier jetzt eigentlich wirklich geht, machte das Buch für mich reizvoll.

Gewöhnen musste ich mich erst mal an die Erzählweise. Nikola ist der Ich-Erzähler und er lässt den Leser durchgehend an seinen Gedanken und Gefühlen teilhaben. Da Nikola ein Macho ist, wie er im Buche steht, erlebt man (oder in meinem Fall „frau“) beispielsweise seine Blicke auf weibliche Hinterteile mit und seine Grübeleien, wie er sich wohl der aktuellen Freundin entledigen könnte. Zunächst war er mir auch nicht wirklich sympathisch, das änderte sich aber im Laufe der Handlung. Zudem er eine trockene Art hat, die mir enorm zusagte:
»In meinem Kopf herrscht gerade eine sehr beunruhigende Stille und das obwohl ich mir genügend Gedanken zu machen wüsste.«
Sein Wesen passt haargenau zu dem Charakter, den er darstellen soll, zu diesem Agenten, der ständig unterwegs ist, diverse Sprachen beherrscht, in körperlicher Hochform ist… Gedanken an James Bond drängen sich da auf und passend dazu steigen der Action-Gehalt und die Spannung im Laufe der Handlung stetig an. Allerdings beginnt Nikola, über sich und sein Verhalten nachzudenken und entwickelt sich weiter, was ihn dann doch von dem bekannten Agenten mit der Lizenz zum Töten unterscheidet ;-)

Besonders raffiniert ist das Katz-und-Maus-Spiel, das sich Nikola und seine Gegnerin liefern. Aber ist sie überhaupt seine Gegnerin? Nicht alle ihre Aktionen passen dazu. Die Positionen der Katze und der Maus ändern sich ständig, diese wirklich mindestens ebenbürtige Gegenspielerin ist für einen Macho wie Nikola ein ganz besonderer Reiz – und für den Leser streckenweise höchst unterhaltsam.

Fazit: Raffiniertes Katz-und-Maus-Spiel und eine ungewöhnliche Handlung - ein Krimi, ganz und gar nicht nach Schema F.

Bewertung vom 11.09.2015
Hauptmann, Gerhart

Bahnwärter Thiel. Novellistische Studie. Textausgabe mit editorischer Notiz und Nachwort


ausgezeichnet

»Die Außenwelt schien ihm wenig anhaben zu können: es war, als trüge er etwas in sich, wodurch er alles Böse, was sie ihm antat, reichlich mit Gutem aufgewogen erhielt.«

1887, in einer kleinen Kolonie namens Schön-Schornstein an der Spree. Bahnwärter Thiel ist ein grundsolider Mensch. Zuverlässig versieht er seinen Dienst, jeden Sonntag sitzt er andächtig in der Kirche. Jedermann kennt ihn als friedlich, ordentlich, gütig und kinderlieb. Diese novellistische Studie zeigt den Weg eines solchen Mannes hin zum Wahnsinn, hin zu einem schrecklichen Verbrechen.

Vielen ist diese Erzählung schon als Schullektüre begegnet, ich las sie jetzt erstmals. Und las sie gleich noch ein zweites Mal, denn ich hatte das Gefühl, dass sie so dicht geschrieben ist, dass ein mehrmaliges Lesen nötig ist, um tatsächlich alle Feinheiten der Sprache und des Inhalts aufzunehmen.

Den Begriff „novellistische Studie“ habe ich mal nachgeschlagen. Wikipedia sagt dazu: »Mit dem Studienbegriff weist der von Hauptmann gewählte Untertitel auf die Art des Beobachtens hin und schafft den Eindruck, in der Novelle eine reale, wahre Geschichte (bzw. deren Bericht/Studie) vorliegen zu haben. Ähnlich einer wissenschaftlichen Studie wird hier vom Erzähler fast ohne eigenen Kommentar das Geschehen beschrieben.« Der Erzähler beobachtet also das Geschehen, macht uns im ersten Teil der Geschichte mit Thiel bekannt und mit den einschneidenden Erlebnissen, die den Grundstein für die später aufziehende Katastrophe legen.

Als Leser verfolgt man die bedrohliche Eskalation mit, ahnt schon früh, dass die immer deutlicher werdende Ausweglosigkeit auf ein schlimmes Ende hin steuern wird. Man wird Zeuge von Thiels innerem Kampf, verfolgt, wie er lange versucht, gegen das, was von ihm Besitz ergreifen will, anzukämpfen, um endlich doch zu unterliegen.
»Es war, als hielte ihn eine eiserne Faust im Nacken gepackt, so fest, dass er sich nicht bewegen konnte, sosehr er auch unter Ächzen und Stöhnen sich frei zu machen suchte.«

Die Erzählung zählt zu den bedeutendsten Werken des Naturalismus. Typisch dafür ist beispielsweise, dass die Handlung im Arbeitermilieu spielt, das tägliche Leben der Arbeiter, ihre Nöte und auch die Zwänge zeigt, in denen sie gefangen sind. Thiels Leben wird bestimmt durch die Eisenbahn, seine Familie, die Kirche und herrschende Moralvorstellungen. Und eine immer heftiger dominierende Triebhaftigkeit…
»Er, der mit seinem ersten Weibe durch eine mehr vergeistigte Liebe verbunden gewesen war, geriet durch die Macht roher Triebe in die Gewalt seiner zweiten Frau und wurde zuletzt in allem fast unbedingt von ihr abhängig.«
Man kann diese Erzählung allerdings nicht ausschließlich dem Naturalismus zuordnen, einige Faktoren sprechen dagegen. Beispielsweise gibt es viele sehr schöne Naturbeschreibungen und intensive Träume und Wahnvorstellungen Thiels, die tiefe Einblicke in seine Psyche geben.

Mich hat die Geschichte geradezu gefesselt, ich mochte sie, einmal begonnen, nicht mehr aus der Hand legen. Es war ein wenig wie ein Traum, bei dem man fühlt, dass er zum Alptraum werden wird, und trotzdem befindet man sich in seinem Sog und kann nicht einfach aufwachen, kann nicht einfach den Traum beenden. Ein Werk, das ich sicher nicht zum letzten Mal gelesen habe.

Fazit: Schullektüre kann total fesselnd sein. Wer dieses Buch noch nicht kennt: Lesen! Und falls es aus Schulzeiten tatsächlich in unguter Erinnerung sein sollte: Es verdient eine zweite Chance!

Bewertung vom 11.09.2015
Kowalsky, Jan

Als Schisser um die Welt


ausgezeichnet

»Ich wurde 1976, im »Jahr des Drachen«, geboren. Passender wäre wohl das Jahr davor gewesen. 1975 gilt im chinesischen Kalender als das »Jahr des Hasen«. Denn ich muss zugeben: Ich bin ein Schisser.
Ich wittere Gefahr, wo keine ist, ich bin ein extrem penibler Kontrolleur (Stichwort »Herd aus?«) und Fan der entspannten Wiederholung: gleiches Urlaubsziel, gleicher Italiener, immer Spaghetti carbonara.
Dann traf ich meine Frau Sarah. Sie ist Ärztin und überhaupt kein Fan von wiederkehrenden Handlungsmustern. Denn sie liebt das Neue, das Aufregende, das »Abenteuer«. Sie will herumkommen und was von der Welt sehen. Seit wir uns kennen, lautet daher das Reisemotto: Sie hat Spaß und ich ein Problem.
Dies ist die Geschichte von einem, der mitmusste.«

Der Schisser liebt also seine Sarah und weil das so ist, lernt er - gezwungenermaßen - an ihrer Seite die Welt kennen, und zwar von ihrer abenteuerlichsten Seite. Sarah mag alles, was möglichst nichts mit Pauschaltourismus zu tun hat. Das fängt bei der Anreise an, setzt sich bei der Unterbringung fort und wird meist durch irgendwelche abenteuerlichen Unternehmungen vor Ort gekrönt. Der Schisser an ihrer Seite erleidet eine Panikattacke nach der nächsten...
»Als ich bei der Koppel eintraf, ließ ich mich auf den nächstgelegenen Stuhl sinken. Ich war fertig mit der Welt und fragte mich, wieso ich mein Leben für so einen Irrsinn auf Spiel setzte. Dann kam Sarah mit drei Flaschen eiskaltem Bier um die Ecke. Wir stießen an. Eins musste man Nahtoderfahrungen lassen: Das Bier danach schmeckt wirklich erstklassig.«

Was hab ich gelacht! Vom Anfang bis zum Ende war dies ein Buch, aus dem ich meiner Umwelt immer wieder laut Passagen vorlesen musste (weil alleine lachen nur halb so lustig ist ;-) Sowohl der Schisser als auch seine Sarah waren mir schwer sympathisch! Einige Ängste des Schissers konnte ich sehr gut nachvollziehen, über andere habe ich grinsend den Kopf geschüttelt. Bei aller Paranoia blieb er aber zu jeder Zeit ein liebenswerter Charakter. Die regelmäßigen Besuche bei dem Hausarzt seines Vertrauens zogen sich schon beinahe wie ein Running Gag durchs Buch. Sarah könnte man theoretisch für rücksichtslos halten (was mutet sie dem armen Mann nur zu?), aber tatsächlich wirkt auch sie als Charakter sehr sympathisch. Und ihre herzhaft trockene Art hat mich regelmäßig zum Lachen verleitet...
»Es ist uns echt schon lange kein anderes Auto mehr entgegengekommen«, flüsterte ich Sarah zu. »Stimmt!«, sagte sie. »Ist es nicht großartig? Das ganze Panorama, nur für uns allein!«

Zu den vielen lustigen Szenen einer Ehe gibt es reichlich Interessantes, Lustiges und Schönes über viele tolle Fernziele auf diesem Planeten. Da sich die beiden konsequent abseits der üblichen Tourismus-Pfade bewegen, erfährt man sehr viel Landestypisches. Bei so manchen kulinarischen Besonderheiten musste ich kräftig schlucken, aber dafür waren viele Beschreibungen von Landschaft oder Sehenswürdigkeiten so verlockend, dass ich am liebsten gleich meinen Koffer gepackt hätte.

Ein weiteres Highlight im Buch sind die zahlreichen Illustrationen, die absolut treffend gezeichnet und gleichfalls urkomisch sind. Der Schisser mag ein überängstlicher Typ sein, aber schreiben und zeichnen kann er großartig - und manchmal wird er sogar poetisch, wenn er zum Beispiel ein Liebesgedicht an seine Couch verfasst.

Fazit: Ein Buch, das Schisser und Abenteurer gleichsam lieben können. Tolle Reiseberichte, herrlich komisch und mit liebenswerten Charakteren. Gerne mehr davon!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.09.2015
Cooke, Lucy

Faul und glücklich


ausgezeichnet

»Faultiere sind super. Ihr Lächeln ist zum Anbeißen, ihre grenzenlose Knuddeligkeit wurde ihnen schon in die Wiege gelegt und vor allen Dingen ist ihr Lifestyle so wunderbar entspannt. Ja, wir sollten diese faszinierenden Tierchen einmal genauer unter die Lupe nehmen, denn wir können uns viel von ihnen abschauen.
Fernab der hektischen Welt, in einem entlegenen verschlafenen Winkel von Costa Rica existiert ein Ort, an dem man begriffen hat, dass die Trägheit dieser putzigen Wesen keine Sünde, sondern eine Tugend ist. Ein Ort, an dem sich 150 verwaiste oder verletzte Vertreter ihrer Art erholen und ein schönes Leben unter der Fittiche der berühmten Faultier-Flüsterin Judy Arroyo führen dürfen: Slothville.
Jenes Faultier-Paradies bietet die seltene Gelegenheit, die Gebräuche und Gewohnheiten dieser sagenhaften Tiere zu erforschen, und so gelang es, die zehn goldenen Regeln des Faultier Way of Life zu erfassen und niederzuschreiben.«

Mich brauchte dieses Buch nicht zu überzeugen, da ich Faultiere schon immer super fand. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand nach dem Lesen dieses Buchs und dem Betrachten der vielen wunderschönen Bilder anders empfindet! Eigentlich als sogenanntes „Geschenkbuch“ gedacht, wird dieses Buch zu einem, das man vielleicht gekauft hat, um es zu verschenken – und sich dann doch nicht davon trennen mag. Seit es bei mir vor rund einer Woche eingezogen ist, habe ich mich schon mehrfach daran erfreut und werde es sicher auch noch häufiger tun.

Das Buch enthält neben vielen wundervollen und großformatigen Bildern auch einiges an Infos über Faultiere und die zehn goldenen Faultier-Regeln, von denen man sich vielleicht das ein oder andere annehmen könnte. Vor allem aber lernt man Buttercup, Violet & Sebastian, Wally, Honey, Mateo, Ubu, Sunshine & Sammy und Velcro kennen und wird sich in ihre süßen Gesichter verlieben. Und wer dann noch ein wenig mehr über sie erfahren möchte, kann das zum Beispiel auf der Website von Slothville tun http://www.slothsanctuary.com/

Fazit: Absolut liebenswertes Buch zum Verschenken und Behalten.